Gasbrand - Fading Away In Nothingness

Review

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Die clostridiale Myonekrose der deutschen Black-Metal-Szene hat mit „Fading Away In Nothingness“ ihr Debütalbum veröffentlicht. Stellt euch ein nekrotisch zerfallenes, rotbraun verfärbtes, ödematös aufgetriebenes Wundareal vor, das extrem schmerzt und verfault riecht. Irgendwann folgt die Sepsis.

Hoffen wir mal, dass „Fading Away In Nothingness“ diesen Verlauf nicht begünstigt, denn die beschriebene Krankheit nennt sich Gasbrand. Die gleichnamige Band besteht aus zwei Mitgliedern, wobei Azaziel als Kopf fungiert und bis auf die Drums alle Instrumente und den Gesang übernimmt.

Wer sich mehr damit beschäftigt, erfährt schnell, dass der Gasbrand eine typische Kriegsinfektion ist, da es sich um eine bakterielle Wundkontamination handelt. Es heißt, ein Zehntel der im Ersten Weltkrieg gefallenen Menschen sei an oder im Zusammenhang mit Gasbrand verstorben.

Musikalisch bedeutet das jedoch nicht, dass ihr Hochtemposalven wie von der bekannten schwedischen Panzerdivision erwarten dürft – nur manchmal.

„Fading Away In Nothingness“ ist ein Alleingänger

Bis dato enthielt die Diskografie der gebürtigen Oberfranken zwei Veröffentlichungen: „Of Death And Despair“ (2020) und „Dishonor, Madness And Calamity“ (2022). Zwar sind sie um drei Songs identisch, aber mit knapp unter und etwas über einer halben Stunde sind die Spielzeiten für EPs (oder Demo und EP) mehr als fair.

Schon vorher war klar, dass GASBRAND musikalisch allen zusagen sollten, die depressive Schwarzklänge bevorzugen, es aber auch mögen, wenn es mal ordentlich rappelt im Karton. Den Eindruck vertieft „Fading Away In Nothingness“ allemal – Ersteres zeigt sich schon im Albumtitel.

Trotz harscher Momente sind die Lieder von GASBRAND primär für den alleinigen Genuss gemacht, denn abgeh- oder gar partytauglich ist bis auf sehr wenige Ausnahmen kaum etwas – wie der Beginn von „Salvation“ (frühere Releases) und interessanterweise der Einstieg ins Neuwerk. Und „allein“ schließt auch Konzerte ein, denn wer sich bei solcher Mucke angeregt unterhält, verdient – nun, keinen Gasbrand, aber …

Wohin möchtest du reisen?

Wenn du in die Welt von GASBRAND eintauchst, betrittst du einen dichten Wald. Die harten, rauen, unebenen Baumstämme spiegeln das extreme musikalische Grundgerüst und verdunkeln das Drumherum, je weiter du gehst. Oben spielt der Wind in den Kronen, lässt hin und wieder lichte Momente durch. Und zwischendrin? Wanderst du allein mit deinen Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen.

Mit manchen Alben können wir reisen. „Fading Away In Nothingness“ gehört dazu. Ob wir dabei im Nichts verblassen oder sogar im Hier und Jetzt wachsen – vielleicht auch beides –, hängt von der individuellen Erfahrung vor und während des Hörens ab. Doch genug der philosophischen Untertöne – und rein ins erste Studioalbum von GASBRAND.

GASBRAND driften mit „Fading Away In Nothingness“ nicht ab

Am Anfang ist das Geballer. Gemessen an der instrumentalen Grundausrichtung haben sich GASBRAND für einen überraschenden Start entschlossen. Quasi einen Startschuss – beziehungsweise mehrere. F.N. feuert furios, während die Gitarren nach typischem Black Metal klingen. Lange dauert es nicht, bis sich wie erwartet Melancholie und Midtempo ausbreiten. Später unterstützen ein höher gespieltes Riff und ein spannendes Klimax-Lick die Stimmung.

„Der Abgrund“ ist abgrundtief emotionsgeladene Musik. Wir sollten hier wirklich genau hinhören, denn die einzelnen Parts sind so sorgsam arrangiert, dass wir verschiedene Höhen und Tiefen durchleben – teilweise in unmittelbarer Nähe. So avanciert der Einstieg in „Fading Away In Nothingness“ zu einem echten Meisterstück, das es so noch auf keinem Release der Band gegeben hat.

