Abigor - Fractal Possession

Review

Ihr kennt ja die Floskel vom „geneigten Hörer“. Ich habe mich immer gefragt, was das sein soll. Langsam habe ich zumindest eine Ahnung davon, was ein „verneigter Hörer“ sein soll. Das bin ich, wenn ich mit offener Kauleiste und leerem Blick vor der Anlage sitze und „Fractal Possession“ über mich hinwegfegt. Glaubt mir, wenn man im Monat zwanzig Mal mehr Musik in den Händen hat, als man nur irgendwie hören kann, schockt einen nichts mehr, und selbst ein echt gutes Album stempelt man schnell mal mit „ja, ganz nett“ ab.

Diesmal ist das aber anders. So umgeblasen wie die neue ABIGOR hat mich, glaube ich, seit Jahren nichts. Das, was dieses Album so viel besser als seine Vorgänger macht und den allergrößten Teil aller ähnlichen Veröffentlichungen der letzten zwei Jahre überragt, ist die Kombination aus gnadenlos guten Songs, perfektem und für mich fast erotisch gutem Instrumentalkönnen, chirurgisch präziser Produktion, einer Vision harter, düsterer Musik, die ich so noch nicht gesehen oder gehört habe und einer permanent das Album umwehenden satanischen, respektlosen Aura. Das blastet eine ganze Generation von Black Metallern aus den Stiefeln.

Ich darf schon vorwegnehmen, dass der Titel des Albums besser nicht gewählt sein könnte: „Fractal Possession“ bildet in der Tat ein Gebilde von unirdischer Schönheit ab, jedes Einzelteil dem anderen und dem Ganzen ähnlich. Ein Meisterwerk der digitalen Tonkunst, ein Meisterwerk der Kunst, Musik zu zerlegen und mit Genialität und Einfallsreichtum wieder zusammen zu setzen und das in einer fast mathematisch präzisen Weise, die trotzdem völlig emotional bleibt. Und was die Besessenheit angeht… sehr viel komplexer, sehr viel schneller, sehr viel erbarmungsloser… sehr viel besessener kann man kaum spielen. Das hier ist einfach eine ganz eigene Liga.

„Warning“, das Intro, heißt nicht ohne Grund so. Ich bin ziemlich unvorbereitet an das Album gegangen und auf der Stelle wehrlos gewesen. Wenn „Project: Shadow“ einsetzt, mit seinen kreischend progressiven Leadgitarren und einem Blastdrumming, das sofort zum Herzstillstand führt, sollte man besser in Deckung gehen. Schon dieser Opener besticht mit allem, was das Album ausmacht: rasendes, fast amokartiges Schlagzeugspiel mit Könnerdetails, die einem die Farbe aus dem Gesicht treiben über bösartig schwarzen Ohrwürmern in Gestalt megakomplexer (und einiger fast thrashiger) Riffs, die aber noch die typischen ABIGOR-Trademarks durchschimmern lassen. Dazu genial eingesetzte elektronische Effekte und die Stimme des neuen Sängers AR, die irgendwo zwischen seinem Vorgänger Silenius, Maniac, Attila und Satyr liegt und mehr als überraschend gut ist und sich bestens in die Songs einfügt.
Ungelogen habe ich noch NIE gehört, wie eine Band nur mit Gitarren und diversen Effekten einen Song in ein derartiges Massaker verwandelt. Obwohl das Album extrem harmonisch im Ganzen ist, sind es die Riffs selbst nicht, im Gegenteil wehrt sich jeder Song mit aller Kraft gegen jede Schönheit, jeden Kitsch und alles, was man sonst so aus dem Black Metal kennt. „Fractal Possession“ erreicht eine künstlerische Tiefe und ein instrumentales Niveau, das auf diesem Level keine Band bieten kann und ist trotzdem ein extremes Monster in einem fehlerlosen Klanggewand. Wer soll da mithalten? Nicht MAYHEM, die mit „Grand Declaration Of War“ zwar nahe dran waren, aber nicht ebenbürtig; auch nicht DHG, die mit „Supervillain Outcast“ ein zwar sehr gutes, aber vergleichsweise harmloses Album aufgenommen haben; erst recht nicht jede andere skandinavische Band jeder beliebigen Größe und Genialität.

ABIGOR haben einen einzigartigen Stil, einen unvergleichlichen Sound (übrigens wirklich perfekt, ich wüsste nicht einen Punkt, den ich für verbesserungswürdig halte!) und gleich neun vollkommen fantastische Songs auf dem Album, so dass ich wirklich mal gespannt bin, was im avantgardistischen Black Metal nach diesem Supergau noch kommen soll. Die Unendlichkeit von „Cold Void Choir“ ist ungeschlagen, das Gänsehautriff von „Lair Of Infinite Deparation“ begleitet mich sogar schon in den Schlaf, wenn ich davon träume, eines Tages auch nur verstehen zu können, wie man so Schlagzeug spielen kann wie TT (der Einstieg von „The Fire Syndrom“ beispielsweise ist… was soll ich sagen… ein Schlag ins Gesicht jedes Drummers. Gleiches gilt für jeden Blast Beat, der mit denen seiner Kollegen Hellhammer oder Frost mehr als mühelos mithalten kann). Wie kann man sich solche Titel wie „3D Blasphemy“ und „Injection Satan“ ausdenken? Wie kann man solche Songs schreiben? Und wie spielen? WIE ZUR HÖLLE KANN MAN SO EIN ALBUM AUFNEHMEN??? Ein Album, das, so übertrieben das klingt und so subjektiv es ist, meine Musikwelt derzeit auf den Kopf stellt. Ich werde noch wahnsinnig und verwahrlose, weil ich davon nicht wegkomme. Und weil ich daran verzweifle, meine ganzen Emotionen und Gedanken zu diesem monströsen Ding ausdrücken zu wollen. Muss aber vielleicht auch gar nicht sein, solange ich die Platte hören kann.

