Bilocate
Interview mit Waseem Essayed

Interview

Ich dachte, im eher westlich orientierten Jordanien wäre der Boden für eine gedeihende Metalszene vielleicht etwas fruchtbarer, doch ich musste mich eines Besseren belehren lassen. Eine Band wie BILOCATE zeigt mit ihrem aktuellen Album „Sudden Death Syndrom“ jedoch, dass es dennoch ein paar Bannerträger gibt, die sich nicht von Anfeindungen und Restriktionen davon abhalten lassen, eindrucksvolle Musik zu machen. Das Gespräch mit Keyboarder Waseem Essayed macht deutlich, wie wichtig hochklassige Bands wie BILOCATE im Nahen Osten sind, und zeigt indirekt auch, was Fans bewirken können. Denn je mehr Aufmerksamkeit solche Bands bekommen, umso mehr steigen die Chancen für mehr Akzeptanz und Toleranz in ihrem Land.

Bilocate

Wenn man sich eure Biographie anschaut, scheint da ein kleiner Traum wahr geworden zu sein. Was würdet ihr als eure persönlichen Meilensteine in der Geschichte von BILOCATE bezeichnen?

Das fängt mit dem ersten Song an, der unter dem Namen BILOCATE geschrieben wurde. Es war ein Instrumentalsong, der so gut war, dass er uns motiviert hat, mit dieser Musik weiterzumachen. Dann kommt natürlich die Veröffentlichung unseres Debütalbums „Dysphoria“, welches einen ersten, umfassenden Eindruck von dem gegeben hat, zu was BILOCATE fähig sind. Gleich darauf schließt sich das Interview auf dem lokalen Radiosender an, welches ganze vier Stunden gedauert hat. Es war ein Durchbruch für BILOCATE und auch das erste Interview dieser Art für uns.
Ein weiterer Höhepunkt war das „Egypt Metal Festival“, auf dem wir als Headliner aufgetreten sind, und das gleichzeitig auch zum ersten Mal außerhalb Jordaniens. Ganz aktuell ist unser zweites Album „Sudden Death Syndrome“, das nicht nur einfach ein weiteres BILOCATE-Album ist. Wir haben unsere kompositorische Leistung auf ein neues Level gehoben, und durch die Zusammenarbeit mit Menschen wie Jens Bogren, Christophe Szpaijdel (der das Logo entworfen hat – Ed.), Dennis Sibeijn und Nash Planojevic hat unser Werk auch etwas Internationales. Abschließend kommt eine Fernsehreportage des niederländischen TV-Senders NOS, in dem es u.a. auch über uns geht.

Wofür steht der Name BILOCATE?

Es ist genau genommen „Bi-Locate“ und bedeutet im wörtlichen Sinne, sich zur gleichen Zeit an zwei Orten aufzuhalten. Jeder aus der Band hat sicherlich ein etwas anderes Verständnis davon, aber für mich persönlich bedeutet es, mich gleichzeitig in der dunklen und der orientalischen Atmosphäre zu befinden.

Von dem, was ich so gelesen habe, scheint euer erstes Album „Dysphoria“ einigen Erfolg gehabt zu haben, auch wenn es wohl in der europäischen Presse kaum stattgefunden hat. Das ändert sich hoffentlich mit „Sudden Death Syndrome“, weil es einfach großartig ist.
Welche Hoffnungen setzt ihr in das Album, was wollt ihr wenn möglich damit erreichen?

Es wäre toll, wenn größere Labels auf uns aufmerksam würden, desweiteren suchen wir nach einer Möglichkeit, in Europa auf Tour zu gehen.

Das Debüt kenne ich leider nicht, aber auf dem neuen Album sind mir einige Nähen zu anderen, bekannten Bands des Genres aufgefallen. Das heißt nichts Wenigeres, als das ihr in der gleichen Liga spielt, und euch einen eigenen Stil bewahrt.
Wo seht ihr eure Metal-Wurzeln, wann fing es bei euch an, und welche Inspirationen haben euch auf eurem Weg begleitet und geführt? Gibt es wichtige Bands, die Einfluß auf eure Entwicklung ausgeübt haben?

