Euroblast Festival
Proggeflüster in 50679 Köln

Konzertbericht

Billing: Between The Buried And Me, The Hirsch Effekt, Betraying The Martyrs, Car Bomb, Vola, Kadinja, Toundra, Dead Letter Circus, Voyager, Klone, Uneven Structure, Siamese, Votum, Ghost Iris, Cold Night For Alligators, Rendezvous Point, Special Providence, Tides From Nebula und The Haarp Machine
Konzert vom 27.09.2019 - 29.09.2019 | Essigfabrik, Köln

Samstag, 28. September 2019

Am frühen Samstagmorgen betreten die russischen Djentlemen SHOKRAN die Essigfabrik – zeitgleich mit Kollege Thomsen. Als geneigtem Bandcamp-Stöberer sind ihm die mythologisch angehauchten Albumcover selbstverständlich ein Begriff. Vor Ort agieren die Jungs heute zu dritt (wie auffallend viele Bands des Festivals ohne Basser) auf der Bühne. Dies ändert allerdings nichts an der Intensität des Auftritts. Schlagzeug, Gitarre, Gesang – und ab geht die Luzi. Besonders angenehm wirkt da die Mischung aus genre-typischen Djentsalven und dem vielseitigen Gesang von Fronter Andrew Ivaschenko, der sowohl guttural als auch klar sein Handwerk bestens beherrscht – und so auch schon zur frühen Stunde begeistert. Treffsicher überzeugen SHOKRAN mit ihrem breiten Spektrum aus Emotionalität und Brachialität. Und den Anwesenden gefällt’s. Das optische Highlight des Auftritts bildet allerdings Gitarrist Dmitry Demyanenko, dessen Ganzkörperoutfit eine bekannte deutsche Sportmarke dominiert (ja, die mit den Streifen). Schon schade, dass nach 40 Minuten schon alles vorbei sein muss.

Shokran – Euroblast 2019

Shokran

Fun-Fact: Laut den Metal Archives ist SHOKRAN-Fronter Andrew Ivaschenko übrigens derzeitiger Sänger bei THE HAARP MACHINE. Warum er am darauffolgenden Tag allerdings nicht mit diesen auf der Bühne stand, bleibt allerdings ein Rätsel. Aber das ist eine andere Geschichte …

Morgenstund hat Djent im Mund.

Erst mal APHYXION. Um Himmelherrgott! Blasen diese Herren die Belegschaft amtlich durch. Der ganze Keller nickt zum fiesen Gebolze der Dänen, die wirklich gar keine Gefangenen machen. Hart, aber richtig. Und so ein richtig frischer Samstagmorgen-Aufwecker. Wirkt besser als Kaffee, das ist mal sicher. Hut ab!

Der Tag hält für die Belegschaft anschließend einen üppigen Interview-Marathon bereit. Für das metal.de-Kurzformat „Said But True“ laden Klug und Kostudis einige Musiker zum romantischen Stelldichein an den Deutz-Poller Hafen. Vor der Domkulisse plauschen die Kollegen unter anderem mit BETWEEN THE BURIED AND ME, KADINJA, COLD NIGHT FOR ALLIGATORS und GHOST IRIS. Sebastian, Drummer der Letztgenannten, berichtet von einem Zusammentreffen mit den vermeintlichen Ethanol-Schnüffelnasen der deutschen Autobahnpolizei. Sänger Jesper stürmt das Bild und verspricht: „Wir waren seit Jahren nicht betrunken – wir konzentrieren uns lieber auf ‘ne gute Show!

Und die bekommt das Euroblast dann auch. Am frühen Nachmittag betreten GHOST IRIS die Bühne und treten etwas los, das im Laufe des Tages von einem findigen Teammitglied als Reihe der „dänischen Delikatessen“ deklariert wird. Mit ihrem „Apple Of Discord“ im Gepäck kredenzt der Vierer eine vitaminreiche Mischung all dessen, was sich progressiver Hardcore schimpft. Die starken, herrlich unjammerigen Cleans funktionieren – nicht zuletzt dank Backings vom Band – erstklassig, zum Schluss hagelt es dann noch mal rituelle Bassdrops. Ja, GHOST IRIS sind nur eine Djent-Band von vielen. Aber eine, die klarstellt, warum diese Musik unbedingt live gehört werden sollte.

Ghost Iris – Euroblast 2019

Ghost Iris

Und das gilt ganz insbesondere für den Nachwuchs: Nicht unbedingt, weil sich DIY-Truppen ihre Platten teils im Kinderzimmer zusammenbasteln müssen – sondern weil es seit Jahren ein offenes Geheimnis ist, dass sich die wirklich innovativen Truppen auf der tiefliegenden Side-Stage tummeln.

Der gute Schweden-Death.

