Dødheimsgard - Black Medium Current

Review

Soundcheck Dezember 2023# 1

Beim Veröffentlichungsrhyhtmus der norwegischen Black-Metal-Eklektiker DØDHEIMSGARD hat sich seit ihrem gern als Referenzwerk bezeichnetem „666 International“ eine Konstante dergestalt eingestellt, dass die Herren um Yusaf Parvez seither nur alle acht Jahre ein Album veröffentlichen. Dabei befindet sich die Band klangtechnisch aber praktisch stetig im Wandel. Der letzte Brocken, „A Umbra Omega“, wirbelte mit urtümlichen Schwarzwurzel-Attacken, bizarren, Jazz-infundierten Melodien und ruhigeren Momenten umher, stopfte dabei gefühlt den Gehalt dessen, was andere Genre-Genossen nicht mal gänzlich in ihrer gesamten Diskografie verwursten, in ein einzelnes Album rein und formte etwas, was man böszüngig als Crossover-Black Metal, gutzüngig als Avantgarde Black Metal, in jedem Falle als reichlich komplex und eklektisch bezeichnen konnte.

Die norwegischen Black-Metal-Eklektiker DØDHEIMSGARD lassen mehr Ordnung einkehren

Nun, die Norweger haben es, Überraschung: acht Jahre nach „A Umbra Omega“, wieder getan. „Black Medium Current“ heißt der neue Streich, den Parvez nebst Konspirateuren auf die Welt loslassen. Und es hat sich ja schon als eine Art Alleinstellungsmerkmal erwiesen, aber auch „Black Medium Current“ sondert sich wiederum von seinem direkten Vorgänger ab. Statt die schwarzmetallische Rohheit zu nehmen und sie in eine gefühlte Zirkusgala einzubetten, ist es nun die atmosphärische Schwärze, die mit allerhand fantasievollen und/oder spacigen Synths unterfüttert wird. Dass die Hände hinter dieser Band geschickt im Verweben von vermeintlich gegensätzlichen Klängen sind, wurde ja nun bereits mehr als erschöpfend lobend erwähnt. Insofern ergibt es natürlich Sinn, dass sich der Gesamtcharakter von „Black Medium Current“ dem atmosphärischen Charakter anpasst.

Will sagen: DØDHEIMSGARD agieren anno 2023 richtig melancholisch und gar nicht mehr so enthemmt wie vor acht Jahren. Industrial-Elemente sind bei Parvez‘ Truppe ohnehin Gang und Gäbe, hinzu kommt ein Hang zu spacigen Synth-Texturen. Was den Black-Metal-Anteil betrifft, so rangiert dieser in dem, was man im Kontext der Norweger mal ganz vorsichtig als konventionellen Atmospheric Black Metal bezeichnen möchte, mit kleineren Ideen von EMPEROR/IHSAHN und den „Vertebrae“-Ära-ENSLAVED eingestreut, wobei der Beginn von „Det Tomme Kalde Morke“ tatsächlich noch mal zum Furor des Vorgängers zurückkehrt. Doch Eklektik steht auch dieses Mal wieder auf dem Programm, „Interstellar Nexus“ geht beispielsweise zwischenzeitlich eine Symbiose mit Ansätzen indischer Volksmusik ein, wenn der Schwarzmetall nicht gerade spacig vor sich hin groovt. Es ist bizarr. Es ist wild. Es ist wunderbar.

„Black Medium Current“ glänzt durch packende Atmosphäre und Gänsehautmomente

Der geschätzte Vorredner erwähnte auf dem Vorgänger die Übergänge zwischen den einzelnen Passagen, unsereins würde eher von abrupten Hakenschlägen sprechen. Diese haben „A Umbra Omega“ seinerzeit aber eben auch so herrlich unberechenbar gemacht und ihm etwas besonders Bösartiges verliehen. Dagegen gibt sich „Black Medium Current“ deutlich geschmeidiger und glänzt durch elegante Übergänge. Gerade bei den beiden eröffnenden Stücken „Et Smelter“ sowie „Tankenspinnerens Smerte“ kann man kaum von der Hyperaktivität eines „Aphelion Void“ sprechen. Die Herren klingen anno 2023 deutlich gediegener und lassen dadurch einerseits richtig schöne, elegische Gesangsharmonien wie gegen Ende von „Tankespinnerens Smerte“ zu, erheben sich aber auch melodisch zu höheren Sphären und sorgen so für massive Gänsehautmomente.