Ich glaube, jeder Musiker in der Welt hat etwas, was die Liebe für Musik in sein Herz gepflanzt hat, und die Bands, deren Musik er am meisten eingesogen hat, beeinflussen ihn auch. In Sachen BILOCATE schätze ich, dass die grundlegenden Einflüsse, die von allen Bandmitgliedern geteilt werden, von OPETH, KATATONIA und MY DYING BRIDE kommen. Ich persönlich würde noch TORI AMOS und PORCUPINE TREE hinzufügen, aber wie auch immer, wir versuchen stets, unsere eigene, nahöstliche Note als das Wichtigste in unserer Musik zu erhalten.
Der Wunsch, eine Band zu gründen, war schon so früh in uns (mein Bruder Ramzi, ich und unserer bester Freund Hani), aber so richtig offiziell ging es erst los, als wir 2003 unseren Gitarristen Baha’Farah ins Boot holten. Was hat uns bis jetzt vorangetrieben? Dass wir unsere Seele in der Musik finden, und das ist das Beste, was uns je passieren konnte.

„Sudden Death Syndrome“ ist ein sehr direkter, auffallender Titel. Was kannst du uns über das Konzept des Albums und die Bedeutung dieses Titels erzählen?

„Sudden Death Syndrome“ bedeutet für uns ganz direkt „Krieg“. Wenn du darüber nachdenkst, dass ein Mensch, der in einer kriegs- und konfliktgeplagten Region lebt, und jederzeit unerwarteterweise sterben könnte, während er einer ganz normalen, alltäglichen Tätigkeit nachgeht, z. B. beim gemeinsamen Essen mit seiner Familie, dann ist das ein plötzlicher Tod, der ihn ereilt, aber die Ursache dafür ist etwas Allgegenwärtiges – es ist das Syndrom des Krieges, und das ist seit langer Zeit charakteristisch für den Nahen Osten.

Eure Songs sind in der Regel ziemlich lang. Nun, in diesem Genre ist das gewiß nichts Ungewöhnliches, aber ein Song wie „Blooded Forest“, der sich über ganze 17 Minuten erstreckt, sticht dann doch heraus. Was bewegt euch zu solchen gewaltigen Epen?

Dieser epische Stil ist nichts Neues für uns, auf unserem Album „Dysphoria“ haben wir mit „A Desire To Leave“ sogar einen Song, der mit 20 Minuten noch länger als „Blooded Forest“ ist. Ich glaube, wenn man Musik als Gedanken betrachtet, dann verliert die Zeit ihre Bedeutung. Deshalb würde es uns auch nichts ausmachen, einen Song über eine Stunde auszudehnen, wenn der Gedanke dahinter eben diese Zeit braucht, um seinen Ausdruck darin zu finden. Ich persönlich finde diesen epischen Stil der Songs viel kraftvoller.

Worum geht es in „Blooded Forest“, und natürlich auch den anderen Songs?

