Monsters Of Rock 1991
metal.de schwelgt in Erinnerungen

Special

München, 24.08.1991

Zum Familienausflug geht es zusammen mit der Mama und dem großen Bruder nach München Riem auf die einstige Start- und Landebahn des dekonstruierten Flughafens. Die Verkehrsanbindung ist beileibe nicht optimal und entsprechend durchgeschwitzt verlassen wir mit zigtausend anderen, langhaarigen, in Kutten gehüllten Menschen die S-Bahn. Der Fußweg zur Location ist kurzweilig, es wird gegrölt, herzlich gelacht und das ein oder andere Erfrischungsgetränk gereicht. Man selbst stapft ein wenig griesgrämig aufs Infield, denn immerhin steckt man mitten im Flegelalter und ist stets bedacht, die gerade wachsenden Locken gekonnt in das picklige Gesicht zu streichen. Außerdem haben die einstigen Idole um James Hetfield und Lars Ulrich unlängst einen sträflichen Verrat am Heavy Metal begangen und als Vorabsingle für das in Kürze erscheinende „Black Album“ einen Popsong namens „Enter Sandman“ veröffentlicht.

Androgyne Performance von den BLACK CROWES

Als wenn das noch nicht reichen würde, starten doch tatsächlich irgendwelche Southern-Rock-Hippies in den Nachmittag, die mit blues-geschwängerten Les-Paul-Licks und einem mageren, herumkreischenden Sänger die zarte Seele eines pubertierenden Metal-Revoluzzers nur bedingt berühren. Leider haben auch die Anhänger*innen der härteren Fraktion, die Schuluniform-Träger*innen und Glam-Rocker*innen keinen Sinn für Chris Robinson und die restlichen BLACK CROWES, die mit ihrem Debüt „Shake Your Money Maker“ auf Tour sind und mittlerweile nicht mehr wegzudenkende Perlen wie „She Talks To Angels“ und das Cover „Hard To Handle“ präsentieren. Heute gehört die Diskografie der BLACK CROWES zum festen Inventar der heimischen Plattensammlung und man würde der gleichen Band in diesem Line-Up womöglich zugestehen, die besten Musiker auf der Bühne zu vereinen. Sagte nicht einmal jemand, dass sich über Geschmack nicht streiten ließe?

QUEENSRŸCHE: Eine großartige Stimme und ausgeklügeltes Songwriting

Die zweite Band des Tages stammt aus Seattle und zeigt eine ähnliche Wirkung wie die BLACK CROWES, wenngleich sich die Musik mitnichten vergleichen lässt. Aber der Überfluss an Audio-Informationen lässt sich bei hellem Tageslicht und mit noch nicht annähernd ausgereiftem, musikalischem Verständnis nicht ordentlich verarbeiten. Stattdessen nervt die ritterliche Stimme des Ausnahmesängers Goeff Tate schon bald und das verwinkelte Gefrickel an den Gitarren ist einfach zu viel des guten (im wahrsten Sinne des Wortes). Alleine, „Silent Lucidity“ schwingt sich machtvoll in die Magengrube und veranlasst den blassen Teenager dazu, ein paar Tage später, seine Ersparnisse in „Operation Mindcrime“ zu investieren.

Das Haarspray gezückt und die Spandex-Hose zurechtgezupft – hier kommen MÖTLEY CRÜE

Noch während der Umbaupause lugt ein gewisser Vince Neil hinter den aufgestapelten Marshall-Türmen links vom Drumriser hervor und ein gigantisches Backdrop wird ausgerollt. Darauf zu sehen ist eine überdimensionale Mona Lisa, die grinsend ihren Stinkefinger präsentiert. Kurze Zeit danach legen die LA-Skandalisten los, wobei die Band sicherlich in erster Linie von ihrem Image lebt. Natürlich haben die Männer um Nikki Sixx auch ein paar gute Songs im Repertoire („Shout At The Devil“, „Smokin´ In The Boys Room“, „Girls Girls Girls“, “ Same Ol´ Situation“), das alleine reicht aber nicht aus. Irgendwie – und man muss der Band zumindest eine gewisse Authentizität zugute halten – scheint der Suff und Rausch ein immens wichtiger Bestandteil der Gruppe zu sein, der sich leider auf die Live-Qualitäten der Musiker auswirkt. Den Abschluss machen MÖTLEY CRÜE mit „Anarchy In The UK“, dem ollen SEX-PISTOLS-Evergreen. Der Song findet sich übrigens auch auf dem kurze Zeit später erscheinenden 10-Jahres-Rückblick „Decade Of Decadence“ und bringt der Band veritables Airplay und ein Wiedersehen auf MTV ein.

