Wardruna
Das Glück findest du nur im Hier und Jetzt

Interview

Mit „Birna“ veröffentlichen WARDRUNA ihr sechstes Studioalbum. Nach der Runaljod-Trilogie und dem treffend benannten „Skald“ folgte 2021 „Kvitravn“. „Birna“ führt die Reise, die das Projekt WARDRUNA darstellt, weiter. Wie weit diese Reise die Band schon geführt hat, zeigt unter anderem der Auftritt auf der Akropolis im letzten Sommer, der am gleichen Tag wie „Birna“ erscheint, eindrucksvoll. Im Interview spricht Einar Selvik ausführlich über das Konzept hinter dem Album und die emotionale Performance in Athen.

Hi Einar, wie geht es dir? Du bist gerade von der WARDRUNA-Europatour zurückgekommen. Wie war’s?

Einar Selvik: Touren ist natürlich intensiv. Es fordert viel, aber es ist auch bereichernd. Ich fühle mich sehr privilegiert, die Möglichkeit zu haben, mit so vielen wunderbaren Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten. Von so einer Reise zurückzukehren erfordert immer etwas Verarbeitung, aber ich fange an, mich wieder einzuleben und genieße ein bisschen Ruhe vor den Feiertagen. Es ist allerdings nur eine kurze Pause; in etwa einem Monat machen wir uns schon wieder auf den Weg zur nächsten Tour in Australien und Neuseeland. Also ja, die Dinge laufen sehr gut.

Natürlich steht auch die Veröffentlichung des neuen WARDRUNA-Albums bevor. „Birna“ bedeutet ‚Bärin‘, und der Bär ist in vielen Kulturen ein bedeutendes Symbol. Kannst du das Thema des Albums näher erläutern? Auf welche Mythen oder Aspekte des Bären hast du zurückgegriffen?

Einar Selvik: Um ehrlich zu sein, hat mich die Inspiration für dieses Album schon seit der Veröffentlichung des letzten begleitet. Ich habe Traditionen, Mythen und Geschichten aus der ganzen Welt studiert und mich auch aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Bären beschäftigt. Je mehr ich gelernt habe, desto klarer wurde mir, dass der beste Ansatz – treu zu unserer Arbeitsweise – ein zeitgenössischer Fokus sein sollte.

Anstatt einfach alte Traditionen zu wiederholen, die heute nicht mehr dieselbe Bedeutung haben, wollte ich darüber nachdenken, was es am Bären ist, das so viele Mythen und Geschichten inspiriert hat. Wo immer es Bären gibt, findest du reiche Mythen – totemische Traditionen, Sternbilder, sogar die Namen ‚Arktis‘ und ‚Antarktis‘ gehen auf den Bären zurück. Es ist ein universell bedeutendes Wesen.

Bild Wardruna - Birna Cover

„Birna“ Cover

Aber anstatt den Bären mit menschlichem kulturellem Schmuck zu überladen, wollte ich den menschlichen Aspekt entfernen und den Bären für sich selbst sprechen lassen. Er braucht uns nicht, um sein eigenes mächtiges Selbst zu entfalten. Für mich ist die Geschichte des Bären von sich aus faszinierend, besonders wegen seiner zyklischen Natur. Sie spiegelt die Rhythmen der Erde so perfekt wider – vor allem in Regionen mit ausgeprägten Jahreszeiten.

Diese zyklische Qualität ist, glaube ich, der Ursprung vieler Traditionen. Und es geht nicht nur um den Bären; du siehst es in den Lachsen, die stromaufwärts schwimmen, um zu laichen und dann zu sterben, in den Bäumen, im Boden. Wir sehen viele dieser poetischen Bewegungen überall in der Welt. Das Album konzentriert sich also darauf, dem Zyklus des Bären eine Stimme zu geben und zu erzählen, wie er mit allem, was wir sonst um uns herum sehen, verbunden ist. Der Wildnis eine Stimme geben, sozusagen.

Wie du angesprochen hast, ist „Birna“ im Wesentlichen ein Zyklus aus Ruhen und Erwachen. Der Winterschlaf scheint eine zentrale Rolle zu spielen. Wie hast du das in Musik übersetzt? Worauf sollten die Leute besonders achten?

