In Extremo
"Unser Herz schlägt links!"

Interview

IN EXTREMO über „Kompass Zur Sonne“

25 Jahre IN EXTREMO – und doch zeigen die Herren keine Spur von Altersmüdigkeit. Ihr dreizehntes Album “Kompass Zur Sonne“ ist wild, kraftvoll und gewohnt facettenreich. Spürbar gut gelaunt sprachen Sänger Michael Robert Rhein und Gitarrist Sebastian Lange mit uns über die neue Platte, die AfD und ein Feature mit SCOOTER. Zu IN EXTREMO passend geht es demnach mit reichlich Gelächter um die heiteren Themen des Lebens, genauso wie die ernsthaften und schwierigen.

metal.de: Der Release von “Kompass Zur Sonne“ musste aufgrund der Corona-Krise verschoben werden. Wie schwierig war es für euch als Band noch länger auf die Veröffentlichung warten zu müssen?

Michael Robert Rhein (Micha): Das ist natürlich nie einfach. Wir haben es vom 27. März auf den 08. Mai verschoben. Der Grund war, dass es einfach albern ist ein Album rauszubringen, wenn alles zu hat, selbst Media Markt und Amazon, die den Button gesperrt haben. Das ist als ob du dir ein Bein brichst. Zum Glück ist vorab nichts im Netz gelandet und alles hat sich zum Guten gewendet.

metal.de: “Kompass Zur Sonne“ ist euer mittlerweile dreizehntes Album. Seid ihr abergläubisch? Oder gibt es jemanden in der Band, der abergläubisch ist?

Sebastian Lange (Basti): Das ist mir bis dato nicht bekannt. Ich habe einen Aberglauben, wenn ich im Flugzeug sitze. Beim Starten und Landen stelle ich immer beide Beine auf den Boden. Das ist mein einziger Aberglaube. Das dreizehnte Album – wir sind ja froh, dass wir überhaupt zu der Zahl gekommen sind, aber so richtig abergläubisch sind wir eigentlich nicht, oder Micha?

Micha: Naja ich bin nur sehr froh darüber, dass wir das Album nicht nach der 13 benannt haben.

Basti: Es stand mal kurz im Raum, ob wir das dreizehnte Album auch “13“ nennen. Dann drückten natürlich die Termine und die Plattenfirma sitzt einem im Nacken. Micha ist nochmal ein paar Zeilen durchgegangen und dann kam er auf “Kompass Zur Sonne“, was ja die eigentliche Gemütslage der Band eher widerspiegelt, als eine düstere 13. Da kam uns das genau recht. “Kompass Zur Sonne“ passt wunderbar.

metal.de: Im Titeltrack “Kompass Zur Sonne“ wird ein Land beschreiben, das sehr nach dem Paradies klingt. Zieht es euch dahin und wenn ja, was erhofft ihr euch dort vorzufinden?

Micha: Ach was findet man da vor? Es ist einfach positiv gedacht. Obwohl der Text vielleicht gar nicht so positiv ist, aber man guckt trotzdem geradeaus und irgendwo blinkt immer ein Licht. Das ist eine Kernaussage. Die ist logischerweise total positiv gemeint.

Basti: Es ist eine optimistische Himmelsrichtung angedacht. Man möchte lieber auf der Sonnenseite stehen – das kann ein Leitfaden im Leben sein.

metal.de: Textlich sticht für mich “Saigon Und Bagdad“ heraus. Wer sollte eurer Meinung nach dieses Lied am dringendsten hören und warum?

Basti: Es ist ja offensichtlich ein Anti-Kriegssong. Wir sind keine rein politische Band, waren es nie und werden es vermutlich auch nie sein. Allerdings kommt man an manchen Themen nicht mehr vorbei. Das lag uns auf dem Herzen. Wer hat denn in den letzten Jahren und Jahrzehnten oft verbrannte Erde hinterlassen? Das waren oft die Amerikaner, die Kriege anzetteln, Brandherde legen und Kriege heraufbeschwören. Wir nennen das Kind hier auch beim Namen.

Micha: Ich habe ja die ganzen Kritiken gelesen. Die loben das Album rauf und runter, das ist echt der Wahnsinn. Das freut uns total. Es gab aber auch eine Kritik, da hat einer wirklich geschrieben: “Ich höre ab heute nicht mehr IN EXTREMO. Was hat IN EXTREMO mit Bagdad zu tun?“.

Basti: Wo hast du denn das gelesen? Beim Postillion?

Micha: Das war auf irgendeiner Facebookseite. Es gibt Leute, die sind echt unfassbar. Das muss man einfach mit einem Schmunzeln sehen.

