Emigrate
"Bei EMIGRATE ist alles erlaubt!"

Interview

Lange hat man auf ein neues Album von RAMMSTEIN warten müssen, viele Lebenszeichen gab es nicht. 2019 ist es nun endlich soweit. Doch halt, Gitarrist Richard Z. Kruspe hat für seine Fans noch ein Ass im Ärmel. Bereits am 30. November 2018 erscheint mit “A Million Degrees“ das mit Spannung erwartete dritte Album seines Projektes EMIGRATE. Warum es auch hier mit vier Jahren doch recht lang bis zum nächsten Album gedauert hat, welchen Einfluss Streaming-Portale auf junge Bands haben und ob es EMIGRATE auch mal live geben wird verrät uns Richard im Interview.

metal.de: “Silent So Long“ war der Titel des 2. EMIGRATE-Albums, das 2014 erschien und im Titel suggerierte, dass die nächste Platte nicht mehr lange auf sich warten lässt. Warum hat es dennoch immerhin ganze 4 Jahre bis “A Million Degrees“ gedauert?

Richard Z. Kruspe: Der Plan war natürlich ein anderer, aber da gibt es ein schönes Sprichwort: “If you want to make god laugh, you tell him your plans“ – und so war es dann auch. 2015 wollte ich eigentlich ein “Silent So Long Part 2“ nachschieben, weil ich noch etwa sechs Tracks auf dem Board hatte, die in “Silent So Long“ nicht reinpassten und noch sechs weitere geschrieben habe. Dann bin ich nach Los Angeles gegangen und habe die abgemixt, wobei ich aber gemerkt habe, dass ich total ausgebrannt war und nicht geben konnte, was ich normalerweise bei solchen Produktionen gebe. Ich habe es dann trotzdem zu Ende gemacht, bin wieder zurück nach Deutschland gegangen und habe mit RAMMSTEIN angefangen zu proben. Ich habe es ein bisschen zur Seite gelegt, weil ich dachte, dass es vielleicht nicht die richtige Zeit oder Motivation ist. Manchmal passiert es ja, dass man ein bestimmtes Gefühl zu einem bestimmten Produkt nicht hat. Dann kam 2017 ein Wasserschaden, der mein ganzes Studio unter Wasser gestellt hat, wo ich die ganzen Hard Drives verloren hatte. Dann habe ich die Tracks, die ich hatte, aus der Erinnerung nochmal nachgeschrieben, nachproduziert und nochmal aufgenommen. Das war eine Herausforderung, denn so habe ich noch nie Musik gemacht. Also aus der Erinnerung heraus, einen Song nochmal aufnehmen oder ein Gefühl, das ich mal hatte, wiederzubeleben, was dann vielleicht ein ganz anderes Gefühl war. Auf jeden Fall war ich wieder motiviert. Es hat ein Feuer in mir gebrannt, bei dem ich gedacht habe, dass die Leidenschaft, die ich bei diesem Projekt immer brauche, weil ich ja auch alleine bin, wieder da ist. Bei meiner anderen Band gibt es ja noch fünf andere. Wenn man da mal schlapp macht, wird man immer wunderbar aufgefangen. Ich mache EMIGRATE ja stellenweise auch mit anderen Leuten, aber im Grunde bin ich der Motor. Wenn der Motor stockt, dann bleibt das Auto einfach stehen, was ok ist. Ich habe bei dem Projekt auch nicht den Druck von irgendwelchen Plattenfirmen. Deswegen war es auch recht einfach für mich zu sagen: “Ok ich lass es erstmal liegen und warte, bis mich die Muse wieder küsst“. Und das kam dann durch so einen tragischen Zwischenfall wie diesem Wasserschaden, der mich dazu gebracht hat, einfach nochmal von vorn anzufangen. Und dann hat es wieder wirklich gebrannt in der Hütte. Das hat dann wieder richtig Spaß gemacht. Jetzt ist es so, wenn ich mir das Album anhöre, dass ich einfach wieder guter Dinge bin. Das ist genau das Maß und genau das Gefühl, was ich wollte. Jetzt ist es wieder da und deswegen hat es so lang gedauert. Aber wir leben ja auch in einer Zeit, in der Quantität vor Qualität geht. Man kann sich leider nicht immer dagegen wehren. Deswegen versuche ich, wenn es um Musik geht, die Qualität der Quantität vorzuziehen.

metal.de: Als ich den Titel “A Million Degrees“ zum ersten Mal gelesen habe, habe ich natürlich über die Bedeutung nachgedacht. Es könnte sowohl einen naturwissenschaftlichen Einschlag andeuten oder eine übertriebene Ausdrucksform von Gefühlen (Zorn, genauso wie Liebe) darstellen. Wie interpretierst du den Titel? Steht der für dieses Feuer, was in dir gebrannt hat?

