Soilwork
"Figure Number Five" - Metal der Zukunft oder belanglos-poppiges Boygroup-Gedudel?

Special

Haben Soilwork nicht erst vor etwas mehr als einem Jahr ihr letztes Album herausgebracht? Wenn ich mich recht entsinne, hat „Natural Born Chaos“ 2002 sogar eingeschlagen wie eine Bombe und wurde als „Metal der Zukunft“ gefeiert. Doch es gab auch Leute (wenn auch wenige), die den sechs Schweden schon vor Jahresfrist Verweichlichung im Sinne von „poppigem Boygroup Metal“ vorgeworfen haben, der immer weiter in die Belanglosigkeit abdriftet. Dies wird bei ihrem neuen Werk „Figure Number Five“ ähnlich sein. Und so haben sich auch in unserer Redaktion mal wieder die Fronten verhärtet. Metalgreg und Metal_inc. werden Soilworks fünftes und deswegen treffenderweise „Figure Number Five“ betiteltes Album auseinandernehmen und auf Herz und Nieren prüfen. Den Anfang macht Metalgreg.

Soilwork

Da sind sie wieder, die Senkrechtstarter der letzten beiden Jahre. Irgendwie ist es schon unglaublich, wie schnell Soilwork immer wieder neues Material am Start haben. Das letzte Album „Natural Born Chaos“ ist gerade mal etwas mehr als ein Jahr alt und schon wieder haben Strid und Co. elf neue, absolut hochwertige Kompositionen ohne Ausfall am Start. Damit haben sie in den letzten zwei Jahren drei klasse Alben mit insgesamt 31 Ohrwürmern herausgebracht. Dafür brauchen andere Bands garantiert doppelt so lange, zumal Soilwork auch noch ständig auf Touren und Festivals zugegen waren. Das nötigt schon Respekt ab, oder?

Schön, schön. Klar ist es beeindruckend wie die Jungs in solch kurzer Zeit zwei Alben einspielen und touren, aber an der Qualität des dargebotenen Songmaterials habe ich doch erhebliche Zweifel. Du kannst mir nicht wirklich weiß machen, dass weder „Natural Born Chaos“ noch „Figure Number Five“ keinen Ausfall zu verzeichnen haben. Ich denke, Soilwork wären wirklich besser bedient gewesen, wenn sie das Beste der beiden Alben auf nur eins konzentriert hätten. Das hätte ein wahrer Klassiker werden können. Aber so? Was soll ich mit einer CD, auf der die Hälfte der Lieder Durchhänger oder grober Durchschnitt sind? Die große Euphorie kann ich hier ehrlich nicht verstehen. „Metal der Zukunft“? Soilwork waren mal meine große Hoffnung auf diesen Titel, in diesem Kontext kann das aber nur ein schlechter Witz sein. Auf „Figure Number Five“ haben Soilwork ja wohl ihren Tiefpunkt in Sachen kreativem Songaufbau erreicht. Strophe verzerrt, Refrain clean, und eventuell noch eine Bridge semi-clean. Gut „Figure Number Five“ und die Ballade „Departure Plan“ verlassen diesen Pfad und sind komplett verzerrt bzw. clean gesungen, dafür sind beide Stücke für mich die Totalausfälle der Platte überhaupt, was die Sache nicht gerade besser macht. Dieses Schema F tötet absolut gekonnt jegliche Spannung und garantiert, dass sich keine Langzeitwirkung einstellen will.

