Evergrey
Interview mit Tom S. Englund zu "Glorious Collision"

Interview

Nachdem im Mai 2010 mit Henrik Danhage (Gitarre), Jonas Ekdahl (Schlagzeug) und kurz darauf auch mit Jari Kainulainen (Bass) gleich drei Mitglieder EVERGREY in gegenseitiger Freundschaft verlassen haben, sah es zunächst nicht danach aus, dass die Band in Kürze mit einem neuem Album um die Ecke kommen und wieder touren würde. Doch mit Marcus Jidell (Ex-ROYAL HUNT), Johann Niemann (Ex-THERION) und Karl-Hannes van Dahl war die Verstärkung recht schnell gefunden und gemeinsam wurde an „Glorious Collision“ gearbeitet, einem Album, von dem die Presse europaweit zu Recht in höchsten Tönen spricht. Wenige Tage vor Veröffentlichung des Albums haben wir bei Sänger und Gitarrist Tom S. Englund angerufen und mit ihm über das Treffen von Entscheidungen, über das Internet und über Bier gesprochen.

 

Gestern wurde eure erste Single mit dem Titel „Wrong“ vom neuen Album veröffentlicht. Welche Reaktionen gab es von den Fans und was sagt die Presse ganz allgemein zu „Glorious Collision“?

Für mich ist das jetzt die erste Woche, in der ich von früh morgens bis spät in den Abend hinein Interviews gebe, und ich mache im Moment nichts anderes. So weit ich das bisher beurteilen kann, wurde „Wrong“ von den Fans sehr gut angenommen und ich glaube schon, dass alle mit dem Ergebnis sehr zufrieden sind. Was die Presse ganz allgemein angeht, hatten wir ehrlich gesagt noch nie so überwältigende Reaktionen auf ein Album wie jetzt.

EVERGREY besteht mittlerweile aus einem völlig neuen Line-Up…

Ja…

Welche Vorteile haben sich dadurch ergeben? Oder hast du in bestimmten Situationen diesen Wechsel sogar bereut?

Nein. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Hier sind fünf Leute, die an einem Strang ziehen; fünf Leute, die ähnlich denken, fühlen und einfach hungrig darauf sind gemeinsam zu reisen und viel live zu spielen. Auf der anderen Seite ist es natürlich traurig, nicht mehr mit den Leuten zusammen zu spielen, die EVERGREY vor einigen Monaten verlassen haben. Aber wir haben uns freundschaftlich getrennt und es gibt kein böses Blut zwischen uns. Freundschaft war und ist uns wichtig. Ich habe erst gestern noch mit ihnen gesprochen und ich freue mich, dass es auch mit Henriks (Danhage) und Jonas‘ (Ekdahl) neuer Band musikalisch voran geht. Das neue Line-Up ist einfach fantastisch, und ich glaube dass das das beste war, was EVERGREY in diesem Moment passieren konnte.

Weil diese neue Dynamik oder diese neue Euphorie auch musikalisch Auswirkungen gezeigt hat?

Richtig. Wir haben uns ja nicht im Streit getrennt wegen irgendeiner Meinungsverschiedenheit, sondern weil wir festgestellt haben, dass wir unterschiedliche Motivationsansprüche hatten und weil uns Freundschaft, wie bereits erwähnt, extrem wichtig erscheint. Hätten wir an einem bestimmten Punkt nicht die Handbremse gezogen, dann wäre vielleicht früher oder später alles auf einen Streit hinausgelaufen, also haben wir Konsequenzen gezogen und ich bin der Überzeugung, dass uns das allen zugute kommt.

Dann lass uns jetzt über den Titel des Albums sprechen. Einer Kollision („Collision“) folgt normalerweise eine Explosion bzw. eine Zerstörung, während Ruhm oder eine gewisse Herrlichkeit („Glory“) das genaue Gegenteil dessen darstellt. Für was steht dann „Glorious Collision“? Oder muss ich den Titel einfach als so eine Art apokalyptischen Gedanken auffassen?