Prinzipiell ist es so, dass ich Songs textlich nicht erkläre. Das ist ein Gesetz für mich, den Leuten nicht vorwegzunehmen, was sie denken. Aber zum Albumnamen: Es ist so, dass ich, als ich dieses “Ausgebranntsein“ gespürt habe, gedacht habe, dass “A Million Degrees“ bezeichnet, wie es mir damals ging, auf natürlich übertriebene Art und Weise. Ich habe das dann versucht, grafisch darzustellen. Irgendwie ist mir lange nichts eingefallen, weil das Feuer natürlich sofort wieder mit meiner anderen Band assoziiert wird. Dann habe ich gedacht, was passiert, wenn es zu heiß wird. Was passiert danach? Danach kam die Kälte. Damit bin ich aber auch nicht wirklich zurechtgekommen, bis ich auf die Idee kam, dass “A Million Degrees“ für mich für mehr Ecken steht, also Winkel im mathematischen Sinne. Es könnte im Grunde auch sein, dass “A Million Degrees“ für Möglichkeiten steht, alles auszuleuchten, alles zu probieren. Für mich wahren das Ecken und Kanten. Dann kam ich auf die Idee, einen Spiegelraum zu bauen, mit einer Million Reflexionen sozusagen. Wir haben dann angefangen Fotosessions zu machen. Dann kam die Idee mit dem Spiegelkopf. Wie sieht‘s bei mir im Kopf aus? Das hat sich irgendwie gut angefühlt. Da kommt der Name her.

metal.de: Ich dachte ja zuerst an “Degrees Celcius“…

Das war ja auch der Anfang! Die Anfangsidee ist ja auch das Naheliegendste. “Grad“ kann aber auch im mathematischen Sinne für das Winkelmaß stehen.

metal.de: Das ist sogar die bessere Möglichkeit, wenn mal der Mathelehrer aus mir sprechen darf.

Du bist Mathelehrer? Ach herrlich! (lacht)

metal.de: Du sagtest vorhin, dass häufig Quantität über Qualität gestellt wird. Eine ähnliche Beobachtung habe auch ich gemacht. Viele, auch kleinere Rock- und Metalbands bleiben in lyrischer Hinsicht sehr oberflächlich und repetitiv. Wie wichtig ist es dir mit EMIGRATE etwas auszusagen und welcher der neuen Songs beschreibt diesen Antrieb am besten?

Das wäre ja so als müsstest du sagen welches deiner fünf Kinder dein Lieblingskind ist. Also selbst wenn ich das wüsste, würde ich es nicht sagen. (lacht) Natürlich versucht man jedem Song das zu geben, was er braucht. Manchmal gibt es Songs, auf die ich besonders stolz bin. Vielleicht könnte ich sagen “War“ wäre so ein Song, den ich besonders oft höre, weil er auch der Intro-Track ist. Das ist so ein Song, auf den ich ziemlich stolz bin und für den ich eigentlich auch einen anderen Sänger im Kopf hatte. Das ist auch ein Text, der sich auch das erste Mal ein bisschen gesellschaftskritisch über Medien, über Journalismus und die Kommerzialisierung von Medien äußert. Ich hatte den immer im Kopf für Serj Tankian von SYSTEM OF A DOWN. Ich habe ihn dann angerufen und gesagt: “Hey ich habe hier so einen Song und habe an dich gedacht“. Er hat ihn dann gehört und fand ihn wunderbar. Daraufhin habe ich ihm die Tracks geschickt. Dann rief er mich aber später an und meinte, dass er nicht weiß, was er besser machen sollte. Da dachte ich mir auch erst: “Mensch, du kannst ja sagen, dass du keine Zeit hast. Das ist doch kein Problem, wir sind da ja ganz offen, das wäre völlig ok. Vielleicht hast du keine Lust, oder es gefällt dir doch nicht so gut…“. Dann sagte er, er findet ihn WIRKLICH so gut, wie er ist. Er wüsste nicht, was er besser machen könnte und ich soll den Song so lassen. Das habe ich dann als Kompliment genommen. Vielleicht finde ich ihn deswegen auch so schön, keine Ahnung. (lacht)

