
Jedem, der die EVERGREY-Tour 2022 in Deutschland besucht hat, ist vermutlich vor allem eine Support-Band im Kopf geblieben. Genau, ich spreche von der Death-Metal-Kapelle, deren Frontmann sich plötzlich sein Saxophon umgehängt und sein Solo mitten im Publikum gespielt hat. FRACTAL UNIVERSE aus dem französischen Nordosten dürften sich damals den ein oder anderen neuen Fan erspielt haben. Leider war nach zwei Alben bei Metal Blade offenbar Schluss mit dem Deal, der vierte Longplayer „The Great Filters“ erscheint auf dem ungleich kleineren Label M-Theory Audio, was aber natürlich keinesfalls etwas über die Qualität des Inhalts zu sagen haben sollte.
FRACTAL UNIVERSE – Progressiver Tod?
Da uns die ersten drei FRACTAL UNIVERSE-Alben leider komplett durchgegangen sind, erst einmal ein kurzer Versuch der Einordnung: Die Band aus Nancy spielt auf dem Papier Progressive Death Metal, häufiger ist auch etwas von Technical Death Metal zu lesen. Wer jetzt in Richtung NILE denkt, ist aber komplett auf der falschen Fährte, selbst melodischeres wie FLESHGOD APOCALYPSE kommt FRACTAL UNIVERSE nicht wirklich nah. Den Stil der Franzosen einfach nur als „Progressive Metal“ zu bezeichnen dürfte wohl passender sein.
Ja, neben Growls bricht zwar auch immer wieder Raserei durch, diese gerät manchmal auch komplex. Aber die Nähe zu Bands wie LEPROUS oder HAKEN dürfte wohl deutlich stärker sein, als zu den vorher genannten Todesstahl-Bolzern. „The Great Filters“ ist insgesamt sicherlich nicht das härteste Album von FRACTAL UNIVERSE, ein moderner Anstrich scheint ebenfalls immer wieder durch.
Klingt alles irgendwie komisch, als könnte das niemals zusammen passen? Doch, genau dieses Kunststück schafft die sträflich unterbewertete Formation eben doch immer wieder. Sperrig? Klar. Aber Fronter Vince Wilquin und Co. ergehen sich eben nicht in nerviger Technik-Selbstbeweihräucherung, sondern haben auch ein Händchen für packende Harmonien und eingängiges Songwriting. Ein knackiger, ohrenschmeichelnder Vierminüter wie „The Seed Of Singularity“ funktioniert auf „The Great Filters“ genau so, wie das vertrackte „Specific Obsolescence“.
Songs jenseits der sieben Minuten sucht man auf der Platte sogar vergebens, Songdienlichkeit wird bei FRACTAL UNIVERSE ganz groß geschrieben. So wird das Saxophon eben auch nur in passenden Momenten ausgepackt, immer wieder ausgekontert von harschen Death-Metal-Salven, eingängigen MeloDeath-Parts, unwiderstehlichen Soli und sogar zerbrechlichen Klavierpassagen. Dabei kann das hohe Niveau fast über das ganze Album gehalten werden – lediglich kurz vor dem erneut großartigen Finale „A New Cycle“ schleichen sich hier und da ein paar kleine Längen ein.
Gibt es denn gar nichts zu kritisieren? Nunja, in Sachen Klargesang gibt es sicher ausdrucksstärkere Stimmen als die von Wilquin, auch wenn er versucht leicht angeraut und kraftvoll zu intonieren geht dem Mann ab und an ein wenig die Luft aus. Schlecht ist seine Leistung aber auch in diesem Bereich keinesfalls und wird von der bärenstarken Instrumentierung sowieso mehr als tatkräftig unterstützt.
Extraschippe Vielschichtigkeit – „The Great Filters“
FRACTAL UNIVERSE haben eigentlich noch nie ein schlechtes Album veröffentlicht, auch „The Great Filters“ bildet hier keine Ausnahme. Besonders in Sachen Vielschichtigkeit wird noch einmal eine Schippe drauf gepackt und eindrucksvoll bewiesen, dass es keiner Scheuklappen bedarf, unterschiedlichste Stilrichtungen und -mittel in einen Topf geworfen werden und trotzdem ein schlüssiges Ganzes ergeben können, wenn man es denn richtig macht.
Angriffsfläche bieten die Franzosen natürlich trotzdem reichlich: Zu modern, zu viel Chichi, „Saxophon braucht im Metal eh keiner“ – beliebiges weiteres Gemäkel bitte hier einfügen. Wer aber modernerem, progressivem Metal offen gegenübersteht, dem bietet sich mit „The Great Filters“ ein hervorragendes, abwechslungsreiches und sogar erstaunlich zugängliches Album. Gerade auch Fans von Bands wie VOLA sollten der Platte unbedingt eine Chance geben, denn diese Band müsste eigentlich viel bekannter sein. Mit „The Great Filters“ untermauert sie diesen Anspruch jedenfalls eindrucksvoll.
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