Basti: Der muss da einfach nochmal reinhören!

Micha: Vielleicht kommt er dann noch mit Pearl Harbor an. Aber wie Basti schon sagte, man kommt an den Themen nicht mehr vorbei. Wir machen das aber nicht mit Brechstange und Zeigefinger drauf, sondern wir erwähnen es einfach und jeder kann sich selber etwas rausziehen. Ich glaube, die Leute verstehen es sowieso alle richtig.

Basti: Wir haben ja versucht, wenn man es mal von der musikalischen Seite angeht, den Song industrial-metallisch klingen zu lassen. Der Text war schon ein bisschen im IN-EXTREMO-Orbit, aber wir haben noch die passende Musik gesucht. Ich hatte da noch eine Arbeitsskizze, die hieß “Abtauchen“. Das hat total gut zusammengepasst. Manchmal hat man so einen Treffer und hier stampft die Musik darunter so gut und klingt so martialisch.

metal.de: Das meinte ich auch in meiner Review zum Club-Mix von “Saigon Und Bagdad“ auf der Bonusversion des Albums. Das ist seltsam passend.

Micha: Da gibt es auch eine Anekdote zu. Der Bonustrack war eigentlich der offizielle Track. Dann wollten wir aber noch einen Bonustrack machen. Als der dann rumgeschickt wurde, kam es von allen wie auf Kommando: “Das ist doch viel besser!“

metal.de: “Lügenpack“ ist eine politisch durchaus spannende Nummer, da nicht absolut bestimmbar ist, an wen sie adressiert ist. Welche Lügen habt ihr so richtig satt?

Micha: Das meinte ich auch, dass sich jeder selbst etwas rausziehen kann. Aber man kann es auch wirklich politisch verstehen. Ich meine, guck dir mal die AfD an! Das Kind kann man wirklich beim Namen nennen. Es ist unfassbar, dass die Leute wieder mit dem Hitler-Gruß durch die Straße gehen und nicht mal dafür bestraft werden. Wenn wir im Ausland spielen, werden wir immer gefragt, was denn bei uns lost ist. Das musste hier einfach mal erwähnt werden. Da gibt es einen Typen, der in Thüringen wohnt – ein Faschist ohnegleichen. Die Leute stelzen dem hinterher und reden dem nach dem Mund. Da rollen sich mir die Fußnägel hoch.

metal.de: Ich finde es gut, dass ihr euch so eindeutig dazu äußert.

Basti: Unser Herz schlägt definitiv links! Wir sind schon eher lustig gestimmte Leute. Es ist natürlich eine harte Zeit und was politisch mit der AfD passiert ist ein Desaster und alles, was da als Rattenschwanz noch hinten dranhängt.  Da kommst du nicht drum herum und da liegt es nahe, eine Aussage zu machen, die jeder kapiert. Wenn jetzt aber jemand denkt, wir meinen mit dem Song Lügner an sich, ist das natürlich auch ok für uns. Mit “Lügenpack“ zielen wir aber schon ein bisschen in die politische Richtung. Wir sind trotzdem keine politische Band, das liegt uns fern.

IN EXTREMO: “Oh mein Gott, das können wir doch nicht bringen“ – na klar können wir das bringen!

metal.de: “Gogiya“ ist eine grandiose Nummer zusammen mit RUSSKAJA. Ich frage normalerweise ungern nach dem Inhalt eines Textes, hier mache ich aber mal eine Ausnahme. Wer oder was ist Gogiya? Ein Ort, eine Frau, ein Gefühl?

Micha. Gogiya ist ein Gebiet in Kaukasien, ehemalige Sowjetrepublik. Es wird einfach die Schönheit des Landes beschrieben. Ursprünglich ist es ein altes Volkslied. Die Übersetzung des Textes konntest du aber nicht nehmen, das waren zu viele Blumen. Wir haben daher einen Text dazu geschrieben, wie wir es empfinden. Den russischen Refrain haben wir allerdings gelassen. Wir haben uns dann auch mit Georgij von RUSSKAJA ausgetauscht. Er ist Russe und versteht die Übersetzung, sodass es alles Hand und Fuß hat.

Basti: Im Grunde ist “Gogiya“ ein kleines Heimatlied für dieses schöne Gebiet. Dann war es natürlich naheliegend, mit Georgij von RUSSKAJA was zu machen. Das ist ja auch eine befreundete Band. Sein Part gab dem Lied nochmal einen richtigen Schub. Es gab zunächst die ersten Mixe, aber dann kam Georgij noch dazu. Es war wie eine Tür, die nach oben aufging. Das ist wunderbar geworden!

