Live-Kultur der Zukunft:
Back to normal oder alles anders?

Special

Überschrift Live-Kultur Besucher

Wie hat die Pandemie die Psyche in Bezug auf Live-Events verändert?

Die Krise hinterlässt Spuren. Nicht nur bei den Fans, die sich danach sehnen, alte Bekannte wieder zu sehen, gemeinsam zu feiern und das besondere Live-Feeling von Musik wieder genießen zu können, sondern auch bei Veranstaltern, Mitarbeitern und Bands. Die Frage „Wieso mache ich das hier eigentlich?“ stellt sich Leuten wie Thorsten „Buddy“ Kohlrausch vom RockHarz durchaus. Ebenso natürlich bei Veranstaltern kleiner Clubkonzerte, die alles auf ehrenamtlicher Basis organisieren. Kohlrausch ist überzeugt, dass das Liveerlebnis eine gute „Bekämpfung“ der mentalen und gesellschaftlichen Pandemiefolgen sein kann, findet sich auf Konzerten doch ein Querschnitt der Gesellschaft. Sie sind Begegnungsorte, bei denen konservative Erwachsene neben alternativen Jugendlichen zur selben Musik feiern.

Viele sind guten Mutes, dass demnächst zumindest eine gewisse Normalität wieder einkehrt und die Menschen sich auch wieder zu den Konzerten trauen. Sei es auf den Acker oder in den stickigen Club. Und auch der Tenor bei den meisten Befragten im Rahmen der Interviewserie ist positiv. Lorenz Deutsch (FDP) sieht ein Einpendeln zwischen einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis der Menschen, das sich auch in anderen Bereichen wie dem Sport zeigt und voraussichtlich bleiben wird, und dem Verlangen, wieder Konzerte, Sport und andere Veranstaltungen gemeinsam erleben zu wollen.

Weg von der Gigantomie?

Dem Wirtschafts- und Eventpsychologen Steffen Ronft geht es auf kommunikativer Ebene darum, Unsicherheiten bei den Besuchern abzubauen. Wie komme ich zur Veranstaltung, wie ist die gesichert, was für einen Aufwand hat das für mich als Gast zur Folge? Das sind Fragen, die nach der langen Lockdownphase wahrscheinlich mit dem Wunsch nach mehr Autonomie und Bewegungsdrang kollidieren. Dafür sieht er insbesondere die Veranstalter in der Transparenz- und Kommunikationspflicht, damit Leute für sich selber gut Entscheidungen treffen können. Will ich unter diesen Umständen an der Veranstaltung teilnehmen oder nicht? Wie ist das Sicherheitskonzept aufgebaut? Gibt es Rückzugsorte? Da diese Bedürfnisse und Empfindungen bei Menschen allerdings völlig unterschiedlich ausgeprägt sind und man auch noch nicht sagen kann, wie sich die Auflagen entwickeln, sind generalisierte Aussagen dahingehend schwierig zu treffen.

Die digitalisierte Variante von Veranstaltungen kann aus Ronfts Sicht keinen völligen Ersatz für „echte“ Live-Momente darstellen. In einer Menschenmenge mit direktem Kontakt zu anderen spiegeln Menschen mit einer gemeinsame Leidenschaft ihre Emotionen gegenseitig und verstärken sie so. Das Live-Erlebnis kann virtuell also nur bedingt nachgebildet werden. Allerdings kommt es laut Ronft auch auf die Größe der Veranstaltung an. Ein Besucher einer kleinen Clubshow oder eines mittelgroßen Festivals in der ersten Reihe mit Blick auf den Künstler ist emotional intensiver involviert als ein Stehplatz-Besucher am Ende der Halle oder des Stadions oder des Feldes einer 100.000-Mann-Show. Hier liegt eine bleibende Chance für Streaming-Angebote, ebenso wie für einen Trend weg von Gigantomanie-Festivals generell: Für den Einzelnen macht es keinen Unterschied, ob um ihn herum 10.000 oder 100.000 Menschen stehen. Das Massenerlebnis ist für ihn gleich.

Was wird getan, damit sich Besucher wohlfühlen?