Es gibt gar nicht mal so viel Exzentrik zu bewundern. Die Jazz-Einlagen beispielsweise lassen vergeblich auf sich warten, lediglich die operettenartigen Gesangseinlagen im abschließenden „Requiem Aeternum“ lassen in Sachen Exzentrik aufhorchen. Mit das ausgefallendste, was einem auf dem Album begegnet, ist das Ende von „Et Smelter“, bestehend aus einem richtig peppigen Hard-Rock-Solo und einem Groove mit poppigen Claps und souligen Backing Vocals. Noch eine interessante Eigenart von „Black Medium Current“, die bereits mehrfach in der hiesigen Ausführung Anklang gefunden haben mag: Der Anteil an klaren Gesangseinlagen hat deutlich zugenommen, sodass man dem Sound dank seiner Spacigkeit auch gewisse ARCTURUS-Ansätze unterstellen könnte. Man setzt anno 2023 also deutlich mehr auf Stimmung und Stimmigkeit, was zu einem weitaus zugänglicheren Hörerlebnis führt.

Dabei setzen DØDHEIMSGARD offenbar auf mehr Zugänglichkeit …

Der Inbegriff dieser Charakteristika dürfte der majestätische Stampfer „Halow“ sein, ein Song, bei dem DØDHEIMSGARD eine musikalische Idee für die Dauer eines neunminütigen Stückes erschöpfend erforschen und durchentwickeln. Besonders Zucker sind hier diese großartigen, Chef’s Kiss-würdigen Übergänge, einerseits in ihrer harmonischen Seidigkeit, aber auch hinsichtlich der subtilen aber spürbaren Variationen in Intensität. Hier kommen die oben erwähnten „Vertebrae“-ENSLAVED teilweise besonders markant zum Vorschein. Selbst zum Ende hin, wenn die Rhythmik anzieht und etwas unregelmäßiger wird, bleiben die Motive und Harmonien des Tracks wiedererkennbar.

Dank dieses dramaturgisch deutlich nachvollziehbareren Songwritings – unsereins möchte den großartigen Vorgänger damit in keinster Weise abwerten – möchte man DØDHEIMSGARD fast ein bisschen das „Avantgarde“-Präfix ab- und dafür das „Progressive“-Präfix anerkennen. So richtig abgedreht und desorientierend klingen sie nämlich heuer gar nicht mehr, sie lassen vielmehr einen sensationellen Fluss in ihre Musik einkehren. Das führt auch dazu, dass sie einzelnen Phrasen DEUTLICH mehr Fußlauf zur Entfaltung lassen, wodurch sich „Black Medium Current“ im ersten Moment fast ein bisschen „langsam“ anfühlt – ich erwähnte weiter oben das böse Wort „konventionell“. Das bedeutet auf Empfängerseite aber vor allem, dass man „Black Medium Current“ Zeit einräumen und in Ruhe auf sich wirken lassen sollte.

… und schaffen somit einen heißen ROTY-Anwärter

Und dann dürfte man zu der fast schon ernüchternden Erkenntnis gelangen, dass es DØDHEIMSGARD irgendwie unmöglich scheint, ein Album zu veröffentlichen, das nicht mindestens großartig ist. Mit einem derartigen Arbeitsrhythmus, bei dem man gerne hinein romantisiert, dass jede einzelne Idee genauso lange reift, wie sie eben braucht, wundert das auch nicht weiter. Parvez und Mitstreiter schaffen mit „Black Medium Current“ jedenfalls ein atmosphärisches, kreatives, spannendes und progressives Black-Metal-Album, bei dem man selbst nach dem zehnten Durchlauf in Folge noch irgendwelche neue Texturen heraushört. Dass man sich anno 2023 zugänglicher als zuletzt gibt, entschärft hiermit auch sämtliche Ausreden, sich nicht mit den Norwegern zu befassen.

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13.04.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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18.10. - 19.10.24Servants Of Chaos Festival 2024 (Festival)Archgoat, Dødheimsgard, Throane, Mütterlein, Eitrin und Aversio HumanitatisResonanzwerk, Oberhausen

25 Kommentare zu Dødheimsgard - Black Medium Current

  1. prometheus heinrich sagt:

    das hier wird sicherlich wieder großartig. der vorgänger lief auch rauf und runter!
    für die reviews wäre sicherlich ein album wie „kronet til konge“ ein geeigneter kandidat für die blast from the past kategorie.

