Core Fest 2022
Stuttgart lebt endlich wieder

Konzertbericht

Billing: Escape the Void, Elwood Stray, Rising Insane, Defocus, Aviana, The Oklahoma Kid, Unprocessed, Distant, Betraying The Martyrs, Necrotted, Nasty, Paleface und Emil Bulls
Konzert vom 17.09.2022 | Im Wizemann, Stuttgart

Kontrastprogramm im Sinne von eben genau das Gegenteil von Düsternis liefern danach THE OKLAHOMA KID, aber es fühlt sich inzwischen völlig natürlich an, wieder rüber zur Club Stage zu gehen und dem Mann in der kurzen Hose beim Schreien zuzusehen. Solide Shouts, eine Prise Synthesizer und djentige Gitarren-Verrenkungen sorgen dafür, dass man die wenigen Songs mitschunkelt bis -bangt und danach erhitzt und erheitert dringend eine Pause braucht.

Konzertfoto von The Oklahome Kid - Core Fest 2022

The Oklahoma Kid – Core Fest 2022

Galerie mit 9 Bildern: The Oklahoma Kid - Core Fest 2022

Tatsächlich geht es scheinbar Einigen so, denn kaum jemand geht danach wieder nach hinten zu UNPROCESSED, wären diese aber doch genau die Pause, die man zumindest in musikalischer Hinsicht mitnehmen könnte. Denn wild im Sinne von Bewegung ist es da dann tatsächlich nicht, aber umso mitreißender. Wenn man schonmal auf dem Roaster des EUROBLAST stand, sind die Erwartungen in Richtung Prog natürlich hoch. Die Wiesbadener sind soundtechnisch aber mindestens so einzigartig wie ihre Klamottenwahl: Frickelige Prog-Anleihen, jazzige Soundsphären, Core und Post Metallische Verschachtelungen faszinieren die überwiegenden UNPROCESSED-Neulinge und alteingesessene Fans mit dem neuen Album „Gold“ gleichermaßen.

Galerie mit 10 Bildern: Unprocessed - Core Fest 2022

Sie sehen: hyperdissionante Wuchtbrumme upcoming

Danach, ein persönliches Highlight, weil man auf den Sommer-Festivals viel zu oft nicht wirklich da herumrennt, wo man gerne würde: Die niederländisch-slowakische Deathcore-Brumme DISTANT. Und wie soll man es anders beschreiben, als dass hyperdissionante Downtempo-Riffs einem den Kopf zurechtrücken, während man (zugegeben ein wenig dämlich) grinsend in der vordersten Reihe zu stehen versucht und bei den Breakdowns fast mit der Nase auf dem Boden ankommt? „Exofilth“ und „Aeons of Oblivion“ hinterlassen ihre Spuren und spätestens jetzt kommt die Überlegung auf, statt der überfälligen Abendessen-Currywurst doch lieber in einen Kaffee und weiteres Bandmerch zu investieren. Teilweise ziemlich ausgefallenes (!) Bandmerch übrigens – wer jetzt weiß von was die Rede ist, bekommt ein Fleiß-Sternchen umsonst. Aber noch ist der Abend ja noch jung!

Galerie mit 15 Bildern: Distant - Core Fest 2022

Der nächste Stage-Wechsel führt und zu BETRAYING THE MARTYRS. Zugegeben: Einem Wechsel am Mikro steht man als Bewunderer einer Band sicherlich weitaus skeptischer gegenüber, als wenn man sich in der bisherigen Diskographie und bei den Live-Auftritten nicht so auskennt. Dass Aaron Matts im April 2021 BETRAYING THE MARTYRS verlassen hat, hat sicherlich einigen Fans das Herz gebrochen und bis zu den sehnlichst erwarteten News eines neuen Unclean-Sängers dauerte es ganze sechs Monate. Aber die Info kam und damit nicht nur Show-Daten für 2022, sondern auch gleich Ausblick auf ein anstehendes Album. Und was BETRAYING THE MARTYRS an diesem Samstag im Wizemann – ohne Victor Guillet, bei Rui Martins dafür aber der erste Besuch in Deutschland – abliefern, lässt keine Fragen offen: Sie sind noch da, sie agieren als Band harmonisch, haben viel Spaß am 40-minütigen Set und Klassiker wie „Lost For Words“ und auch der Neuling „Black Hole“ zünden gleichermaßen. Berührungsängste hat Martins selbst – genauso wie das Publikum – keine; er springt in die Menge und filmt sich dabei singend mit fremden Handys selbst. Man hat das Gefühl BETRAYING THE MARTYRS sind vielmehr gewachsen und man kann auf November gespannt sein.