Damit wir wieder frei tanzen, frei die Haare drehen und uns Körper an Körper stehend in einem Moshpit wühlen können ohne uns Gedanken zu machen, müssen wir noch einen gewissen Weg auf uns nehmen. Hierbei spielt neben den Vorgaben der jeweils zuständigen Behörden vor allem das eigene Wohlbefinden in der Live-Situation eine Rolle. Sicher würden die meisten Befragten aktuell sofort aufschreien und verlauten lassen, wie sehr er oder sie es vermisst, in einem Club so sehr abzufeiern, bis das Wasser von der Decke tropft. Aber wie wird es dann wirklich sein? Dichtgedrängt aneinander. Können wir dann einfach so wieder umschalten?

Feiern ohne Angst möglich?

Clubbetreiber und Veranstalter sind sich der Problematik bewusst und versuchen auch über die behördlichen Auflagen hinaus zu reagieren beziehungsweise zu agieren. Denn vielerorts gibt es keinen richtigen oder DEN einen Plan, wie es zu laufen hat. Verwirrung macht sich breit, und wo Verwirrung herrscht, wird dem sorglosen Feiern und Genießen gleichzeitig ein Bein gestellt. Neben Einschränkungen, wie den Zugang nur Geimpften, Genesenen, Getesteten zu gewähren, versuchen viele Betreiber über den Tellerrand zu schauen, planen Einlässe nur mit geringerer Besucherzahl, investieren in Belüftungssysteme oder Raum-Umgestaltungen, um Engpässe und Staus vor Toiletten oder dem Theken zu verhindern. Rückzugsorte innerhalb der Locations müssen geschaffen werden, eine Entzerrung beim Ein-und Ausgang muss erfolgen, dessen sind sich die Betreiber nicht erst durch behördliche Hygienekonzepte bewusst. „Unabhängig von den Grundregeln kommt es stark auf die Location an, wie man das lebt und umsetzen kann. Sprich: Du musst spezifisch auf deine baulichen Möglichkeiten passend noch ein Individualkonzept haben“, so Chris vom „Don’t  Panic“ in Essen.

Der Fokus liegt auf dem Besucher

Die Pandemie hat der Branche gezeigt, dass es nicht ausreicht, sich alleine auf die Behörden und die Politik zu verlassen, wenn es darum geht, den Stein wieder ins Rollen zu bringen. Überall wird genau geprüft und durchdacht, was der kleine Club um die Ecke tun kann, um ein Feiern wieder sorgenfrei möglich zumachen. Dass auch hier selbst die ausgefeiltesten und strukturiertesten Pläne dennoch nicht ausreichen können, zeigt das Beispiel SUMMER BREEZE aus diesem Jahr. Denn wenn selbst auf legislativer Ebene Unsicherheit herrscht, wird das Eis am Ende des Tages dünn. Zumal die Vorgaben meistens nicht der aktuellen Inzidenzsituation entsprechen und eine Anpassung oder Angabe von tagesaktuellen Informationen nur schleppend bis gar nicht erfolgt. Die Mühlen mahlen eben langsam. Mehr und mehr Veranstalter versuchen deshalb, die Sache unabhängig oder in Zusammenarbeit mit den Behörden und eigens erschaffenen Verbänden selbst in die Hand zu nehmen. „Wir sind immer noch auf der Suche nach der besten Lösung. Sowohl für die Gäste, als auch für uns“, meint Pasqual vom SO36 in Berlin.

Vorsichtig wird sich vorgetastet. Auch wenn das Eis dünn ist, auf dem sich bewegt wird, liegt das Wohl des Besuchers hier allen am Herzen. Denn auch dem kleinsten Club ist klar: Ein Überleben und Weitermachen geht nur, wenn sich alle wohlfühlen.

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21.08.2021

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7 Kommentare zu Live-Kultur der Zukunft: - Back to normal oder alles anders?

