Nailed To Obscurity
"Vor 20 Jahren haben wir eigentlich nur Geknüppel gehört."

Interview

Ihr habt es bestimmt schon hundertmal gehört, aber ich muss jetzt einen Namen nennen, den ich auch in unserem letzten Interview schon erwähnt hatte: KATATONIA. Damals ging es in erster Linie um die Klargesangspassagen, ich finde dieses Mal geht es aber auch instrumental an einigen Stellen in die Richtung „melancholischer Rock“. Würdet Ihr sagen, dass das auch so geplant war oder hat sich das ergeben?

Jan-Ole: Das war schon immer ein großer Einfluss, es ergibt sich aber auch daraus, dass, mehr Clean-Gesang da ist. Das eröffnet ja auch mehr Möglichkeiten, instrumental in eine rockigere Richtung zu gehen. Wobei ich sagen kann, dass es definitiv viel KATATONIA-Einfluss gibt, aber auch ganz viele andere Sachen. Wir hören mittlerweile eigentlich alle viel mehr ruhigere Sachen, wenn man das mit vor 20 Jahren vergleicht, als wir eigentlich nur Geknüppel gehört haben. Was natürlich noch dazu kommt ist, dass wir einen Produzenten gewählt haben, der die letzten beiden KATATONIA-Alben vor dem aktuellen gemacht hat (Jacob Hansen ist verantwortlich für Mix und Mastering von „City Burials“ und „Sky Void Of Stars“, Anmerk. d. Verf.)

Wir haben schon gedacht, dass wir diese Tiefe, diese Atmosphäre auch gerne haben wollen, insofern kommen da viele Sachen zusammen, die das ein bisschen bewirken, dass man an KATATONIA denkt. Das finde ich auch überhaupt nicht schlimm. Es gab den Vergleich immer, auch Vergleiche mit OPETH und das sehe ich beides als Kompliment, auch in dem Wissen, dass wir durchaus nicht wie eine Kopie dieser Bands klingen. Das merkt man auch daran, dass ganz oft Bands als Vergleich genannt werden und wir denken: „Können wir jetzt gar nicht nachvollziehen“. Mit INSOMNIUM werden wir beispielsweise sehr oft verglichen, aber keiner von uns versteht so richtig, warum. Wir würden gerne mit INSOMNIUM touren und finden, dass das gut passen würde, aber so richtig verstehen wir nicht, warum wir so oft mit ihnen verglichen werden, wobei ich den KATATONIA-Vergleich wiederum sehr gut nachvollziehen kann.

Man kann im weitesten Sinne sagen, es hat beides Death-Metal-Elemente und ist irgendwie, melancholisch…

Jan-Ole: Das reicht ja eigentlich auch. Das legitimiert ja einen Vergleich und, wenn das die Schublade ist, sind definitiv beide Bands darin.

Raimund: Ich denke, es ist vielleicht für uns auch schwerer nachzuvollziehen, wenn es Bands sind, die wir sehr aktiv hören. KATATONIA ist sozusagen Common Sense in der Band, da sind wir uns, glaube ich einig. Außerdem eine bestimmte Phase von OPETH oder auch PARADISE LOST und solche Bands, die wir sehr, sehr aktiv hören. Da ist dann vielleicht INSOMNIUM für uns ein bisschen weiter weg, obwohl wir die Band gut finden, aber es ist keine eine Band, die man so richtig inhaliert hat. Wie Jan-Ole gerade auch schon sagt, im Prinzip hört jemand melancholischen Melodic Death Metal, bewegt sich darin als Liebhaber und findet da natürlich auch irgendwie eine Schnittmenge, die wir vielleicht gar nicht sehen, weil wir da gar nicht dran denken. Das soll aber auch nicht heißen, dass wir immer daran denken: „Lass uns möglichst nach KATATONIA klingen“.

Jan-Ole: Im Gegenteil. Wenn ich daran denke, wie wir das Album geschrieben haben, gab es da schon Stellen, wo wir gesagt haben: „Lass uns mal was machen wie…“ Das waren aber dann Sachen wie BRING ME THE HORIZON, zum Beispiel. Ich weiß genau, welcher Part das ist, verrate es aber natürlich nicht, denn dann würde man es vermutlich merken. Nicht, weil es geklaut ist, sondern weil es für uns etwas neues war und man da merkt: „OK, stimmt, wenn sie an diese Band gedacht haben und an den Song, dann ergibt das Sinn“. GOJIRA, LEPROUS, VOLA, an solche Bands haben wir oft gedacht. Aber KATATONIA sind einfach schon seit so vielen Jahren so ein großer Einfluss, dass man das vielleicht auch nicht ganz vermeiden kann, dass man mal so klingt. Ganz ohne Einflüsse geht es ja auch nicht, aber wenn wir wirklich mal gesagt haben, so was ähnliches wollen wir auch erreichen oder bewirken, klingt es lustigerweise nie danach, sondern wird irgendwas ganz anderes. Es wäre ja dumm, wenn es eine Kopie wird, aber das sind immer ganz andere Sachen. So etwas wie BRING ME THE HORIZON hört von uns aktiv keiner so richtig, aber alle denken, das sind ein paar richtig geile Songs. Dann analysiert man es ein bisschen und sagt: „Ah, ich habe verstanden, warum der Song so geil ist, das versuchen wir jetzt auch mal“. Man macht dann eben etwas eigenes und bedient sich an diesem einen Trick, den man entlarvt hat.

