Plebeian Grandstand - Rien Ne Suffit

Review

Soundcheck November 2021# 30

„Hier sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa“, möchte man diesem Album hier bemüht um aufheiternden Humor ob des Gehörten attestieren. Das vierte Werk der französischen Black-Metal-Band PLEBEIAN GRANDSTAND fordert die untergründige Wertung in unserem Soundcheck mit seinem chaotischen, wie zerstückelt und wieder zusammengesetzt wirkenden Sound förmlich heraus (und hat diese auch eingeheimst). Was hört man denn hier auf „Rien Ne Suffit“ („Nichts ist genug“) überhaupt? Vielleicht beschreibt es eine Mischung aus Noise, Industrial und Mathcore auf einer Black-Metal-Basis am ehesten, wobei sich die Herren aus Toulouse genretechnisch ohnehin nie wirklich festgelegt haben. Wenn man als Außenstehender eines aber sicher feststellen kann, dann, dass PLEBEIAN GRANDSTAND extrem klingen.

PLEBEIAN GRANDSTAND verkörpern das Extreme

Und das tun sie in mehr als nur einer Art und Weise. Zunächst einmal ist der Grad an roher Aggression, die diesem Hassbatzen innewohnt, zumeist enorm hoch. Das kommt einerseits durch die straffen Blastbeats zum Tragen, die wie das im Black Metal so oft und gerne zitierte Maschinengewehrfeuer knallhart über den Hörer herein prasseln. Auf der anderen Seite ist dieses Album durch seine Dissonanzen und scheinbar sporadischen Breaks und Rhythmuswechsel derart impulsiv und unberechenbar geraten, dass man meint, mit einem geistesgestörten Massenmörder in einer Zelle festzusitzen. Diese absolute Unnahbarkeit, dieses Chaos, diese scheinbar psychopathische Aggression lässt „Rien Ne Suffit“ absolut verstörend klingen.

Extrem sind die Franzosen aber auch in ihrer Kompromisslosigkeit. Es gibt praktisch keine traditionellen Songs auf „Rien Ne Suffit“ zu hören – und damit auch nichts, was man als klassische „Hook“ bezeichnen könnte. Vereinzelt hallt mal etwas, was man mit viel Phantasie als Klargesang bezeichnen kann, durch die Stücke, aber ansonsten sucht man hier vergeblich nach Refrains oder irgendeiner Form von zyklischen Strukturen. Melodien sind absolute Mangelware und wenn sie prominent auftreten wie in „Espoir Nuit Naufrage“, sind sie dissonant verzerrt. Selbst die Synths dienen nicht der Stimmungsmache nach nordischer Art, sondern mixen in diesem Chaos mit, mal auf unruhig pulsierende Weise, mal markerschütternd dazwischen kreischend. Und obendrauf keift, röchelt und zischt Adrien Broués Stimme wie ein Dämon durch die Songs, teilweise stark kontrapunktisch zum instrumentalen Geschehen wie in „Tropisme“.

Der Inbegriff von Sperrigkeit?

Man fragt sich praktisch durchweg, wie man so ein Album bloß schreibt. Was für ein extremer Misanthrop muss man sein, um so etwas abgrundtief Hässliches auf die Welt loszulassen? Es gibt praktisch kaum einen Blickwinkel, aus dem man sich als Hörer diesem Album wirklich sonderlich verlässlich annähern kann. „The only way to do it, is to fucking do it“. Und so kämpft man sich ein ums andere Mal, Durchlauf für Durchlauf, durch diesen Klumpen. Es wäre klischeehaft und schlichtweg falsch, zu sagen, dass sich diese Album nach und nach erschließt, denn das scheint bei diesem Album absolut unmöglich. Praktisch jedes Element wurde von PLEBEIAN GRANDSTAND derart verdreht und verzerrt, sodass „Rien Ne Suffit“ der Inbegriff von Sperrigkeit geworden zu sein scheint.

