Avantasia
Klaut Tobias Sammet alten Damen die Handtaschen?

Interview

Um den Bezug zum Vorgängeralbum herzustellen, optisch sieht es ja schon ein bisschen aus wie „Moonglow Part 2“. Besteht ein Zusammenhang zwischen den Werken?

Beide Platten haben mit Eskapismus zu tun, beide Platten haben mit dem Problem zu tun, seinen Platz in der Welt da draußen zu finden und eben sich auch Rückzugsorte schaffen zu müssen, um einen klaren Gedanken zu fassen und mit dem, was da draußen auf einen einprasselt, besser umgehen zu können.

Ich gehöre einfach zu den Leuten, die durchs Raster gefallen wären in der Welt, wenn ich nicht Musiker geworden wäre, weil ich mit vielen Dingen da draußen nicht so gut klar komme. Ich glaube, damit können sich einige Leute identifizieren, das kriege ich auch rückgemeldet. Einige finden das nicht so geil, was da in der Welt passiert. Das meine ich auch gar nicht politisch oder so, aber einfach so diese Ellenbogengesellschaft ist nicht jedermanns Sache.

Damit setzen sich beide Alben auseinander, auch mit dem Symbol des Mondes: „Ich blühe auf, wenn die Welt ein bisschen ruhiger wird.“. Das würden die Leute bei meinen Ansagen nun nicht so erwarten, aber wenn es draußen langsamer, ruhiger und dunkler wird, die Ellenbogen eingefahren sind, weil sie im Bett liegen und sich auf den nächsten Ellenbogentag vorbereiten müssen, dann komme ich raus, dann habe ich Luft zum Atmen. Dann gehe ich in mein Studio oder gehe auch mal vor die Tür. Ich spreche jetzt in Bildern, aber mit diesen Aspekten setzen sich beide Platten zusammen.

Beide Platten sind keine klassischen Rockopern. Das Label ist immer ganz gut, dann kann man es gut einordnen und die Leute sind glücklich, wenn man es so nennt. Aber eigentlich sind es Themenalben, so Liederzyklen. Es sind elf individuelle Szenerien, die alle in einer phantastischen Welt angesiedelt sind. Ähnlich war das Konzept auch bei „Moonglow“, es gibt im Ansatz Unterschiede. „Moonglow“ ist ein sehr einsames Album, da betrachtet sich eine Kreatur isoliert von der ganzen Welt. Diese Aspekte hat „A Paranormal Evening With The Moonflower Society“ auch, aber es gibt auch Hoffnung, dass man mit dem durchs Raster fallen nicht alleine ist. Deswegen auch „Moonflower Society“, das sind für mich sinnbildlich die Geister, Gedanken, Musen und Inspirationen, die mir begegnen, wenn ich die Studiotür schließe und in meine Welt eintauche. Es sind aber auch die Leute, mit denen ich mich umgebe, denn die sind mir nicht so unähnlich. Wir sind alles Leute, die froh sein können, Musiker zu sein, weil wir in der Welt der Erwachsenen alle durchs Raster fallen würden.

Das gilt denke ich auch für viele Musikkonsumenten, die mit der Welt da draußen vielleicht überfordert sind und dann zuhause erst einmal die Musik aufdrehen, um den Druck abzulassen.

Absolut, ich sehe das nicht nur als Druck ablassen und Therapie, ich ziehe da auch ganz viel Kraft draus. In meiner Vorstellung finde ich Antworten, die mir draußen helfen. Das ging mir schon als Fünfzehn-, Dreizehn-, Elfjähriger so, wenn du im Alltag Dinge erlebst, die du scheiße fandest, dann bist du nach Hause gegangen und da hing dann ein Poster von Blackie Lawless, Paul Stanley oder Ronnie James Dio und die haben dich angeguckt und verstanden. Blackie Lawless hat dann für diesen Elfjährigen „I Wanna Be Somebody“ gesungen, der ein bisschen Anpassungschwierigkeiten hatte.