Micha: Wenn wir den auf einem großen Festival live spielen, dann kann ich die Staubwolke schon sehen! Und Mille macht dann seine “Wall Of Death“!

metal.de: Neben RUSSKAJA habt ihr auch mit Johan Hegg von AMON AMARTH zusammengearbeitet. In der Vergangenheit waren u.a. schon Hansi Kürsch von BLIND GUARDIAN, der Graf von UNHEILIG oder HEAVEN SHALL BURN zu Gast bei IN EXTREMO. Gibt es da noch offene Wünsche für künftige Zusammenarbeiten? IRON MAIDEN, SUBWAY TO SALLY oder SCOOTER vielleicht?

Micha: Von den dreien würde ich auf alle Fälle SCOOTER vorziehen. Der ist einfach Kult, der Typ! Ich habe ihn persönlich ein paar Mal getroffen. Das ist ein richtig angenehmer Zeitgenosse.

Basti: Das kann ich bestätigen, ich war dabei. Der ist wirklich ein feiner Kerl. Aber wenn du nach Bands fragst, mit denen wir vielleicht mal was machen würden – die Frage kommt öfter mal. Micha sagt an der Stelle immer, dass er UDO LINDENBERG total toll finden würde. Aber dann gibt es auch Bands wie FILTER, mit denen ich mal Lust hätte, etwas zu machen. Ich hätte auch Lust mit DEICHKIND, BLACKSTONE CHERRY, SKINDRED – ach da gibt es so viele Leute. Wir haben ja auch zum Beispiel mit PRONG etwas zusammen gemacht. Da singt Tommy Victor mit, den du gern dankend erwähnen darfst. Dann schick ich ihm den Artikel mal zu. Ach, wen gibt es denn da noch? Wir haben mit so vielen Bands schon zusammengearbeitet und es hat immer Spaß gemacht.

Micha: Wir haben ja immer Songs mit Leuten gemacht, mit denen keiner gerechnet hat. THOMAS D, REA GARVEY, Marta von DIE HAPPY – es gibt so viele Leute. SILBERMOND, RANDALICA und GÖTZ ALSMANN haben Stücke von uns gecovert. Es muss natürlich immer passen. Bei Johan hat es natürlich auch gut gepasst, da wir uns von den Festivals kennen. Vor zwei Jahren haben wir ihn dann mal angesprochen. Da meinte er: “Na klar, da mach ich mit!“ Sowas macht man auch nicht über das Management. Das haben wir noch nie gemacht. Man lernt sich kennen und entweder stimmt die Chemie oder sie stimmt nicht. Und wenn du nach SUBWAY oder so fragst, wäre das ja Quatsch. Die machen doch auch Musik in Richtung Folk Metal, das machen wir ja selber. Wir finden es gerade interessant Leute zu nehmen, mit denen keiner rechnet.

metal.de: “Reiht Euch Ein Ihr Lumpen“ ist ein herrliches Trinklied, das neben ernsten und melancholischen Tönen auch immer schon zu IN EXTREMO gehört hat. Nun eine Frage, die ich auch an FEUERSCHWANZ gestellt habe – Wie schwierig ist es nach 25 Jahren Bandgeschichte noch ein originelles Trinklied zu schreiben?

Micha: Ach, der ging eigentlich ziemlich flüssig von der Hand. Wir saßen dann mit mehreren Leuten da und jeder hat noch eine Textzeile beigesteuert. Es gibt ja unter anderem die Zeile: “ In Obstgärten an Pflaumen lecken“, bei der es dann hieß: “Oh mein Gott, das können wir doch nicht bringen“ – na klar können wir das bringen! Es ist schon lustig. Man muss dazu aber sagen, dass wir auch “Sternhagelvoll“ haben, der für mich die eigentliche Trinkerhymne ist. Aber die nehmen sich natürlich nicht viel.

Basti: Es ist natürlich schwierig, denn es kommen immer neue Songs dazu. Jetzt sind es zwölf an der Zahl. Ich muss auch von mir aus sagen, dass ich den Song total cool finde. Es ist ein schöner Partysong, der live eigentlich funktionieren würde. Die Frage ist aber, ob wir den dann auf der Tour spielen würden, wenn wir denn spielen dürfen. In der Setlist ist natürlich nur begrenzt Platz und Klassiker wie “Sternhagelvoll“ müssen wir natürlich auch immer spielen. Es wird immer schwieriger.

metal.de: Ihr habt für die Tour, die nach aktuellem Stand im Oktober stattfinden wird, eine Setlist-Aktion über Spotify gestartet. Werdet ihr demnach (neben den neuen Liedern) nur die Favoriten der Fans spielen?