  2. imwald sagt:

    das ist wie zu erwarten war wieder ein Meisterwerk von DHG, hier passt einfach Alles perfekt zusammen, Atmosphäre,Abwechslung, Gesang

    10/10
  3. nili68 sagt:

    Black Metal (im erweiterten Sinne) kann durchaus noch originell und von Qualität sein, wie man hier sieht. Manchmal brauche ich diesen „Beweis“. Klar, man kann immer was finden, was nicht Perfekt ist, aber so spontan..
    Generell gute Band.

    10/10
  4. ira incensus sagt:

    Für mich ist ‚Black Medium Current‘ jetzt schon ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres. Unfassbar, was die Herren um Mastermind Vicotnik hier auf knapp 70 Minuten bieten. Schon der Vorgänger ‚A Umbra Omega‘ war und ist phänomenal. Dass das neue Werk nun wieder solch ein Knaller wird, hätte ich nicht erwartet. Es klingt anders als der Vorgänger, und doch erkennt man Dødheimsgard sofort wieder. Einzelne Tracks kann ich gar nicht empfehlen, für mich ist eines dieser Alben, die man am Stück hören muss.Volle Punktzahl!

    10/10
  5. ultra.silvam sagt:

    Grandioses Album. Ich finde es absolut grandios das man hier eine klare Verbindung zur letzten Dold Vorde Ens Navn Platte raushören kann, aber es halt die typischen avant-garden verspielten Elemente von modernen Dødheimsgard aufweist. Der Herr Vicotnik hat sich mal wieder selbst übertroffen.

    9/10
  6. doktor von pain sagt:

    Richtig starkes Album. Es steckt voller Kreativität und vermischt zig Stile miteinander, ohne zerfahren zu klingen. Jefällt mir, wa?

    9/10
  7. Se Wissard sagt:

    Beeindruckende Darbietung! Album des Jahres? Heißer Anwärter!

    Warum erinnert mich die Platte an Solstafir als diese noch gut waren? Vielleicht wegen dem manchmal etwas wackligen Klargesang, oder wegen der dichten, zwischen Schönheit und musikalischer Raffinesse angelegten Atmosphäre.
    Hier ein deutliches Beispiel, dass spielerisches Können und eine saubere, aber nicht zu perfekte Produktion, durchaus gewinnbringend für die Atmosphäre sein können. Aber dazu braucht es eine Ausnahmeband!

    10/10
  8. Schraluk sagt:

    DHG haben so einige Spuren hinterlassen bei mir. Das Teil ist grandios und trotz erstem 1/4 des Jahres am Ende wohl schwer zu toppen. Unfassbar geile Scheibe, ein Feuerwerk.

    10/10
  9. blackthrash sagt:

    geil wie immer!

    9/10
  10. Lysolium 68 sagt:

    Ich fühle eine überwältigende Ergriffenheit beim Anhören dieses Meisterwerks welche mir melancholische Freudentränen beschert. Sülz Padülz. Nee Ernsthaft geiles Album…

    10/10
  11. imwald sagt:

    Lysolium 68, ja so geht es mir auch bei diesen grandiosen Album, der letzte mal hat „Hiss Spun„von Chelsea Wolfe so angefasst

  12. badKissinger sagt:

    immer ein sehr gutes zeichen, wenn ich ob des gehörten unvermittelt dümmlich grinsen muss. weiß gott nicht der abgefahrenste avant-garde-kram, den man so fabrizieren kann aber mein gott, sie schaffen es einfach, richtig gute und verhältnismäßig gut verdauliche songs innerhalb dieses absolut wilden mixes an einflüssen zu kreieren. da hat sich das warten tatsächlich gelohnt.

    9/10
  13. nili68 sagt:

    Jetzt, da ich das Album besitze und vernünftig am Stück hören kann, möchte ich meine 10 Punkte nur noch mal bestätigen. Ganz großes Kino des noch relativ jungen Jahres.

  14. Herbchandler sagt:

    Bin mal wieder spät dran und schließe mich eigentlich auch nur den Vorrednern an. Die in die neue DHG eingewobenen Dold Vorde Ens Navn-Fäden treiben den stets gewagten und doch immer unverkrampften Mix in die obskure Perfektion. Ich kriege bei plastikhaften Technogeräuschen eigentlich immer schweren Hautausschlag, bei ‚Black Medium Current‘ aber lediglich ein wohliges Kribbeln auf der Haut und ein breites Grinsen in die Fresse.

