Anathema
Interview mit Daniel Cavanagh zu "Distant Satellites"

Interview

Anathema

ANATHEMA waren und sind ein Garant für emotional ergreifenden, authentischen, hochklassigen Rock mit angenehmem und unaufdringlichem Pop-Appeal, was sie nun mit „Distant Satellites“ wieder eindrucksvoll unter Beweis stellen. Dabei ist das neue geschmacksichere Werk wieder von der Grundstimmung positiver und herrlich erwachsen relaxt, dabei im Gesamten etwas reduzierter. Wir sprachen mit Daniel Cavanagh.

Anathema

Euer letztes Album „Weather Systems“ wurde überall gelobt und wird von vielen als das bisher beste ANATHEMA Album angesehen. Hat euch das irgendwie unter Druck gesetzt, während ihr das neue Album geschrieben und aufgenommen habt?

Nicht wirklich. Ich war wirklich zuversichtlich mit dem Kurs, welchen wir einschlugen als auch den Ideen zu neuen Songs, die wir hatten. Ich hätte sicher viel Druck gespürt, hätten wir nicht diese tollen Stücke, aber wir hatten glücklicherweise viele gute Ideen. Als wir auf die drei Teile von „Lost“ kamen, war alles gut, das war ungefähr im März 2013.

„Distant Satellites“ wurde in der Info der Plattenfirma als der Höhepunkt eures musikalischen Schaffens sowie eurer Entwicklung über all die Jahre beschrieben. Kannst du uns das bitte näher erläutern?

Das neue Album trägt in sich alle Elemente unserer Musik, welche wir seit Jahren machen, wie die Gitarren und Piano Teile und die orchestralen Elemente. Offensichtlich sind auch die Gesangsharmonien ein großer Teil unseres Sounds. Wir fühlten aber, dass wir noch nicht alles, was unseren Sound anbelangt, abgedeckt hatten, daher kamen die Einflüsse des Electro als nette Abwechslung. Speziell der Titelsong ist ein gutes Beispiel worum es im neuen Album geht. „Distant Satellites“ enthält alle gewohnten Charakteristiken ANATHEMA und meiner Meinung nach mehr, aber es ist klar, dass wir nicht daran interessiert waren, ein weiteres Album wie „Weather Systems“ zu machen. Wenn man sich das ganze unter diesem Licht betrachtet, war die Wahl von  „Distant Satellites“ als unser Albumtitel eine bewusste Entscheidung.

Ich empfinde „Distant Satellites“ als entspannter, dezenter, reduzierter, insbesondere was die Orchestrierung anbelangt. Außerdem scheinen alle Alben seit „We’re Here Because We’re Here“ eine deutlich positivere Stimmung aus. Wie siehst du das?

Ich stimme dem zu. Die Atmosphäre ist positiver, aber natürlich gibt es auch jetzt noch melancholisches, alleine schon die vorherrschende Molltonart. „Distant Satellites“ ist nicht so vielschichtig wie es „Weather Systems“ war, und ist auch etwas dunkler, was ich auch schon von vielen Leuten so gehört habe. In dem Album passieren so viele Dinge, während das neue etwas weniger Schichten enthält. Beispielsweise wird der Anfang von „Lost Part 3“ nur von Schlagzeug, Bass, Electronic und Piano gespielt, und das war es. Dann kommen die Gitarren und das Ambient Zeug dazu. Das sind nicht so viele Schichten, aber es klingt einfach groß. Da passiert weniger als man meinen möchte. Ich mag das Album sehr.

Ich glaube, vielen Leuten gefällt „Weather Systems“ deshalb so sehr, da es so eingängig, so catchy ist. „Distant Satellites“ ist nicht ganz so eingängig. Ich denke, die Leute werden mit dem neuen Album etwas länger brauchen, bis sie es verstehen und mögen. Ich finde beide Alben gleich gut.

„Distant Satellites“ geht einen Schritt weiter in unserer Entwicklung. Es klingt anders als „Weather Systems“, es hat eine andere Energie, es hat mehr experimentelle elektronische Teile, Dinge die wir so nie gemacht haben.

Wo wir gerade bei den Electro Sachen sind, die man auch im Titelsong oder in „You’re Not Alone“ findet.  Von wem stammen diese?

