Waidelotte - Celestial Shrine

Review

Der Bandname WAIDELOTTE mutet erstmal ein wenig seltsam an. Allerdings handelt es sich hier nicht etwa um einen dieser obskuren altdeutschen Vornamen, mit denen junge Eltern ihren Kindern gleich einen schwierigen Start in den Alltag bescheren. Als WAIDELOTTE bezeichnet man viel mehr eine Priesterin der vorchristlichen prußischen Religion, zu deren Aufgaben laut historischen Quellen u. A. das Lehren von Gebeten, das Segnen kranker Menschen wie Tiere und die Wahrsagerei gehörten. Die Prußen, das war ein baltischer Volksstamm, der an der Ostsee siedelte und auf den der geografische Name so wie der Name des Staates Preußen zurückgeht. Aber genug der Geschichtsstunde.

WAIDELOTTE verbinden folkloristische Elemente mit trauriger Aktualität

Hinter WAIDELOTTE verbirgt sich ein ukrainisches Ensemble, dessen Kern aus Shouter Andrii Pechatkin (WHITE WARD), Gitarrist Mykhailo Bogaichuk (I MISS MY DEATH) sowie Komponist und Bassist Oleksii „Zlatoyar“ Kobel (SOEN) besteht. Erfahrene Musiker also, von denen man keinen schunkeligen Pagan-Bums, sondern eine gewisse Ernsthaftigkeit erwarten darf und auch bekommt. Inhaltlich geht es auf „Celestial Shrine“ nämlich um die Reise durch Verzweiflung und Tod bis hin zur Wiedergeburt sowie um die inneren Kämpfe, die eine Person dabei ausfechten muss. Am Ende steht zwar die Transformation, der Weg dorthin ist dennoch ein Thema, welches ob des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine traurige Aktualität besitzt. Ergänzt wird das Trio durch eine Vielzahl weiterer ukrainischer Künstlerinnen und Künstler mit den unterschiedlichsten musikalischen Hintergründen, was das Debüt zu einer ziemlich spannenden Angelegenheit macht.

Die Grundlage für die Musik von WAIDELOTTE bildet eine Mischung aus modernem Black Metal, melodischem Death Metal und Progressive Metal, die bisweilen so klingt, als hätten WHITE WARD, NE OBLIVISCARIS und OBSCURA ein Kind gezeugt. Das liegt natürlich einerseits an der Beteiligung von Andrii Pechatkin, aber auch an den überaus markanten Basslinien von Zlatoyar. Die sind im Sound von WAIDELOTTE zwar stets sehr präsent, lassen aber genug Raum für das restliche Instrumentarium, von dem es auf „Celestial Shrine“ so einiges gibt.

Zugegeben, der Flöteneinsatz beim Opener „The Era Of Stagnant Gods“ ist erstmal gewöhnungsbedürftig und fühlt sich zunächst wie ein Bruch mit dem rasenden Extreme Metal an, erzeugt aber im langsameren Schlussteil des Songs eine entrückte Atmosphäre und ergibt dort mehr Sinn. Da fügt sich die Drehleier im stampfenden „Todestrieb“ auf Anhieb besser ein und ergänzt das Stück um ein paar wunderbar schaurige Melodien. Beim verspielten „Lightkeeper“ und dem melancholischen Titeltrack wiederum finden Instrumente wie die Bandura (ukrainische Lautenzither) oder das Tsymbaly (ukrainisches Hackbrett) gewinnbringend Einsatz. Sie wirken zwischen schwerem Groove und halsbrecherischen Riffs keineswegs wie Fremdkörper, sondern fügen den Stücken vielmehr eine ausgeglichene, geerdete Note hinzu.

„Celestial Shrine“ trifft den Sweetspot zwischen Moderne und Tradition

Ein zusätzliches Highlight ist außerdem der in vielen Stücken eingesetzte slawische Frauengesang, der neben den klagenden Klargesangseinlagen eines gewissen Igor Roshenets einen Gegenpol zu Pechatkins auf Dauer etwas eintönigem Gekeife bildet. Gamer werden sich hier unweigerlich an den Soundtrack zu The Witcher 3: Wild Hunt erinnert fühlen und vor ihrem geistigen Auge auf Plötze über goldene Äcker und durch zwielichtige Wälder galoppieren.

Weniger nötig war wiederum das in Kooperation mit dem ukrainischen Dark-Wave- und Ambient-Künstler SOLAR KOLLAPSE entstandene „Dissolving“. Konzeptionell passt das schon irgendwie, über acht Minuten Synth-Gewaber sind dennoch ein etwas merkwürdiger Abschluss für ein Album, das ansonsten mit Aha-Momenten nicht geizt. Eigentlich kann man nach dem Titelstück beruhigt ausmachen, ohne dabei wirklich noch etwas zu verpassen.

Abgesehen davon gelingt WAIDELOTTE mit „Celestial Shrine“ das Kunststück, ganz unverkrampft modernen, progressiven Extreme Metal mit traditioneller slawischer Musik zu verbinden. Das Ergebnis trifft genau den richtigen Sweetspot und klingt weder zu verkopft, noch nach einer dudeligen Wald-und-Wiesen-Combo. Damit zeigt eine Gruppe ukrainischer Künstlerinnen und Künstler erneut eindrucksvoll, dass Kreativität auch unter den widrigsten Umständen gedeihen kann und dass sich die Ukrainer von den seit über zwei Jahren in ihrer Heimat wütenden Schrecken nicht unterkriegen lassen. Allein das gebietet schon höchsten Respekt.

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26.03.2024

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