Harsh Vocal Camp 2024
Special
Das Harsh Vocal Camp findet in der Rampe statt, einem Coworkingspace für Musiker:innen, der sich offen für alle Musikrichtungen zeigt. Am wichtigsten ist hier das Miteinander – von der Idee bis zur gegenseitigen Unterstützung. Dieser Communitygedanke spiegelt sich auch im Publikum wider, denn viele hatten schon einen Coachingkontakt mit Britta.
Harsh Vocal Camp 2024 – Programm am Freitag
- Check-in | 15:00–15:30 Uhr
- Begrüßung | 15:30–16:00 Uhr
- Keynote „Einblick in die Grundlagen der Harsh Vocals“ (Britta Görtz) | 16:00–16:30 Uhr
- Panel („Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Gesangsstrategien verschiedener Genres“) | 16:30–17:45 Uhr
- Workshop „Anatomie und Funktion der Taschenfalten“ (Britta Görtz) | 18:00–19:00 Uhr
- Abendessen und Get-together | ab 19:00 Uhr
Wir befinden uns in einem stimmungsvollen Raum mit verschiedenen Lichtakzenten. Vorn leuchtet uns das Camp-Logo von einem großen Fernseher aus an – beim nächsten Mal wäre ein Beamer plus Leinwand empfehlenswert. Daneben steht ein Flügel, auf der anderen Seite gibt es ein Getränkebuffet. Insidertipp: Die bequem wirkende rote Retrocouch ist steinhart, also nicht einfach drauffallen lassen.

Britta Görtz eröffnet das Harsh Vocal Camp | Foto: Ben Bloodygrave
Obwohl sich die Begrüßung um eine Viertelstunde verschiebt, endet sie pünktlich. Das verwundert auch die Gastgeberin: „Geil, wie habe ich denn das gemacht.“ Britta ist so, wie man sie aus Social-Media-Videos, Workshops, ihrem Coaching und von der Bühne kennt: sympathisch, locker und natürlich. „Mein Rechner ist überhitzt, haben wir Eiswürfel?“ Ja, es gab welche. Authentizität ist hier keine Marketingmaßnahme, sondern eine Charaktereigenschaft.
Kleine Fauxpas überspielt sie nicht: „Was hab ich denn da geschrieben, das ergibt ja gar keinen Sinn.“ Sie gibt auch ehrlich zu, etwas Grundlegendes vergessen zu haben. Blicken wir auf das Programm: „Ich habe keine Pausen eingeplant“, verkündet sie und fragt selbstironisch, wie es möglich sein kann, dass ein Punkt um 19 Uhr in der Rampe endet und wir zur gleichen Zeit bereits an einem anderen Ort sein sollen.
Faszinierende Gesangskunst
Wir möchten nicht zu tief in die Materie einsteigen und die Inhalte spiegeln. Wer sich dafür interessiert, sollte Coachings bei Britta oder ihren Kolleg:innen buchen oder selbst am Harsh Vocal Camp teilnehmen. Vielmehr wollen wir das Drumherum beleuchten und ein Gefühl für das Event vermitteln, um die Kernfrage zu beantworten: Lohnt sich die Teilnahme?
Die wichtigste Erkenntnis: Es gehört so viel mehr dazu, als nur in ein Mikrofon zu brüllen oder zu schreien. Harsh Vocals sind eine Wissenschaft für sich, aber keine exotische Ein-Mensch-Show. Britta formuliert es folgendermaßen: „Harsh Vocals umfassen alles, was nicht Klargesang ist.“ Trotzdem zählen Growls und Co zum Themenspektrum „Gesang“.

