Virgin Steele - The Passion Of Dionysus

Review

Fans der älteren Alben von VIRGIN STEELE haben es wahrlich nicht leicht. In den 80ern und 90ern hat die New Yorker Heavy/Power-Metal-Institution fast ausnahmslos starke Scheiben veröffentlicht und Alben wie „Noble Savage“, „The Marriage Of Heaven And Hell“ und „The House Of Atreus Act I & II“ gehören eigentlich in jede Genre-Sammlung. Seit der Jahrtausendwende scheint sich Chef-Exzentriker David DeFeis auf der Jagd nach der nächsten großen Metal-Oper aber immer mehr in seiner eigenen Echokammer zu verrennen. Wer entgegen allen Umständen hofft, dass er mit „The Passion Of Dionysus“ nochmal die Kurve kriegt und zu alter Größe zurückfindet, muss nun sehr stark sein.

VIRGIN STEELE und die Passion fürs Übermaß

Ein Blick auf die Trackliste deutet bereits an, dass sich der Trend der letzten VIRGIN STEELE-Alben fortsetzt. Nur zwei der zehn Stücke auf „The Passion Of Dionysus“ gehen unter fünf Minuten durchs Ziel, der Rest bewegt sich teils deutlich darüber, was zu einer imposanten Spielzeit von fast 80 Minuten führt. Leider gelingt es David DeFeis mal wieder nicht, diese sinnstiftend zu füllen und scheinbar hat er erneut ohne jeglichen Sinn für Selbstkontrolle alles in Ton gegossen, was seinem rastlosen Geist grade so entsprungen ist. Entsprechend gibt es auch auf „The Passion Of Dionysus“ wieder einen Wust an überlangen, vollkommen überladenen Schmalztiegeln zu hören.

Beispielhaft seien hier der Zwölfminüter „The Ritual Of Descent“ oder der Titeltrack genannt, die wohl mit einem langsamen, dramatischen Aufbau begeistern wollen, aber irgendwie nie auf den Punkt kommen und über weite Strecken einfach nur langweilen. Die schlimmsten Übeltäter auf „The Passion Of Dionysus“ sind aber gar nicht die Kompositionen selbst, sondern mal wieder deren Umsetzung. Man muss sich inzwischen ernsthaft fragen, ob DeFeis das noch ernst meint oder ob er inzwischen von der Tragödie in die Komödie gewechselt ist.

Frei nach dem Motto: „Selbst ist der Mann!“

Obwohl mit Jack Pursino und Joshua Block zwei langjährige Weggefährten an den Gitarren gelistet sind, darf gelinde bezweifelt werden, dass diese viel Zeit im Studio verbracht haben. Denn auch das neue Album klingt wieder so, als hätte Multiinstrumentalist DeFeis den Großteil der Musik mit seinem Keyboard und einem schlecht programmierten Drumcomputer eingespielt. Zwar gehörten dezent billige Konservensounds schon immer irgendwie zur DNA von VIRGIN STEELE, inzwischen tönen aber sogar die Bassspuren nach übelster Klimperkiste; man höre sich nur mit Schrecken „Spiritual Warfare“ an. Die Momente, in denen die Gitarren wirklich im Vordergrund stehen, halten sich für ein Power-Metal-Album wiederum in beängstigenden Grenzen.

Kommen wir schließlich zum Gesang: Die Stimme des Chefs war schon in besserer Verfassung, das ist kein Geheimnis. Statt auf die ausdrucksstarken Power-Vocals von einst, die problemlos mit einem Eric Adams (MANOWAR) mithalten konnten, setzt DeFeis erneut auf eine wilde Mischung aus Säuseln, Knurren, Quieken und etwas, das entfernt an Jodeln erinnert. Das wirkt einerseits arg dünn und dabei doch derart überzogen, dass man unweigerlich an ein musikalisches Äquivalent zur Schauspielkunst von Nicolas Cage denken muss. Schlimmer noch, die Liebe des Meisters für Zaubertricks aus der Konserve macht auch vor seiner Gesangsdarbietung nicht halt, welche durch absolut grausige Stimmeffekte bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wird. Abseits einiger lichter Momente klingt DeFeis daher fast durchgängig so, als würde er stark verschnupft in eine Blechdose jubilieren.

„The Passion Of Dionysus“ ist wie Rotwein aus dem Tetra Pak

Und so lässt sich dann auch letzten Endes die wirkliche Tragik nicht nur dieses Albums, sondern auch der Entwicklung von VIRGIN STEELE allgemein zusammenfassen. Denn unter all diesem kompositorischen Ballast und der katastrophalen instrumentalen wie gesanglichen Umsetzung blitzt doch immer wieder das Genie von einst auf, so wie beim dramatischen Schlussteil von „The Gethsemane Effect“ oder der treibenden Bridge von „Spiritual Warfare“. Das flotte „A Song Of Possession“ könnte man sich rein vom Aufbau sogar auf den bockstarken Spätneunziger-Alben vorstellen, wären da nicht die oben angemerkten Kritikpunkte.

Klar, die bombastische Metal-Oper, die DeFeis vermutlich vorschwebt, wird mit seinen Mitteln kaum umsetzbar sein; dennoch ist heutzutage jede Proberaum-Hobbyband dazu in der Lage, bessere klangliche Ergebnisse zu erzielen als VIRGIN STEELE das hier tun. Diese Problematik zieht sich durch das gesamte Album und macht es selbst mit gutem Willen quasi unmöglich, sich „The Passion Of Dionysus“ schön zu hören.

So scheitert David DeFeis letztlich erneut spektakulär an den eigenen Ambitionen und man muss sich unweigerlich fragen, warum ihn niemand aus seinem Umfeld mal zur Seite genommen und gesagt hat: „Hey Dave, ein paar echt gute Ideen hast du da, aber willst du das wirklich so veröffentlichen? Schlaf da vielleicht nochmal drüber und dann nimm das ganze richtig auf. Mit Instrumenten und so. Oder hast du wieder das ganze Budget für Rotwein, riesige Zweihandschwert-Repliken und Kunstfellpuschen auf den Kopf gehauen?“

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23.06.2023

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2 Kommentare zu Virgin Steele - The Passion Of Dionysus

  1. Lysolium 68 sagt:

    Ist schon sehr schade weil man ähnlich wie bei Manowar weiss das die Herren das eigentlich viel besser können.
    Reinhören werde ich trotzdem…

  2. Metal Marcus sagt:

    Es hat mich wirklich Überwindung gekostet, dieses Album komplett und am Stück zu hören. Das Review oben deckt sich in weiten Teilen mit meiner Einschätzung.

    Diese kann man sich in der fünften Folge meines Podcats auch anhören:
    https://metalmarcusmetalpodcast.podigee.io/5-neue-episode