Einar Selvik: Ich würde sagen, dass es bei diesem Album – noch mehr als bei unseren bisherigen – Sinn macht, es als Ganzes zu hören. Es ist sehr konzeptionell. Manche Stücke hängen poetisch und musikalisch voneinander ab. Der Kern des Albums ist eine Erzählung aus sechs oder sieben Tracks, die diese Bewegung oder diesen Zyklus darstellt. Es beginnt im Grunde mit dem Herzschlag – dem Rhythmus, der alles um uns herum bestimmt. Der wird im Eröffnungstrack „Hertan“ eingeführt. Von dort aus geht es weiter zu „Birna“, das den Dialog zwischen Mensch und Bär – oder Mensch und Wildnis – und unsere Position darin erkundet.

Danach bewegen wir uns in den Herbst, mit Stücken, wo alles schwindet und stirbt, und der Bär sich in seinen Bau zurückzieht. Dann gehen wir mit „Dvaledraumar“, was ’schlummernde Träume‘ bedeutet, zum Winterschlaf über. Per Definition hält der Bär gar keinen Winterschlaf, sondern eher einen Halb-Winterschlaf. Seine Herzfrequenz verlangsamt sich auf etwa 8 bis 10 Schläge pro Minute; ich habe mich für neun Schläge als Puls für dieses Stück entschieden. Dieser Herzschlag-Rhythmus zieht sich durch den gesamten 15-minütigen Track.

Wardruna 2024 © Morten Munthe

Interessanterweise enthält die Klanglandschaft von „Dvaledraumar“ den Klang von singendem Eis. Das entstand durch eine Zusammenarbeit mit der schwedischen Künstlerin Jonna Jinton, die Feldaufnahmen davon gemacht hat. Singendes Eis entsteht auf einigen nördlichen Seen im Winter, wenn das Eis mit einem bestimmten Tempo gefriert und dabei diese wundervollen, überirdischen Töne erzeugt – fast wie Walgesänge. Dieser Klang ist auf dem ganzen Track zu hören und besingt sozusagen den Bären.

Dann bewegen wir uns in den Frühling, wo du typische Frühlingsklänge wie schmelzendes Eis hörst. Du hörst die Weidenflöte, eine Obertonflöte, die man nur im Frühling spielen kann, denn sie besteht aus Rinde. Und die Rinde löst sich kurz bevor die Blätter sprießen. Die Flöte hält nur ein oder zwei Tage, dann muss man eine neue machen. Das geht nur in einem sehr kleinen Zeitfenster. Der Bär erwacht also zu all diesen Klängen und den zurückkehrenden Vögeln.

Das Album setzt diese Reise fort, bewegt sich von der Erde zum Licht und zu „Himinndotter“, bevor die Reise mit „Hibjörnen“ abschließt. Dieser letzte Track ist ein akustisches Stück, das die gesamte Geschichte zusammenfasst.

Es gibt noch ein paar mehr Tracks. Der Song „Skuggehesten“ sticht ziemlich heraus. Wie passt er ins Konzept von „Birna“?

Einar Selvik: Das Stück steht tatsächlich ein bisschen außerhalb des Hauptthemas, und hier sind wir wieder im menschlichen Bereich. „Skuggehesten“ bedeutet ‚Schattenpferd‘. Es ist ein Lied, bei dem ich empfehlen würde, den Text zu lesen. In unseren Booklets gibt es immer englische Übersetzungen. Im Wesentlichen beschreibt es die Erfahrung, von Dunkelheit befallen zu sein. Die Dunkelheit wird dargestellt, als säße man auf einem schwarzen Pferd, das mit einem auf seinem Rücken losgaloppiert. Das Lied erforscht die Bedürfnisse und Mechanismen hinter dieser Dunkelheit und verbindet Psychologie mit poetischen Bildern. Es geht auch darum, einen Ausweg aus diesen wilden Ritten zu finden, die uns Menschen auf ziemlich unangenehme Reisen führen können.

Galerie mit 30 Bildern: Wardruna - World Tour 2024 in Berlin

Bei WARDRUNA gibt es immer viele Instrumente. Wie viele verschiedene sind auf „Birna“ zu hören? Kannst du das überhaupt benennen? Und gibt es besondere Instrumente, wie die Weidenflöte, die du erwähnt hast?

