Celtic Frost
Jugendliche Entschlossenheit und der Drang, sich zu beweisen

Interview

CELTIC FROST: From zero to hero. Oder: Von HELLHAMMER zu “Morbid Tales”

In der Box ist ein Tape namens “Grave Hill Bunker Tapes.” Ich war erstaunt, dass es Aufnahmen von deiner ersten Band GRAVE HILL gibt.

Von GRAVE HILL? Nein. Da gab es ein Rehearsal-Tape mit zwei Songs, das ist schon vor Jahrzehnten verschollen. Die Box enthält ein Rehearsal-Tape mit Aufnahmen, die wir gemacht haben, als wir im Sommer 1984 an “Morbid Tales” gearbeitet haben.

Wir haben damals alle Proben aufgenommen, um die Songs zu Hause weiterzubearbeiten oder die Texte dazu zu schreiben. Viele Kassetten sind gestohlen wurden oder wir haben sie Crew-Mitgliedern gegeben. Nur ein Tape hat meines Wissens nach überlebt, aber diese Songs waren auch schon auf den 2017er-Reissues enthalten. Glücklicherweise sind das gute Aufnahmen, obwohl sie mit einem Mikrofon auf dem Kassettenrekorder gemacht wurden.

Da bin ich wohl einem Missverständnis aufgesessen. Ich habe in der Produktbeschreibung “Grave Hill Bunker Tapes” gelesen und dachte, das bezieht sich auf deine erste Band. Aber genauer hingesehen, stimmt das Jahr 1984 dann natürlich nicht.

Der “Grave-Hill-Bunker” war lange unser Proberaum. Ein Atomschutzbunker aus dem Kalten Krieg, der so hieß, weil wir ihn ursprünglich mit GRAVE HILL bezogen haben. Später haben dann HELLHAMMER darin geprobt und danach CELTIC FROST.

GRAVE HILL sind entzwei gegangen, nachdem du als 17-Jähriger infolge einer London-Reise die erste VENOM-Single “In League With Satan” begeistert anschlepptest, was deine Kollegen nicht so ganz mitverfolgen konnten, was wiederum zu HAMMERHEAD bzw. HELLHAMMER führte. Hast du zu Mitstreitern aus der GRAVE-HILL-Zeit Kontakt halten können?

Ich bin noch sehr gut befreundet mit dem Schlagzeuger von GRAVE HILL [Alois Wendelin – Anm. d. Red.]. Seine Schwester ist in der Stadt, wo ich lebe, Lokalpolitikerin. Der Bassist [Alfredo “Stonehead” Pappalardo – Anm. d. Red.] ist leider später verstorben und der Sänger [Philip Veraguth – Anm. d. Red.] seit langem verschollen.

Aber ich bin auch mit den HELLHAMMER-Mitgliedern noch sehr gut befreundet, wie auch mit dem allerersten Schlagzeuger von CELTIC FROST, Isaac Darso. Wann immer es mir persönlich auch möglich ist, halte ich diese Freundschaften über die Zeit in der Band hinaus, denn wir haben alle zusammen etwas geschaffen, das für uns bis zu einem gewissen Grad lebensverändernd war.

Stichwort lebensverändernd. Kommen wir noch mal auf “Morbid Tales” zurück, eurer ersten großen Veröffentlichung unter dem Namen CELTIC FROST. Musikalisch wie visuell stellt die Platte einen Riesenschritt im Vergleich zu HELLHAMMER und eine Blaupause für die Ästhetik Black und Death Metal dar. Wie hat sich das für euch angefühlt, als ihr nach HELLHAMMER diese Aufnahme endlich in den Händen hattet?

Es war schon ein ganz wichtiger Schritt für uns. Man darf nicht vergessen, dass HELLHAMMER damals sehr verschrien waren. Wir haben nur schlechte Kritiken kassiert und auch die Plattenfirma fand die HELLHAMMER-EP ganz furchtbar. Die meisten Leute aus der Metal-Szene fanden die EP [“Apocalyptic Raids”, 1984 – Anm. d. Red.] furchtbar. Als wir mit CELTIC FROST begonnen haben, mussten wir diese negative Aura abstreifen und uns war klar, wir mussten ein gutes Produkt abliefern, wenn wir nicht die Chance aufs Musiker-Dasein verlieren wollten.

Hellhammer - Apocalyptic Raids (Artwork)

Wir haben den ganzen Sommer 1984 wirklich gearbeitet wie Maniacs, um ein Album wie “Morbid Tales” zu schreiben. Wir waren jeden Tag am Proben, während die meisten Bands der lokalen Szene ein bis zwei Mal die Woche anzutreffen waren. Als wir im Herbst 1984 mit “Morbid Tales” in der Tasche aus dem Studio kamen, war es ein befreiendes, enthusiastisches Gefühl. Wir waren uns auch nicht sicher, ob wir uns im Adrenalinrausch täuschen.

Wir fuhren nach Hause von West-Berlin und haben es unseren Freunden vorgespielt. Zum Teil waren unsere Freunde Die-Hard-Fans, die alles gesammelt haben, auch Demos und obskure Singles. Als die sagten, das klinge fantastisch, wussten wir, wir sind wahrscheinlich auf dem richtigen Weg. Ein wichtiges und extrem berauschendes Gefühl.