  1. Andi sagt:

    Ich verstehe die Naivität einerseits, dass alles so werden wird wie früher und andererseits die Heuchelei mancher Involvierter (Veranstalter, Musiker und Musikjounrnalisten sowie Fans) angesicht der sich abzeichnenden totalitären Züge im politischen System nicht. Ständig wird etwas von Solidarität gefaselt – Solidarität mit Wem? Mit Biontech/ Pfizer? Ich sage euch wie es laufen wird. Ab nächstem Jahr gibt es nur noch Zutritt für Geimpfte auf Konzerte (Impfung alle 6 Monate) und eine Ausgrenzung all jener, die sich nicht impfen lassen wollen, oder aus gesundheitlichen Gründen nicht können. Dass passiert ja jetzt schon. Dazu wird es nach wie vor „Hygienkonzepte“ geben, deren Einhaltung das indivudelle und gemeinsame Live-ERLEBnis nahezu unmöglich machen. Der „Metal“ bzw. die „Szene“ zeigt seit einem Jahr ihr komplettes Versagen, indem sie politische Propaganda kritiklos nachplappert. Früher stand Metal für Eigenständigkeit, Rebellion und Individualität – heute für Duckmäusertum und Speichelleckerei. Ich verabschiede mich entgültig.

  2. Norskvarg sagt:

    was schlägst du denn vor? hört sich ja so an, als hättest du die ultimative lösung. wir stecken mitten in einer pandemie, ich behaupte so etwas hat keiner von uns jemals mitgemacht. es fehlt uns also an erfahrung, doch wir werden lernen … eines ist jedoch sich, ganz egal ob geimpft oder nicht, unser leben welches wir vor corona lebten, wird es nicht mehr geben. eigenständigkeit und rebellion ist ja ganz schön, aber nicht wenn menschenleben auf dem spiel stehen. da sollten wir alles tun, dass menschen geschützt werden. wahrscheinlich denkst du anders darüber, wenn menschen aus deinem umfeld oder du selbst davon betroffen bist. niemand weiß welche mutationen da noch entstehen & selbst wenn man geimpft ist, gibt es keine totale sicherheit keinen schweren verlauf zu haben oder zu sterben. wir sind im krieg, gegen einen gegner den wir nicht sehen können, der wandelbar ist … dagegen müssen wir uns zu wehr setzen und unsere einzige wirksame waffe ist neben der impfung im moment vorsicht und rücksicht. da manche menschen wie kleine kinder ageiren, müss man sie an die hand nehmen und sagen was sie dürfen und was nicht. dies geht so lange, bis wir bessere waffen haben, den unsichtbaren feind zu besiegen. was bringt es konzerte zu veranstalten, die dann zum superspreaderevent werden?

  3. der holgi sagt:

    @norskvarg

    ….folge ich deinen Gedanken, muss ich eine Form von „Diktatur“ installieren, die uns vor all dem bewahrt, was uns Corona beschert.
    Denn, Corona wird nicht verschwinden, wird immer mutieren, und wir werden immer daran erkranken können, uU gar sterben.
    An dieser Erkenntnis führt leider kein Weg vorbei.

    Was in den vergangenen 1,5 Jahren getan/unterlassen wurde, hatte mMn gute Gründe, und sicherlich war all das nicht immer auch sinnvoll, wir wissen Stand heute sehr viel mehr über Corona.

    Die Frage also ist; was wollen wir an Rechten abgeben, und zwar auf unbestimmte Zeit, darum geht es letztlich. Diese Frage muss demokratisch gelöst werden, eingedenk aller Pro und Contras.

    Ein anderes Szenario kann ich mir übrigens auch vorstellen; durch fortwährende Eingriffe in Freiheitsrechte ist es denkbar, das eine allgemeine Abstumpfung/Duldung Boden gewinnt, die es wiederum mit sich bringt, das eine Mehrheit diese Eingriffe nicht mehr als problematisch erachtet, das jedoch dient dann gewiss als Blaupause für noch kommende grosse Aufgaben die es zu lösen gilt, und hier wird es für mich gruselig….

  4. Interkom sagt:

    Die Regierung ist so totalitär und egdy, die lässt sich sogar abwählen. Die Gerichte arbeiten nach ersten Irritationen zu Beginn auch wieder normal und kippen unrechtmäßige Gesetze. Ohne erschossen zu werden. Ich fürchte hier sind durch die lange Dauer einige Verhältnisse verschoben.

