Moonsorrow
Das Zeitalter der Götter - Interview mit Ville Sorvali zu "Jumalten Aika"

Interview

„So gut wie auf „Jumalten Aika“ waren MOONSORROW schon lange nicht mehr“, schreibt Kollege Møller in seiner Rezension zum mittlerweile siebten Album der Finnen, und recht hat er. Keine Frage, dass wir die Band zum Interview treffen mussten – also jetteten wir hinüber ins Century Media-Hauptquartier im Dortmunder Hafen, um mit Frontmann Ville Sorvali eine Fragerunde einzuläuten. Und der erzählt uns finnisch zurückhaltend, aber gut gelaunt und pointiert vom finnischen Humor, dem Rock’n’Roll-Lifestyle und Gothic-Rock-Einflüssen im MOONSORROW-Sound. Am Anfang steht aber die unvermeidliche Frage nach der mit fünf Jahren doch recht langen Pause seit dem letzten Album „Varjoina kuljemme kuolleiden maassa“ (2011).

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Wir haben nach dem letzten Album eine kleine Pause eingelegt, haben dann ja nach einem neuen Plattenlabel Ausschau gehalten, und als wir bei Century Media unterschrieben haben, waren wir gerade dabei, an neuen Songs zu schreiben. Wir haben dann unserem Booker gesagt, dass wir eine Pause vom Touren brauchen, um uns auf das neue Album zu konzentrieren. Nach einem Jahr haben wir aber gemerkt, dass das neue Material nicht unserem Standard entspricht und wir nochmal von vorne anfangen müssen.

Ihr habt die bis dahin entstandenen Songs komplett über Bord geworfen?

Genau, wir haben nochmal komplett neu angefangen. So gesehen haben wir ein Jahr Tourpause für nichts eingelegt. Wir brauchten aber diese Pause, um die richtige Richtung zu finden. 2014 hat es dann geklickt. Um das neue Album zu schreiben, hat es nochmal anderthalb Jahre gedauert.

Bist du deshalb besonders stolz auf das Album?

Ja, stolz, aber auch erleichtert. Wir hatten das Studio gebucht, und zu diesem Zeitpunkt hatten wir alles fertig. Druck ist die beste Motivation, um fertig zu werden.

Ihr seid ja dafür bekannt, über das Bandschema hinaus den Songs noch viele Extraspuren hinzuzufügen, wie beispielsweise Chöre oder Keyboards. Ist das etwas, das Ihr im Studio addiert oder schon beim Songwriting berücksichtigt?

Wenn wir die Songs schreiben, fügen wir üblicherweise alles hinzu, was uns in den Sinn kommt und was zu den Songs passen könnte. Das kann natürlich auch noch im Studio passieren. Unsere Philosophie ist es, dass wir im Studio erst einmal zu viel aufnehmen. Danach können wir immer noch entscheiden, welche Soundschichten die wirklich wichtigen sind. Der Mixingvorgang ist so gesehen ein Löschvorgang.

Die Songs verändern sich also während des Schaffensprozesses stark?

Ja. Mitja hatte mich neulich noch daran erinnert, dass sich der wirklich sanfte Intropart von „Mimisbrunn“ anfangs wie Gothic Rock anhörte. (lacht) Die Melodie ist geblieben, aber ansonsten ist aus diesem Part etwas komplett anderes geworden.

Wovon handeln die Texte auf „Jumalten Aika“?

Wir hatten die Idee, uns diesmal auf Mythen und Schöpfungsmythen zu konzentrieren. Wir wollten aber keine Geschichten nacherzählen, sondern unsere eigene Version davon wiedergeben, wie sie damals gemeint gewesen sind. Vor allem der erste („Jumalten aika“) und der letzte Song („Ihmisen aika“) sind miteinander verbunden, wie man leicht erraten kann: Vom Zeitalter der Götter zum Zeitalter des Menschen. Das Zeitalter der Götter beginnt, als Menschen diese Glaubenssysteme erschaffen haben, um die Welt zu verstehen. Sie haben also diese Götter erschaffen, die wiederum laut ihren Schriften die Menschen erschaffen haben. Im letzten Song geht es darum, dass der Mensch die Götter nicht mehr benötigt. Der Mensch glaubt eher an Geld, was ja so passiert ist.

