Simon Hawemann
Enemy Of The Music Business

Interview

Andererseits sind aber gerade in den letzten Jahren viele Metalbands groß durchgestartet und spielen hier in Deutschland vor hohen vierstelligen Besucherzahlen wie AMON AMARTH und HAMMERFALL, die beide so 7.000 Zuschauer in Ludwigsburg hatten. Und dann sind von den ganz großen Bands ja immer wieder Stadiontourneen angekündigt. Ist das auch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geworden oder rennen die Leute nur noch zu den großen Bands?

Der Underground hat es schon schwerer und ich erinnere mich noch an die Anfänge von WFAHM. Da konntest du mit lokalen Bands und einem halbwegs namhaften Headliner 300 Leute an einem Freitag Abend in Castrop-Rauxel an den Start bringen.

Das war aber zu euren Hype-Zeiten, ihr habt den Hype-Train aber auch richtig geritten. Zu euch ist ja jeder hingerannt.

Es existierte und ist dann bis zu einem gewissen Punkt eingebrochen. Es gibt immer Ausnahmen wie PARKWAY DRIVE, mit denen wir getourt sind und die ich musikalisch schrecklich finde. Das ist eine Band, die es noch geschafft hat viele Leute zu erreichen als das alles schon abgeebbt war und sich eine Fanschar aufgebaut hat, die groß genug ist, um auf einem Niveau zu touren, wo es egal ist, ob man Einnahmen durch die Musikverkäufe bekommt. Ich bin mir auch ziemlich sicher, wenn du an diesem Punkt angelangt bist, dass du Arenen füllst, dann diktieren auch nicht mehr die Plattenfirmen die Konditionen des Vertrages.

Bei der Größe sind dann ja Plattenverkäufe sowieso egal, das Geld kommt über die Tickets und die T-Shirts.

Würde ich nicht unbedingt sagen, dass das egal ist.

Ich hab mich gerade mit der Diskografie der RED HOT CHILI PEPPERS beschäftigt und die sind von 16,4 Millionen Verkäufe der „Californication“ 1999 auf 600.000 Verkäufe von „The Getaway“ im Jahr 2016 gefallen. Und das ist eine große Band und wenn die auf Tour gehen, spielen die jede Show vor 10.000 Zuschauern oder mehr.

Jetzt überleg dir mal wenn du 600.000 Alben verkaufst und dein Anteil sind 18 Prozent am Nettogewinn.

Natürlich haben die einen besseren Vertrag und die bekommen bestimmt 50 Cent oder einen Euro pro Album.

Ja klar, wenn du in der Größenlage angekommen bist, ist deine Verhandlungsposition besser. Ich kann mir immer nicht vorstellen, dass RAMMSTEIN mit dem gleichen Plattenvertrag abgefertigt werden wie WAR FROM A HARLOTS MOUTH und da machen die Plattenverkäufe doch einen Unterschied. Eine Band von der ich auch kein Fan bin, aber PERIPHERY haben auch ihr eigenes Label gestartet und haben auch noch tausend andere Sachen am Laufen wie Signature-Gitarren, -Pedale oder Software-Plugins. Die waren schlau sich zu diversifizieren und ihre Fans auf mehreren Ebenen an sich zu ketten und ich weiß nicht wie viele Alben die verkaufen, aber der Gitarrist fährt halt Lamborghini. Die Band wird nicht entschieden haben, ein eigenes Label zu gründen, wenn sich das nicht lohnen würde.

Eine Zwischenstufe, die Geld verdienen will, fällt weg. Nur musst du dann aber deren Arbeit mitmachen. Und wenn heutzutage die meisten Alben digital verkauft und vertrieben werden, da brauchst du dann keinen großen Aufwand im Vergleich dazu wenn du deine CD weltweit in die Läden bekommen willst.