 METALLICA gehen auf Schmusekurs

Was hatte man dieser Band nicht alles zu verdanken… Durch Dick und Dünn hat man sein METALLICA-Shirt, über die vor Stolz geschwellte Brust gestreift, getragen. Keine Mittagspause auf dem Schulhof ohne „Master Of Puppets“ aus den Kopfhörern, kein Lernen für die nächste Extemporale ohne „Harvester Of Sorrow“ aus den Lautsprechern. Und nun kommt mit einem schwarzen Album und einer, man kann diese Worte kaum aussprechen, Ballade der große Verrat an den Fans. Natürlich feiert man bis zu jenem 24.08.1991 auch einen Song wie „Fade To Black“, nur um sich jetzt über „The Unforgiven“ zu echauffieren. Warum? Nun, ein gewisses Pseudo-Elitisten-Gehabe scheint es auch Anfang der 90er schon zu geben. Abgesehen davon, spielt heute die eigene Lieblingsband und während man das Haupthaar schüttelt und die Pommesgabel gen Himmel streckt, sieht man aus dem Augenwinkel, wie die eigene Mutter einen amüsiert mustert. Das ist also aus ihrem kleinen Buben geworden… In jedem Fall sind heute die besten METALLICA aller Zeiten zu sehen und die nächsten zwei, drei Jahre wird es noch einige dieser überragenden Live-Shows geben, für die speziell eine 360-Grad-Bühne entwickelt werden wird – ein Novum anno 1991.

Bei AC/DC regiert nicht allein Geld die Welt

Die Generation-Music-Television wird sich erinnern: In der Dauerberieselung läuft tagein, tagaus das Videomaterial zu „Thunderstruck“ und „Moneytalks“ in der Heavy Rotation, was dafür sorgt, dass die vierköpfige Familie plus Wellensittich, während dem gemeinsamen Abendessen wie aus einem Munde „Aaaaaah – Thun-der“ zum gerade laufenden Song auf MTV mitsingt. Gewaltig ist auch die heutige Performance um Angus Young und Brian Johnson zu bezeichnen, die vor allem durch den glasklaren und fetten Sound in Erinnerung bleiben wird. Natürlich gibt es die üblichen Spielereien wie herumfliegende Dollarnoten zu „Moneytalks“, eine gigantische Glocke bei „Hells Bells“, die überlebensgroße Aufblaspuppe während „Whole Lotta Rosie“ und Kanonenschläge am Ende von „For Those About To Rock“. Ein kluger Mann beschreibt das so: Wer AC/DC live bucht, der bekommt AC/DC.

Um 23 Uhr ist Zapfenstreich und man hält glücklich sein allererstes Tour-Shirt in den Händen und fährt zusammen mit der Mama und dem großen Bruder in einer völlig überfüllten S-Bahn, nach dem allerersten Open-Air-Festival nach Hause.

Oliver Di Iorio

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16.01.2023

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AC/DC, Metallica, Mötley Crüe, Queensryche und The Black Crowes auf Tour

2 Kommentare zu Monsters Of Rock 1991 - metal.de schwelgt in Erinnerungen

  1. Lake sagt:

    Haaach, mein erstes Festival, damals in Mainz.
    Völlig unreflektiert mit 16 Jahren alles komplett geil gefunden. Naja gut, die Black Crowes nicht ganz so, deren Qualitäten hab ich auch erst später schätzen gelernt. Aber hallo AC/DC und Metallica mit dem Vorprogramm damals für 50,- Mark….war das spitze!

  2. c00kie_skull sagt:

    Monsters of Rock ’91 in Hannover – mein zweites Konzert überhaupt. Zarte 15 war ich da. Ach ja, danke metal.de für eine kurze Rückblende auf mein Leben.