Für viele Menschen existieren die Götter nach wie vor.

Das ist richtig. Ich selbst glaube in dieser Hinsicht an keine Götter. Dafür denke ich viel zu naturwissenschaftlich. Was erzeugt den Donner? – Gewiss nicht der Donnergott, der irgendwo da oben reitet.

Interessant sind diese Glaubensfragen natürlich trotzdem, da viele Details nicht mehr bekannt sind. „Mimisbrunn“ beispielsweise ist ja der Edda entlehnt, dem Glaubensgerüst aus der Wikingerzeit, das nicht in allen Teilen überliefert ist (und sehr viel später erst in christlicher Zeit niedergeschrieben wurde).

Ja, das ist in der Tat der interessante Teil davon. „Mimisbrunn“ ist auch eine sehr schöne Metapher für viele Dinge, beispielsweise als Quelle der Weisheit. Odin bringt der Quelle ein Opfer dar, um Weisheit zu erlangen – das ist äußerst faszinierend. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen heute gar nicht mehr daran interessiert sind, Weisheit zu erlangen – und wenn sie es doch tun, machen sie es aus falschen Gründen. Sie verwenden die ganzen naturwissenschaftlichen Durchbrüche und erschaffen daraus die Atombombe. Das ist ein sehr schönes Beispiel für den Missbrauch von Weisheit.

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Und der richtige Gebrauch dieses Wissens wäre dann welcher?

Wenn dieses Wissen dem Leben dient – medizinischer Fortschritt beispielsweise, Erfindungen, die dem Naturschutz dienen. Wir haben eine große Verantwortung, denn wir sind mittlerweile in der Lage, alles zu tun, was wir wollen. Und wir sollten diese Macht nicht verwenden, um unsere Umwelt und damit unsere Lebensgrundlage zu zerstören.

Nochmal zurück zum Album: Neben Gothic Rock, was habt Ihr Neues ausprobiert?

Wir probieren ständig neue Sachen aus, und selbst wenn es Gothic Rock ist – wenn es zum MOONSORROW-Sound passt, können wir es verwenden. Wir wissen aber immer recht schnell, wenn etwas nicht passt. Wir haben gleich ein paar Elemente, die wir auf den Alben zuvor so noch nicht verwendet hatten, beispielsweise diesen rituellen Schamanengesang im zweiten Song („Ruttolehto incl. Päivättömän päivän kansa“), wenn der Schamane den Gesang des Chors anstimmt und der Chor antwortet.

Kannst Du den Songtitel bitte einmal aussprechen?

(lacht) „Päivättömän päivän kansa“ – ja, ich weiß, das ist für Nicht-Finnen unaussprechlich.

Das ist aber nicht der Grund, warum bei MOONSORROW alle Texte auf Finnisch verfasst sind.

Nein, Finnisch ist ein sehr wichtiger Teil der Band. Für mich ist das eine sehr naheliegende Wahl, da ich mich in diesem poetischen Finnisch einfach am besten ausdrücken kann. Aber manche Wörter verstehen nicht einmal alle Finnen. Aber klar, wenn die Texte fertig sind, ist es manchmal lustig zu sehen, wie die Leute mit den Songtiteln ihre Probleme bekommen. (lacht)

Vor zehn Jahren habt Ihr unter dem Bandnamen LAKUPAAVI dieses ominöse Album „Raah Raah Blääh“ veröffentlicht, jedenfalls wird das in den Metal Archives behauptet. Ich habe es noch nicht gehört und kenne auch niemanden, der es je gehört hätte – existiert das Album wirklich?

Ja, wir haben es aufgenommen, und es sollte online irgendwo zu finden sein. Es war aber ein reines Spaßprojekt, das mit MOONSORROW nichts zu tun hat, auch wenn es fast dieselbe Besetzung hat. Wir wollten damit Leute in die Irre führen, die unsere Studiotagebücher lesen. Wir haben einfach ein paar Songtitel in den Ring geworfen und behauptet, dass wir unseren Stil in Grindcore verändert hätten. Einige Leute haben das für bare Münze genommen und waren deswegen ziemlich angepisst (lacht).

Ich glaube, Blabbermouth ist auch darauf reingefallen.