Shopping

Abigor - Fractal Possessionbei amazon16,09 €
11.05.2007

Shopping

Abigor - Fractal Possessionbei amazon16,09 €

Interessante Alben finden

Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37089 Reviews und lass Dich inspirieren!

Nach Wertung filtern ▼︎
Punkten
Nach Genres filtern ►︎
  • Black Metal
  • Death Metal
  • Doom Metal
  • Gothic / Darkwave
  • Gothic Metal / Mittelalter
  • Hardcore / Grindcore
  • Heavy Metal
  • Industrial / Electronic
  • Modern Metal
  • Off Topic
  • Pagan / Viking Metal
  • Post-Rock/Metal
  • Progressive Rock/Metal
  • Punk
  • Rock
  • Sonstige
  • Thrash Metal

10 Kommentare zu Abigor - Fractal Possession

  1. me sagt:

    Avantgardistisch, komplex, besessen, das triffts… Es braucht durchaus seine Zeit, Zugang zu den Songs zu finden; andererseits gefällt mir genau das. Sie sind wild, schwarzmetallisch, die Gitarrenläufe manchmal fast traditionell oder Death (DEATH?)-lastig, der Gesang äußerst charismatisch, dunkel, ausdrucksstark, vielfältig. Wie bei ENSLAVED oder NEGURA BUNGET steckt die Liebe im Detail, das man nicht sofort erkennt, denn mitreissend auf schwarzen Schwingen rauscht der dunkle Alpenwind über uns hinweg, archaisch, kratzig, gemein. Dann jedoch, beim dritten, fünften, siebten Hören erkennt man… eigenartige Schlagzeugfiguren, soundcollagenartige Verzerrungen, die zunächst eine andere Richtung vorzugeben scheinen, um dann in eine explosive, alle möglichen und unmöglichen Genremittel nutzende Schwarzwurzelorgie auszuarten. Der Gang durch den heimischen Wald kann ja auch nicht geradlinig erfolgen; der Zusammenprall mit der einen oder anderen Eiche wäre unvermeidlich. Hakelig ist die Musik, dennoch finden ABIGOR immer den richtigen Weg, egal wieviel Unterholz zu überwinden ist. Einige Passagen sind nahezu sensationell gut. Hätte ich den Mannen aus den ehemaligen k.u.k.-Gefilden gar nicht zugetraut, ehrlich gesagt. Werde ich noch oft hören, diese Waldläufer.

    9/10
  2. Anonymous sagt:

    Abigor??? Für mich nie eine herrausragende Band. Sowieso- das einzige was die Ösis in letzter Zeit hinkriegen ist für mich nur Summoning. Aber ich kenn mich da auch nicht so aus. So und dann les‘ ich dieses Review… Also eigentlich muss sich nach diesem Review jeder Metaller Gedanken um diese CD machen. Und es ist tatsächlich so. Das Review wird zum Ende hin sogar emotional was für eine objektive Sichtweise nicht gerade optimal ist aber den Release sehr interesant macht. Also sofort gekauft. Man kann dem Autor gedankenlos in jeder Hinsicht recht geben. Wahnsinns Produktion – ist nicht zu verbessern. Unglaubliche Instrumentierung. Rasender, zeitloser, harter, Black Metal vom Feinsten.
    Abigor kann sich mit diesem Release in die obere Black Metal Liga einreihen. Zusammen mit der neuen DHG und Mayhem die Highlights im Frühling. (Ich hab auf meiner Version sogar zehn Tracks, weiss nicht ob das Intro vom Author mitgezählt wurde…)

    10/10
  3. mayweed sagt:

    Gott, was für ein Album, was für ein Wahnsinn, was für ein Können, was für eine Produktion !!!

    Ich kann diesem fantastischem Review nur zustimmen, so hat mich lange (nie?) kein Album mehr umgehauen. Dabei höre ich eigentlich so extremes Zeugs garnicht, eher so die langsamen melodischen Doom(-Death) Geschichten..

