Fiur
verbindet Black Metal mit der Naturromantik des 19. Jahrhunderts

Interview

Mit seinem Projekt FIUR veröffentlichte Mastermind Tobias Jäpel Anfang des Jahres in Form des Albums „Verse“ einen wahren Geheimtipp innerhalb des heimischen atmosphärischen Black Metal. Wir haben uns mit dem Berliner zusammengesetzt und über Eskapismus, Wanderromantik und norwegischen Viking Metal sinniert.

Sei gegrüßt! Seit der Veröffentlichung deines aktuellen Albums „Verse“ sind bereits einige Wochen ins Land gezogen. Wie fiel die allgemeine Resonanz aus? War das Feedback vergleichbar mit dem des Vorgängeralbums?

Hallo! Die Resonanz war sehr positiv, auch wenn man mit so einer Selbstveröffentlichung nicht so wahnsinnig viel Feedback bekommt. Tatsächlich gab es auch einige Stimmen, die eine Weiterentwicklung gegenüber dem Debütalbum „Elementa / Refugium“ sehen, was mich etwas beruhigt. Denn nicht jeder neue Akzent wird automatisch als Fortschritt gewertet.

Mit „Elementa / Refugium“ gelang 2019 bereits ein starker Einstieg in die Untiefen des Black Metal. Nichtsdestotrotz fühlt sich der Nachfolger nun noch ausgereifter und vollkommener an. Nimmst du selbst einen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Veröffentlichungen wahr? Und stellt „Verse“ tendenziell eher eine konsequente Fortsetzung des bisherigen musikalischen Schaffens oder ein gänzlich eigenständiges Werk da, welches losgelöst von „Elementa / Refugium“ betrachtet werden sollte?

„Elementa / Refugium“ ist und bleibt ein wichtiger Anknüpfungspunkt, weil es im Kern schon sehr viel enthält, was FIUR ausmacht und auch in Zukunft ausmachen soll. Daher würde ich sagen, dass alles danach nicht unbedingt eine Weiterentwicklung sein soll, sondern ein Kreisen um diesen Kern. Mal in weiteren Bögen, mal in engeren.

Wenn man sich die Länge der Titel auf „Elementa / Refugium“ und „Verse“ anschaut, fällt sofort auf, dass die Stücke auf dem zweiten Album im Vergleich geradezu ausufernd sind. Auf dem ersten Album gab es eine „Regel“, dass sich Liedteile möglichst nicht mehr als zweimal wiederholen sollten.

Interessanterweise ist das auf „Verse“ aber nicht wesentlich anders, obwohl der erste Song dreimal so lang ist wie auf dem Debütalbum! „Von Feld, Wald und Sturm“ enthält nicht nur drei verschiedene Gedichte, sondern auch Material, was für drei verschiedene Songs reichen würde – trotz besagter „Regel“. Das ist ein Beispiel dafür, dass sich hier selbst in einer großen Andersartigkeit die Essenz des Debütalbums wiederfindet. Um dieser Essenz aber auch eine weitere Komponente hinzuzufügen, habe ich beim Stück „Untergang“ sehr bewusst auf Repetitivität gesetzt, um auch einmal dieses hypnotische Element zu nutzen.

In Hinblick auf die Qualität fällt in meinen Ohren eher die Produktion ins Gewicht. Es soll ja möglichst detailliert, transparent und ausgewogen klingen aber gleichzeitig nicht in völlige Sterilität abrutschen. Da hat sich auf „Verse“ gegenüber dem Debüt doch einiges getan.

FIUR schlichtweg als melodischen Black Metal zu bezeichnen, würde dem Projekt in Hinblick auf die Vielschichtigkeit der verarbeiteten musikalischen Einflüsse kaum gerecht werden. Wie würdest du die Musik auf „Verse‘ stilistisch beschreiben? Bewegt sich FIUR in deinen Augen außerhalb gängiger Genre-Bezeichnungen oder erscheint eine Kategorisierung im Pagan und / oder Black Metal durchaus nachvollziehbar?

Ich beschränke mich selbst weitestgehend auf den Begriff „Melodic Black Metal“, weil es ja eigentlich nur eine grobe Vorsortierung für Leute sein soll, die zum ersten Mal mit der Musik in Berührung kommen. Neben „Black Metal“ als reiner Musikterminus spielen mehr als in anderen Metal-Genres Inhalte mit rein, wenn es um die Genrebezeichnungen geht. Inhaltlich ist FIUR weder Black Metal, noch Pagan Metal, noch Folk Metal oder gar Viking Metal. Es gibt keine okkulte, keine satanistische, keine heidnische, keine folkloristische Komponente. Es ist schneller Metal mit Krächzgesang, viel Tremolo-Picking und sehr präsentem Naturbezug. Die Inspiration dafür kommt vordergründig von Bands, die vor allem als Pagan Metal klassifiziert werden. Daher passt das schon. Auch wenn es eben auch andere Einflüsse bis hin zu seichtem Prog Rock gibt, die FIUR gerne starre Genregrenzen überschreiten lässt.
Das Rad erfinde ich aber auch nicht neu und dieses „passt in keine Schublade“ hat schnell den Beigeschmack des „Sich-Interessant-Machens“ und hilft einfach niemandem weiter, der einen ersten Eindruck gewinnen möchte.

