Madder Mortem - Old Eyes, New Heart

Review

Galerie mit 18 Bildern: Madder Mortem - Support der Soen Tour 2017 in Berlin

Hier sitze ich nun, zum dritten Mal in Folge mit einem Full-Length-Album der Norweger MADDER MORTEM um Agnete M. Kirkevaag konfrontiert. Und wieder fällt es mir schwer, diesen an der Oberfläche simpel anmutenden Sound irgendwie bedeutungsvoll zu katalogisieren. Wirklich Prog ist es nicht, wirklich Doom ist es nicht, Gothic passt auch nicht so richtig. „Female Fronted Metal“ hat die Angewohnheit, die Geister des Internets vor den Kopf zu stoßen, mag die Beabsichtigung dieses Etiketts noch so sachlich sein angesichts der Würstchenparty, die der Metal zum Großteil nach wie vor nun mal ist. Vielleicht passt Post-Heavy Metal? Ich weiß es offen gesagt nicht. Dass die Norweger diese Gedankensprünge mit ihrem Sound überhaupt derart provozieren zeugt nur davon, wie einzigartig sie trotz allem doch klingen. Und dass sie mit „Old Eyes, New Heart“ wieder einmal nicht weniger als ein mindestens exzellentes, neues Album auf die Welt loslassen, ist mittlerweile Ehrensache bei der Dame und den Herren.

MADDER MORTEM werden wieder härter und heavier

Wie auch das Vorgängeralbum „Marrow“ gibt „Old Eyes, New Heart“ seine Klasse erst nach und nach preis, will sagen: Es ist der Inbegriff eines Growers, den man längere Zeit auf sich wirken lassen sollte, wenn das im ADS-Zeitalter von Spotify, Tik Tok und Instagram überhaupt noch möglich ist. Auf den ersten Hör wirkt die Klangkunst der Norweger ein bisschen ungelenk. Man kehrt wieder zur kantig-wuchtigen Produktion von „Red In Tooth And Claw“ zurück und schraubt den durchschnittlichen Grad der Aggression ein Stück nach oben. Das bedeutet im Klangkosmos der Norweger jedoch vor allem, dass die heavy stampfenden Parts noch heavier werden, während die Gitarren sich vielleicht mehr denn je zu einer mächtigen, reichlich texturierten Wall Of Sound auftürmen, was auch die eingangs versuchte Etikettierung „Post-Heavy Metal“ inspirierte. Doch egal, wie man es nennen möchte: Es lässt die Konkurrenz wieder einmal ziemlich alt aussehen.

Im Zentrum der musikalischen Magie, die auf „Old Eyes, New Heart“ gewirkt wird, steht wieder einmal Agnete M. Kirkevaags Stimme, deren emotionale Bandbreite immer noch ihresgleichen sucht. Zwischen geradezu seduktivem Geschmachte, jammerndem Wehklagen, warmer Einfühlsamkeit – eine der wenigen Frauen im Metal, die dieses Gefühl wirklich authentisch vermitteln kann – und kommandierender Inbrunst, zu der man fast militärische Haltung annehmen möchte, tobt sich die Dame gesanglich wieder einmal auf den Songs aus, dass es einfach nur eine wahre Freude ist, ihr zuzuhören. Dass man jemanden beim Singen förmlich lächeln hört, ist erschreckenderweise schon selten genug, doch sie kann das einfach. Das bewies sie beispielsweise 2016 auf dem Song „Pitfalls“ – und sie beweist es hier wieder, vor allem beim Rausschmeißer „Long Road“, bei dem sie so viel Wärme ausstrahlt, dass man sich damit am liebsten zudecken und einkuscheln möchte.

„Old Eyes, New Heart“ ist wieder pures, emotionales Kino

Die Instrumentalfraktion um ihren Bruder BP M Kirkevaag, der die Platte auch produziert hat, lässt sich ebensowenig lumpen. Das Schwesterherz mag im Mittelpunkt stehen, aber die Musik steckt so voller Texturen, dass man selbst nach wiederholten Durchläufen immer wieder neue Schichten und Details entdeckt. Subtile Dissonanzen in den Chords lassen diese dank der recht zünftigen Distortion fast schon ungeheuerlich erscheinen, was in Kombination mit dem Gesang eine ganz eigene Form von Bombast erzeugt, die nicht auf irgendwelche Orchestrationen aus der digitalen Konserve angewiesen ist. Die ruhigeren Passagen perlen dagegen nur so elegant dahin, sei das ein „On Guard“ oder „Cold Hard Rain“, die mit ähnlichen Film Noir-Vibes wie seinerzeit „Moonlight Over Silver White“ daher kommen, oder eben die willkommene Wärme, die „Long Road“, bisweilen auch „Here And Now“ ausstrahlen.