SUNLESS DAWN – freilich aus dem Nachbarland im Norden – erfinden das Rad zwar nicht neu, meistern aber mit ihrem 2018er-Debüt „Timeweaver“ einen ganz besonderen Spagat: Zwischen typischem Djent-Riffing und überraschenden Blastbeats blitzt immer mal ein Schuss früher Schweden-Death hervor. Schön, dass sie beim Euroblast nicht untergeht, diese wirklich filigrane Gitarrenarbeit, die hier im Doppel vorgetragen wird. Getragen wird der verspielte Melo-Prog-Death von Fronter Henrik Munch. Und der schafft es nicht nur, die starken Chorus-Melodien mit seiner Stimme alleine zu tragen. Auch strahlt er mit seinen Bandkollegen volle 40 Minuten lang um die Wette. Keine Frage: Wie so viele Bands dürften sich SUNLESS DAWN noch lange an ihren Euroblast-Einstand erinnern. Und so mancher Besucher sich ja vielleicht auch.

Auch die Kollegen Klug und Kostudis dürfen sich heute einmal wie Stars fühlen. Zumindest können sie sich so auf Anhieb nicht erinnern, wann sie einmal von Musikern nach einem gemeinsamen Erinnerungsfoto gefragt wurden. COLD NIGHT FOR ALLIGATORS beherrschen das kleine Einmaleins der Presse-Bindung jedoch mit Bravour und zücken nach erfolgreichem Interview die Kamera. Hinsichtlich der anstehenden Show verspricht Kostudis: Wir schauen definitiv rein.

Cold Night For Alligators – Euroblast 2019

Cold Night For Alligators

Gesagt, getan. Zugegeben: Nach Antwort-Leckerbissen wie „Einmal habe ich mir auf der Bühne nach 15 Sekunden ‘nen Zahn ausgeschlagen“, hatten die Kollegen hier eigentlich etwas mehr Anarchie einkalkuliert. Doch Sänger Johan trällert handzahmer (und zugleich gefühlvoller) als angenommen. Derweil scheinen noch alle Zähne in Ort und Stelle. Die metal.de-Kommentarspalten-Kurzanalyse „AGENT FRESCO mit dickeren Eiern“ (Shoutout an ClutchNixon) trifft hier also durchaus zu. Leider aber können sich die etwas leisen Vocals nur selten zwischen gloomigen Dosen-Synths und Baller-Riffs hervorwühlen. Aber hey: Letztere kneten schon wirklich ordentlich. Zumindest erinnert sich Kollege Klug an keine andere Band mit hemdtragendem Drummer, die derart Arsch gekickt hat.

Lecker gekocht wird derweil draußen. Ihr vor einigen Jahren noch auf Burger und Crêpes beschränkte Angebot hat die ehrenamtliche Euroblast-Family in den letzten Jahren üppig ausgebaut. Stetiges Highlight: Veganer, mit Bandlogos verzierter Kuchen. Womit wir dann auch wieder beim Samstag der dänischen Delikatessen angelangt wären.

Dänische Delikatessen.

Denn mit VOLA verspricht die Running Order nun auch wieder muskalisch gehobene Qualität. Es ist in der Essigfabrik natürlich ein mehr oder weniger offenes Geheimnis, dass Festival-Chef John die dänischen Senkrechtstarter unter seine Fittiche genommen hat. Umso weniger verwunderlich also, dass die wandlungsfähigen Djent-Modern-Elektro-70s-Mischmasch-Talente abermals in der Essigfabrik aufspielen. Vom Über-Album „Inmazes“ gibt es diesmal auf der Main-Stage etwas weniger zu hören – weil die Band um Kreativchef Asger Mygind mit „Applause Of A Distant Crowd“ unlängst eine neue Platte veröffentlicht hat, die aktuell auf ausgedehnter Europa-Tour ausgiebig beworben wird. Ebenjene Tour findet nun in Köln (fast) ihr Ende – das Finale am Folgetag in Paris einmal ausgeklammert.

Vola – Euroblast 2019

Vola

Die Reise-Strapazen machen sich auf der Bühne derweil nicht bemerkbar. Es wäre aber am Ende auch völlig egal gewesen. Denn ähnlich wie die am Vortag aufspielenden KADINJA genießen VOLA in Köln quasi Narrenfreiheit. Für halbgare Sachen sind die Jungs freilich trotzdem nicht zu haben – und sorgen mit ihrem vielschichtigen, nachdrücklichen Djent-Sound bei bislang Unbefleckten im Publikum für herunterklappende Kinnladen. Als sie dann gegen Ende des Sets noch den Hit „Stray The Skies“ ins Publikum wuchten, gibt es oben wie unten kein Halten mehr. Und (ein durchweg begeisterter) Kollege Kostudis fragt sich heimlich: „Wo soll das noch hinführen?“ Definitiv weiter nach oben. So viel steht fest.

Im zweiten Anlauf klappt alles.