Wenn man sich die Scheibe heute anhört, fällt vor allem auf, dass sie auch nach fast 40 Jahren noch einen extrem druckvollen und lebendigen Sound hat. Ich habe zum Thema Horst Müller Unterschiedliches gehört bzw. gelesen und möchte es möglichst diskret angehen. Daher wollte ich nur fragen, ob das eher euch zu verantworten ist oder ob ihr mit Horst einfach ein perfektes Team wart?

Horst Müller war 1984 absolut auf der Höhe seines Könnens. Es ist klar, dass wir diesen Sound ohne ihn nicht erreicht hätten. Das Endprodukt ist natürlich schon eine Zusammenarbeit. Wir kamen mit einer klaren Idee ins Studio. Wir wussten wie wir klingen wollten, wir wussten, was CELTIC FROST ist. Aber, ob wir das ohne ihn hätten realisieren können …

Müller hat verstanden, was wir wollten und hat es geschafft, das eins zu eins lebendig, wie du richtig sagst, einzufangen. Dafür werden wir bis an unser Lebensende dankbar sein. Er war wichtig und er war eine extrem interessante Persönlichkeit, von der wir unheimlich viel gelernt haben. Das hat sich etwas später dann ein bisschen geändert und die Gründe dafür sind für mich schwer nachzuvollziehen.

Er hat sich persönlich stark verändert, als wir für das zweite Album nach West-Berlin fuhren. Das hörte man damals auch von anderen Bands. Es gab eine Band, die hatten ein Album bei ihm angefangen und mussten es dann canceln und neu anfangen. Ich habe mir sagen lassen, dass Horst Müller gewissen Substanzen nicht abgeneigt war. Ohne definitives Wissen will ich ihm aber nichts unterstellen. Wir fanden es schade, denn wir haben den Mann vergöttert und wenn er auf diesem Level geblieben wäre, würde ich heute noch mit ihm arbeiten wollen.

War eure Vorbelastung mit HELLHAMMER der Grund, weshalb “Morbid Tales” in den USA als Album und in Europa als EP erschienen ist? So nach dem Motto: “In Europa müssen wir erst mal testen”?

Nein, das war unsere allererste Erfahrung mit den abstrusen Entscheidungen der damaligen Noise Records. Wir haben ja einen Vertrag zwischen HELLHAMMER und Noise Records gemacht und dann gefühlt, dass wir aus HELLHAMMER raus müssen. Wie hinlänglich bekannt, haben wir uns in einer Nacht hingesetzt und ein Skizzenbuch mit einem Konzept, quasi eine Karriere bis ins kleinste Detail, gefüllt und dieses an Noise Records geschickt mit der Bitte, den Vertrag nicht aufzulösen.

Noise haben das akzeptiert aber aus irgendwelchen Gründen vermutlich kalte Füße bekommen. Der Chef von Noise Records [Karl Ulrich Walterbach – Anm. d. Verf.] hat dann gesagt, wir machen ein Mini-Album mit sechs Stücken drauf, quasi als Testballon. Was daran für eine Plattenfirma sicherer sein soll, erschließt sich mir nicht, denn die Herstellungskosten sind die gleichen. Wir hatten ja auch acht Songs aufgenommen, was damals die Albumlänge war.

Metal Blade, die der US-Partner von Noise in den Achtzigern waren, fanden das Album stark und haben es sofort vollständig herausgebracht. Die Platte war dann auch erfolgreich und so zogen Noise Records in Europa nach. Eine typische Noise-Absurdität aus dieser Zeit, verglichen mit den späteren Absurditäten jedoch wirklich harmlos.

Aus den übrigen beiden Stücken der “Morbid Tales”-Session wurde dann ja auch teilweise die “Emperor’s Return”-EP im August 1985. Das Artwork sticht unter all’ euren Artworks definitiv heraus. War das auch eine typische Noise-Aktion?

Martin und ich hatten ein Meeting im Büro von Noise-Chef Karl Ulrich Walterbach. An der Wand hing dieses Gemälde von Phil Lawvere. Wir waren zu der Zeit Die-Hard-Fans von H. P. Lovecraft, Robert E. Howard und dieser ganzen okkulten Fantasy-Literatur. Wir fanden, dieses Gemölde passt in die Welt dieser Schriftsteller und fragten, ob dieses Gemälde zu haben sei. Walterbach teilte uns mit, er habe Phil Lawvere die Rechte am Bild abgekauft und es wäre tatsächlich zu haben. Für uns war es natürlich kein Album-Cover, aber es taugte für eine EP.

Wir mussten damals schnell neues Material liefern, weil Noise ungeduldig wurden. “Morbid Tales” war erfolgreich und wir sollten unseren neuen, amerikanischen Schlagzeuger Reed St. Mark vorstellen. Daraus wurde “Emperor’s Return”, weil wir eigentlich noch gar nicht so weit waren. Das Cover haben wir schon selbst ausgewählt. Es ist schon anders als die anderen CELTIC-FROST-Cover, aber ich finde es immer noch geil. Obwohl es voller Testosteron von Jugendlichen ist, die knapp die Pubertät überwunden haben.

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Quelle: Tom Gabriel Warrior
28.10.2022

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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