Einige Bandmitglieder von ANATHEMA sind große Fans von elektronischer Musik, namentlich Vincent Cavanagh und John Dougles, und hätten sie die Möglichkeit, würden sie diese Einflüsse viel stärker bei ANATHEMA einbringen. Das wäre aber für uns als Band nicht richtig, da wir es mögen, Dinge miteinander zu kombinieren und zu mischen. Natürlich könnten sie ein komplettes Album so machen, aber sicherlich nicht unter dem Banner von ANATHEMA. Diese elektronischen Elemente werden immer Teil unseres Sounds sein, wie die Gitarren. Einfach wie wir es nicht machen würden, ein komplettes Gitarrenorientiertes Album aufzunehmen, so wird es auch kein vollständiges Album geben, dessen Basis elektronische Musik ist.

Die beiden haben für diese Einflüsse seit langer Zeit gekämpft. Und jetzt war die richtige Zeit, diese Dinge hinzuzufügen. Das ist etwas, dass sie wirklich vorwärts bringen wollten. Und ich denke, es ist wichtig, mutig in der Musik zu sein. Man muss sich frei machen von musikalischen Grenzen. Und von irgendwelchen Vorstellungen, die die Fans oder die Plattenfirma haben. Vincent sagte einmal zu mir – wenn du mutig bist, wirst du mehr respektiert! Dem stimme ich absolut zu!

Ich sah letztes Jahr in London ATOMS FOR PEACE auf ihrem Konzert, die Band von Thom Yorke von RADIOHEAD und Flea von den RED HOT CHILLI PEPPERS, und ich glaube dieser Auftritt hat mir geholfen, den Mut aufzubringen, diese Sachen in unseren Sound zu integrieren. Diese Band lebt in der Welt zwischen Electronic und Analog. Aber man hört immer noch die Songwriting Hand von Thom Yorke. Ich finde das ist bei unserer Musik genauso, man hört, wer die Songs geschrieben hat, und sie sind einfach gut. Und darum geht es doch letztendlich, nicht um den Stil, sondern um den guten Song. ATOMS FOR PEACE haben mir geholfen, diesen Schritt zu wagen, musikalische Chancen zu wagen. Und John und Vincent sich selbst sein zu lassen, sich musikalisch auszuleben. Es liegt in ihrer Natur, man könnte schon fast sagen, das ist in ihrer DNA.

Ich denke, wir werden auch in Zukunft mit solchen Dingen experimentieren, das schafft uns natürlich auch neue Möglichkeiten. Aber eben nur als ein zusätzliches, nicht bestimmendes Element. Es hängt davon ab, was der Song, die Musik, benötigt. So wie eben auch die orchestralen Sachen, wenn das Stück Streicher benötigt, verwenden wir ein echtes Orchester, da gibt es keine Kompromisse, dafür gibt es keinen Ersatz.

Was hat sich denn an eurem Songwriting verändert, dass sich die Stücke so entwickelt haben?

Wir haben nichts großartig geändert. Ich denke, wir sind einfach älter geworden, erwachsener, und das hat auch Auswirkung auf unsere Musik. Wir selbst haben uns weiterentwickelt und wurden andere Menschen als früher. Wenn du älter wirst, ändert sich dein Leben, und deine Mentalität, alles ist anders als in deiner Jugend, und das reflektiert auch unsere Musik.

Was kannst du uns über das Songwriting und die Aufnahmen zu „Distant Satellites“ erzählen?

Wir haben im März 2013 damit angefangen, die Songs zu schreiben und mit ihnen zu proben und Demos aufzunehmen. Das ging ungefähr sechs Monate lang, immer wieder proben, immer wieder die Demos anhören, musikalische Entscheidungen fällen. In einer anderen Session im November haben wir zusammen mit Vincent und John fünf Tage lang entschieden, welche Songs es auf das Album schaffen, wir drei haben das Album geplant. Am 2. Dezember ging es dann ins Studio, um mit den Aufnahmen anzufangen. Während Weihnachten hatten wir einige freie Tage. Die Aufnahmen gingen dann weiter von Januar bis März. Es wurde ziemlich alles im Studio zusammengestellt. Die Melodien und Motive standen alle schon fest, aber die Texte entstanden zum Großteil kurzfristig vor Ort und wurden mit der Musik zusammengefügt, ziemlich schnell. Dass alles so schnell und einfach lief, war ein großer Verdienst von unserem Produzenten Christer-Andre Cederberg. Jede einzelne Note wird von ihm geprüft und abgesegnet.

