Unzucht
"Das ist ja Singer/Songwriter-Metal!"

Interview

“Akephalos“ von UNZUCHT ist ein Album, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Die vielfältigen und tiefgründigen Songs heben sich stark von den zahlreichen peinlich-provokativen Produktionen des Genres ab. Daher war es für mich selbstverständlich das Konzert von UNZUCHT in Dresden zu besuchen und auf einen Plausch bei den Jungs vorbeizuschauen. Daniel Schulz (Gesang) und Toby Fuhrmann (Drums) haben sich reichlich Zeit genommen, neben der aktuellen Platte auch über das Zusammenstellen der perfekten Setlist, politische und persönliche Botschaften sowie ein mögliches Akustik-Projekt zu sprechen.

metal.de: “Akephalos“ ist nun bereits einige Monate draußen. Wie waren die Reaktionen der Fans bislang auf die Platte und wie kommen die neuen Songs live an?

Daniel Schulz: Die kommen super gut an! Wir fangen das Konzert ja auch gleich mit drei neuen Stücken an, dabei “Die verbotene Frucht“ als erstes, was kein typischer Opener ist. Das funktioniert aber echt super! Man merkt keinen Unterschied zu den alten Songs.

metal.de: Gibt es denn bei den Reaktionen zu den Alben Unterschiede in den Fanreaktionen, beispielsweise dass bei einem Album die Reaktionen verhaltener sind, bei einem anderen vielleicht nur 2-3 Hits gefeiert werden? Merkt man da Unterschiede von Album zu Album?

Daniel Schulz: Es war ja so, dass wir von Anfang an eine eigene Nische besetzt haben und auch immer eigener wurden. Toby hat das damals sogar schon prophezeit, als er gesagt hat, dass die Leute eine Weile brauchen werden, bis sie das Eigene, was wir machen, richtig verstehen. Das merkt man von Platte zu Platte mehr. Man merkt, dass die Leute merken, dass UNZUCHT etwas völlig Eigenständiges ist. Bei aller Unterschiedlichkeit und bei allem Abwechslungsreichtum unserer Songs klingen wir immer wie UNZUCHT. Und dabei versteht man Dinge wie die Texte von Album zu Album besser. Wir entwickeln uns natürlich aber auch im Songwriting weiter. Von daher war es schon die geilste Reaktion von allen Platten bisher. Es hat sich immer mehr gesteigert, ohne Hänger mittendrin. Es wurde immer besser angenommen, auch von der Presse. Es ist fast schon unheimlich. Wir warten eigentlich auf den Punkt, wo man uns verreißt.

Toby Fuhrmann: Naja ein paar Amazon-Reviews haben schon gesagt, dass sie die neuen Sachen nicht mögen. Das ist aber auch normal. Ich fände es auch gruselig, wenn es nur durchgängig positiv wäre. Man verliert ein paar Leute, man gewinnt ein paar Leute. Wir sind ja nun seit über acht Jahren am Start, vor sechs Jahren haben wir unser erstes Album rausgebracht. Das ist echt krass, das ist voll lange im Verhältnis zu manch anderen Leuten.

Daniel Schulz: Wir lassen die Entwicklung aber auch zu. Deswegen wird es immer ein paar Leute geben, die sagen: “Macht doch mal ‘Kleine geile Nonne 2‘“. So arbeiten wir aber nicht. Wir schreiben das, was uns in dem Moment bewegt und haben noch nie gemacht, was viele andere Bands gemacht haben, die dann einfach einen Nachfolgehit geschrieben haben.

metal.de: Du hast gerade gemeint, dass ihr euch im Songwriting verbessert habt. Woran kann man das am besten festmachen? Worin haben sie UNZUCHT musikalisch oder textlich am meisten verändert?