Micha: Wir hatten vor ein Best Of zu machen. Die Leute haben ganz gut gevotet und das stimmt auch mit dem überein, was wir so wollen. Natürlich spielen wir ein Best Of, aber es wird, wie Basti eben sagte, immer schwieriger und du kannst es nie jedem recht machen. Wir versuchen es und handeln nach bestem Gewissen.

Basti: Die Tour machen wir natürlich zur “Kompass Zur Sonne“-Platte. Das steht an vorderster Front. Klar spielen wir da fünf oder sechs Songs von der neuen Platte. Zum Glück haben wir ja aber auch unsere Burgentouren, auf denen wir viel mehr alte Songs spielen oder auch Songs, die wir lange nicht gespielt haben. Da haben wir also die Möglichkeit, ein ganz anderes Programm zu spielen oder zumindest andere Klassiker reinzunehmen.

Micha: Aber egal, welche Setlist wir spielen – ein Hit nach dem anderen!

metal.de: Im Juli und September sind aktuell noch die angesprochenen vier Burgen-Shows unter dem Motto “25 wahre Jahre“ geplant. Ist es aus eurer Sicht realistisch, dass diese Konzerte stattfinden werden oder ist bereits eine Verlegung in Planung? [Anmerkung: Das Interview fand wenige Stunden nach Bekanntwerden der Verlegung statt.]

Micha: Wir haben es heute auf unseren Seiten überall bekanntgegeben, dass drei Shows ins nächste Jahr verlegt wurden und es nur eine Show gibt, die aktuell noch stattfindet. Das ist am 19. September auf der Burg Satzvey. Das ist die Hoffnung, die wir noch haben. Wir können hier nichts mit Genauigkeit sagen, denn ess kann auch sein, dass es drei Wochen vorher heißt, dass die Show doch nicht stattfindet. Uns sind die Hände gebunden, wie jedem anderen auch.

Basti: Wir geben die Hoffnung nicht auf.

Micha: Wir wissen ja noch nicht mal, ob die Konzerte im Oktober stattfinden können, immerhin wurde auch das Oktoberfest abgesagt. Es hängt alles in der Luft. Das ist eigentlich richtige Scheiße.

Basti: Wir bleiben optimistisch, aber wir müssen schauen. Gesundheit geht nun mal vor.

metal.de: Drei eurer Alben landeten bislang auf Platz 1 der Albumcharts. Bedeutet euch das nach all den Jahren noch etwas, macht ihr euch vielleicht sogar ein wenig Druck deswegen?

Micha: Es wäre gelogen, wenn wir sagen würden, dass wir nicht darauf gucken. Es ist aber nicht so gezwungen. Es hört sich vielleicht doof an, aber wir sind jetzt zeitgleich mit ANDREA BERG rausgekommen. Was meinst du, wie viel die im Schlagergenre verkaufen. Das ist unglaublich. Auch NICO SANTOS hat jetzt veröffentlicht, den du 30.000 Mal die Woche im Radio hörst. Wir lassen uns echt überraschen. Wir haben treue Fans und mal sehen was passiert. Wenn es eine fünf wird, bin ich beleidigt, aber alles andere ist in Ordnung.

Basti: Das sehe ich auch so. Natürlich gucken wir drauf und es ist eine Wertschätzung unserer Arbeit, wenn es passiert. Aber wie Micha schon meinte, ANDREA BERG ist eine lebende Legende und in NICO SANTOS wird richtig reingepumpt. Wir sind dankbar, wenn es passiert, aber ich empfinde keinen höheren Druck als bei anderen Platten auch.

Micha: Am nächsten Montag habe ich Geburtstag! Das wäre doch mal ein Geburtstagsgeschenk oder?

metal.de: Zum Abschluss eine Klassiker- oder Klischeeinterviewfrage. Welche Interviewfrage wurde in all den Jahren IN EXTREMO noch nie gestellt, die ihr schon immer mal beantworten wolltet?

Basti: Ach du Scheiße!

Micha: Umgekehrt hätte ich sie dir beantworten können, aber so rum nicht! Ah doch! Mich hat noch niemand gefragt, ob wir auf dem Fell schlafen!

metal.de: Na dann – schlaft ihr auf dem Fell?

Basti: Oh die Frage hat aber noch niemand gestellt!

Wir bedanken uns bei Micha und Basti für das herrlich spaßige Interview und wünschen IN EXTREMO viel Erfolg mit der neuen Platte!

13.05.2020
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