Einar Selvik: Oh, die Anzahl der Instrumente? Ich habe keine Ahnung. Sogar innerhalb eines Instrumententyps gibt es Variationen. Zum Beispiel kommt das Ziegenhorn mehrfach auf dem Album vor, aber ich benutze mehrere unterschiedliche Hörner. Die Schichten sind also umfangreich, mit verschiedenen Streichinstrumenten und natürlich Percussion.

Für mich ist das Thema des Albums immer der Leitfaden für die Klänge, die ich benutze, und wie ich sie aufnehme. Deshalb habe ich in vielen der ‚Bären‘-Lieder die Kantele [ein finnisches Instrument, Anm. d. Red.] verwendet. Im Grunde ist das eine Leier, die ich schon gelegentlich eingesetzt habe. Hier hat es noch mehr Sinn gemacht, die Kantele zu nutzen, weil es sich um eine Leier aus dem Osten handelt, die eng mit Traditionen rund um Bären verbunden ist. Es schien sehr logisch und sinnvoll, ihren Klang einzubeziehen. Die Kantele spielt eine zentrale Rolle in „Dvaledraumar“. Das ist das gezupfte Instrument, das du während des gesamten Liedes hörst, mit seiner offenen Stimmung und den Metallsaiten, die diese Obertöne und einen verträumten Sound erzeugen. Aber ja, die Liste ist lang.

Durch die ‚Birna Ambassadors‘ konntet ihr das Album bei Listening Sessions im Rahmen der WARDRUNA-Tour bereits mit Fans teilen. Gab es Überraschungen oder einprägsame Momente?

Einar Selvik: Allem voran war es toll, das zu machen. Das Feedback war überwältigend positiv, und die Leute scheinen das Album wirklich zu schätzen. Für uns ist es nicht immer möglich, Fans zu treffen, sei es aus Zeitgründen oder wegen der schieren Anzahl von Menschen bei den Konzerten. Deshalb sind diese kleineren, intimeren Begegnungen so besonders. Wir genießen das sehr.

Es ist besonders interessant, zu sehen, wie die Leute reagieren. Ein Stück, das viele Fans hervorheben, ist „Dvaledraumar“, das erwähnte 15-minütige Stück, das auch für mich das Herzstück des Albums bildet. Es ist nicht gerade kommerziell oder ein Hit-Single – es ist anspruchsvoll. Und auch das Album ist anspruchsvoll. Aber genau so soll es sein. Ich glaube, Kunst sollte ihr Publikum herausfordern. Man sollte das erschaffen, was man selbst erleben möchte. Jedenfalls ist das meine Herangehensweise. Zu sehen, dass das gut ankommt, ist eine gute Bestätigung dafür, dass man etwas richtig macht.

An diesem Punkt gehört das Album nicht mehr mir – es hat ein Eigenleben und du kannst nicht kontrollieren, wie die Leute darauf reagieren. Wichtig ist, dass es uns gefällt. Aber so weit, so gut. Und es ist wundervoll, die Reaktionen aus der Nähe zu sehen.

Konzertfoto von Wardruna - World Tour 2024

Wardruna – World Tour 2024

Ein Zitat aus der WARDRUNA-Bio, die mit dem Album kam: „Lass etwas sterben, um Platz für etwas Neues zu schaffen.“ Kannst du erläutern, wie sich dieser Leitsatz auf „Birna“ bezieht?

Einar Selvik: Das spiegelt vor allem meine persönliche Philosophie wider. Es bezieht sich nicht speziell auf dieses Album. Für mich ist WARDRUNA eine Reise, und ich könnte niemals dasselbe Album zweimal machen. Ich bin nicht mehr dieselbe Person, die ich gestern war, geschweige denn vor zehn Jahren. Mich bewegen heute andere Dinge, und wenn ich einen Song darüber mache, muss der aus etwas Echtem entstehen. Und da ich nicht die selbe Person bin, wird der Song eine andere Form annehmen.

Ich glaube, das trifft auf das Leben allgemein zu. So entwickeln wir uns weiter. Besonders mit diesem zyklischen Gedanken, den ich versuche, auf mein Leben anzuwenden. Zur Wintersonnenwende zum Beispiel, wenn die Sonne dort, wo ich lebe, ‚wiedergeboren‘ wird, nutze ich die Gelegenheit zur Reflexion. Es ist eine Zeit, loszulassen, was nicht mehr dient, und Platz für Neues zu schaffen. Dieses Insichgehen ist Teil des persönlichen Wachstums. Das Glück ist etwas, das du nur im Hier und Jetzt findest. Es liegt nicht hinter dir, es liegt nicht vor dir. Es ist nur hier und jetzt.

