Avantasia
Klaut Tobias Sammet alten Damen die Handtaschen?

Interview

Da hast du mir eine Frage schon halb vorweg genommen, denn ich wollte eigentlich wissen, mit welchem Album du besonders zufrieden bist, das neue mal ausgenommen und welches du verbesserungswürdig findest.

Verbesserungswürdig finde ich die „Kingdom Of Madness“ wegen der Produktion. Die hat damals Ralf Hubert von MEKONG DELTA produziert und wir haben gedacht, der hat schon einen Plattenvertrag, der muss wissen wie das geht.

Da habe ich gelernt, nur wenn man unheimlich gut rechnen kann mit seiner Musik und schon einen Plattenvertrag hat weiß man noch nicht, wie man eine gute Platte produziert. Das war alles Kraut und Rüben und dann habe ich mir MEKONG DELTA mal angehört und das hätte ich mal vorher machen sollen, denn dann hätte ich ihm gesagt, er soll es so machen, wie er es bei seiner eigenen Band nicht machen würde (lacht).

Das ist jetzt nicht gemein gemeint, es hat nur für EDGUY einfach überhaupt nicht gepasst. Wir kamen damals ins Studio und das war geil und das erste, was er uns gefragt hat war, ob wir vom Blatt spielen können. Das konnten wir natürlich nicht, also „La Paloma ohé“ auf der Heimorgel vielleicht, aber sonst. Da meinte er, da hätte er Probleme, uns überhaupt als Musiker zu bezeichnen. Dann kommst du als Siebzehnjähriger ins Studio und hörst erst einmal sowas, da geht die Motivation nicht unbedingt hoch. Heute würde ich sagen, nee, ich kann nicht vom Blatt spielen, aber ich weiß, wie man drei Millionen Platten verkauft! (lacht)

Nein, das klingt jetzt überheblich, wenn du das schreibst, sagen wieder alle, Tobi ist ein selbstverliebter Arsch, das stimmt nicht. Ich wollte nur sagen, dass es nicht darauf ankommt, erst einmal andere so herunter zu drücken. Jedenfalls würde ich diese Platte auf jeden Fall heute anders machen.

Unheimlich stolz bin ich auf „The Scarecrow“, weil es irgendwie das beste beider Welten war. Wir haben damit einen Übergang geschaffen, die Trademarks beibehalten mit so Songs wie „Shelter From The Rain“ und haben mit „The Scarecrow“ einen absoluten Signature-Track geschrieben.

Zwei, drei Jahre später waren wir mit Michael Kiske auf Tour und der meinte, wir haben etwas geschafft, was sonst kaum eine Band schafft, wir haben die Integrität der alten Platten beibehalten, die Fans bei der Stange behalten, aber ihr könnt auch solche Dinge einstreuen wie „Lost In Space“ oder „Carry Me Over“ oder „The Story Ain’t Over“. Ihr könnt eine poppige ABBA-Coverversion machen und das alles unter dem Dach von AVANTASIA unterbringen.

„The Scarecrow“ hat AVANTASIA ohne unsere Wurzeln zu verleugnen auf ein neues Level gehoben. Da hat auch Jorn Lande viel zu beigetragen. Wir hatten auch diese Kredibilität, klar wurde dann sowas gesagt wie, dass wir nun einen auf BON JOVI machen wollen. Aber wenn du dann Leute wie Eric Singer von KISS am Schlagzeug dabei hast, ALICE COOPER, der den Heavy Metal als Schockrock-Urvater entscheidend mitgeprägt hat neben Arthur Brown und Screamin‘ Jay Hawkins. Wir hatten eben diese Fürsprecher, auch Rudolf Schenker. Diese Platte hat uns, jetzt laber ich mich hier irgendwie rein, es war einfach ein ganz wichtiger Meilenstein in der Karriere.

So, unsere Zeit wäre jetzt zu Ende, aber hast du noch ein, zwei Minuten?

Ja klar, die warten eh, die denken sich sowieso, der kann die Uhr nicht lesen. Ja ja, ich hab noch vier Minuten.

Super! Dieses Jahr wären ja 30 Jahre EDGUY angesagt und du meintest ja mehrfach, neue Musik ist gerade kein Thema, aber nun hast du während unseres Gesprächs auch total viel über EDGUY geredet, wie sieht es denn mit ein paar Jubiläumskonzerten aus. Oder ihr nehmt einfach „Kingdom Of Madness“ neu auf.

Es ist gerade Ruhe, so viel könnten wir nicht machen. Wir verstehen uns, wir gratulieren uns zum Geburtstag, mit Dirk telefoniere ich alle zwei, drei Wochen mal, es ist alles gut, aber das zusammen Arbeiten ist sehr schwer geworden. Das ist im Moment noch nicht absehbar, wann wir wieder was zusammen machen. Dazu kommt natürlich, dass es mit Touren gerade eh schwierig ist. Selbst wenn wir nicht zu allem auf einmal fünf Meinungen hätten, sondern ein ganz frisch verheiratetes Ehepaar wären und kein dreißig Jahre verheiratetes Rentnerehepaar, dann wäre das trotzdem schwierig, das zu machen.