Und hier jagt einfach ein Highlight das andere. Der rastlose Opener „Coming From The Dark“ kommt am nächsten dem, was man im weiteren Sinne als Prog Metal bezeichnen kann mit seinen zahlreichen Hakenschlägen. Ein kurzer, kurioser Schlenker in Richtung Dur-Harmonie lässt sogar mal aufhorchen, auch wenn es sich nur um einen kurzen Wink, keinen dramatischen Harmoniewechsel handelt – das hätte den Song tatsächlich perfekt gemacht. „Master Tongue“ ist ein hochdynamischer Track, bei dem die dank perkussiv gespielter Palm-Mute-Gitarren rastlos klingenden Strophen spannungstechnisch auf einen massiven Refrain zusteuern, der sich dann auch kathartisch und mit geradezu monströser Wucht entlädt. Einen nervösen Groove beschwören sie indes bei „Unity“ dank einer unruhigen Rhythmik herauf, die den Song mit Dampf nach vorne treibt. Die Melodieführung wird an angemessenen Stellen mit subtilen Arabesken ausgeschmückt und bekommt dadurch leicht 0rientalisch klingende Züge.

Doch statt in Kitsch oder Klischees abzudriften bleiben MADDER MORTEM durchweg authentisch

„Towers“ ist ein Midtempo-Stampfer mit geschäftigem Beat, dessen Refrainzeilen „I swear I’ll bring those Towers down“ bzw. später „I swear I’ll burn those Towers to the ground“ von Kirkevaag so inbrünstig intoniert werden, dass man sie sofort mitbrüllen möchte, besonders wenn BP M Kirkevaag als Hintergrundsänger agiert und heisere Schreie an genau den richtigen Stellen platziert. Richtig explosiv wird es bei „Things I’ll Never Do“, ein im Refrain aggressiv und energetisch nach vorne krachender, in den Strophenparts jedoch eher im trägen Midtempo brütender Track, dessen Struktur fast dramatische Qualitäten inne hat, so als sei der Song eigentlich mal für die Theaterbühne geschrieben worden. Kirkevaag blüht hier vollkommen auf und die Instrumentierung tut es ihr gleich mit einem Fundament aus krachigen Post-Metal-artigen Riffs, zwischen denen immer wieder kleinere, technische Licks versteckt werden.

Zu diesem Zeitpunkt dürfte eventuell durchgedrungen sein, dass ich schwer begeistert bin von „Old Eyes, New Heart“. Und eigentlich müsste unten eine 10 stehen, einfach weil dieses Album nach anfänglicher Eingewöhnung so sehr gewachsen und den beiden großartigen Vorgängeralben mindestens ebenbürtig ist. In meinem Herzen tut sie es auch. Dadurch, dass das Album anfänglich aber eben ein paar Anläufe gebraucht hat, dürfte sich der Höraufwand für Außenstehende und Neulinge auf dem Gebiet der Norweger sicherlich potenzieren. Das sei in der untenstehenden Wertung mit in Betracht gezogen. Doch wenn es erst einmal *Klick* macht, spricht die Klasse der Norweger für sich. Erneut haben MADDER MORTEM ihren ganz eigenen Sound nah an die Perfektion herangetrieben. Erneut ist es ihnen gelungen, praktisch jede Pore ihres Sounds mit Emotionen vollzustopfen. Und erneut kann unsereins nur den Hut vor den Norwegern ziehen.

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22.01.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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2 Kommentare zu Madder Mortem - Old Eyes, New Heart

  1. Werner sagt:

    Schade, ich konnte gar nichts mit anfangen. Weder Sound noch Songs zünden da bei mir.

    4/10
  2. Vlad_the_Impala sagt:

    Ich kann damit sehr viel anfangen. Nach dem dritten Hören bin ich regelrecht süchtig danach. 🙂
    Und es ist tatsächlich auch das erste Album der Band, das ich auschecke. Mucke ist wirklich interessant, sperrig, unkonventionell… und für mich Anlass genug, mich mal ein wenig mehr mit dem Rest ihrer Diskografie auseinanderzusetzen.

    9/10