Komisch, dass dann für dich genau diese beiden Songs die Totalausfälle der Platte sind, wenn du ebenjenes, gut funktionierendes Schema F kritisierst. Denn gerade der Titeltrack und „Departure Plan“ sind die beiden Songs, die auf diesem Album am ehesten den Soilwork-typischen Pfad verlassen. „Figure Number Five“ ist das härteste, abgehackteste, unmelodischste Lied, das die Jungs in den letzten Jahren geschrieben haben, wohingegen „Departure Plan“ wohl das ruhigste, gefühlvollste Stück der Bandgeschichte ist. Fast schon eine Halbballade, die noch dazu beweist, dass sich der Gesang von Björn „Speed“ Strid nochmals verbessert hat. Hatte ich schon gedacht, der Spagat zwischen brutal-verzerrten Vocals und clean-melodiösen Klängen hätte auf „Natural Born Chaos“ seinen Höhepunkt erreicht, so wurde ich wieder einmal eines besseren belehrt. Die Refrains sind nochmals facettenreicher und eingängiger geworden. Man nehme nur mal den Opener „Rejection Role“, „Light The Torch“, „Brickwalker“, „Distortion Sleep“ oder das schon von dir kritisierte „Departure Plan“. Das sind absolute Ohrwürmer, die zwar sofort reinlaufen, aber ihren Platz im Gehörgang auch nicht so schnell räumen. Da hätten wir dann auch die von dir vermisste Langzeitwirkung.

Naja, das recht durchschnittliche Riff und der mäßige Refrain beim Titeltrack sind für mich keine Glanzleistung. Und diesen Versuch einer emotionslosen Vollballade „Departure Plan“ kannst du mir nicht als überdurchschnittlich verkaufen. Das kann nicht dein Ernst sein! Das habe ich schon hundertmal so im Radio oder auf Viva/MTV laufen sehen. Hier verlieren doch Soilwork absolut an eigener Identität und ergeben sich dem Einheitsbrei. Herr Strid hat seine Stimme nochmals stark verbessert, da gebe ich dir auf jeden Fall Recht, aber die so eingängigen und von dir angepriesenen Melodien klingen für mich sehr altbacken. Nimm den Refrain zu „Rejection Role“, „Cranking The Sirens“ oder eben „Departure Plan“. Das hat es schon zigmal gegeben. Gut, im Metalbereich vielleicht noch nicht so oft, aber das ändert für mich nichts daran, das es nicht sehr originell ist. Überhaupt muss ich sagen, dass die Refrains mir fast durch die Bank nicht gefallen. Nur die Refrains genommen hätte ich Probleme, Soilwork von so manchem Popact zu unterscheiden. Und ich kritisiere jetzt nicht die schlichte Eingängigkeit, sondern die meiner Meinung nach vorherrschende Austauschbarkeit großer Teile dieses Albums. Lediglich „Distortion Sleep“ mit seinen plakativen Drums und einem Refrain, der von der Dynamik zwischen Strids und dem Backgroundgesang lebt, kann mich als einziges Lied über die gesamte Spieldauer begeistern. Aber das bleibt die Ausnahme. Der Rest tendiert mehr oder weniger zur Belanglosigkeit.

Jetzt gehst du ein Stückchen zu weit, denke ich. „Figure Number Five“ mag vielleicht nicht das beste Stück dieser Platte sein, ist aber beileibe kein Ausfall! Und „Departure Plan“ kann ich Dir sehr wohl als überdurchschnittlich verkaufen, denn in meinen Augen ist dieser Sond keinesfalls emotionslos. Sicher, in gewisser Weise ist dies natürlich MTViva-kompatibel und poppig angehaucht (oder vielleicht einfach nur unheimlich eingängig?), aber ist es deswegen gleich schlecht? Ich würde sagen nein, denn Soilwork haben sich in den letzten Jahren nun mal in diese Richtung entwickelt. Diese steht ihnen in meinen Augen auch gut zu Gesicht, denn diese Band hat das Potential, richtig groß zu werden, ohne dabei ihre Identität zu verlieren. Die Arbeit, die sie abliefern, klingt keinesfalls aufgesetzt, altbacken oder belanglos. Nimm mal „Overload“. Hier werden zugegebenermaßen simple, aber deswegen umso wirkungsvollere Samplespielereien mit kraftvollem, schlagkräftigem Riffing und verschachtelter Rhythmik kombiniert, dass es eine wahre Freude ist. Generell ist die Gitarrenarbeit des Duos Wichers/Frenning wieder einmal erste Sahne und keinesfalls anspruchslos oder kaut alte Taten wieder. Auf den ersten Blick mag sie für manche oberflächlich und unspektakulär wirken, aber mit jedem weiteren Durchlauf offenbaren sich neue Feinheiten wie ein kurzes Solo hier oder ein versteckter Lick dort. „Light The Torch“ bringt das Besondere von Soilwork eigentlich ganz gut auf den Punkt: Einerseits poppig-melodiös, andererseits unheimlich brutal, aber alles perfekt ineinander verflochten. Genauso muss moderner Metal, der seine Grenzen nicht eng gesteckt haben will, klingen. Und nimm mal „The Mindmaker“: Wer hier dem Sextett Verweichlichung vorwirft, der hat wohl ein Problem mit den Ohren. Das extrem abgehende Riffing steht Songs wie „Needlefeast“ (von „A Predator’s Portrait“) oder „Millionflame“ (von „The Chainheart Machine“) in nichts nach. Es ist nur etwas effizienter produziert und verbindet damit geschickt die ältere Bandphase mit den Soilwork der Marke „Black Star Deceiver“. Betrachtet man „Figure Number Five“ insgesamt, muss man sowieso sagen, dass wieder eine gehörige Portion Rotzigkeit neben der nochmals gesteigerten Eingängigkeit in deren Sound zurückgekehrt ist. Wenn man dann noch zu einem Song wie „Distortion Sleep“ einfach nur seine Fäuste in den Himmel recken kann, ist doch alles perfekt.