Der Titel ist metaphorisch zu interpretieren. Mittlerweile fällt es mir einfach darüber zu sprechen: Als wir den Split innerhalb von EVERGREY vollzogen, bedeutete das für mich die größte Kollision in meinem Leben. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich dachte, dass dies das Ende für EVERGREY bedeutete und ich war wie gelähmt, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und einfach nicht mehr arbeiten. Wenn du so willst, gab es sogar so eine Art Explosion in meinem Kopf und resultierte in düsteren, zerstörerischen Gedanken. Aber am Ende, mit neuem Line-Up, neuen Songs im Gepäck und frischem Wind in der Band, hat sich schließlich die von dir angesprochene Herrlichkeit ergeben. Aus dieser Entscheidung heraus, dieser Kollision am Anfang, hat sich etwas Wundervolles ergeben: „Glorious Collision“

Also bezieht sich der Titel auf dein Leben und deine Entscheidungen zu einem gewissen Zeitpunkt…

Ja. Definitiv. Du kannst den Titel auch ganz allgemein betrachten: Wir Menschen haben jeden Tag Entscheidungen zu treffen. Leben und Tod. Scheidungen… In einem bestimmten Moment im Leben wird man mit bestimmten Kollisionen konfrontiert, ob man nun darauf vorbereitet zu sein glaubt oder nicht, und eine Entscheidung ist immer und unausweichlich zu treffen.

Mir ist aufgefallen, dass das Album sehr kraftvoll beginnt, während der Rhythmus im Verlauf etwas langsamer wird. Im Grunde entspricht dies nicht der traditionellen Machart eines Albums. Glaubst du eigentlich, ganz allgemein, dass es eine Albumarchitektur gibt, die besonders erfolgversprechend ist?

Nein. Natürlich nicht. (lacht) Ansonsten hätte ich ein solches Album schon längst veröffentlicht. Wenn es einen Weg gäbe, ein Album nach einem bestimmten Rezept zu machen, das erfolgversprechend ist, dann hätte das natürlich schon jeder gemacht. Aber das ist unmöglich. Damit ein Album erfolgreich wird, müssen bestimmte Faktoren einfach zusammenpassen. Du musst in einer guten Verfassung sein, bei jedem Song den du schreibst muss es einfach Klick machen und danach gehört ein wenig Glück auch dazu. Das schwarze Album von METALLICA hat mir damals sehr gut gefallen, auch heute noch, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Songs zum heutigen Zeitpunkt immer noch einen solchen Erfolg haben würden, wie damals. Songs oder ein Album muss also auch zur richtigen Zeit veröffentlicht werden. Ich meine, wieviele Alben gibt es, die ihrer Zeit voraus waren und keinen Erfolg hatten, heute aber unter Umständen abgefeiert würden?

Es gibt einen Song auf „Glorious Collision“, der mir außerordentlich gut gefällt, bei dem ich am Anfang aber auch etwas schmunzeln musste. Der Song ist „I’m Drowning Alone“, in dem sich deine Tochter ein Stelldichein gibt und einen Teil des Songs singt. Das hat mich an den Song „Home Again“ von QUEENSRYCHE erinnert, in dem Geoff Tate’s Tochter den Refrain singt. Wer hatte die Idee für deinen Song?

Ich hatte die Idee dazu. Aber ich wusste noch gar nicht, dass Geoff seine Tochter in einem Song von QUEENSRYCHE singen ließ…

Doch. Ehrlich. Ich glaube sogar deine und seine Tochter sind im selben Alter…so um die zehn Jahre…

(lacht) Das ist sehr interessant! Für meine Tochter war das einfach eine lustige Sache. Ich meine, sie spricht kein Englisch und wir haben ihr den kleinen Part, den sie singt, für die Aufnahmen gelernt und sie hatte viel Spaß dabei. Das war’s. Das Ergebnis ist, glaube ich, ziemlich gut geworden!