Als Beispiel nehmen wir mal den Song „Distant Satellites“, die Texte als auch die Gesangsmelodien entstanden während der Studiozeit im Hotelzimmer, im Zeitraum zwischen Januar und Februar. Der Song wurde also quasi geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht in einer direkten Abfolge. Aber der Ursprung dieses Stücks ist von 1996! Die Grundmelodie hierfür entstand damals. Der Song klingt zwar sehr modern, ist aber tatsächlich das älteste Stück Musik des Albums. Die Gesangsmelodie als auch die musikalische Herangehensweise sind neu, aber das Grundgerüst und die Basisidee sind fast 18 Jahre alt.

Hattet ihr irgendwelche Ziele, die ihr erreichen wolltet?

Unsere einzigen Ziele waren, die Songs zu komplettieren, so wie sie es selbst verlangen. Wenn wir Musik schreiben, scheint es immer so, als ob die Songs selbst die Richtung vorgeben, um auf den Punkt zu kommen, wie sie sich entwickeln. Wir lassen uns durch die Musik führen, und nicht von äußeren Einflüssen. Die Musik selbst ist das führende Element, auf natürliche Weise. Ansonsten war ein Ziel, dass wir weniger Elemente haben wollten, aber diese sollten größer klingen. Jeder sollte sich auf seine eigenen Qualitäten konzentrieren. Wenn du 50 Gitarrenspuren übereinander legst, klingt die Gitarre zwar fett, aber das Schlagzeug wird überdeckt und klingt schmal, aber wir wollten alles groß und laut. In dem Fall ist weniger einfach mehr.

Einige der Stücke steigern sich in der Intensität der Melodie, war das so gewollt?

Nein, so denken wir nicht. Aber natürlich leben einige der Songs von diesem Crescendo. Ich glaube, auch das ist etwas, was wir unterbewusst machen, dass wir fühlen, dass das Stück zum Ende hin weiter aufgebaut werden muss. Aber das ist jetzt keine Regel oder bewusste Entscheidung, sondern passiert auf natürliche Weise automatisch.

Ihr habt euren Stil im Laufe der Jahre immer wieder etwas verändert, neue Dinge ausprobiert, während andere Bands sich mit solchen Sachen eher zurückhalten, um nicht Gefahr zu laufen, ihre Fanbasis zu verlieren.

Ja, das stimmt. Aber man muss bereit sein, Fans zu verlieren, um frei zu sein, um kreativ zu sein. Man darf da nicht drüber nachdenken. Wir machen das, was die Komposition benötigt. Unsere Musik ist ein innerer Ausdruck, die Entstehung ist ein sehr subjektiver Prozess für uns, das läuft sehr instinktiv, fast schon meditativ. In diesem Zustand muss man sich von allem frei machen, alle Gedanken daran, was Fans oder die Plattenfirma möchten, oder was gerade angesagt ist oder deine Lieblingsbands machen, all das muss außen vor bleiben.

Kommen wir zum Stück „Anathema“, das die Brücke zwischen den neuen modernen Sounds sowie eurer alten Melancholie schlägt. Was steckt hinter dem Song?

Das Stück ist über uns, über jeden in der Band, über all das, wodurch wir gingen, speziell die Kämpfe, die wir ausgefochten haben. Und es handelt darüber, warum wir tun, was wir tun, warum das uns so wichtig ist, warum es uns zusammengehalten hat, nicht nur als Band, auch als Familie. Es geht auch um die ehemaligen Bandmitglieder. Ich kam auf den Songnamen „Anathema“ aufgrund des Inhalts, der Musik und der Emotionen, es war als ob der Song selbst gesagt hätte, wie er heißen soll, es war so offensichtlich. Dieser Name passt einfach zu diesem Stück, und nur zu diesem, es ist perfekt.