Nach eigener Aussage findet auf „Verse“ eine Auseinandersetzung mit den Werken deutscher und österreichischer Poeten wie zum Beispiel Anastasius Grün, Emmi Lewald und Leo Greiner statt. Spiegelt sich dieser Aspekt primär in den dem Album zugrunde liegenden lyrischen Konzepten wieder oder wirkte sich die Aufarbeitung auch kompositorisch und auf den Prozess des Songwriting aus?

Die Songs auf „Verse“ sind allesamt Stücke, die nicht zu meinen anderen Konzepten passen wollten. Die Musik zu „Der Friedhof im Gebirge“ ist sogar noch vor dem ersten Album entstanden; das war das erste Stück, welches ich unter dem FIUR-Banner aufgenommen hatte.

Die Idee ein Album zu erschaffen, welches auf Gedichten der Zeit der „Wanderromantik“ basiert, war zwar auch schon älter. Aber die Umsetzung erfolgte nun selbst für mich fast etwas überraschend: Die Musik war da, die Texte auch und für die Fertigstellung der anderen Albumprojekte benötige ich noch etwas Zeit. So kam dann kurzfristig eines zum anderen und ich stellte fest, dass das Resultat tatsächlich als Album funktionieren konnte.

Beeinflusst haben die Texte die Musik entsprechend so gut wir gar nicht; die Musik wurde lediglich in wenigen Details den Texten nachträglich angepasst. Es ging bei der Auswahl der Gedichte aber natürlich um eine gewisse Passgenauigkeit mit der Musik. Das langsam aufblühende, fast frühlingshaft klingende „Friedhof im Gebirge“ etwa passt mit seinem leicht melancholischen Unterton hervorragend zum Inhalt des Gedichtes.

„Untergang“ ist hingegen wohl das musikalisch dramatischste Stück, trägt aber auch den einzigen Text mit einer sehr tragischen Note.

Wie ließe sich das Schaffen besagter Poeten inhaltlich zusammenfassen? Gibt es ein Grundkonzept, einen gemeinsamen Nenner, der sich in den gesammelten Werken wiederfindet?

Langfristig werde ich mich nicht nur auf Naturthemen beschränken, aber der Naturbezug ist absolut wesentlich für FIUR. Die gewählten Gedichte haben allesamt einen naturromantischen Charakter und stammen aus einer Zeit, wo mitunter gar eine Flucht in die Natur zelebriert wurde. Das kann ich als Kind einer Großstadt absolut nachfühlen und genau dieser Eskapismus ist eine wichtige Triebfeder für FIUR. Denn für die tatsächliche Flucht in die Natur findet sich nur wenig Zeit und ich bin ein sehr bequemer Mensch, der sich gerne von den Vorzügen der Zivilisation einlullen lässt. Zwischendurch nutze ich dann gerne die Musik als Widerhall meiner Naturerlebnisse, um mich zumindest im Kopf vom grauen Beton zu entfernen. Gleiches fühlten sicherlich auch schon viele Menschen in der Verstädterung des 19. Jahrhunderts, was schließlich auch die Wanderromantik antrieb.

In Hinblick auf den metallischen Aspekt von FIUR, welche Musiker und Bands haben deinen eigenen Stil maßgeblich geprägt und beeinflusst? Spielte die in unserer Review erwähnte norwegische Viking Metal Szene bei der Komposition der oftmals sehr erhebenden und melodischen Gitarrenriffs eine Rolle oder sind es Vertreter gänzlich anderer Genres, die dich inspirieren?

Bereits auf dem Debütalbum ist auf alle Fälle ein großer Einfluss des „Sognametals“ zu hören. Neben WINDIR möchte ich da vor allem das „Attende“-Album von MISTUR nennen. Die Schichtung der Melodien und generell der extrem melodische Ansatz lässt die Verwandtschaft nicht verleugnen. Auch wenn FIUR sich noch weit genug entfernt von diesem Stil bewegt, denn sonst wäre es eine billige Kopie, die definitiv nicht an die Qualität besagter Bands herankäme.

Sehr geprägt haben mich zudem Bands wie BORKNAGAR, EINHERJER oder FALKENBACH. Wenn vielleicht auch nur subtil, wird man dies bei zukünftigen FIUR-Alben sicherlich noch heraushören können.

Die musikalische Leistung an sämtlichen Instrumenten ist auf „Verse“ wirklich beeindruckend. Der sehr organische Klang auf dem Album lässt darauf schließen, dass hier weder Drum-Computer noch sonstiges Programming zum Einsatz kam. Dementsprechend wäre interessant zu erfahren, ob diese technisch versierte Darbietung zur Gänze dein Verdienst ist oder ob bei den Aufnahmen Gastmusiker beteiligt waren.