    10/10
  15. Serious Serpent sagt:

    Großartig. Läuft seit Wochen auf und ab. Und das ist sehr selten geworden bei mir.

    10/10
  16. Vlad_the_Impala sagt:

    Ich seh das im Prinzip genau so wie die Gentlemen über mir… 10.

    10/10
  17. Watu sagt:

    Sehr krass-geiles Album! Bislang nur einmal laufen lassen, aber so etwas innovatives und gleichzeitig harmonisches, habe ich selten gehört. Leider etwas zugänglicher geworden das Ganze, aber hier muss ich mich dann doch mal vom puristischen Glauben lösen, sonst entgeht mir eines der Highlights in diesem Jahr. Für ne Wertung muss es aber noch ein wenig länger wirken.

  18. Hellboy sagt:

    Mich packt dieses Album trotz vielfachen Hörens in den unterschiedlichen Stimmungslagen leider nicht wirklich. Mir ist es im Gegensatz zu den anderen Kommentatoren wahrscheinlich zu „atmosphärisch“. Kreativ und innovativ ohne Zweifel, für mich aber zu langatmig, schleppend und ohne wirklichen Spannungsbogen.

    6/10
  19. Watu sagt:

    Jetzt öfters gehört und bin absolut begeistert. Sehr eigenwillige Atmosphäre und Ideen, twls. schon lieblich anmutend. Da ich Dodheimsgard jedoch eher von Monumental Possession kenne, muss ich mich allerdings schon bemühen, meinen puristischen Anspruch hinten anzustellen. Insgesamt habe ich mit der „Neuausrichtung“ (die ja schon lange vorher begonnen hat) überhaupt kein Problem, aber etwas mehr roughness hätte ich mir schon gewünscht, das hätte man auch mit diesem Stil verbinden können und hätte das Ganze deutlich veredelt. Dennoch ein großartiges Werk, das mir 9 Punkt wert ist und mit Tenhi’s neustem Meisterwerk, mein bisheriges Jahres-Highlight darstellt.

    9/10
  20. Kazanian sagt:

    Watu, dann höre dir das Vorgängeralbum „A umbra omega“ an. Dort findest du neben der ganzen Seltsamkeit und Verrücktheit ne Menge Black Metal und auch ordentlich Geballer. Das neue Album ist schon wirklich deutlich ruhiger.

  21. Watu sagt:

    Danke! Ich habe da überall schon mal reingehört, aber es lief nie so richtig in Dauerrotation bei mir. Gibt einfach zu viel musikalischen Stoff auf diesem Planeten. :))

  22. TrVeManSchoh sagt:

    Ich bin spät dran, aber verdammt, musste mich kurz anmelden, um eine weitere 10/10 zu hinterlegen. Ist schon ein bisschen was her, dass mich ein Metal-Album so begeistert hat. Braucht mehrere Durchläufe, aber dann geht einem die Scheibe nicht mehr aus dem Kopf. Für ein Black Metal-Album ist das Teil geradezu wunderschön, für DHG-Verhältnisse geradezu schon konventionell, im Vergleich zu 98 % der restlichen Metalwelt aber immer noch abenteuerlich. Die Melancholie und der Gesang erinnern mich in Teilen an Ulver ab 2000. Einzige Kritikpunkte: Album könnte stellenweise etwas mehr Druck vertragen und Synthies klingen teilweise nach altbackenen Käse-Casio-Presets. Man könnte aber auch sagen, es entsteht hier und da eine wohlige Captain-Future-Retro-Stimmung. Wie dem auch sei: Tolles Dingen mit großartigem Songwriting.

    10/10
  23. deadguy sagt:

    Kurz und Knapp: mein bisher stärkster Anwärter auf den Titel Album des Jahres.

    10/10
  24. Kropfverfechter sagt:

    Ich gehöre ja zu den Komischen, die Supervillain Outcast als das beste DHG Album ansehen und vor acht Jahren bin ich auch einfach nicht in die Stimmung von A Umbra Omega gekommen, aber das hier ist ja richtig geil. Hat direkt beim ersten Durchlauf gezündet.

    9/10
  25. Kazanian sagt:

    Supervillian Outcast ist auch ein wirkliches sehr cooles Album. Für mich bleibt „A Umbra Omega“ aber tatsächlich das beste DHG Album.