Und jetzt nochmal zu deiner Frage. Man muss es natürlich ein bisschen beleuchten, Rockmusik als Überbegriff für gitarrenorientierte Musik, egal ob es Metal oder was weiß ich was ist … Das Problem ist, dass diese Art von Musik keine Rebellion mehr bedeutet, wie es früher einmal war. Man muss sich auch irgendwie mit dem Thema befassen, dass die Kids heutzutage nicht mehr durch Gitarrenfrequenzen, die man so hört, rebellieren. Früher war das so, dass die Eltern gesagt haben: “Das nervt“ oder “Das tut weh“ – das passiert halt nicht mehr, sondern heutzutage liegt die Rebellion ganz klar in der Sprache. Die Kids besitzen die Sprache, die ich stellenweise auch überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann. Aber vielleicht ist es genau der Punkt, dass es meine Eltern auch nicht nachvollziehen konnten, was ich gehört habe. Ich fühle mich da leider ein bisschen als Aussätziger. Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber ich fühle mich als jemand, der nicht mehr mit dieser Welt des Hip-Hop oder Trap, gerade in Deutschland, klar kommt und an einem bestimmten Gefühl nicht mehr partizipieren kann. Das finde ich ein bisschen schade, weil ich generell Musik liebe und jegliche Art von Musik verstehen möchte. Und das ist aber so eine Musik, gerade was deutschen Hip-Hop angeht, der jetzt die Charts bestimmt, an die ich nicht rankomme, bei der ich auch das Gefühl nicht verstehe. Diese Texte beinhalten ja auch eine Art Macho-Kultur – wo kommt das her? Ist es wirklich so, dass die Kids das glauben? Also Rockmusik hat es da gerade echt schwer. Dazu kommt das zweite Problem, dass Rockmusik die Musik ist, die am meisten Produktionskosten für ein Album braucht, wenn man es denn gut machen will. Das fängt ja schon im Rock an, dass du einen guten Drum-Raum brauchst, in dem du aufnehmen musst. Also die Kosten im Rock sind immer hoch, wenn man es mit Hip-Hop vergleicht. Heutzutage kommt dazu, dass Rock durch die Streamingdienste nicht wirklich partizipieren kann. Dadurch kann es natürlich passieren, dass kleine Bands keine großartigen Finanzierungsmöglichkeiten haben, um ihre Platten interessant genug zu gestalten. Es ist ja nicht so, dass die Leute kein Geld mehr für Musik ausgeben. Es hat sich ja Gott sei Dank auch was geändert. Ich war immer ein Verfechter davon, dass Musik nicht kostenlos sein kann. Das war ja die Zeit, als die Kids alles gedownloaded haben. Davon war ich ein ganz großer Gegner, habe das aber leider auch bei meinen Kindern nicht durchsetzen können, selbst als sie gesehen haben, wie lange ich an einem Song gearbeitet habe. Deswegen war ich erstmal froh, dass es mittlerweile Plattformen gibt, die das Streaming anbieten. Doch wenn man genau hinguckt, nur als Beispiel, zahlst du deine 10€ für Spotify im Monat und hörst nur einmal EMIGRATE. Dann müsste es eigentlich fair sein, dass diese 10€ zu EMIGRATE gehen. Das geht aber nicht. Was aber passiert ist, dass jeden Monat so ein Stream errechnet wird bei Spotify. Der liegt beispielsweise vielleicht bei 0,05ct und von deinen 10€, die zu EMIGRATE gehen müssten, gehen nur 0,05ct zu EMIGRATE. Jetzt muss man überlegen, wer am meisten am Streaming partizipiert. Das sind natürlich die, die am meisten streamen, die am meisten Zeit haben. Das sind eben die Kids. Und was hören die? Irgendwie alle Hip-Hop! Das ist wirklich gerade eine schwierige Frage. Dann kommt dazu, dass wie gesagt die Rebellion nicht mehr in der Rockmusik ist. Ich glaube es wachsen keine wirklichen Heroes mehr nach, die wir früher hatten. Die Zeichen stehen darauf, dass Rock tot ist. Und vielleicht kommen wir damit wieder darauf zurück, dass die Leute, wenn sie kleinere Budgets haben, Platten machen, die klingen wie sie halt klingen.

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05.12.2018

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1 Kommentar zu Emigrate - "Bei EMIGRATE ist alles erlaubt!"

  1. nili68 sagt:

    Das ist doch auch so ’ne Band, von der man schon mal gehört hat, aber die niemanden so wirklich interessiert, oder? Naja, jetzt haben ’se durch meinen Kommentar etwas Aufmerksamkeit, denn negative Werbung gibt es ja nicht..