Wiederholt ist unsereins versucht gewesen, das hier als klassischen Fall von „Ist das Kunst oder kann das weg?“ abzutun, wiederholt versuchte ich, das Ding hier als prätentiös abzuschreiben und zu den Akten zu legen, meine vermeintliche Abneigung nach außen tragend und in meiner unendlichen Hybris sogar vor Kollegen proklamierend. Aber irgendetwas zog mich immer wieder hinab in diesen Strudel namens „Rien Ne Suffit“. Vielleicht ist es mehr ein Fall von „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“? Dieses Gefühl, weniger einem Album und mehr einem Wesenszustand zu lauschen, der einem gerade in düsteren Zeiten nur allzu vertraut scheint …

Nichts für schwache Nerven – oder für Liebhaber euphonischer Musik

Solche Deutungsversuche sind natürlich rein subjektiv und so dürften viele das hier Gebotene als prätentiösen, wahllosen Lärm abtun, was für Freunde zugänglicher Kost absolut legitim ist. Aber gerade dann, wann immer PLEBEIAN GRANDSTAND mit ihrem Sound diese extremen Dissonanzen in Verbindung mit dieser bestialischen Abrasivität heraufbeschwören, suggerieren sie dieses eindringliche Gefühl von Kontrollverlust, ja, geradezu Schizophrenie. Damit kommen die Franzosen sehr nah dran an die Klasse, mit der DAUGHTERS den Noise als derartige Kunstform eingesetzt haben, wobei die dann doch ein paar mehr Hooks, dafür aber auch weit weniger Aggressivität an den Tag gelegt haben.

Fest steht, dass PLEBEIAN GRANDSTAND wirklich nichts für schwache Nerven sind. Wenn überhaupt ein Anspieltipp, dann der Rausschmeißer „Aube“, der Doom- bzw. Sludge-artige Charakteristika innehat und vor allem im letzten Teil noch am ehesten über so etwas wie eingängige Melodien verfügt, auch wenn diese charakteristisch verstört klingen. Aber es ist wahrhaftig kein Spotify-Album, das sich für stichprobenartige Hörversuche eignet, zumal sich „Aube“ nur bedingt repräsentativ für den Rest des Albums erweist (wobei damit nicht gesagt sein soll, dass es die Platte nicht passend beschließt). Wahrhaftig: Dieses Album spricht vermutlich nur jene an, die Gefallen an musikalisch arrangiertem Chaos und klanglicher Hässlichkeit haben. Aber für diejenigen unter euch, auf die das zutrifft, liegt hier ein großes, bemerkenswertes Album vor, das unaussprechliche Dinge mit eurer Vorstellungskraft anzustellen imstande ist …

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18.11.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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4 Kommentare zu Plebeian Grandstand - Rien Ne Suffit

  1. Interkom sagt:

    Wer mal wieder das Gefühl hat, in letzter Zeit zuviel Musik gehört zu haben, sollte sich vertrauensvoll an diesem Batzen abarbeiten. Als alter Brutal Truth Fan ist es eine reine Freude. Der black Metal Verweis passt mir allerdings nicht so gut, bestenfalls Mayhems Ordo ad Chao. Der Background ist Grindcore oder besser: mehr core denn metal

    9/10
  2. nili68 sagt:

    Egal, wie man das nennt, mit welchen Bands man das vergleichen will (mir kommen PORTAL in den Sinn, aber ich will deswegen nicht streiten), das ist echt ziemlich gut und originell. Einzigartig gibt’s ja eh nicht. 😉 Wirklich sehr empfehlenswert, wenn man experimentelleren Klängen nicht abgeneigt ist und sich länger mit einem Album beschäftigen möchte. Top!

    9/10
  3. Dor Leo sagt:

    Was’n fieser Brocken, ist mir dann doch zu heftiges Zeug. Bin ja schrägen Sachen sehr aufgeschlossen hier fehlt mir aber der musikalische Ansatz. Um ein beklemmendes Gefühl zu erzeugen machen die Franzosen allerdings alles richtig inkl. Cover. Mir fällt eben aber auch kein Grund ein warum ich mich dem gut 50min ausliefern solllte.

  4. Watutinki sagt:

    Saugeiles Teil, das man am besten zugedröhnt genießt, aber auch ohne halluzinogene Substanzen, die von langweiliger, standardisierte Massenware defragmentierten Hirnareale, wieder standesgemäß entrüpelt und den Geist befreit. P. G. zelebrieren ihr wohl arrangiertes Chaos auf allerhöchstem technischen Niveau und in völliger Hingabe für ihre Passion. Für mich jetzt schon eines der Top 5 Alben 2021.

    9/10