Daniel Schulz: Wir sind deutlich eigener geworden. Wir wurden am Anfang der NDH zugeordnet, was wir nie wirklich waren. Es gibt zwar auch Songs wie “Unzucht“, die in das Raster reinfallen, aber wir sind viel eigener geworden. Wir haben viel mehr Mut zur Melodie. Ich singe auch untypisch hoch in vielen Passagen, was ja in der dunklen Szene eher nicht passiert. Das Ganze ist einfach gereift. Die Songs auf der ersten Platte sind immer noch unser Rückgrat, auf dem wir alles aufgebaut haben. Die waren ja auch schon toll, mit schönen Hooklines und so. Das Songwriting ist einfach reifer geworden. Man merkt es auch daran, dass wir die Leute mit bestimmten Songs noch mehr berühren als früher.

metal.de: Die “Akephalos“ kam bei mir sehr gut an. Vor allem die mehrdimensionalen Texte heben sich meiner Ansicht nach von anderen Vertretern des Genres ab. Seht ihr es ähnlich, dass viele Bands der Szene in lyrischer Hinsicht eher oberflächlich und repetitiv bleiben?

Daniel Schulz: Ich glaube bis zu einem gewissen Grad wird das sogar gefordert. Es gibt eine bestimmte Erwartungshaltung des Publikums, teilweise auch der Plattenfirma, dass bestimmte provokante Schlagworte fallen müssen und bestenfalls die Dinge zwischen den Zeilen passieren. Als unser Label die Songs zum ersten Mal gehört hat, war das noch in einer unfertigen, nicht abgemischten Version. Die Aufnahme ist so stehen geblieben, wie wir es eingesungen haben. Die haben dann auch gemeint: “Oh Gott, das ist ja so kopflastig von den Texten her. Das ist ja Singer/Songwriter-Metal.“ Wartet doch erstmal bis das gemischt ist! Man geht natürlich auch ein Risiko, seine eigene Sprache zu sprechen oder in seinem eigenen Stil zu texten. Aber es geht auch so auf und das merkt man an der Reaktion der Leute. Ich möchte auch keine Schüttelreime mit fertigen Bausteinen, wo man denkt: “Oh man, 5€ ins Phrasenschwein pro Song! Das muss doch langsam mal reichen.“

metal.de: Da gibt es leider genug Vertreter. Das macht das Hören auch teilweise anstrengend, weil man den Stil und die Band mag, aber textlich immer das Gleiche passiert, immer die selben Phrasen.  

Daniel Schulz: Es ist aber auch wirklich schwer. Es wird auch von Platte zu Platte nicht einfacher, weil es natürlich die großen Themen gibt, bei denen man die Worte auch schon verwendet hat. Das geht uns auch so. Die Komponier-Session endet eigentlich immer damit, dass Daniel [DeClerq, Gitarre, Anm.d.Red.] und ich zusammensitzen und uns die Köpfe heißreden: “Das geht doch nicht! Das können wir so nicht machen, das wird zu schlageresk.“ – “Aber das will ich doch da sagen!“ Das geht hin und her. Wir nehmen uns da aber auch völlig auseinander. Erst wenn wir beide damit leben können und die anderen nicht um Hilfe schreien, dann ist es erst ein fertiger Text. Das ist natürlich auch viel schwerer, wenn du auf Deutsch textest. Das klingt ganz schnell cheesy, verbraucht und abgelutscht.

metal.de: Wobei es auch englische Texte gibt, bei denen man mit dem Kopf schüttelt.

Daniel Schulz: Bestes Beispiel: der Reim auf “calling“ ist “falling“. Da fällt einem Deutschen auch nichts Anderes ein, einem Engländer vielleicht schon.

metal.de: Das Äquivalent im Deutschen ist dann “Herz“ auf “Schmerz“, “lügen“ auf “betrügen“…

Daniel Schulz: …und dann bist du ganz schnell bei HELENE FISCHER.

metal.de: Gib es Songs von euch, deren Botschaft euch besonders am Herzen liegt?