Konzertfoto von Betraying The Martyrs - Core Fest 2022

Betraying The Martyrs – Core Fest 2022

Galerie mit 10 Bildern: Betraying The Martyrs - Core Fest 2022

Und dann tun sich ganze Nebelfelder im Club auf und die fünf mit feinstem bis keinem Schuhwerk ausgestatten Abtsgmünder von NECROTTED schreiten zur Tat. Ganze neun Songs Querschnitt durch ihr Schaffenswerk geben unsere „prosecco princesses“ (ja, diesen Ausdruck hat man vor Ort tatsächlich aufgeschnappt) zum Besten, mit dabei sind „Compulsory Consumption“, „No War But Class War“ und bevor „Cynic Suicide“ auch die letzten Reihen durchgeschwitzt stehen lässt, ertönen die neuen Klänge von „Sow Sorrow For Victory“. NECROTTED liefern jedes Mal ab. Das ist Gesetz.

Konzertfotos von Necrotted - Core Fest 2022

Necrotted – Core Fest 2022

Galerie mit 13 Bildern: Necrotted - Core Fest 2022

Wenn wir schon bei „Zerstörung“ sind: NASTY!

Mindestens genau so nervös wie die Fotografen im Fotograben sind vor NASTY übrigens auch die Securities. Wir wissen alle, was auf uns zukommt und spätestens nach 30 Sekunden ist den Securities auch nicht mehr so ganz klar, ob die Bedrohung jetzt nun eigentlich vom Publikum, oder aber von der Bühne selbst kommt. NASTY mussten im Vorfeld viele ihrer Tour-Auftritte wegen zu niedrigen Vorverkaufszahlen absagen und als Besucher bangt man, trotz der mehrfachen Versicherung des Veranstalters, bis zur letzten Minute, ob die Belgier überhaupt auftreten. Aber sie halten Wort, wenn auch der Raum nach wie vor wesentlich voller sein könnte. Wo sind die ganzen Leute nur?! Aber die Show sitzt. Der Mann am Mikro Matthias „Matthi“ Tarnath und Basser Berislaw „Berry“ Audenaerd stehen zeitweise auf den Schultern und spielen von dort, aber das ist nur von kurzer Dauer. Denn ob man’s glaubt oder nicht NASTY wollen an diesem Tag vielleicht gar nicht so nasty sein. Aber was man auf der Bühne sieht, bringt einen zum Schmunzeln: Die vier (/zeitweise fünf, durch Verstärkung am Mikro) haben dermaßen Spaß am Spielen, vielleicht auch am Miteinander, dass es anzustecken vermag. Nur halt irgendwie nicht so arg, wie man es in Erinnerung hatte.

Konzertfoto von Nasty - Core Fest 2022

Nasty – Core Fest 2022

Galerie mit 12 Bildern: Nasty - Core Fest 2022

Das macht aber gar nichts, denn wenn an dem Abend jemand die Bezeichnung „nasty“ redlich verdient hat, dann PALEFACE. Okay, zugegeben: Wer eine Band mit dem alleinigen Ziel, die härteste Band der Welt zu werden gründet, der muss natürlich einen Zahn zulegen. Aber man kommt wieder zur kleinen Club Stage, sieht dass sämliche Gerätschaften von der Bühne geräumt wurden und dann wird einem da vorn in dem kleinen Fotograben schon ein bisschen mulmig. 40 Minuten Dauer-Geprügel, „Fear & Dagger“, bevor die Schweizer einen regelrechten Pfad der Zerstörung beim Im Wizemann hinterlassen, wilde Songs mit doch sehr ernstem Inhalt. „The Orphan“, welcher beispielsweise davon handelt von den inneren Dämonen bis zum Point of no Re·turn gejagt zu werden. Man begegnet Menschen ohne und mit nassen Shirts und der Finger von dem einen Typ, der einen beim Rausgehen anrempelt, zeigt in eine unnatürlich wirkende Richtung.