Also hören kann ich noch ganz gut, aber danke der Nachfrage. Und meine Ohrstöpsel habe ich auch seit dem letzten Konzert wieder rausgenommen. Bei „Departure Plan“ werden wir wohl nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Metalbands, falls man Soilwork noch dazuzählen kann, sollten nicht versuchen Balladen zu schreiben, da das meistens in Songs ausartet, die niemand wirklich braucht. Für mich klingt das nur albern und peinlich. Nun gut, du lieferst mir ja gleich noch mehr (schlechte) Beispiele für Soilworks Entwicklung. Sicher, das simple, aber effektive Sample gepaart mit diesem abgehackten Gitarrenlauf im Intro zu „Overload“ wissen zu gefallen, nur überkommt mich wiedermal nach zehn Durchläufen beim Refrain latente Langeweile. Und dass du gerade „Light The Torch“ so hervorhebst, verwundert mich doch sehr. Schön, die extrem verzerrte Stimme und das Riff sind ja ganz nett, allerdings ist der Refrain so grottenschlecht, dass ich jedesmal fieberhaft die Skip-Taste suche. „The Mindmaker“ mit „Needlefeast“ oder „Millionflame“ zu vergleichen, gleicht dann ja schon fast der Ketzerei, Herr Kollege. Das schnelle, treibende Riffing erinnert zwar an jene Phase der Band, doch empfinde ich den Qualitätsunterschied recht eklatant. Die gesamte letzte Minute sind Soilwork den Hörer doch nur noch am Einlullen, was hat das denn bitte schön mit oben genannten Krachern zu tun? Aber wo wir schon bei der Gitarrenarbeit sind, möchte ich da auch ein wenig genauer drauf eingehen. Mir ist nicht entgangen, dass die Soli sich stark verbessert haben und sich sehr gut in die Songs eingliedern, was bei „A Predator’s Portrait“ weiß Gott nicht der Fall war. Und selbst in den von mir gescholtenen Songs entdecke ich hier und da einen kleinen, schönen Lick oder ein nettes Detail. Aber genau dabei bleibt es auch. Was du mir als teuren Perser Teppich verkaufen willst, ist in Wahrheit nicht mehr als ein oller Flickenteppich, der einige wenige schöne Flicken hat. Die eigentliche Todsünde dieses Albums, und für mich die größte Enttäuschung auf „Figure Number Five“, ist die Produktion. „Effizienter produziert“ hast du so schön geschrieben – sehr diplomatisch. Das reicht ja fast an solche Klassiker wie „negativer Gewinn“ oder „suboptimal“ heran. Klar, das Album ist klasse produziert, da hege ich gar keinen Zweifel dran. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, das Album ist so toll produziert, das es sich schon wieder selbst kastriert hat. Ich habe schon lange kein so überzüchtetes Stück Plastik und Aluminium mehr gehört. Hast du mal „Figure Number Five“ und „A Predator’s Portrait“ hintereinander gehört? Vergleich doch mal die Aggressivität der Gitarren oder der Drums auf den beiden Alben? „Figure Number Five“ ist so weich gespült, dass sogar ein Wattebausch mehr Aggressivität in sich birgt. Jegliches Gefühl von Brutalität oder Rotzigkeit, die du proklamierst, will sich da doch par tout nicht einstellen.