PERIPHERY brauchen nicht Century Media, um viele Leute zu erreichen, PARKWAY DRIVE brauchen auch Epitaph Records nicht, um ihre Hörerschaft zu erreichen. Für solche Bands macht es auf jeden Fall Sinn, ihre eigene Infrastruktur aufzubauen und ich sehe das auch im kleinen Rahmen so. Bei uns sprechen wir über ganz andere Zahlen und nichtsdestotrotz sind die Einnahmen wenn man an zwei Wochenenden 1.000 LPs und ein paar Downloads verkauft sehr hilfreich, um die eigene Musik zu finanzieren. Und überleg mal, wir haben jetzt von der Reissue 900 Platten verkauft. Das ist eigentlich nichts, aber die Einnahmen sind ja nicht nichts. Da hängt zwar eine ganze Menge Arbeit dran, das schafft aber auch eine Grundlage, mit der man weiterarbeiten kann und uns in die Lage versetzt, auch die anderen Alben neu aufzulegen. Hätten wir das jetzt aber wieder an ein Label abgegeben, hätten wir wieder nur Cent-Beträge abbekommen. Da wäre dann ja wieder die einzige Möglichkeit etwas einzunehmen eine Tour gewesen. Der Plan existiert übrigens nicht mit WFAHM zu touren.

Aber um das nochmal klarzustellen, das war ja bisher nur ein Pre-Order. Die Leute haben bestellt, bezahlt und jetzt lasst ihr nur die bestellte Anzahl an Scheiben pressen. Oder habt ihr den Auftrag schon vorher rausgeben?

Nein, der Auftrag ging nicht vorher raus.

Und das ist ja das Risiko, dass die Plattenfirmen tragen, Platten zu pressen ohne zu wissen, wieviele dann wirklich verkauft werden. Das hattet ihr nicht, ihr habt 900 vorbestellen lassen, das Geld kam rein und dann habt ihr pressen lassen. Das wäre ja eine gute Zukunftsidee für Bands.

Das wäre eine gute Zukunftsidee. Ich will ja auch nicht sagen, dass es bei Labels gar kein Risiko gibt. Ich will es mal so sagen, es ist abzusehen, dass der Profit von diesen 900 Platten höher ist als das Produktionsbudget, dass ich jemals für irgendein Album bekommen habe. In der Realität ist es so, dass locker die Hälfte der Einnahmen für Kosten drauf gehen. Nichtsdestotrotz bleibt was übrig, was wir dann unter den beteiligten Musikern aufteilen können. Ich sehe jetzt, dass der Beak Even relativ schnell erreicht ist und natürlich kosten viele andere Sachen wie Distributionsstrukturen viel Geld, aber es bleibt dann ja nicht auch nur bei der Anzahl dieser verkauften Platten. Ich glaube, wir haben von der „Transmetropolitan“ damals ca. 8 bis 10.000 Einheiten abgesetzt. Irgendwo in dem Dreh waren alle verkauften Formate zusammen, denn vor allem in den USA ging sie gut weg. Und wenn du nur 3 oder 4.000 rausholst, ist der Break Even für das Label locker erreicht und es ist vielleicht noch ein Gehalt bezahlt. Das Label geht ein höheres Risiko ein, profitiert dann am Ende aber auch mehr. Ich meine nur, dass das Verhältnis am Ende nur nicht fair ist. Ich bin der Überzeugung, dass das Verhältnis korrigiert werden könnte zu einer Zahl, wo Bands existieren und Labels immer noch ihren großen Teil vom Kuchen bekommen können. Ich denke, da ist eine Menge Spielraum. Ich hab aber keinen Bock mehr und mache lieber mein eigenes Ding. Es macht ja auch Spaß, die Kontrolle über alles zu haben und wenn ich jetzt sage, dass es nicht die Zeit ist, um ein Album zu veröffentlichen, dann machen wir halt jetzt erst eine EP dazwischen. Die Freiheit habe ich jetzt, muss niemanden um Erlaubnis bitten und hänge in keiner Infrastruktur fest, die mir diktiert wie und wann ich das zu tun hätte. Wenn ich also morgen etwas veröffentlichen möchte, dann könnte ich das auch so tun. Und ich könnte direkt ab morgen damit Geld verdienen, auch wenn es keine Unsummen wären. Diese gewisse Freiheit macht auf jeden Fall Spaß.

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Quelle: Interview mit Simon Hawemann am 01.06.2020
11.08.2020

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