Nun, da muss ich etwas ausholen… „Blooded Forest“ habe ich bereits vor sechs Jahren geschrieben, es beschreibt einen Ort hier in der Region, der wie ein Wald war, voll von Leben, aber im Laufe der Ereignisse des letzten Jahrhunderts mit Blut bedeckt wurde. Deshalb habe ich auch „Blooded“ anstelle von „Bloody“ benutzt, weil er nicht von Natur aus so war, die Menschen haben ihn dazu gemacht. „The Dead Sea“ liegt hier in Jordanien, es ist ein Meer umgeben von Kämpfen und Tod und erzählt die Geschichte von seiner Perspektive, von dem Fluch, der es für immer und ewig hat sterben lassen. „Ebtehal“ erzählt von einer Mutter, die ihr Kind im Krieg verloren hat. Beim Gebet im Morgengrauen bittet sie Gott darum, sie mit ihrem geliebten Sohn zu vereinen. „Inoculate“ beschreibt den internen Konflikt des Menschen von Gut gegen Böse, und die Handlungen, der er aufgrund dieses Konflikts vollzieht. „Pure Wicked Sins“ wurde von Abdullah Al-Khaldi, einem engen Freund der Band, geschrieben, und erzählt von den Sünden des Lebens vom Beginn der menschlichen Existenz, die als weibliche Erscheinung beschrieben wurden. „The Stone Of Hate“ handelt von jemanden, der seinen letzten Ausweg in diesem Stein sieht, um seinen übermächtigen Feind zu besiegen. Der Song konzentriert sich auf das Bild des Steines, der voller Hass die Hand des Werfers verlässt, bis er seinen Feind trifft.
Der Großteil der Texte wurde von Ramzi verfasst.

Jens Bogren wirklich gute Arbeit geleistet und euch einen Hammersound verpasst. Wie seid ihr mit ihm in Kontakt getreten? Wart ihr extra bei ihm in Schweden, oder wie ist das gelaufen?

Die heutige Technologie macht es möglich, mit allen großen Namen Kontakt aufzunehmen, weil heutzutage jeder eine Webseite oder ein Profil im Internet hat, aber nicht immer ergibt sich daraus auch etwas Positives. Ich glaube, Jens begann sich für die Arbeit mit uns zu interessieren, als er erste Probeaufnahmen von uns hörte, die wir ihm geschickt haben und die ihn ziemlich beeindruckten. Nach Schweden sind wir nicht gereist, wir haben über die Distanz zusammengearbeitet. Wir haben das Material so aufbereitet, wie er es brauchte und dann nach Schweden geschickt. Er ließ seine Magie walten und schickte es dann an uns zurück.

Eure Texte sind in Englisch gehalten, was schon irgendwie eine Art Bedingung dafür ist, dass man auch in der westlichen Welt Aufmerksamkeit bekommt, wenn auch nicht so wichtig wie im Bereich der kommerziellen Popmusik. Wie schwer (oder einfach) ist es für euch gewesen, diese Sprache zu erlernen?

Wie schwierig das Erlernen einer anderen Sprache ist, hängt von jedem selbst ab, aber da Englisch eine internationale Sprache ist, die aus dem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist, macht es sie auch recht einfach zu lernen. Für uns in BILOCATE ist es mittlerweile so leicht, dass wir unser Leben auch problemlos auf Englisch leben könnten.

„Sudden Death Syndrome“ kommt mit einem beeindruckenden Artwork. Mich erinnerte es zuerst an einen gefallenen Krieger, dessen Seele nach der Hand (eines) Gottes strebt. Wer ist der Künstler dahinter?

Das Cover wurde von Dennis Sibeijn aus den Niederlanden kreiert, und es reflektiert das Konzept des Albums. Die Szenerie besteht aus einem Mann (nicht notwendigerweise ein Krieger), der in einer von Kriegen und Konflikten heimgesuchten Region lebt. Er ist noch nicht tot, aber er stirbt, und seine Seele hat seinen Körper bereits zur Hälfte verlassen. Er repräsentiert alle Parteien des Krieges.
Die Hand ist der Engel der Gnade und bedeutet Erlösung, da wir glauben, dass ein Mensch Erlösung braucht, wenn er in einen Krieg geht, ganz egal, was die Ursache dafür ist und auf welcher Seite er steht. Die Hand des Engels wartet auf die Seele der Menschen.

