Kraan - Live

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Wir heißen KRAAN und fangen jetzt aaan.

Mit diesen Worten, mit denen sich eine damals noch junge, deutsche Jazz-Rock-Band ihrem Publikum vorstellt, beginnt eines der besten Live-Alben der Rock-Geschichte. Oh ja: Wir haben diese Woche einen Live-Klassiker zum Gegenstand unserer Klassiker-Rubrik, nämlich das schlicht „Live“ betitelte – äh – Live-Album von KRAAN, das im Oktober 1974 in Berlin im Quarter Latin aufgenommen worden ist. Die Band war ein vergleichsweise früher Vertreter dessen, was man damals noch eher scherzhaft als Krautrock titulierte, heute schon etwas respektvoller als solchen bezeichnet. Doch zumeist werden die Herren Peter Wolbrandt, Hellmut Hattler und Co. bevorzugt unter Jazz Rock geführt.

KRAAN live ist ein Manifest aus Grooves, Spontanität und Spielfreude

Das passt hier eigentlich auch am besten, wobei die Fusion aus den beiden Komponenten allererste Sahne ist und gerade live dank der ausgesprochenen Spielfreude aller Beteiligten zur Geltung kommt. Das ist auch einer der Grundpfeiler dessen, was sich an Stilmerkmalen für den Krautrock herauskristallisiert hatte: Ein Hang zum Improvisatorischen, der auf diesem Live-Album ausgekostet wird. Dabei stehen die Grundideen – Songs, die größtenteils auf den vorangegangenen Studio-Veröffentichungen „Kraan“ und „Andy Nogger“ („Wintrup“ ist hier eher unterrepräsentiert) erschienen sind – fest und werden als Rahmen für die Improvisationen und Solos der Musiker genutzt.

Das ganze verbindet sich mit einem unwahrscheinlich geschmeidigen Groove, dem Jan Fride am Schlagzeug stets ein lockeres, elegant sitzendes Korsett anlegt. Der zweite, integrale Bestandteil der rhythmischen Faszination von KRAAN im Allgemeinen und „Live“ im Besonderen bildet Hellmut Hattlers markantes, geschäftiges und teils sehr perkussives Spiel auf dem Bass. Peter Wolbrandts Gitarre schmiegt sich stets elegant an, tänzelt mal leichtfüßig drum herum oder wirkt als zusätzliches Getriebe für die Rhythmik. Das letzte Glied im Bunde ist Altsaxofonist Johannes Pappert, der sein Instrument mal gespenstisch jaulen, mal aufgeweckt jauchzen lässt.

Geht ins Blut, geht ins Gebein, geht ins Ohr

„Live“ ist eines dieser Alben, die einfach fließen. Und es ist eines dieser Alben, die man einfach erleben und fühlen muss. Man lässt als Hörer diese Songs, die dank des stilsicheren Einsatzes von Halleffekten auch gerne mal richtig atmosphärisch werden, ins Blut gehen und wippt, nickt oder – Gott/Satan bewahre – tanzt einfach mit. Die berüchtigten Vokalimprovisationen in „Nam Nam“, in dem das Publikum regelrecht herausgefordert wird, sind da eine schräge Erfrischung zwischendurch, die jedoch den Groove des Songs nicht abdämpfen. Das sind beileibe nicht die einzigen Vocals, die hier zu hören sind, wobei Gesang, zumeist dargeboten von Gitarrist Wolbrandt, generell eher eine untergeordnete Rolle spielt im Sound der Band.

In „Jerk Of Life“ und „Hallo Ja Ja, I Don’t Know“ beispielsweise tauchen Gesangslinien auf, die mehr als Gesangsmotive zur rhythmischen oder melodischen Ergänzung des Sounds zu dienen scheinen. Etwas zentraler ist die Rolle, die dem Gesang in „Andy Nogger“ zugeschrieben wird, das einem traditionellen Song wohl noch am nächsten käme, wenn der Track nicht nahtlos in das wiederum deutlich verspieltere „Andy Nogger – Gutter King“ übergehen würde. Der Fokus liegt über den Großteil der Spielzeit jedoch eindedutig auf der instrumentalen Darbietung, die Jazz Rock mit jeder Menge Funk unterfüttert und – speziell bei „Kraan Arabia“ – auch mal mit orientalischen Melodien spielt.

Diese „Live“-Platte sollte in keiner Sammlung fehlen

Zwischen treibenderen Rhythmen wie in „Sarah’s Ritt durch den Schwarzwald“, das wirklich gnadenlos in die Beine fährt, eleganteren, mehr auf romantisierte Melodien forkussierte Songs wie „Holiday am Marterhorn Including Gipfelsturm“ (nur echt mit gerolltem R) und beinahe bluesigen, fast schon erotisch anmutenden Cuts wie „Lonesome Liftboy“ bietet das Album im Grunde die essentielle Einführung in das Werk der in Ulm gegründeten Band. Wie oben erwähnt sind KRAAN zwar nicht explizit als Krautrock geführt, haben durch ihren Stil aber an dessen Entwicklung mitgewirkt. Wer in das Genre hineinfinden möchte, kommt also an „Live“ nicht vorbei.

30.09.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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7 Kommentare zu Kraan - Live

  1. der holgi sagt:

    sensationelle Musiker

    10/10
  2. doktor von pain sagt:

    Ich gehe stramm auf die 40 zu und muss daher dann und wann schon sagen: „Ich bin zu alt für so was.“ Aber in diesem Fall sage ich: „Ich bin zu jung für so was.“ Von der Band habe ich noch nie gehört, für „ältere Semester“ (so etwas sagen auch nur alte Menschen) sind die bestimmt voll der Kult.

  3. nili68 sagt:

    Gute Musiker gibt’s doch wie Sand am Meer, in allen Sparten, schon seit der ersten Felltrommel. Deshalb muss einem das ja noch nicht gefallen, egal wie alt man ist. Auch 1865, als die aktiv waren, fand die bestimmt nicht jeder geil und das waren auch nicht nur welche, die keine Ahnung von Musik hatten..

  4. Stormy sagt:

    Von Nili kann man es erwarten, aber vom Doktor einen solchen Offenbarungseid?
    Peinlich sage ich da nur.

    Album und Band glatte 10, natürlich.

    Was da noch so an Kommentaren zu erwarten ist fasse ich schon mal, vorab zusammen:
    „Kommerz!“ „Band die ihre Ideale verraten hat!“ „Was hat das auf Metal.de zu suchen?“ „Viel zu glatt produziert.“ etc. usw.

    10/10
  5. doktor von pain sagt:

    Das ist mir ganz sicher nicht peinlich, sonst hätte ich es wohl kaum gepostet. Habe mal in den verlinkten Track reingehört, ist absolut nicht meine Musik. Also kein Wunder, dass ich die Band nicht kannte. Mehr davon hören muss ich auch nicht.

  6. nili68 sagt:

    Mir ist (im Internet) sowieso nichts peinlich. Ihr seid doch eh alles Bots.