Wo wir gerade bei den Inhalten sind, worum geht es in „Distant Satellites“, und was hat es mit dem Albumtitel auf sich?

Es geht um Leute, um uns in der Band und die Leute um die Band, nahe Freunde von uns, Leute welchen wir begegnet sind, verrückte Individuen. Die Leute sind wie Satelliten, jeder ist in seinem eigenen Orbit, und manchmal können sich diese Orbits kreuzen, und dann muss man sich wieder trennen, da man nur auf sich selbst gestellt ist. Man kann das übertragen auf jemanden, den du schon lange nicht mehr gesehen hast, und wenn du ihn triffst möchtest du mehr Zeit mit ihm verbringen, es fühlt sich an, als ob keine Zeit vergangen wäre, aber du machst dein eigenes Ding und ihr müsst euch wieder trennen, du musst deinem eigenen Weg folgen. Oder man verbringt 10 Jahre lang jeden Tag zusammen, aber da ist immer noch diese Distanz, daran kann man nichts ändern, das ist einfach das Leben, und das Leben verschwört sich manchmal gegen dich. Es geht auch um die Band selbst, wir umkreisen die Musik, die Musik ist die Sonne welche wir alle umkreisen, und sie ist die Gravität die uns alle zusammenhält. Es gibt viele interessante Sichtweisen für dieses Konzept.

Kommen wir zu eurem Produzenten, Christer-Andre Cederberg, mit welchem euch eine enge Beziehung verbindet, er ist stark in den Aufnahmeprozess involviert. Ist er eine Art weiteres Bandmitglied?

Auf gewisse Weise ist er es tatsächlich. Ohne ihn läuft nichts. Er ist wie unser George Martin, der fünfte Beatle. Es fühlt sich so an. Er ist ein sehr positiver Mensch, und er ist genau der richtige für eine Band wie uns. Er arbeitet sehr hart und ich kann mir im Moment nicht vorstellen, mit einem anderen Produzenten zu arbeiten. Alles was auf dem Album landet wird von ihm abgesegnet.

Daniel Cardoso ist jetzt offizielles Mitglied von ANATHEMA. Was hat er zum Album beigetragen?

Er war nicht beim Songwriting involviert, das Team besteht aus John Douglas, Vincent Cavanagh und mir. Das halten wir so seit „Judgement“ oder sogar schon davor. Daniel hat aber großartig das Schlagzeug im Studio gespielt. Er war lediglich die erste Woche im Studio anwesend, und er machte seinen Job fantastisch. Nachdem er fertig war, flog er nach Hause und produzierte ein Album für jemand anderes.

John und ich verbrachten viel Zeit im Studio, um das Album zu machen. Die ganzen musikalischen Entscheidungen treffen John, Vincent und ich, zusammen mit unserem Produzent Crister-Andre Cederberg. Die letztendlichen Entscheidungen fallen aber durch die Band. Gerade John hat mittlerweile einen sehr hohen Anteil am Songwriting von ANATHEMA. Er hat viel Einblick in unser musikalisches Erbe und unser Geschmack ist ziemlich ähnlich.

Weiter war an „Distant Satellites“ auch Steven Wilson beteiligt, der einige Songs gemixt hat.

Richtig. Steven hatte einige Tage Zeit, und die verbrachte er damit, einige Songs zu mixen. Um ehrlich zu sein hatten wir nicht vorgesehen, dass er das macht. Aber Christer musste für einige Tage ins Krankenhaus, und es ist sein Verdienst, dass er es dennoch schaffte, das Album rechtzeitig fertigzubekommen. Gegen den Rat seines Arztes mixte er das Album. Ich sagte ihm dann irgendwann, wenn er Steven Wilson bekommen könnte, würde ich aufhören in Panik zu sein. Und er bekam es hin. Ich liebe es, was Steven mit „You’re Not Alone“ gemacht hat. Er arbeitet sehr schnell und kann musikalische Entscheidungen treffen. Ich vertraue seinem Talent.  

Vielen Dank für das Interview!

Dir ebenfalls vielen Dank, und auch an alle unsere deutschen Fans! Wir sehen uns auf der Tour!

Galerie mit 19 Bildern: Anathema - The Optimist Tour 2017 in Berlin
29.05.2014

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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