Ausverkauftes Harsh Vocal Camp 2024 | Foto: Ben Bloodygrave
Das vermittelt uns ein Video mit einem coolen Stimmenmedley sehr gut – von Lady Gaga bis Brutal Death Metal, von Michael Jackson bis Operngesang. Es ist bedeutend, die Theorie immer wieder aufzulockern. Gerade ein mehrtägiges Event mit vielen Vorträgen muss unterhaltend und abwechslungsreich sein. Das gelingt überwiegend, auch wenn wir uns zum Einstieg mehr Vocalbeispiele von Britta und weniger vom Band gewünscht hätten.
Harsh Vocals sind eine aufregende Reise
Die Gastgeberin macht Geräusche, wenn ihr langweilig ist. Ihr auch? Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel daran nehmen, denn über die eigene Stimme können wir uns selbst besser kennenlernen und idealerweise Hemmungen abbauen, um auch unter Menschen und vor allem in bestimmten Situationen freier und sicherer zu sprechen.
Brittas Gesangslehrer hat damals zu ihr gesagt: „Lass das, das ist unästhetisch und macht die Stimme kaputt.“ Warum hat er ihr nicht beigebracht, was sie tun muss, um genau das zu verhindern? Erneut wird deutlich, wie vielschichtig das Thema ist. Irgendwas mit Stimmlippen plus Taschenfalten ergibt Kehlgesangston. Doch ganz so einfach ist es natürlich nicht. Passend dazu steht auf dem Fernsehbildschirm: „Aha. Und jetzt?“
Das Camp bringt eine essenzielle Information immer wieder gut rüber: Unsere Stimme ist ein individuelles Instrument und die „Verkörperung eines geistigen Prozesses“. Die Initiatorin baut gern philosophische Brücken, über die sie eigene Noten, Gedanken und Thesen einbringt. Ein Beispiel: Zeige ich mit meiner Stimme mein wirkliches Ich oder eine identitäre Erweiterung?
Fragen in die Runde lockern das Programm auf. So bekommt auch das Publikum eine Stimme. Spontane Jokes? Funktionieren ebenso. Kurzfazit: sehr gelungener Einstieg, der kommende Themen touchiert und spannend über den Mikrofonrand blickt.
Das Camp ist so divers wie unsere Stimme
Neben Britta nehmen folgende Personen am Panel teil: Tinatin Tsereteli (Jazz-/Rock-/Pop-Sängerin und Gesangsdozentin), Nils Wittrock (Sänger und Gitarrist der Band THE HIRSCH EFFEKT, Hrafn Zimmermann (Sänger von INTERITVS und die jüngste Person in der Runde), Florian Heesch (Musikwissenschaftler an der Universität Siegen) und Ana Seva (Opern- und Metal-Sängerin, die sich auf Black und Doom Metal spezialisiert).

Von links nach rechts: Britta Görtz, Tinatin Tsereteli, Nils Wittrock, Hrafn Zimmermann, Florian Heesch, Ana Seva (nicht mehr ganz im Bild) | Foto: Ben Bloodygrave
Die Zusammensetzung ist so spannend wie das Zusammenspiel der Teilnehmer:innen – von wissenschaftlich, gesellschaftlich und politisch über musikpraktisch bis hin zu sehr persönlich ist in den Redebeiträgen alles dabei. Dadurch entwickelt sich eine hervorragende Dynamik, am Ende auch zwischen Panel und Publikum, sodass Britta nur noch vereinzelt steuert.
Wir sind besonders begeistert von Hrafn, der mit 17 Jahren schon beeindruckend reif, tiefgreifend und emotional sowie sozial überaus intelligent spricht. Würden mehr Menschen, egal welchen Alters, so reflektiert sein, hätten wir eine bessere Welt. Die Gleichung klingt sehr einfach, aber sie würde aufgehen.
Wollt ihr Stimmlippen in Aktion sehen?
Es wird anatomisch. Wir erfahren, dass Britta früher viel im Callcenter gearbeitet hat. Das hat Knötchen gefördert, weshalb Sie bei einem Arzt gewesen ist. Und wenn die Kamera schon mal von innen ihre Stimmlippen filmt … richtig, die Chance hat sie sich nicht entgegen lassen. „So, und jetzt machen sie mal das, was sie schon immer mal machen wollten“, hat der Arzt gesagt. Das Ergebnis (könnte das Cover-Artwork einer Brutal-Death-Metal-Band sein) sehen und hören wir im Video.

Großartige Gastgeberin: Britta Görtz von HIRAES | Foto: Ben Bloodygrave
Videos erweisen sich generell als sinnvoller Hebel, um die fachspezifische Theorie verständlicher zu machen – beispielsweise zu verschiedenem Kehlgesang und der Dendemann-Rhythmik. Oder könnt ihr euch automatisch etwas unter „supraglottisch“ vorstellen?
Viel Applaus, ein paar Fragen, einige Woohoos, Stift und Zettel sowie Pig Squeels, Krächzen und Growlen über die Tische hinweg – die Gäste sind interessiert, engagiert und gut vorbereitet. Eine Person ist sogar extra aus der Schweiz angereist, um am Harsh Vocal Camp teilzunehmen.
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Warum erscheint das Special denn erst ein halbes Jahr nach der Veranstaltung?