Vitriol - Suffer & Become

Review

Soundcheck Januar 2024# 11

Rette sich wer kann, VITRIOL wurden wieder von der Leine gelassen. Mit vollkommen enthemmt wirkendem doch gleichsam technisch versiertem Geknüppel sorgte die Band aus Portland, Oregon schon auf ihrer EP „Pain Will Define Their Death“ (2017) und dem 2019er Debütalbum „To Bathe from the Throat of Cowardice“ für offene Münder und gespaltene Schädel. Abseits der 2021er EP „Antichrist“ war es seither ruhig um die Band, nun meldet sich das amerikanische Zerstörungskommando aber mit seinem zweiten Gewaltakt „Suffer & Become“ zurück.

VITRIOL denken den Bandsound weiter

Dabei hat es in der Zwischenzeit ein paar Veränderungen im Hause VITRIOL gegeben. Matt Kilner (GORGASM) ersetzt Scott Walker an den Drums und mit Stephen Ellis hatte man sich bereits 2021 einen zweiten Gitarristen an Bord geholt, der nach den Aufnahmen zu „Suffer & Become“ aber scheinbar durch David Martinez (Ex-ATHEIST) abgelöst wurde. Entsprechend hat es auch beim Sound von VITRIOL ein paar Feinjustierungen gegeben.

Mit „Shame and its Afterbirth“ lassen VITRIOL es zunächst etwas ruhiger angehen als seinerzeit mit dem vertonten Wutanfall „The Parting of a Neck“. Meint man! Ist das da etwa eine Melodie? Schon, aber eine wie aus einem Horrorfilm und nach einer knappen Minute unheimlich verzerrten Geklimpers schlagen VITRIOL schließlich doch mit wahnwitzigen Riffsalven, atemberaubenden Blasts und dem abartigen Gebrüll der Herren Rasmussen und Roethlisberger eine Schneise der Verwüstung. Der Teufel steckt jedoch im Detail, denn im Hintergrund ergänzt dezenter Keyboardeinsatz diesen Höllenritt um eine schaurige sinfonische Note und im letzten Drittel soliert sich Kyle Rasmussen wieselflink die Seele aus dem Leib. Es sind diese Feinheiten, die exemplarisch für den weiteren Verlauf von „Suffer & Become“ stehen und untermauern, warum die Amis mehr als einfach nur eine tollwütige Krachcombo sind.

Immer wieder setzen VITRIOL nämlich auf kurze atmosphärische Zwischentöne, welche die Durchschlagskraft von Gewaltorgien wie „The Flowers of Sadism“, „Nursing from the Mother Wound“ oder „Weaponized Loss“ umso wirksamer machen. Grade der hintergründige Einsatz von Keyboards und unwirklichen Samples lässt bisweilen jene Parallelen zu ANAAL NATHRAKH erkennen, die der Kollege schon in seiner Rezension zum Debüt angemerkt hat, die hier aber noch deutlicher zu Tage treten. Doch auch die letzte ULCERATE geistert bei der Kombination aus Technik, Aggression und albtraumhaften Soundscapes im Hinterkopf herum. Wer sich zudem gefragt hat, ob VITRIOL wohl auch im gedrosselten Tempo funktionieren, erhält mit dem eingangs mächtig walzenden „The Isolating Lie of Learning Another“ die Antwort. Zwar ziehen VITRIOL die angezogene Handbremse nicht über die volle Distanz durch, der Ansatz ist aber da.

Vollkommen unerwartet kommt allerdings zur Albummitte das Instrumental „Survival’s Careening Inertia“. Verträumte Melodien, schwindelerregendes progressives Shredding und breite Keyboardteppiche machen das Stück trotz zwischenzeitlicher Aggressionsschübe zur wohl ungewöhnlichsten Nummer des Albums. Doch keine Sorge, nach diesem überraschenden Zwischenspiel gibt es wieder gewaltig aufs Fressbrett. Spätestens beim völlig ungezügelten Komplettabriss „Locked in Thine Frothing Wisdom“ strecken VITRIOL jedem Anflug von Schöngeist und Zerbrechlichkeit den ausgestreckten Mittelfinger entgegen und arrangieren einem die Anatomie mit der Brechstange neu.

Technische Präzision trifft ungehemmte Gewalt

Auf „Suffer & Become“ erleben wir also eine sinnvolle Weiterentwicklung des Bandsounds von VITRIOL. Die ungezügelte Naturgewalt des Debüts opfern die Amerikaner zwar bisweilen einer etwas strukturierteren Herangehensweise; doch obwohl das Chaos kontrollierter wirkt, ist man von feinsinniger Filigranarbeit oder einladender Zugänglichkeit doch weit entfernt. Grade die gezielt eingesetzten Kontraste sorgen dafür, dass die exzessive Brutalität umso intensiver einschlägt. Außerdem schaffen es die Musiker, allen voran Kyle Rasmussen, erneut an ihren Instrumenten zu brillieren, ohne dass das Ganze dabei in Angeberei ausartet. Technische Virtuosität steht hier stets im Dienst des Songs und ordnet sich dem manischen Geballer unter.

Für zart Besaitete sind VITRIOL natürlich weiterhin nix, auf derartig zähnefletschendes und bisweilen verstörendes Geprügel muss man schon Bock haben, sonst wird es anstrengend. Lässt man sich aber darauf ein, wird man mit einer ordentlich durchgepusteten Frisur, gut durchgewühlten Innereien und einer gefährlich locker hängenden Kinnlade belohnt. Das Death-Metal-Jahr 2024 fängt jedenfalls gut an.

19.01.2024

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4 Kommentare zu Vitriol - Suffer & Become

  1. Lysolium 68 sagt:

    Super Tech Death Wall of Sound Gebrate. Mir persönlich fehlt ganz leicht der Wahnsinn den ich bei Anaal und Cattle doch sehr schätze. Nichts desto trotz ein klasse Album um den Krachmaten in mir zu triggern.

    8/10
  2. ClutchNixon sagt:

    Portland und dessen umtriebige, sehr virale Szenen stehen von jeher für das Besondere, etwas Abseitige, ja mitunter kauzige diverser Genres und somit ist es wenig verwunderlich, dass Vitriol diesbezüglich, und Gott sei Dank, keine Ausnahme sind. Witzig in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass ich beim ersten Hören an frankokanadisches Extrem-Drumming denken musste, ohne zu wissen, wer inzwischen für Vitriol trommelt. Geiles Album!

    9/10
  3. destrukt. sagt:

    Raserei und Wut werden endlich in exzellente Songs mit Wiedererkennungswert umgemünzt, Matt Kilner bringt endlich die notwendige Stringenz am Kit mit und legt diese nervtötenden Tempowechsel alle 3 Sekunden ad acta, Rasmussens Gitarrenarbeit bleibt weiterhin spitze, tolles Gefühl für Soli und wie die in den entsprechenden Momenten zu sein haben, abgerundet durch ein fantastisches Cover.
    Mit etwas Verspätung werden Vitriol ihren Vorschusslorbeeren gerecht, der Vorgänger war nichts, das hier ist grandios.

    9/10
  4. TrVeManSchoh sagt:

    Technisch herausragende Musiker. Musste aber leider nach wenigen Minuten abbrechen. „Brick-walled“ bis zum geht nicht mehr. Die Gitarren sind komplett unter der Klicka-Klacka-Bass Drum begraben, die viel zu viel Raum einnimmt. Ziemlich schade.