    Und nur weil Mikrochips zur Gehirnkontrolle in der Impfung ist, soll man die verweigern? Selbst wenn es war wäre – setze ich dem entgegen: „Hallo Alexa, bitte Xavier Hildmann Stream öffnen.“ Für Kontrolle brauchen wir keine Politiker oder Impfungen. Das schaffen wir schon von selbst ganz gut alleine.

  5. nili68 sagt:

    Die Frage ist auch, welche Bedeutung man einem Menschenleben beimisst. Ich habe mal einen Artikel gelesen (weiß nicht mehr), wo gesagt wurde, „meine Freiheit ist wichtiger als dein Leben.“ Das klingt natürlich nicht sehr solidarisch, wirft aber dennoch die Frage auf, ob Menschenleben um jeden Preis immer an erster Stelle stehen. Man kann auch der Meinung sein, dass Menschen lieber sterben sollen, wenn die Alternative eine Diktatur (mehr oder weniger) ist. Da geht es nicht darum, das Virus zu verharmlosen, die Pandemie zu leugnen oder so, sondern einfach um Prioritäten.
    Klar dass man nicht durch die Gegend läuft und andere anhustet, um seinen Standpunkt klar zu machen. Bei dem Thema Impfpflicht regt sich bei mir allerdings schon eine gewisse Gegenwehr, sage ich mal. Das ist IMO noch was anderes als die AHA-Regeln.
    Ich tendiere fast dazu, einfach gar nichts zu machen, jeder schützt sich nach Bedarf selber, und der Natur ihren Lauf zu lassen. Klar, wenn man krank wird verursacht das Kosten, aber wir behandeln ja auch Raucher, Alkoholiker usw…
    So ganz überzeugt bin ich (natürlich als Laie) vom Erfolg der Impfung, bzw. etwaigen Nebenwirkungen, Langzeitfolgen usw. auch noch nicht. Die meisten hier werden aber keine Virologen sein, sondern entscheiden halt, wem sie glauben.
    So offensichtlich wie zu Zeiten der Pest, wo Leichenwagen durch die Straßen fahren, ist das ja nun nicht. Die meisten kommen mit dem Thema nur über die Medien in Berührung, wenn man mal ehrlich ist..

  6. dan360 sagt:

    Das Ding ist den Spagat hinzubekommen unter Berücksichtigung aller Faktoren, bspw. Wirtschaft, Soziologie, Psychologie etc. weil diese in gewisser Weise zusammenspielen und ein gutes Zusammenleben erst möglich machen. Und da seh‘ ich es so wie Nili.. würde behaupten, dass die meisten einfach medizinisch nicht die nötige Expertise haben und man sich mehr oder weniger entscheiden muss, wem man medial mehr berücksichtigt bzw. welche medialen Aussagen besser zum eigenen Denkmuster passen.
    Fr. Woopen, die Medizinethikerin, hat vor ein paar Wochen eine interessante Aussage getroffen, wie ich finde..
    „Keiner hat die Pflicht, überhaupt gar kein Risiko für andere Menschen zu sein. Dann dürften wir alle auch nicht Auto fahren. Es gebe aber die moralische Pflicht, auf die Gesundheit anderer möglichst gut aufzupassen und sie nicht willkürlich zu gefährden.“
    Was ich bemängel‘, ist die oft unglückliche Kommunikation der Politik in den letzten Monaten, habe dennoch im Hinterkopf, das eine Pandemie diesen Ausmaßes, in der heutigen Zeit noch nicht stattgefunden hat. Da passiert es zwangsläufig, dass man gewisse Entscheidungen, Widersprüche etc. kritischer hinterfragt.

  7. Nether sagt:

    Man wird sehen, wie es nächstes Jahr nach dem Winter sein wird. Das kann niemand voraus sehen.
    Auch weiß niemand welche garstigen Mutationen auftreten werden. Das wäre schlicht Spekulation.
    Ich war jedenfalls letztes Wochenende auf einem kleinen Festival (4 Bands, ca. 400 Besucher) und das Ganze nach Eintritt (3G) masken- und abstandsfrei.
    Nach einem anfänglichen leicht komischen Gefühl gab es keinen Unterschied mehr zu früheren Konzerten.
    90 Minuten Moshpit sind in meinem Alter zwar mittlerweile mächtig anstrengend, aber es tat mal wieder echt gut die Sau rauszulassen.