Lunar Shadow
"Diese Art der Anonymität, dieses Verschwinden in der Masse, das war für mich eine absolute Offenbarung."

Interview

LUNAR SHADOW und der Einfluss der Großstadt

Apropos: Das leider einzige Mal habe ich euch hier in Leipzig mit VISIGOTH im leider geschlossenen Four Rooms gesehen. Bei der Show hat euer Basser zu den Songs gegrowlt, weil ihr gerade keinen Sänger hattet. Ich kannte euch noch nicht besonders gut und wurde hellhörig, weil ich „The Gallery“ von DARK TRANQUILLITY so mag.

Ach, erinnere mich nicht daran. War ja alles total aus der Not geboren, Alex, unser erster Sänger war kurzfristig nicht mehr dabei und ich wollte die Gigs nicht absagen. Manchmal denke ich, ich hätte sie vielleicht doch absagen sollen. Ich glaube, ziemlich viele Leute waren damals ziemlich verwirrt. Aber ich habe halt in alter Punk-Attitude gedacht “Ach, fuck off, wen interessiert das?”

Dark Tranquillity schätze ich übrigens auch sehr. Mikael Stanne ist ein wunderbarer Texter und die Band hat in meinen Augen nie ein wirklich schlechtes Album veröffentlicht. Ich mag sogar die neueren Sachen, wie “Atoma”. Meine Favoriten wäre vermutlich “Damage Done” und die ruhige “Projector”.

Welche Kneipe hat dich denn zu „To Dusk And I Love You“ inspiriert? Für mich hat der Song ein wunderbares, schummriges Tresenfeeling.

Die Zwille, mein zweites Wohnzimmer sozusagen. Da fühle ich mich am wohlsten, wenn ich unterwegs bin. Klein, gemütlich, gute Leute, beste Musik, feinstes fränkisches Bier. Man kennt eigentlich immer wen vor Ort. Der Text basiert auf einem Abend dort, zum Teil jedenfalls.

[Der Redakteur hat dem nichts hinzuzufügen und kann die Zwille ebenso wärmstens empfehlen.]

Da wir nun beide Wahl-Leipziger sind: Ich finde es spannend, dass du sagst, die Stadt hätte einen Einfluss auf dein Songwriting zum neuen Album gehabt. Ich kann das nachvollziehen, denn als ich hierher gezogen bin, haben sich u. a. durch neue Kontakte meine Hörgewohnheiten auch weit geöffnet. Aber auch die Vielseitigkeit dieser Stadt ist anregend. Wie wirkt sie auf dich? Was bedeutet sie dir?

Die Stadt hatte einen sehr großen Einfluss auf mein Leben und meine Musik. Ich hatte noch nie in einer großen Stadt gelebt. Überall ist was, in der Kneipe Bier trinken und nach Hause laufen, kannte ich gar nicht. Da musste damals am Land immer wer fahren. Jeder macht was, überall Bands, jeder malt, fotografiert, tätowiert. Die Leute hören Black Metal und gehen trotzdem auf Raves. Sowas hatte ich noch nie erlebt. Ich war da zunächst auch sehr reserviert und fand das eher komisch. Aber nach und nach lernte ich dann Leute kennen, fand Freunde, ich habe neue Ansichten kennengelernt und festgestellt, dass Stadt alles ist, was ich immer wollte.

Lunar Shadow - Max Birbaum

Max „Savage“ Birbaum – Selbstbezeichnung „Androgyner Rockstar“.

Ich habe ja einen recht speziellen Stil, so ein bisschen androgyner Rockstar, Marke Bowie. Ich wurde halt damals auf dem Land, wo ich 22 Jahre gelebt habe, immer dumm angeglotzt. Von Erwachsenen, Kids haben gelacht, wenn ich vorbei ging. Für mich war das völlig normal, ich war halt ein beschissener Outcast, der nirgends hinpasste. Meine Musik hat da eh auch keiner gehört. In der Stadt kratzt das einfach niemanden. Niemand guckt mich hier zweimal an. Weil gefühlt jeder Zweite noch stärker tätowiert ist als ich, verrücktere Haare hat, andere Klamotten trägt, das interessiert niemanden. Diese Art der Anonymität, dieses Verschwinden in der Masse, das war für mich eine absolute Offenbarung. Ich kann deswegen auch nie wieder auf dem Land leben. Diese Toleranz, diese offene, vorurteilsfreie Art und Weise zusammenzuleben, abseits von Normen und schablonierten Lebensmodellen, das bedeutet mir alles.

Heimat oder wish to leave?

Ich betrachte Leipzig mittlerweile als meine Heimat. Mir steht wenig der Sinn nach Urlaub, Reisen, fremden Ländern. Ich bin ja beileibe nicht ignorant, mich reizt da schon einiges, aber dieser ganze Stress drumherum überwiegt bei mir in der Regel die positiven Aspekte einer Reise. Daher bleibe ich lieber hier. Ich widme meiner Wohnung sehr viel Aufmerksamkeit, das ist meine Oase.

Hast du einen Lieblingsort hier, abgesehen von deiner – wie man so hört beachtlichen – Privatbibliothek?

Ich brauche wirklich neue Regale, das wird langsam etwas viel mit den Büchern.

Ich habe so ein, zwei Lieblingsbänke im Clara-Park, da sitze ich fast jeden Tag und ruhe mich aus. Da gucke ich den Enten zu und schalte meinen Kopf komplett ab. Ich bin da auch schon mehrfach direkt an Leuten vorbei gelatscht, die ich eigentlich kenne, ich kriege dann echt nicht viel mit. Im Auwald bin ich auch gern, Bäume, Vögel, der Geruch nach Wald.

Welche Bücher haben dich zuletzt so begleitet?

Ich lese gerade viele Essays, zuletzt waren es “Verratene Vermächtnisse” von Milan Kundera und “Anleitung zum Alleinsein” von Jonathan Franzen. Auf dem Stapel liegt noch “Über das Böse”, eine Abhandlung von Hannah Arendt. Als Kontrastprogramm, wenn mir der Sinn nach Blut steht, “Das Buch Kane” von Karl Edward Wagner, die alte Sammeledition von Bastei-Lübbe.

Welche Musik läuft bei dir aktuell so?

RITUAL HOWLS höre ich gerade gerne, die neue WHEEL ist echt stark geworden. Viel INTERPOL, die “Shock Troops” von COCK SPARRER hatte ich eben an und gerade DIRE STRAITS.

Denkst du, es wird wieder ein LUNAR-SHADOW-Album geben?

Das ist in etwa so, als würdest du mich fragen, wie in zwei Monaten das Wetter sein wird. Ich weiß es wirklich nicht.

Die letzten Worte gehören dir.

Passt auf euch auf, hört eine Runde RUSH, denkt vielleicht zweimal darüber nach, was ihr im Internet schreibt und seid nett zueinander.

Galerie mit 11 Bildern: Lunar Shadow - Party.San Metal Open Air 2022

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Quelle: Max "Savage" Birbaum / Live Fotos: Janine Ulbrich (metal.de) / Promo Foto: Sebastian Wünsche; Anette Feller
29.03.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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