Schluss mit Dänemark, über die Öresundbrücke flitzen wir weiter nördlich Richtung Norwegen. Irgendwo auf dieser Strecke verlief sich 2015 auch das Schicksal von RENDEZVOUS POINT, die damals ihr Debüt-Release beim Euroblast zu feiern gedachten. Vier Jahre und ein Album später schafft es die Band dann auch ohne fatalen Stau nach Kölle am Rhing.

Die aus verschiedenen IHSAHN- und ICS VORTEX-Kollaborateuren bestehende Truppe klingt wie eine muntere Mischung aus LEPROUS und MONUMENTS, mit gelegentlichen Math-Einsprengseln. Gut, um ehrlich zu sein, hat sich eine Band wie LEPROUS ihren Headliner-Status ja nun eigentlich eben durch den Verzicht auf Djent-Riffing erarbeitet. Andererseits entpuppt der heutige Auftritt durch Tausendsassa und – Surprise – LEPROUS-Drummer Baard Kolstad natürlich mindestens in perkussiver Hinsicht als kleine Offenbarung. Die wartende Fangemeinde weiß Bescheid, Fans von AGENT FRESCO, PORT NOIR schlagen hier sowieso zu. Insofern: Kein Tages-Highlight, aber ein mehr als berechtigter Auftritt.

322.530 Facebook-Likes zählen BETWEEN THE BURIED AND ME. Man muss halt einfach mal sagen: Das sind 17-mal so viele wie das Euroblast selbst zu verzeichnen hat. Wir verstehen: Die sind schon ziemlich groß. Und auch ziemlich nervig.

BTBAM-Doppel.

Zu dieser Erkenntnis kommt jedenfalls Kollege Kostudis nach dem Auftakt des Sets. Es ist völlig paradox: Eigentlich ist er ja hier, um sich drei Tage lang die Birne abfrickeln zu lassen. Aber irgendwie passen Tommy Giles Rogers und Kollegen da gerade nicht ins Konzept. Zu anspruchsvoll? Zu verschachtelt? Wer weiß das schon. Vielleicht – so viel Selbstkritik muss ja auch sein – hätte er am Vortag das eine oder andere Hopfengetränk durch etwas Gesünderes ersetzen sollen. Immerhin: Bei „The Coma Machine“ wippt der Kollege dann mal halbmotiviert mit. Das war’s dann aber auch mit dem Engagement. Denn kurz darauf verlässt er die Venue. Am Sonntagmorgen stehe „ja schließlich auch noch ein Fußballspiel an“. Nun ja – hier setzt eben einer Prioritäten.

Between The Buried And Me – Euroblast 2019

Between The Buried And Me

Während Kollege Kostudis dem Sternenhimmel entgegentorkelt, begibt sich die arg dezimierte Besatzung noch einmal in den Keller, wo Kollege Klug erst einmal die Erkenntnis trifft: Scheiße! Erst die Popstars, dann die Fußballer und jetzt auch noch die Prog-Musiker – alle altern sie plötzlich langsamer als er. Das war doch auch einmal anders. Die US-Amerikaner ARCH ECHO hingegen sind gerade einmal Anfang 20 – und üben sich schon in krankhaftem Speed-Metal-Geflitze. Was im etwas überladenen Promotext als Jazz Fusion verkauft wird, erinnert jedoch mehr an YouTube-Shred-Compilations denn an PANZERBALLETT. Auch die Keyboards daddeln fleißig mit, in seiner Fülle ist das Ganze zwar irgendwie nur mittelmäßig gehaltvoll – bereitet Band und Anwesenden aber eine hübsche Portion Spaß. Und das ist zwischen zwei fordernden BETWEEN THE BURIED AND ME-Sets ja nicht das Schlechteste.

Etwas gelassener kommen dann auch Tommy Rogers und Co. aus der Halbzeitpause. Nach weiteren „Parallax“-Tracks folgt dann eine vergleichsweise kurze Abhandlung der „Automata“-Alben. Die theatralischen Elemente samt „Wap-Bap-Bap“-Showmaster-Geste entpuppen sich als mehr als willkommene Auflockerung, die das Gebolze jedoch nur kurz unterbrechen. Keine Frage, ein mehr als headlinerwürdiger Auftritt, aber eben auch ein anspruchsvoller. Ob die Doppel-Show von BETWEEN THE BURIED AND ME letztendlich zu wenig Abwechslung oder doch etwa zu viele stilistische Brüche aufweist, daran sollen sich noch am nächsten Morgen die Geister scheiden. Sicher ist: Nach 10 Stunden Prog und Djent ist der Hahn irgendwann zu. Insofern sendet Kollege Klug noch sein Stoßgebet an alle, die noch die Nacht mit HEAD WITH WINGS und 22 durchfeiern – und tritt beseelt die Heimreise an.

Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Gastbeiträge: Yannick Thomsen. Alle Fotos von Anton Kostudis.

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01.10.2019

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