Galerie mit 9 Bildern: Paleface - Core Fest 2022

Und last but not least und endlich ein Ende des (sehr anstrengenden) Tages: EMIL BULLS

Nun quälen wir uns ein letztes Mal nach hinten zur Main Stage und stehen vor einem großen EMIL BULLS-Banner, welchen die Bühne versperrt. Und als der Vorhang fällt erwarten uns vier gut gelaunte Münchner rund um Christoph „Christ“ von Freydor, die mit „The Ninth Wave“ ihre einstündige Show starten. Es wird wesentlich heller im Raum und vielleicht liegt’s auch ein Stück weit an „Euphoria“ und dem stark duftenden Nebel (jetzt mal ehrlich, der Vergleich zu einem LUSH-Aufenthalt liegt nahe!), dass bis in die hintersten Ecken nochmal alle Anwesenden Ihre Kräfte mobilisieren, um mit EMIL BULLS die letzten Minuten des Core Fest 2022 zu feiern. Zwar gibt es keine fulminanten Outfit-Wechsel, wie vor zwei Jahren, aber die Setlist ist abwechslungsreich und prall gefüllt: „Smells Like Rock ’n‘ Roll“, „Hearteater“, „Here Comes the Fire“, „The Jaws of Oblivion“ und beendet wird die Show und der Tag mit „Worlds Apart“. Die Stunde ist einerseits viel zu schnell vorbei, andererseits kann man das Ende und das hauseigene Sofa kaum erwarten, aber man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die EMIL BULLS ihre Fans und die letzten Anwesenden, die es nochmal bis nach hinten geschafft haben, mit breitem Lächeln im Gesicht – und zu dieser späten Stunde auch mit einigen Rückenschmerzen – zurücklassen.

Konzertfoto von Emil Bulls - Core Fest 2022

Emil Bulls – Core Fest 2022

Galerie mit 10 Bildern: Emil Bulls - Core Fest 2022

Zuletzt ein Absacker vor dem Heimweg ein Plausch mit dem Veranstalter und ein Blick in die WhatsApp-Nachrichten, und alle sind sich einig: Das Grundrauschen hat zugenommen, bestätigt aber auch die Befürchtungen für die anstehenden Monate. Die Fotografen und Team-Kollegen sind gefühlt alle unterwegs, es gibt viel Input für die Instagram-Stories und unsere Live-Berichte, aber ein fader Beigeschmack bleibt dabei. Und die Angst vor dem, was da auf uns alle zukommt. Live is back, aber es könnte überall wesentlich mehr los sein, nicht nur hier. Die Vorverkaufszahlen lassen zu wünschen übrig und viele Bands müssen anstehende Touren absagen, während man selbst nicht mal so genau weiß, ob’s nach der nächsten Stromrechnung überhaupt noch für ’ne Packung Spaghetti reicht. Und das ist schade, auf so vielen Ebenen. Denn mit dem Core Fest 2022 ist Stuttgart wieder etwas lebendiger geworden, ein neuer Wind und man fühlt: Ganz viel Leidenschaft und Herzblut. Die Frage ist nur, ob der gute Wille reicht, um ein derart vollgepacktes Festival aufrecht zu erhalten.

Ich an meiner Stelle hoffe das.

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29.09.2022

The world is indeed comic, but the joke is on mankind.

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Elwood Stray, Rising Insane, Aviana, The Oklahoma Kid, Unprocessed, Distant, Necrotted, Nasty, Paleface und Emil Bulls auf Tour

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