Vor kurzem habe ich VOIDHAVEN aus Hamburg mal wieder live gesehen. Der Sänger sagte einen Song, der verhältnismäßig catchy war, als „Stadion Doom“ an. Ist dann „Spirit Corrosion“ Eure Version von Stadion-Death-Metal?

Raimund: Ich verstehe den Gedanken auf jeden Fall. Ich denke der Grund ist, dass der Song so „groß“ klingt. Er hat immer noch die emotionale Gravitas, die unsere Musik, wenn es nach uns geht, haben soll und sie verliert sie dadurch nicht, aber es klingt sehr groß, gerade bei „Spirit Corrosion“, wo wir zum ersten Mal mit von einem Chor gesungenen „Oh’s“ gearbeitet haben. Auch wir hatten natürlich den Moment, in dem wir uns gefragt haben, ob das jetzt vielleicht ein wenig drüber ist, zu nah an „Doomy Gloomy“ oder bringt es den Song voran? Wir haben es einfach ausprobiert, haben es passieren lassen und gemerkt: „Nein, es bringt den Song voran, es öffnet den Song“. Aber ja, es hat eben so ein bisschen diesen Stadion-Effekt.

Jan-Ole: Wenn man auf die YouTube-Kommentare unter dem Video guckt, dann wird es ja auch bestätigt, denn das klingt jetzt ja „wie beschissenes COLDPLAY“.

Raimund: (lacht) Und ich liebe diesen Kommentar, das ist mein Lieblingskommentar.

Jan-Ole: Ja, ich habe mich auch gefreut. Aber ja, tatsächlich war das so. Wir saßen hier zu dritt, glaube ich, zu dem Zeitpunkt. Volker, Raimund und ich. Wir haben überlegt, da dem Song noch irgendwie etwas fehlte. Die Gesangslinie war cool, aber irgendwie klang es nicht groß, öffnete sich nicht und irgendwann meinte ich: „Ich habe eine richtig dumme Idee, aber vielleicht ist es gar nicht so dumm“. Ich bin rüber gegangen, habe das gemacht, kam zurück und wir haben zehn Minuten überlegt, haben aber irgendwann gesagt: „Nee, eigentlich ist es geil“. Danach haben wir es alle eingesungen und waren uns relativ schnell einig, dass wir das so gut finden. Ich glaube, wir haben dabei auch die Angst davor, einen Schritt zu weit zu gehen und irgendwas zu machen, was die Leute vielleicht nicht mögen könnten, ein bisschen verloren, da wir eigentlich immer schon sofort gehört haben, wie es nachher ungefähr auf dem Album klingen wird. Auch wenn die Soundästhetik ganz anders ist und natürlich viel, viel besser als in der Demo-Version, konnten wir immer Ideen ausprobieren, die Instrumente weglegen oder den Kopf ausschalten. Einfach mal hören und dann in uns hineinfühlen, wie wir das denn so als Hörer empfinden. Das haben wir früher nie gemacht und das war eigentlich das beste Beispiel, wo wir gesagt haben: „Nö, was soll’s, das ist doch gut und wenn sich Leute darüber aufregen, dann ist es vielleicht sogar um so besser“.

Raimund: Ich muss auch sagen, ich freue mich ehrlich gesagt, wenn man starke Meinungen hervorruft. Es ist das Schlimmste, was dir passieren kann, dass jemand sagt: „Ja, den Song kann man ganz gut nebenbei laufen lassen“. Er soll ja etwas auslösen und selbst wenn es jemandem zu drüber ist, dann ist mir das lieber, als eben zu hören: „Ja, das ist ganz nett“.

Jan-Ole: Das Feedback dazu ist ja insgesamt auch super gut gewesen. Dieser eine YouTube-Kommentar ist eben super lustig und ich glaube, eine Bekannte von uns hat noch gesagt: „Ist geil, aber auf dem nächsten Album dann Kinderchöre oder was?“ Sowas finde ich ja selber witzig, also macht das ja auch Sinn. Es ändert aber nichts daran, dass es einer meiner Lieblingssongs auf dem Album ist und ich sehr froh bin, dass wir das so entschieden haben, denn sonst wäre der Chorus nicht so cool geworden, wie er jetzt ist.

Konzertfoto von Nailed To Obscurity - Draconian 30th Anniversary Tour 2024

Jan-Ole auf Tour mit Nailed To Obscurity

Ihr hattet vorhin schon erwähnt, dass Ihr auf diesem Album größer werden wolltet, was den Sound angeht. Ich finde, gerade die zweite Albumhälfte hat auch noch mehr ruhige und auch noch mehr melancholische Momente. Seht Ihr das auch so und ist das etwas, was seine Ursachen auch in der jüngsten Vergangenheit hat? Ihr hattet vorhin die Pandemie angesprochen und die Situation, als ihr in den USA gespielt habt und der Krieg in Europa los ging. Wenn man den Albumtitel „Generation Of The Void“ nimmt, geht das ja fast schon ein bisschen in eine hoffnungslose Richtung geht.