Wer erkennt danach die Stimme? Bodo Henkel sollte allen im Gehör sein, die Gothic gespielt haben. Die gesprochene Überleitung zu „Stille“ ist entsprechend klangvoll und für Gamingfans ein sehr gefundenes Fressen. Apropos „Stille“: Der Song ist eine Hommage an ein gleichnamiges Projekt, das nie über diesen Status hinausgekommen ist. Azaziel hat das Lied schon 2019 instrumental geschrieben – damals noch mit Keyboard- und Klavierparts. „Fading Light“ (Arbeitstitel: „Licht aus“) sollte die Nummer heißen. Doch weil die Demo nie vollendet wurde, hat es der Track jetzt auf „Fading Away In Nothingness“ geschafft – mit starkem Klargesang von F.N., der durchaus präsenter sein dürfte.

Wenn wir schon bei Stimmen sind, müssen wir auch über die Hauptvocals sprechen. Azaziel klang schon immer anders als das Gros im Black Metal. Doch diesmal kommt sein angewidertes bis verzweifeltes Krächzen noch besser zur Geltung. Als würden wir Gift und Galle nicht nur wahrnehmen, sondern regelrecht spüren, schmecken. Und wenn er nach der cleanen Passage in „Stille“ mit ebendieser bricht, brechen auch alle Dämme – einer der stärksten Momente des neuen Albums.

„XVII – I Have Lived“ haben GASBRAND als Video veröffentlicht: ihr erstes, komplett in Eigenregie – und das sieht man auch. Fühlt ihr euch an alte IMMORTAL-Clips erinnert? Dann hat die Band alles richtig gemacht, denn sie haben nach eigener Aussage ein Alteschulevideo mit früherer Black-Metal-Ästhetik angestrebt. Der Faden findet sich auch im Coverartwork wieder, dessen Blaumotiv vielleicht an „Secrets Of The Black Arts“ von DARK FUNERAL erinnert, aber sicherlich keine entsprechende musikalische Brücke baut.

Qualitativ nach vorn

GASBRAND schaffen, was viele Undergroundbands nicht hinbekommen: Sie schreiben gute Songs, sind authentisch, ohne diesen schwachsinnigen BM-Elitismus zu verkörpern, haben spannende Ideen und sind angenehm rückwärtsgewandt – aber im wertschätzenden Sinne, mit passender Visualität und fairen Preisen.

Dazu ist „Fading Away In Nothingness“ ein fantastisch produziertes Album, das alle Instrumente einschließlich der Stimme ausgewogen präsentiert – und somit nicht nur einen chronologischen, sondern auch qualitativen Fortschritt darstellt.

Wer den Geist von Bands wie NYKTALGIA beschwören und gleichzeitig genug Eigennoten erleben möchte, sollte mit „Fading Away In Nothingness“ wegdriften.

30.06.2025

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3 Kommentare zu Gasbrand - Fading Away In Nothingness

  1. ultra.silvam sagt:

    Ist diese Review irgendwie ein Fanboy-Moment oder wurde das wirklich unvoreingenommen geschrieben? Es soll ja so Momente geben wo es „klickt“ macht, und man Platten absolut abfeiert, und klar Geschmack ist verschieden, aber ich seh‘ beim besten Willen keine 9/10 Punkten bei der Veröffentlichung.
    Sound, Songs, Gesang, wenn auch sehr gut umgesetzt, alles nichts besonderes und in der einen oder anderen Form schon oft da gewesen. Mir fehlt hier das Alleinstellungsmerkmal und auch der fehlende Ausdruck von Wahnsinn und/oder Verzweiflung die einige Bands insbesondere im depressiven angehauchten Black Metal deutlich besser rüberbringen. Das einzige was das Album für mich wirklich auf den Punkt trifft, ist der Titel, denn es wird nach einem Durchlauf einfach ins Nichtvorhandensein verklingen. 😉

    6/10
  2. ClutchNixon sagt:

    So vollzogen kann ich BM gut hören. Ordentlich Geböller und kaum mal ein „Räudiger“ aka Trve Blast. Macht mir Spaß. Auch und gerade zur aktuellen Wetterlage, obschon es den Puristen nicht annähernd cold genug sein sollte. Ein Punkt Abzug für den mittelmäßigen Gesang, denn ich als Ab-und-zu-BM-Hörer wahrscheinlich schwer einschätzen, und von daher nicht wirklich adäquat bewerten kann.

    7/10
  3. zircular sagt:

    Eines von mittlerweile unzähligen Releases, die nicht aus der Masse ragen.

    4/10