Natürlich kommen wir hier nicht auf einen Nenner, denn wenn das der Fall wäre, wäre dieser Clash absolut sinnlos. Aber bevor uns demnächst noch einen Bierkrug über den Kopf ziehen und das ganze hier ausufert, ist von meiner Seite aus Zeit für das Fazit, denke ich. Soilwork kann man mit „Figure Number Five“ sehr wohl noch zu Metalbands zählen. Und zwar zu einem absolut exzellent arbeitenden Individuum seiner Spezies, das sich nicht scheut, die Evolution seiner Art voran zu treiben. Das mag zwar manchen Leuten nicht schmecken. Aber es gab noch keine evolutive Veränderung auf dieser Welt, die sich negativ für das jeweilige Lebewesen ausgewirkt hat. Und so werden auch die sechs Schweden ihren Weg an die Spitze konsequent fortsetzen, wobei ich mir sicher bin, dass sie jene in nicht allzu langer Zeit erreichen werden. Ich habe jetzt im Laufe der letzten zwei Wochen diese CD bestimmt über 30 Mal gehört und muss sagen, dass sie nichts von ihrer Güteklasse einbüßt, geschweige denn langweilig wird. Ganz im Gegenteil, es macht bei jedem weiteren Durchgang mehr Spass, mit heruntergelassenem Fenster und aufgerissener Anlage durch die blühende Frühlingslandschaft zu ballern und lauthals Strids einmalige Gesangslinien mitzusingen. „Figure Number Five“ ist ein unheimlich kurzweiliges Album mit immenser Langzeitwirkung geworden, das Soilwork neben In Flames zurecht den heißesten Anwärter auf eine der führenden, jungen Bands der Zukunft bleiben lässt, zumal es wegen durchgängig extrem hohen Niveaus noch einen Tick stärker ist als der Vorgänger „Natural Born Chaos“. Somit komme ich bei meiner Bewertung um völlig verdiente 9 Punkten nicht herum, da sich diese Platte Ende des Jahres garantiert in meinen (und bestimmt auch vielen anderen) Top 5 of 2003 befinden wird. P.S.: Die Erstauflage kommt übrigens als limitierte Doppel-CD, die als Bonus noch sechs Demotracks aus dem Jahre 1997 enthält. Zum einen zeigen diese, was Soilwork vor sechs Jahren schon für ein Potential inne hatten, und zum anderen wird einmal mehr unmissverständlich klar, was diese Band in den letzten Jahren für eine bombastische Entwicklung durchgemacht hat. Und ich bleibe dabei: Sie ist in genau die richtige Richtung gegangen!

Nicht jede Mutation ist gleich der nächste Schritt zu einer höheren Stufe der Evolution, denn für mich bleibt „Figure Number Five“ ein verunglücktes Album. Moderner Metal sollte Grenzen niederreißen und neue Horizonte entdecken, wozu Soilwork auch sicherlich in der Lage wären, wenn ich mir nur ihr bisheriges Schaffen anschaue. Stattdessen aber pressen sich die Jungs in einer grandiosen Verschwendung an Talent in ein lahmes Schema F, das jegliche Innovation schmerzlich vermissen lässt und unter der Last einer vollkommen überzüchteten Produktion kaum noch zum Atmen kommt. Ich resümiere: zwei Punkte für „Distortion Sleep“, das als einziges Stück überzeugt hat, je einen halben Punkt für „Rejection Role“ und „Stangler“ sowie einen Punkt für die netten, über das Album verstreuten Details, was 4 von 10 Punkten in der Endabrechnung macht. Soilwork sind schon jetzt der Flop des Jahres aus meiner Sicht.

Galerie mit 28 Bildern: Soilwork - Summer Breeze Open Air 2023
29.04.2003

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