WARDRUNA haben auf der Akropolis gespielt und das Video kommt jetzt auch raus. Du schienst bei deinen Ansagen sehr emotional. Wie war die Erfahrung für dich?

Einar Selvik: Ich werde oft emotional, nicht nur auf der Akropolis. In dieser Liebe oder dieser Spannung zwischen dem, was wir tun, und dem, was das Publikum dazu beiträgt, zu stehen, ist etwas, woran man sich nie wirklich gewöhnen kann. Und man sollte sich auch nicht daran gewöhnen. Das lässt mich sehr demütig werden. Es ist wichtig, das in sich aufzunehmen, und unmöglich, nicht davon ergriffen zu sein. Auf der Akropolis waren aber natürlich alle, auch wir, von der Umgebung überwältigt. Wie ich auch in einer Ansage gesagt habe, haben diese Steine eine Erinnerung und wir sind jetzt Teil dieser Erinnerung. Es ist ein kulturell so bedeutender Ort, besonders in Bezug auf unser Handwerk.

Aus physischer Sicht ist das Amphitheater unglaublich steil und eng. Du hast 4.500 Menschen fast direkt vor dir, was eine sehr intensive Verbindung mit dem Publikum schafft. Die Akustik ist großartig, und es ist klar, dass sie beim Bau dieser Amphitheatern genau wussten, was sie machen. Beim Auftreten geht es darum, eins zu werden mit dem Ort, den Worten und den Klängen. Es erfordert Konzentration, und Orte wie die Akropolis verlangen noch mehr davon, wegen ihres kraftvollen Charakters. Es ist zwar eine unglaubliche Erfahrung, aber auch ziemlich herausfordernd.

wardruna live lyfjaberg 2024

Wardruna live im Odeon des Herodes Atticus (Akropolis)

Solche Orte sind für große Produktionen wie die von WARDRUNA nicht ausgelegt, denn so etwas gab es damals nicht. Konntet ihr dort proben? Oder hat man genau eine Chance, es hinzubekommen?

Einar Selvik: Ja, man hat eine Chance. Zum Glück sind wir es gewohnt, an ungewöhnlichen Orten zu spielen. Die Akropolis war, glaube ich, das vierte Amphitheater, in dem wir aufgetreten sind. Aber es gibt immer ein Element der Unsicherheit, wie die Dinge am Ende laufen werden. Da macht es einen großen Unterschied, ein talentiertes Team zu haben. Während das, was wir auf der Bühne tun, entscheidend ist, ist alles drumherum genauso wichtig. Unser Team ist unglaublich gut darin, sich an unerwartete Herausforderungen anzupassen. Die Akropolis war besonders schwierig, weil wir gleichzeitig gefilmt haben. Wir hatten keine Gelegenheit zu proben, und ein Teil der Filmcrew war lokal. Es ist also sehr viel gleichzeitig gelaufen. In solchen Momenten ist es entscheidend, mit Profis zu arbeiten.

Was kommt als Nächstes für dich und WARDRUNA? Und hast du noch etwas loszuwerden, bevor wir abschließen?

Einar Selvik: Im Moment liegt mein Fokus ganz auf dem Album und der Tour. Ich jage keine neuen Projekte oder versuche, zu viel gleichzeitig zu machen. Es ist wichtig, präsent zu bleiben und diese Phase auf eine ausgewogene Weise zu genießen. Der kreative Prozess kann unglaublich fordernd sein. Mich auf die Tour zu fokussieren, reicht völlig aus. Es macht auch mehr Spaß, wenn man nicht an zehn Projekten gleichzeitig arbeitet. Also ja, ich werde mich darauf konzentrieren, unsere Lieder für die Menschen weltweit zu singen.

Sehr schöne letzte Worte. Vielen Dank für deine Zeit!

Einar Selvik: Vielen Dank!

Galerie mit 30 Bildern: Wardruna - World Tour 2024 in Berlin
Quelle: Einar Selvik
18.01.2025

headbanging herbivore with a camera

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