Natürlich! Ich liebe den Song. Kannst du mir kurz erzählen, wovon dieser Song handelt? Was hat dich inspiriert?

Nun… Tatsächlich war „I’m Drowning Alone“ einer der ersten Songs, die für das neue Album entstanden sind. Er umreißt noch einmal die Situation, in der ich mich befunden habe, als gleich drei Leute die Band verließen und ich sozusagen zunächst vor dem Nichts stand. Der Song kann aber auch ganz allgemein gesehen werden, denn in bestimmten Situationen musst du dich einfach selbst um die Dinge kümmern und zunächst auch erstmal wieder selbst mit dir und den Problemen klar kommen.

Mir ist aufgefallen, dass ihr – ganz besonders in diesen Tagen – sehr aktiv im Internet unterwegs seid. Vor allem auf Facebook. Wie wichtig ist denn das Internet für eine Band wie EVERGREY?

Ich selbst nutze Facebook erst seit drei Wochen oder so, und bin überrascht, wie einfach es doch ist mit vielen Leuten innerhalb kurzer Zeit in Kontakt zu treten. Das ist natürlich eine schöne Sache, um mit unseren Fans in Kontakt zu bleiben. Hätte es solche Möglichkeiten bereits vor Jahren gegeben, hätte wir auch damals schon diese Möglichkeit genutzt.

Meinst du denn, dass das Internet ein wichtiges Tool ist, um in Kontakt mit euren Fans zu treten, oder siehst du die Möglichkeit, live zu spielen als bessere oder zumindest wichtigere Promotion für die Band?

Natürlich ist die beste Möglichkeit um eine Band zu promoten und den Leuten zu zeigen, was man drauf hat, live zu spielen. Das Internet ist eine nette Sache, aber EVERGREY ist eine Band die live spielen will. Deshalb sind wir doch Musiker geworden! Nicht um im Internet abzuhängen, sondern um unsere Musik zu spielen.

Da wir gerade dabei sind über Promotion zu sprechen: Wenn „Glorious Collision“ ein Name für ein neues Bier wäre, wie würdest du es in wenigen Wörtern oder Sätzen an die Frau oder an den Mann bringen?

„New. Fresh. And straight from the heart.“

Eine gute Zusammenfassung des Albums. OK… Da das Thema gerade aktuell ist und viele Menschen berührt hat: GARY MOORE ist vor wenigen Tagen verstorben. Hatte Gary auf die ein oder andere Weise Einfluss auf dich persönlich oder auf die Musik von EVERGREY?

Der Tod von Gary Moore hat auch mich sehr berührt. Auf die Musik von EVERGREY hatte Gary sicherlich keinen Einfluss, aber auf mich ganz persönlich als Gitarrist. Definitiv. Ich habe nicht jedes seiner Alben zu Hause, aber ich kenne seine Arbeiten, ich schätze sie sehr und ich wusste immer wer er ist und was er erreicht hat. Ich kann schon behaupten, dass Garys Art Gitarre zu spielen maßgeblich an meiner persönlichen Entwicklung als Gitarrist Einfluss hatte. Ja…

OK… Um zum Ende des Interviews zu kommen: Welcher deiner eigenen Songs, also welcher Song von EVERGREY, ist für dich der wichtigste und warum?

Nun… Wir haben jetzt acht Alben und ungefähr hundert Songs, und es gibt sicherlich einige Songs, die mir besonders wichtig sind. Zehn Songs fallen mir auf Anhieb ein, von denen ich behaupte, dass sie einfach unglaublich gut und mir persönlich auch sehr wichtig sind… „A Touch Of Blessing“ ist einer dieser Songs, weil er auch immer wieder von unseren Fans im Live-Programm gewünscht wird.

Tom, vielen Dank für deine Zeit und das Interview. Wir wünschen dir und den Jungs viel Erfolg mit „Glorious Collision“.

Vielen Dank. Bye Bye.

Galerie mit 17 Bildern: Evergrey - European Tour 2022
06.03.2011

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