Ich sehe die Welten, die ich mit meiner Musik betrete gar nicht so diametral, als irgendwas, was mich vor dem Alltag weg holt, sondern ich sehe es als unsichtbare Erweiterung meiner Lebensrealität. Alles, was ich dort erlebe und ausdenke, alle Pläne, die ich dort schmiede, hat Auswirkungen auf das, was in meiner materiellen Lebenswelt passiert. Das suggeriert irgendwie, dass das alles Spinnereien sind, aber ich bin sehr glücklich, dass ich meine Familie mit Dingen ernähren kann, die mir Freude bereiten. In dem Moment bist du dann auch in der Welt der Erwachsenen angekommen, so Banane dieses Konzept auch ist.

Das stimmt, der erwachsene Gedanke ist „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“ und du lässt den Dreizehnjährigen in dir trotzdem nicht aus den Augen und gibst den Gedanken an die nächste Generation weiter. Da draußen ist dann vielleicht jemand, der sagt, ihn hat „Tears Of A Mandrake“ zu etwas inspiriert.

Das ist auch schön, wenn sowas passiert. Irgendwie ist man unfreiwillig nicht für sich selbst Therapeut, sondern auch für andere. Blackie Lawless und Ronnie James Dio waren sicherlich auch meine Therapeuten.

Das kann ich dir rückmelden, für mich hatte „The Seven Angels“ lange eine therapeutische Wirkung, insbesondere die Klavierpassage am Ende.

Danke, das bedeutet mir auch wirklich was!

Das sollte jetzt kein versteckter Hinweis sein, dass der Song doch mal wieder ins Liveset gehört.

Den hast du jetzt ja nachgeliefert. Ich finde die erste „Metal Opera“ tatsächlich deutlich besser als die zweite, das ist so das Album, das mir mittlerweile am fernsten ist. Die Bob-Catley-Songs sind tierisch und auch die lange Nummer – da hängen unheimlich viele Erinnerungen dran.

Ich muss aber tatsächlich sagen, dass meine Livemitstreiter mir vermutlich an die Gurgel gehen würden. Die mögen „The Tower“ und „The Seven Angels“ gar nicht. Ich weiß nicht, ob die sich das so schlecht merken können, sind ja auch alle nicht mehr die jüngsten, aber die sagen dann immer, es sei doch viel schöner stattdessen drei Songs vom letzten Album zu spielen.

Von daher ist es immer so eine Kompromiss-Sache, ich könnte mich natürlich durchsetzen und sagen, wir spielen das jetzt und bis ihr das gelernt habt, spielen wir es drei Mal am Abend, aber das würde für nicht so gute Stimmung sorgen. Vielleicht nehmen wir es irgendwann wieder ins Set, mal sehen, aber ich habe meinen Frieden mit dem Stück gemacht.

Manchmal will man den Leuten ja auch auf die Nase drücken, dass man mittlerweile alles viel besser kann und alles viel besser ist und das stimmt natürlich auch. Aus der Sicht des Künstlers muss es ja immer besser werden, was man so macht. Und dann nervt es natürlich auch, wenn man eine neue Platte macht und als Künstler weiß, dass die auf einem ganz anderen und auch höheren Level ist, besser umgesetzt und so und dann sagen die Leute, natürlich auch aus nostalgischen Gründen und emotionaler Bindung heraus, dass es so ein Stück nicht ersetzen kann. Und das soll und kann es auch nicht. Das ist so wie wenn ich „Eagle Fly Free“ höre.

Oft spielt die Nostalgie auch eine große Rolle. Auch, wenn du was lange nicht gehört hast, einen alten Song von TITAN FORCE zum Beispiel und dann legst du den wieder auf und denkst dir „öh ja…“. Wenn dann Fans sagen, das Neue ist alles Scheiße und mach mal wieder so etwas wie auf der ersten Platte, dann musst du aufpassen, dass du nicht die Balance verlierst und die Stimmung ins Gegenteil umschlägt. Drum habe ich meinen Frieden mit all meinen Platten gemacht und finde, alles, was ich je gemacht habe, legendär (lacht).

Galerie mit 29 Bildern: Avantasia - Here Be Dragons Tour 2025 in Stuttgart

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Quelle: Interview mit Tobias Sammet
21.10.2022

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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