Daniel Schulz: Ja klar, auf jeden Fall. Das wird natürlich immer ein Song wie “Nur die Ewigkeit“ sein, der vor dem Hintergrund des Todes eines superguten Freundes entstanden ist. Aber auch auf der neuen Platte gibt es solche Dinge, “Du fehlst“ zum Beispiel, der von Daniel [wieder DeClerq, Anm.d.Red.] kommt. Der Song geht einfach so tief und ist in seiner Offenheit so entwaffnend. Aber es kommt auch immer auf die Situation an. “Nachts im Meer“ ist zum Beispiel ein total schönes Bild, das mit tatsächlich eingefallen ist, als ich im Dunklen im Meer geschwommen bin.

Toby Fuhrmann: Da hattest du tatsächlich die Eingebung, als du nachts im Meer warst, dass du daraus einen Song machen willst. “Und ich nenne ihn: ‘Nachts im Meer‘.“

Daniel Schulz: Ich habe tatsächlich an dem Abend im letzten Jahr angefangen den Text zu schreiben. Das passiert ganz selten, dass ich Texte ohne Melodie im Kopf schreibe.

metal.de: Und gibt es Songs von euch, deren Botschaft häufig missverstanden wird?

Daniel Schulz: Es gibt bei der aktuellen Platte den Song “Der schmale Grat“, bei dem sich eine Person gefragt hat, was sie denn davon halten soll. Sie hat das anders verstanden. Im Refrain heißt es ja: “…und dein Gesicht spiegelt sich in des Messers Glanz…“– das klang für sie “Pro Selbstverletzung“ oder sogar “Pro Suizid“. So ist der Song ja gar nicht gemeint, sogar genau im Gegenteil. Wir tanzen auf schmalem Grat und gehen so durchs Leben. Es geht um den Mut, den man haben muss, auf diesem Grat zu tanzen und es trotzdem zu genießen. So ist der eigentlich gemeint. Es waren sogar zwei Leute, die den komplett andersrum gedeutet haben.

Toby Fuhrmann: Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, was in deren Leben passiert, sodass sie es gleich darauf münzen. Vielleicht hatten sie selbst oder das Umfeld schon Erfahrung damit, sodass sie sich gleich alarmiert gefühlt haben.

Daniel: Wir spielen ja auch ein Stück weit damit, dass jeder sein eigenes Ding da rein projizieren kann, damit man sich in den Songs auch wiederfindet. Du kannst natürlich auch eine ganz klare Geschichte über irgendjemanden erzählen, aber ich habe es schon immer geliebt, die Leute rein zu lassen. Dadurch wird oft gar nicht konkret erzählt, was wir genau meinen. Wir beziehen dazu auch nicht unbedingt Stellung, weil wir genau das wollen, dass die Leute den Song zu ihrem Ding machen. Das passiert auch tatsächlich, zum Beispiel in “Lava“. Das Thema “Mobbing“ geht ganz klar daraus hervor. Wie viele Leute sich darin wiedergefunden haben, war unfassbar. Wir haben auch jede Menge, auch dankbare Zuschriften erhalten. Das ist ein Song, bei dem die Leute mit Tränen in den Augen vor der Bühne stehen. Das ist echt krass.

metal.de. Da weiß man auch “Dafür macht man’s“.

Daniel Schulz: Ja total! Ein größeres Kompliment gibt es auch nicht. Die verstehen ganz genau, was du meinst. Da werden dir selbst manchmal die Augen feucht. Gestern gab es auch einen ganz besonderen Moment. Vorgestern [06.12.2018, Anm.d.Red.] ist ein Fan gestorben, Katja Reinsch. Das ging in anderthalb Monaten von der Diagnose “Krebs“ auf einmal ganz schnell. Gestern haben wir ihr deshalb “Nur die Ewigkeit“ gewidmet. Sie hatte das auch ganz groß am Arm tätowiert.

Toby Fuhrmann: Das war uns auch sehr wichtig. Es war das erste Mal, dass jemand aus unserem Fanclub gestorben ist.

Daniel Schulz: Deswegen hatte gestern auch jeder von uns einen riesigen Kloß im Hals. Es war auch super schwer, den Song durchzusingen. Wir haben es angesagt und ihr den Song gewidmet.

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10.01.2019

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