Jan-Ole: Zu den Texten kann Raimund sicherlich mehr sagen, aber das ist auf jeden Fall so. Ich kann es gar nicht so genau sagen, woran das liegt, weil es mir auch gar nicht so auffällt. Eine Sache, die wir absichtlich gemacht haben war, dass wir dynamischer sein wollten. Das fängt an mit den mit den Clean Vocals, dass wir einfach viel mehr davon auf dem Album haben, um einen größeren Kontrast zu den Growls zu haben. Auf der anderen Seite stehen dann wieder solche Songs wie „Overcast“, die meiner Meinung nach härter sind als vieles, was wir auf den Alben davor gemacht haben und auch irgendwie treibender und schneller. Sonst wird uns ja oft auch der Doom-Stempel aufgedrückt, was ich auch verstehen kann, aber wir wollten halt nicht nur das sein. Deswegen gibt es eben auch treibendere Sachen, aber auf der anderen Seite auch etwas wie „Allure“, der quasi die Ballade auf dem Album ist, was für uns ebenfalls eine Neuerung darstellt. Insofern war es schon Absicht, dass wir an den ruhigen Stellen noch ruhiger sein wollten, als wir es vielleicht vorher geschafft haben.

Ansonsten würde ich sagen, hat es sicherlich auch was mit den äußeren Einflüssen zu tun, denn die Musik, die wir schreiben ist auf jeden Fall davon eingefärbt, was um uns herum passiert, ob es jetzt privat ist oder in der Welt. Da ist bestimmt irgend etwas mit eingeflossen, aber das passiert dann nicht bewusst. Was wiederum sehr wohl bewusst passiert ist, ist dass wir uns entschieden haben, eine politische Message als zweite Ebene quasi mit einzubauen. Nicht einmal so richtig in die Texte, denn die waren zu dem Zeitpunkt teilweise schon fertig, aber wir haben gemerkt haben, dass man in diese Richtung viel mehr rein interpretieren kann und haben uns entschieden, das auch nach außen zu tragen, aber das ist dann eher Raimunds Thema.

Raimund: Ich sammle eigentlich sowieso die ganze Zeit Textideen und viele Ideen, die auf dem Album gelandet sind, auch von besagter zweiter Hälfte oder ich nenne es mal die „zweite Session“, wurden ja bereits vorab in diesem Setup aufgenommen. Es gab sie also zu einem gewissen Teil schon, aber die finale Ausgestaltung hat natürlich stattgefunden, als wir diese Songs finalisiert haben. Im Nachgang hat man selber auch ein bisschen Abstand zu den Songs und merkt, dass natürlich einiges vielleicht auch durch das Weltgeschehen gefärbt ist. Wie Jan-Ole aber schon sagt, passiert alles auf einer Meta-Ebene, aber wenn ich mir das jetzt anschaue, steckt da sehr viel drin. Sozialkritik war bei mir schon immer ein Thema, auch in den Texten, aber ich glaube auch dadurch, dass der Clean-Gesang sie viel deutlicher macht, ist es auch leichter, zwischen den Zeilen Ebenen zu finden.

Das ist tatsächlich nicht nur von außen so, sondern auch für mich eine wunderschöne Erkenntnis, auch bei meinen Bandkollegen. Dadurch, dass wir viel über die Texte gesprochen haben, auch weil Jan-Ole und Volker bei den Clean-Gesängen so hart involviert waren und diese Texte teilweise sogar selber gesungen haben, um mal eine Melodie zu skizzieren, hat man vielleicht festgestellt, was sonst noch an Subtext drin steckt. Ich möchte nicht immer sagen, dass es hoffnungslos ist, aber teilweise ist es vielleicht eine wertfreie Skizze dessen, was man fühlt. Ich habe aber das Gefühl, dieses leicht hoffnungsvolle, was wir seit „Opaque“ schon immer hatten, ist auch hier noch enthalten. Es ist keine depressive Musik. Es ist melancholische, nachdenkliche Musik, die sich auch mit emotionalen Abgründen auseinandersetzt und diese thematisiert, aber ohne die Leute jetzt nur nach unten ziehen zu wollen. Man kann es am ehesten irgendwie in der Musik lassen und es dann los werden.

Vielen Dank für Eure Zeit, es hat mal wieder viel Spaß gemacht und ich hoffe wir sehen uns bald auf Tour.

Jan-Ole und Raimund: Dir ebenfalls vielen Dank!

Galerie mit 27 Bildern: Nailed To Obscurity - Draconian 30th Anniversary Tour 2024 Dortmund

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Quelle: Interview mit Jan-Ole und Raimund / Nailed To Obscurity
23.12.2025

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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