Avantasia
Listening-Session zum neuen Album "The Mystery Of Time"

Special

Der erste Longtrack steht an – „Savior In The Clockwork“ lässt sich folgerichtig viel Zeit beim Songaufbau. Ein gemächliches Intro spannt den Bogen, der sich über mehr als zehn Minuten hinweg als tragfähig erweist. Nach einem anfänglich recht flotten Gute-Laune-Teil wird es zur Mitte hin getragener und wunderbar atmosphärisch. Auf eine genial-groovige Solo-Passage folgen ein Break und ein sphärisch anmutender Gesangspart. Zum Schluss hin geht es nochmals zurück zur Gute-Laune-Hymne, insgesamt ist es aber vor allem die Vielseitigkeit, die dieses Stück so spannend macht. Kein Wunder also, dass mit Joe Lynn Turner, Biff Byford, Michael Kiske und Tobi Sammet alle vier bisher präsentierten Sänger beteiligt sind.

Mit Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS) kommt nun ein weiterer Frontmann hinzu und darf mit „Invoke The Machine“ eines der absoluten Album-Highlights veredeln. Der Up-Tempo-Song ist heavy, aggressiv und angenehm rotzig. Mit fast schon frickeligen Gitarren-Parts wirkt das Stück im ersten Moment etwas sperrig, bleibt aber gerade deshalb extrem gut im Ohr hängen und avanciert rasch zum Publikumsliebling unter den versammelten Pressevertretern. Da kann die AOR-artige Stadionrock-Ballade „What’s Left Of Me“ bei aller Klasse nicht ganz mithalten. Die im Vordergrund stehende Gesangsleistung von Eric Martin (MR. BIG) geht aber definitiv trotzdem unter die Haut.

Mit „Dweller In A Dream“ gibt es noch einmal einen Michael-Kiske-Power-Metal-Song. Flott und treibend meint man hier zunächst gewohnte AVANTASIA-Kost vor sich zu haben. Achtet man aber genauer auf die Details, findet man viele frische Elemente wieder, die man so noch nicht kannte. Und während wir uns nun auf das Ende des Albums zubewegen, wird es doch auch langsam höchste Zeit (höhö), uns von Tobi Sammet einmal einen Einblick in die Konzeptgeschichte geben zu lassen: „Die Geschichte spielt im viktorianischen England, ist so ein bisschen ein Märchen, vielleicht auch ein bisschen eine Kriminalstory. Es handelt von einem jungen, agnostischen Wissenschaftler, der registriert, dass um ihn herum die Leute immer weniger Zeit haben, sich mit essenziellen Dingen im Leben auseinanderzusetzen. Dieser Sache möchte er auf den Grund gehen und auf diesem Weg kommt er immer mehr in die Denke rein, dass er eine Nichtexistenz eines göttlichen Wesens oder Wirkens ausschließen muss, was ihn ja nicht mehr zum Agnostiker im eigentlichen Sinne macht.“

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Diese Geschichte gipfelt nun also in „The Great Mystery“, dem zweiten Longtrack, der zum Abschluss noch einmal die Zehn-Minuten-Marke knackt. Man könnte das Stück als die Quintessenz von AVANTASIA im Jahr 2013 betrachten, gleichzeitig werden aber auch Erinnerungen an QUEEN und MEAT LOAF wach. Das mag unter anderem an Bob Catley (MAGNUM) liegen, der mit seiner tiefen, warmen Stimme wieder einmal als Storyteller par excellence brilliert. Dazu gesellen sich üppige Chöre, während das Stück beständig zwischen nicht ganz kitschfreien Balladen-Parts und eruptiven Bombast-Momenten hin und her wechselt. Ein grandioses Song-Epos und ein würdiges Finale für eine starke Scheibe, die das Metal-Oper-Konzept von AVANTASIA zu bisher ungekannter Perfektion bringt.

Freilich reicht ein einziger Hördurchgang nicht für die realistische Einschätzung einer Scheibe, die nicht an Bombast geizt und den Zuhörer mit ihrer Pracht und Detailverliebtheit beinahe zu erschlagen droht. Das war bei den letzten AVANTASIA-Alben nicht anders, letztlich wirkt „The Mystery Of Time“ aber etwas runder und in sich geschlossener. Das bedeutet zwar, dass einige der Ecken und Kanten, die auf „The Wicked Symphony“ und „Angel Of Babylon“ für meine persönlichen Highlight-Momente sorgten, abgeschliffen sind. Gleichzeitig war Tobi Sammet aber wohl noch nie so nahe an der Perfektion wie mit seinem jüngsten Geniestreich. Wie die Scheibe also letztlich im Vergleich mit den Vorgängern abschneiden wird und ob sie langfristig begeistern kann, bleibt offen, dass uns mit „The Mystery Of Time“ aber ein Highlight des Jahres 2013 ins Haus steht, steht außer Frage.

Und während die ersten Eindrücke des Albums bei einem gemütlichen Bierchen mit den Kollegen zu sacken beginnen, heißt es warten. Warten, dass sich Tobi Sammet durch einen zwölfstündigen Interview-Marathon kämpft, unterbrochen nur von einer kurzen Essenspause. In geselliger Runde vergeht die Zeit erstaunlich schnell, dass aus dem auf 0:50 Uhr angesetzten finalen Interview-Termin letztlich 4:44 Uhr wird, kümmert da eigentlich wenig. Und schließlich ist es dann soweit, der König empfängt mich und lächelt mich – mit sichtbaren Ringen unter den Augen – freundlich an, obwohl ich ihm doch auch wieder nur dieselben Fragen stellen kann, die er den geschätzten Kollegen nun bereits die ganze Nacht hindurch geduldig beantwortet hat. „Das macht nichts, ich werde die liebend gerne ein letztes Mal beantworten – mit einer Inbrunst, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“ Spricht’s, lacht und scheint tatsächlich seinen Spaß dabei zu haben, mir noch eine gute halbe Stunde lang Rede und Antwort zu stehen.

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Halb sieben, eine halbe Stunde Autofahrt von Donzdorf entfernt. Beziehungsweise anderthalb Stunden, je nach Wetterlage. Erst scheitert das Auto, dann das Schuhwerk an der sanften Steigung vor dem Haus. Müde und abgekämpft erreiche ich schließlich doch noch irgendwie die Wohnungstür. Halb sieben? Wirklich? Es fühlt sich noch gar nicht so spät/früh an. Wo ist nur die Zeit geblieben? Ein wahres Mysterium…

Galerie mit 27 Bildern: Avantasia - Latin America Kick Off Show 2023

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06.02.2013

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