Ja, aber so funktioniert die Informationsgesellschaft – du musst mit der Meldung der Erste sein, und darunter leidet dann die Genauigkeit, weil niemand die Nachricht auf den Wahrheitsgehalt gegencheckt.

Der Humor war aber ziemlich krass – ist das typisch finnischer Humor?

Ja, vielleicht. Die Kernaussage war: „Wir hassen alle!“ Selbst Ihr Deutsche habt euer Fett abbekommen („Saatanan saksalaiset, teistä ei oo mihinkään“), aber es richtet sich gegen niemanden persönlich. Natürlich ist das nur ein Witz, wir hassen nicht jeden, eigentlich hassen wir die meisten Leute nicht.

Das wäre dann auch eine Vollzeitbeschäftigung.

Hass kann sehr verzehrend sein. Ich möchte nicht meine Zeit mit Hassen verschwenden. Um manche Leute möchte ich mich einfach nur nicht kümmern.

Ich glaube, besonders hier in Deutschland haben einige Leute diese Art von Humor nicht verstanden.

Ja, ich weiß. Aber wenn ich jedem immer alles erklären müsste, würde ich keine Zeit mehr für andere Dinge haben. Aber letztlich ist Humor doch die beste Waffe, dass manche Dinge nicht wieder passieren.

Ihr habt MOONSORROW vor 21 Jahren gegründet – wie klingt diese Zahl für Dich?

Das ist mehr als die Hälfte meines Lebens, das ist schon ziemlich verrückt. In Amerika wäre die Band damit jetzt schon volljährig. (lacht)

Ihr habt aber nicht darüber nachgedacht, das Jubiläum zu feiern?

Vor ein paar Jahren ist es uns tatsächlich mal in den Sinn gekommen, dass wir es irgendwie feiern sollten… jetzt ist aber schon 2016, und wir haben gemerkt, dass wir das völlig vergessen haben. (lacht)

Wie würdest Du die Mitstreiter in der Band charakterisieren?

(überlegt) Jeder hat eine andere Persönlichkeit. Henri (Sorvali, Gitarre) ist definitiv die treibende Kraft in der Band. Er isoliert sich auch am meisten. Es ist sehr selten, dass man ihn überhaupt zu Gesicht bekommt. Er mag es einfach nicht wegzugehen, hat aber auch Frau und drei Kinder und lebt weit außerhalb vom Stadtzentrum. Außerdem mag er es nicht live zu spielen, weswegen wir schon seit Jahren mit Janne (Perttilä, Gitarre) auf Tour gehen. Er ist so etwas wie unser sechstes Bandmitglied. Marko (Tarvonen, Schlagzeug) und Markus (Eurén, Keyboards) wiederum sind beste Freunde, seit sie zwei Jahre alt sind. Sie haben einen guten Draht zueinander. Demgegenüber sind es Mitja (Harvilahti, Gitarre) und ich, die am ehesten mal den Rock’n’Roll-Lebensstil pflegen: Wir leben im selben Stadtviertel und gehen ab und zu in Bars – das war’s dann aber auch schon, was wir uns in unserem Alter trauen. (lacht)

Natürlich haben wir schon mal Meinungsverschiedenheiten, wenn wir alle dicht gepackt im Tourbus umherschippern, aber das schaffen wir immer wieder aus der Welt. Wir sind einfach gute Freunde, die zusammen Musik machen.

Wie sieht das Bandleben von MOONSORROW aus? Probt Ihr?

Wir proben, aber eigentlich nur, wenn gerade Konzerte anstehen. Wenn wir nicht live spielen, proben wir auch nicht. Henri wiederum spielt ja eh nicht live und probt nicht mit uns, würde aber auch generell nicht proben. Dass wir so selten proben, liegt aber auch daran, dass wir in unterschiedlichen Regionen wohnen und es schwierig ist, das zu organisieren. Jeder hat Arbeit und Familie.

Seid Ihr eine lustige Band?

Was die Musik und das Künstlerische angeht, ist MOONSORROW eine sehr ernste Band, und die Shows sind immerhin noch eine ernste Angelegenheit. Davon abgesehen können wir aber unseren Spaß haben, definitiv.

Danke für das Interview!

Galerie mit 22 Bildern: Moonsorrow - Rockharz 2022
09.04.2016

- Dreaming in Red -

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