Das Thema Schlagzeug wird interessanterweise in den meisten Reviews gar nicht angeschnitten. Ich habe mich etwa bei den Albumcredits immer sehr bedeckt gehalten, um Vorurteilen zu entgehen und allein die Musik wirken zu lassen. Ich muss aber alle Puristen schwer enttäuschen: Die Drums sind komplett programmiert.

Allerdings fließt da viel Arbeit rein und es gleicht in vielen Punkten dem Umgang mit einem echten Schlagzeug. Das beginnt bei der sorgsamen Auswahl der Schlaginstrumente, betrifft die Anpassung ihres Klanges im Mix und für jeden Song entstehen die Rhythmen neu und in einem Wechselspiel mit den anderen Instrumenten. Zum einen beeinflusst die Rhythmik das Spiel der Gitarren, zum anderen inspiriert das Gitarrenspiel viele Grooves und Artikulationen am „Schlagzeug“. Das ist vergleichbar mit der Interaktion in einer Band, wo über längere Zeiträume das Spiel der einzelnen Instrumente verfeinert und auf die Details der anderen Instrumente abgestimmt wird.

Mir ist dabei auch sehr wichtig, dass die Drums eher einen Rocksound haben, der mitunter auch hinter den anderen Instrumenten etwas in den Hintergrund treten kann, was gerade die Bassdrum betrifft. FIUR darf gerne intensiv aber nicht brutal klingen, deshalb klingt das Schlagzeug hier auch natürlicher und mitunter dynamischer als so manche totgetriggerte Produktion in diesem Musikbereich. Vermutlich hinterfragen daher auch wenige Leute die Authentizität der Drums.

FIUR könnte schlichtweg nicht existieren, wenn ich auf einen echten Schlagzeuger bzw. andere Musiker angewiesen wäre, da neben Familie und Vollzeitjob kaum Zeit und Planbarkeit vorhanden wäre. Es gibt auch keine Trennung zwischen Songwriting und Aufnahme – alle Ideen werden direkt aufgenommen und in den meisten Fällen (früher oder später) zu kompletten Liedern ausgearbeitet. Im Anschluss das Schlagzeug nochmal komplett neu aufzunehmen würde viel Arbeit und Zeit aber kaum musikalischen Gewinn bedeuten.

FIUR ist bei Weitem nicht dein einziges Projekt. Wie verhält es sich mit Bands wie ETERNAL EMPEROR  und RUINS OF THE PAST, gehen mit der Arbeit an Alben für FIUR Auswirkungen auf Leidenschaft und Kreativität für die anderen Projekte einher?

Ich probiere mich immer wieder gerne an neuen stilistischen Spielarten aus und dafür war in der Vergangenheit auch sehr viel Zeit, egal ob Crust, Doom oder Death Metal. Mittlerweile muss ich da Kompromisse eingehen, damit ich möglichst nichts mehr anfange was ich nicht zu Ende führen kann. Ein Beispiel dafür ist der zweite Longplayer von RUINS OF THE PAST, der seit geraumer Zeit auf seine Fertigstellung wartet. Aus den meisten anderen Bands / Projekten hatte ich mich sowieso schon zurückgezogen. Da wäre definitiv noch Leidenschaft und Kreativität vorhanden, aber das erlaubt mein momentanes Zeitbudget einfach nicht.

Wie wird sich der weitere Werdegang deiner Bands gestalten? Liegt das Hauptaugenmerk für kommende Veröffentlichungen auf FIUR oder rücken in der nächsten Zeit erst einmal andere Pläne in den Fokus?

Für FIUR arbeite ich derzeit an der Fertigstellung von zwei Alben gleichzeitig, das bleibt also absolutes Hauptaugenmerk. Da ist auch kein Ende in Sicht was Motivation und Inspiration angeht. Als musikalisches Gegengewicht fröne ich aber weiterhin schweren Riffs in meiner Doom-Band KALIBOS. Zwar sind Live-Auftritte ja im Moment nicht möglich, dafür arbeiten wir aber um so intensiver an neuen Songs.

Vielen Dank für diesen ausführlichen Einblick in dein musikalisches Schaffen. Die letzten Worte gehören dir.

Vielen Dank für die Fragen und das Interesse! Interviews werden leider viel zu selten als Kontaktanzeige oder Flohmarktinserat genutzt, daher möchte ich da innovativ sein: Wenn irgendjemand zufällig ein aktuell erscheinendes WINDIR Vinyl-Boxset doppelt bestellt haben sollte und für einen fairen Preis abgeben möchte, würde ich das mit ewigem Dank und einer eigens komponierten Lobeshymne quittieren.

Quelle: Tobias Jäpel/Fiur
14.03.2021

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