Marillion - Clutching At Straws

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

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Nach den gelungenen ersten beiden Werken “Script For A Jester’s Tear” und “Fugazi” befanden sich die Schotten MARILLION mit dem dritten Werk, einem Konzeptopus namens “Misplaced Childhood” auf dem Zenit ihres Erfolges und ihrer Kreativität. Das Album warf unter anderem den Mega-Singlehit “Kayleigh” ab und schaffte es, die Massen wieder für Prog Rock britischer Prägung zu begeistern.

Anno 1987 hingegen lag das Bandklima im Hause MARILLION schon sehr im Argen. Vor allem Sänger Fish distanzierte sich künstlerisch und menschlich zunehmend vom Rest der Band. Dennoch raufte sich das Quintett zusammen, um ein letztes, überragendes Konzeptalbum zu komponieren, das auf den Namen “Clutching At Straws” hört und die Fish-Ära für immer beenden sollte.

MARILLION und Fish – Das Ende einer Ära

Ähnlich wie “Misplaced Childhood” ist “Clutching At Straws” inhaltlich durch biografische Erfahrungen von Frontmann und Texter Fish geprägt. Wohingegen auf dem Vorgänger Kindheit und Jugend in Edinburgh verarbeitet wurden, behandelt “Clutching At Straws” die (fiktive) Geschichte des heruntergekommenen, auf der Straße lebenden, erfolglosen und alkoholkranken Rockmusikers “Torch”. Konzeptionell ähnlich, wenn auch musikalisch anders gelagert, sollten SAVATAGE ein paar Jahre später mit der Rock-Oper “Streets” aufwarten.

Jedenfalls ist “Clutching At Straws” mehr noch als sein Vorgänger ein Konzeptalbum, bei dem Inhalt und Musik ein hervorragendes Zusammenspiel ergeben. Wie in der klassischen Programmmusik gehen fast alle Songs nahtlos ineinander über; die Geschichte ist im konstanten Fluss. Es sind die emotionsgeladenen Phrasierungen des Phil-Collins-Soundalikes Fish und das hochgradig abwechslungsreiche, stets songorientierte Material der Ausnahmemusiker Ian Mosley, Pete Trewavas, Mark Kelly und Steven Rothery, die es schaffen, beim Hören mit geschlossenen Augen einen inneren Film zu erzeugen. Mit ausschließlich geilen, klischeehaften Achtziger-Visuals, versteht sich.

“Clutching At Straws” – Die Tragödie des Alkoholismus

Wie eindringlich und bildhaft die Hölle der Alkoholsucht auf diesem Album von MARILLION thematisiert wird, lässt sich am besten mit dem Song “Just For The Record” (feat. bestes Keyboard-Solo im Prog überhaupt!) illustrieren.

“It’s too late, I found, it’s too far, I’m in two minds
Both of them are out of it at the bar
When you say I got a problem that’s a certainty
But I can put it all right down to eccentricity
It’s just for the record it’s just a passing phase
Just for the record I can stop any day”

Die Ausflüchte, Rechtfertigungen, oft leeren Versprechen und Vorsätze, die viele alkoholkranke Menschen sich und der Welt glaubhaft machen wollen, klingen fast wie eine Selbstoffenbarung, bevor der Song in das Seitenfinale und Highlight des Albums “White Russian”  übergeht. Doch auch mit den melancholischen, atmosphärisch dichten “Warm Wet Circles” und “That Time Of The Night (The Short Straw)” hat die A-Seite von “Clutching At Straws” einige Hochkaräter zu bieten.

Auf der B-Seite überzeugen vor allem der mit reichlich Pop-Appeal ausgestattete Opener “Incommunicado” (die Plattenfirma, die auf einen erfolgreichen Nachfolger zu “Kayleigh” hoffte, “erlaubte” “Clutching At Straws” nur wegen des kommerziellen Potenzials dieses Songs) und der an Achtziger-GENESIS erinnernde, epische Schlusssong “The Last Straw”, der die Geschichte von Torch mit gänsehautreichen Momenten zu einem Ende bringt. Ebenfalls erwähnt werden muss noch das textlich dunkle, musikalisch geradezu leichtfüßige “Slàinte Mhath”.

Die Magie des Vermächtnisses

Eigentlich ist es eine gute Sache, dass die MARILLION-Besetzung mit Fish nur vier Alben hervorbrachte. Das bis heute bestehende Line-up mit Steve Hogarth am Gesang bietet zwar auch einige Highlights; die Frühphase ist jedoch eine abgeschlossen stimmige Welt in sich. Was hätte nach “Clutching At Straws” auch kommen sollen, wenn nicht eine völlige Neuorientierung?

So bleibt ein Album, das mehrere Superlative für sich verbuchen kann. Es gehört zu den besten Konzeptalben der Rock-Geschichte, zu den besten Alben der Achtziger-Neo-Prog-Szene, zu den besten Abschiedsalben eines erfolgreichen Line-ups und und und. Alle, wirklich alle, die das Album noch nicht kennen und vielschichtige Arrangements, großartige Moog- bzw. Gitarrensounds mögen und ein Faible für klassische Rock-Theatralik haben, sollten nun “Clutching At Straws” für sich entdecken.

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04.08.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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2 Kommentare zu Marillion - Clutching At Straws

  1. thedeerhunter sagt:

    Das Trio Hotel Hobbies/Warm Wet Circles/That Time of the Night ist phänomenal,immer noch,danach allerdings fällt das Album ab,bis auf Sugar Mice.Doch alleine dafür lohnt sich der Kauf,denn alles was danach kam war relativ belanglos,für mich zumindest.Sehr gute Rewiev übrigens.

    9/10
  2. der holgi sagt:

    Marillion hatte ich nie wirklich auf dem Schirm, das lag schlicht daran, das sie ihre Hochzeiten hatten, als der anspruchsvolle klassische Progrock längst die seinen hinter sich hatte, Genesis, Yes usw….

    Sie waren mir zu spät dran

    dies jedoch sagt natürlich nix über die Qualität ihrer Kunst, diese ist schlicht hochwertig, und wäre ich ein paar Jahre älter, ich hätte Marillion wohl gefeiert, höre ich sie mir heute an, also die Frühwerke, ziehe ich den Hut, wirklich umhauen kann es mich nicht, noch immer nicht