    Dieses Album ist wirklich in jedem Sinne progressiv und ich werde noch lange lange brauchen um die Songs in ihrer gesamten Tiefe zu ergründen..
    Also, ich danke Gott/Satan dass ich dieses funkelnd-stachelige Juwel gefunden habe, und jetzt muss ich das ganze erstmal einsickern lassen, bis ich mich irgendwann später mal an den nächsten Durchlauf wagen werde…

    10/10
  4. pez sagt:

    So etwas passiert, wenn man ein Album einmal durchhört und dann sofort in die Tasten haut. Im ersten Augenblick mag das Album überragend sein und einen umwerfen, nach einigen Hördurchgängen wird einem aber schnell bewusst, dass für ein angebliches Meisterwerk die krassen Melodien eines Emperor Anthems Albums oder auch des selbst gesetzten Standards eines Surpreme immortal arts fehlen. Relativ wenig klingt wirklich ergreifend und auf Dauer fehlt auch einfach die tragende Substanz. Leider kann die Produktion dies auch nicht so liefern, die an sich zwar völlig in Ordnung geht und Abigor typisch ist, aber dieses mal einfach zu sauber und steril ausgefallen ist, es fehlen die Zwischentöne, ein treibendes Element, vielleicht etwas mehr Bass und etwas mehr Grundrauschen, das die Musik tragen kann. Wer sich nicht vorstellen kann was ich meine, sollte sich mal Abigors Channeling the quintesence of satan anhören, da wird einem der Unterschied sofort bewusst daran reicht dieses Album in Dekaden nicht heran. Was bleibt ist ein viel zu euphorisches, laienhaftes und daher völlig unkritisches Review, dass besonders für eines spricht, für die Black Metal Unerfahrenheit des Redakteurs, der keine adäquaten Vergleiche hat. Davon abgesehen ist Abigor ein fulminantes Comeback geglückt, dass sicher kein Pflichtkauf darstellt, aber die stagnierende Black Metal Szene um eine interessante Fazette bereichert.

    8/10
  5. krom sagt:

    Definitiv ein herausragendes Album auf hohem technischen Niveau.
    Allerdings setzt das Album keinerlei neue Maßstäbe in Sachen Technik und schon gar nicht Geschwindigkeit.
    Für die eigene Liga gibt es wohl unbestritten die neue Mayhem – Ordo ad Chao.
    Aber eins ist sicher. Ab heute bin ich auch Abigorfan;) Ich mag ihre extreme Experimentierfreudigkeit, mit der sie die Lieder versehen haben.
    Dieses 100% auf den Punkt spielen, mögen manche als steril ansehen,zeigt aber ihre vorhandene Professionalität.
    Hut ab!! Die Jahre haben sich wirklich gelohnt. TopTen Album!

    9/10
  6. madp sagt:

    Hallo.
    Ich muss zugeben, der erste Track (Warning) hat mich vorerst abgeschreckt. Doch ich habe der CD eine 2. Chance gegeben. Zum Glück! Technisch anspruchsvoll, und kreativ, trauen sich Abigor einen Schritt weiter, wo Satyricon (zu Volano-Zeiten) stehen geblieben sind. Der ein oder andere Song erinnert auch an Mayhem (Lairf Of Infinite Deparation z.B.)
    Insgesamt ein gutes Album, dennoch finde ich 10 Punkte zu viel, denn Perfekt ist es nicht. Ich würde mir manchmal eine erkennbarere Linie wünschen.

    8/10
    Gruß!

    8/10
  7. sickman sagt:

    Ein gutes Album mit richtig geilen Ideen (auf der Gitarre). Man braucht zwar einige Zeit, sich in die teilweise verquere Spielweise reinzufinden, aber wenns erstmal gezündet hat, erwartet einen ein richtig interessanter Hörgenuß. Gut gelungen!

    8/10
  8. cursewithmourn sagt:

    Der Gesang ist lächerlich vulgär. Erinnert an Mystic Circle.

    Technische Spielerei bieten immer die Gefahr gute Laune zu verbreiten, statt zu verstören, wie allgemein jedes Spiel ein Spiel bleibt.

  9. hellfukker sagt:

    Ich mochte zwar immer alles von Abigor, aber richtig zu begeistern vermögen sie mich erst mit diesem Album hier. Endlich stimmt die Produktion, endlich fügen sich die Samples nahtlos in die Musik ein. Und die Songs sind komplex und vielseitig wie nie zuvor, vermögen einen aber sofort zu fesseln.
    Einzig das Digibook ist ein Bischen leer.
    Mit diesem Album spielen sich Abigor endlich in die internationale Spitzenliga des Black Metal.

    5/10
  10. Markus sagt:

    Anfangs fast unhörbar, lange Zeit ungenießbar, aber von Anfang an ein intellektueller Genuss! Bevor man sich an dieses Album heran wagt, muss man alle Vorstellungen davon, wie Musik zu klingen hat, aus seinem Bewusstsein verbannen. Es ist wie abstrakte Malerei, nur dass ein abstraktes muskalisches Werk noch schwerer zu begreifen ist, weil die zeitliche Komponente auch dazu kommt. Ein Gemälde kann man stundenlang betrachten, aber ein Song von „Fractal Possession“ ziehen rasend schnell an einem vorbei, und man hat hinterher keine Ahnung, was da gerade passiert ist. Ich habe einige Durchläufe gebraucht, bis ich nicht mehr fasziniert und verstört, sondern nur mehr fasziniert war.

    9/10