Big Wreck - Ghosts

Review

Der Boden beginnt zu beben und eine schwarze, zähe Flüssigkeit, ähnlich flüssigen Magmas kurz vor der Erkaltung, beginnt, die Gehörgänge zu verkleben. Unaufhaltsam räkelt sich der nahezu starre Wurm ins Gehirn und erwirkt dort die Verarbeitung der eröffnenden, düsteren Klangcollage. Das kanadische Quintett BIG WRECK beginnt „Ghosts“ dunkel, langsam und tief verzerrt. Es bleibt jedoch ein Stilmittel, um den großartigen ersten Refrain des Albums stimmungsvoll in Szene zu setzen.

Ihren akademischen Zugang verhüllen die Musiker gekonnt. Einzig wenn sich ein fulminanter Basslauf oder ein virtuoses Gitarrensolo in den gefühlt unkonventionell aufgebauten Songs anbietet, lüftet eine leichte Brise für einen kurzen Moment den Vorhang. Das meiste Material folgt durchaus bekannten Mustern, die jedoch gekonnt durch Variationen oder hinzutretende Instrumente verschleiert werden.

Der leicht raue, emotionale Gesang Ian Thornleys sucht seinesgleichen und konstituiert sich als tragischer Erzähler und herausragendes Element der Musik BIG WRECKs. Zwischen Chris Martin (COLDPLAY), Benjamin Kowalewicz (BILLY TALENT) und Tom Waits (selbsterklärend) entfaltet er sein eigenes Timbre und beweist, wie Gesang und Musik sich verbinden und als sich gegenseitig bereichernde Einheit auftreten können.

„Wenn du den Rockstar-Bullshit hinter dir lässt, ist es viel einfacher, sich auf die Musik zu konzentrieren“, wird Thornley in einem Pressetext zitiert. Und genau so klingen BIG WRECK. Gestandene Musiker (die Band wurde 1994 gegründet), die auf sämtlichen Ballast verzichten und bei denen jeder eingeschlagene Irrweg zum Ziel führt: zündende, melodische Rocksongs mit fast andächtiger Atmosphäre. Beweis dafür ist beispielsweise der Titeltrack, der eben jene Geister erweckt, mit denen man sich umgeben will, um Momente der Sehnsucht mit Musik zu begleiten.

„My Life“ schielt mit seinem repetitiven Piano und seiner dezenten Theatralik in Richtung der Landsleute ARCADE FIRE oder der Briten MUSE. Dadurch erreicht die Band eine gekonnte Inszenierung für die Geschichte eines Menschen, der versucht, mit seinen als falsch empfundenen Entscheidungen zu leben. „Still Here“ wiederum ist eine schmachtende Rockballade, fernab von großem Kitsch oder Operettentragik. Nicht stillhaltend erzählt der Song mehrdeutig von Kontrollverlust und explodiert im Refrain in der Existenzbestätigung des Protagonisten, die von einer sphärischen Melodie getragen wird.

Zudem muss man „Ghosts“ eine vorzügliche Produktion attestieren. Nichts überwiegt gegenüber etwas Anderem. Die Instrumente sind alle klar zu erkennen, was insbesondere dem Bass zugutekommt, der die Songs oft um nahezu „funkige“ Nuancen bereichert. Das Schlagzeug klingt wuchtig und manifestiert sich so als festungsartiges Fundament, auf dem sich Thorneleys Gesang und die Gitarren ausbreiten können.

BIG WRECK schaffen das schier Unmögliche: sie spielen zärtliche Rockmusik. Alle Songs sind erfüllt von einladender Wärme oder umhüllt von leichter Melancholie. Es ist ein dezentes, fast leises Rockalbum. Natürlich kann man der Musik BIG WRECKs nicht absprechen, eine gewisse Popaffinität zu besitzen. Meist steht diese der Güte der Songs allerdings nicht im Weg. Einzig zeigen sich viele Refrains mit ähnlicher Melodieführung und der Rahmen, in dem die Musik stattfindet, ist zu limitiert. Am Ende bleibt eine handwerklich nahezu perfekte, elegische Rockplatte, die sich aber in ihrem eigenen Spielraum etwas zu sehr begrenzt.

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11.09.2015

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