Ich weiß natürlich, dass die Leute sagen, der Tobi lässt seine Freunde im Stich, AVANTASIA wirft viel mehr Geld ab und so. Die Leute können sich einfach kein Bild machen, es ist nicht so einfach in einer Band, in der die Leute so jung zusammen kamen und sich so unterschiedlich entwickelt haben mit anderen Auffassungen, anderen Meinungen und Ansichten. Da entstehen automatisch Reibungen. Die Arbeitsverteilung ist sehr einseitig verteilt gewesen, das brauche ich irgendwie auch, aber es ist eben nicht so leicht.

Es war einfach besser zu sagen, komm jetzt macht jeder seinen eigenen Scheiß und dann gucken wir mal. Aber ich weiß nicht, ob wir in den nächsten Jahren eine neue Platte machen oder so.

Das kannst du ja auch nicht erzwingen, das muss ja auch von selbst kommen.

Du kannst natürlich was zusammenschustern nach dem Motto jeder schmeißt seine zwei besten Ideen vom letzten Dienstag in den Topf, wir verkaufen das an irgendeine Plattenfirma und kleistern unseren Namen drauf, aber wem ist denn damit gedient?

Ich finde die Quintessenz dessen, was diese Band ausmacht muss auch da sein. Auch wenn in der Vergangenheit aus Fansicht nicht alle Alben perfekt waren, so haben sie immerhin alle eine gewisse authentische Qualität gehabt. Das muss einfach gegeben sein, ansonsten ergibt es keinen Sinn.

Du merkst das als Fan auch, würde ich behaupten, wenn da keine kreative Intention dahinter steckt.

Ja und die Leute würden dann vermutlich sagen: „Sag mal, du solltest doch eine Platte machen, die von Herzen kommt.“ Dann würde ich sagen: „Ja, aber so eine konnte ich nicht machen.“ und dann würden die sagen „Ja, dann hättest du gar keine machen sollen.“, aber ich sollte ja eine machen und so weiter. Ich weiß nicht, wie sich die Leute das vorstellen, das ist einfach nicht so leicht (lacht).

Du meintest schon, dass Touren gerade nicht so leicht ist, weswegen wir vermutlich keine große „Paranormal Evening“-Tour erwarten können?

Nein, richtig. im Moment fahren wir alle auf Sicht. Eine nach der anderen Tour geht in die Binsen, ich möchte einfach nichts ankündigen, was ich dann absagen muss. Das ist dieses Jahr mit einem Festival passiert, die anderen 13 haben wir gespielt.

Ich bin guter Dinge, dass wir nächstes Jahr Shows spielen werden, aber ich glaube nicht, dass wir diese Standard-50-Shows-Arenatour machen werden. Man muss da kreative Lösungen finden und realistisch bleiben.

Um zum Schluss den Bogen zum neuen Album noch einmal zu spannen, wie bist du denn auf diesen prägnanten Titel gekommen?

Ich wollte die „Moonflower Society“ benennen und dachte, das ist ein knapper Titel und erinnert sehr an „Moonglow“. Ich wollte das Album auf die Leute wirken lassen wie ein Abend voller Geschichten, eine Reise vom Abend bis zum Morgengrauen in diesem Imaginarium-Theater und dachte mir, ich nenne es „An Evening With The Moonflower Society“, wie diese alten, okkulten Schmöker aus dem späten 19. Jahrhundert, wo es auch immer diese verdorbenen Gesellschaften schräger Vögel gab.

Aber ich dachte mir, das ergibt keinen Sinn, das klingt wie ein Livealbum, also habe ich noch „paranormal“ hinzugefügt, das gibt dem Ganzen diesen Gothic-Novel-Touch. Es trifft den Nagel auf den Kopf. Es war ein bisschen Arbeit, die Plattenfirma davon zu überzeugen, aber sie waren dann sehr unterstützend, weil sie gesagt haben, dass ein Titel in der Länge etwas problematisch ist, aber der ist so geil, dass wir das einfach machen. Das ist das schönste Kompliment, was du einem Künstler machen kannst und es sagt auch viel über die eigene Plattenfirma aus, wenn sie sagen, dass es marketingstrategisch schwierig aber künstlerisch so geil ist. Dafür bin ich ihnen auch sehr dankbar.

Danke dir Tobi für deine Zeit und alles Gute für dich!

Danke, dir auch! Hau rein!

Galerie mit 27 Bildern: Avantasia - Latin America Kick Off Show 2023

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Quelle: Interview mit Tobias Sammet
21.10.2022

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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