Hier bei metal.de hatten wir bereits die Chance mit Bands aus dem Libanon und dem Iran zu sprechen, und erfuhren dabei, dass im Libanon Metal mit einigen Restriktionen möglich ist, während es im Iran de facto verboten ist, solche Musik zu spielen. Wie sieht die Situation in Jordanien aus? Wie werden Metal und Bands wie ihr in der Öffentlichkeit gesehen? Was kannst du uns über die Szene in Jordanien sagen?

Tja, in Jordanien ist es fast genauso wie im Iran, Metal ist verboten und wir kriegen jede Menge Steine in den Weg gelegt, weil wir eine Metalband sind, sowohl von der Gesellschaft als auch von den Behörden. Wir dürfen nicht live auftreten, eigentlich dürfen wir nicht einmal diese Band betreiben. Aber wir kämpfen darum, dieses verschwommene Bild vom Metal bei beiden Parteien aufzuklären, in der Hoffnung, dass sie uns eines Tages in Ruhe lassen und aufhören damit, uns als Satanisten zu beschimpfen. Wir hoffen darauf, dass sie erkennen, dass wir einfach nur Musik machen, denn nichts anderes tun wir. Die Szene in Jordanien ist immer noch im Frühstadium, weil ihre Entwicklung immer wieder aufgehalten wurde. Viele Bands haben das Land verlassen, andere hielten den Druck nicht mehr aus und lösten sich auf. Die Zahl der heute aktiven Bands in Jordanien kann man wohl an einer Hand abzählen.

Dann ist wohl auch das sog. „Jerash Festival“ in Jordanien nichts für euch, oder?

Jerash Festival!! Für Metalbands existiert es einfach nicht. Wie gesagt, wir dürfen nicht mal kleinste Auftritte haben, weder auf diesem Festival noch irgendwo anders. Eher lässt sich Superman hier blicken.

Etwas anders sieht es da schon im Ausland aus. Ihr seid erst kürzlich vom Metal Blast II Festival im Libanon zurückgekehrt, und eurer Webseite zufolge war es zumindest teilweise ein ziemlicher Erfolg. Was kannst du uns darüber berichten?

Die Organisation des Festivals war leider ziemlich mies, es gab Probleme mit dem Sound und noch andere Sachen, aber wir haben trotzdem einen guten Auftritt hingelegt und ein tolles Feedback vom Publikum bekommen. Wir grüßen unsere libanesischen Fans und unsere Freunde in libanesischen Bands für die großartige Unterstützung. Dieser Auftritt war der erste in zwei Jahren! Das ändert sich hoffentlich in Zukunft.

Das hoffe ich auch. Vorhin hast du ja bereits euren Traum, mal in Europa zu spielen, erwähnt. Wann denkt, könnte das möglich werden?

Wir versuchen, es möglich zu machen, und werden es hoffentlich schaffen. Sobald wir Näheres wissen, machen wir das auf unserer Webseite bekannt.

Mit einem Album wie dem aktuellen habt ihr definitiv die Aufmerksamkeit der weltweiten Metalgemeinde verdient. Wie sieht es mit dem Vertrieb eures Labels Mute Jordan aus, und wie kann man sich eure CD bestellen?

Mute Jordan heißt jetzt „Jordan River“, es ist allerdings nicht unser Label. BILOCATE sind immer noch eine Band ohne Vertrag. Wir haben damals für „Dysphoria“ mit Mute Jordan zusammengearbeitet, allerdings ging es da nur um den Vertrieb. Für „Sudden Death Syndrome“ haben wir einen ähnlichen Deal mit Daxar Multimedia abgeschlossen, um das Album in den Ländern der Region erhältlich zu machen, und wir sind jederzeit offen für Angebote, um den Vertrieb auch für den Rest der Welt auszuhandeln.

Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche euch viel Erfolg, und dass ein paar Bestellanfragen aus Europa bei euch eintrudeln! Bis zum nächsten Mal!

Vielen Dank auch an Dich für die Möglichkeit, mit den Lesern von metal.de in Kontakt zu treten!

08.10.2008

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