Avantasia
Interview mit Tobias Sammet zum neuen Album "The Mystery Of Time"

Interview

Avantasia

Das Album selbst hat wieder eine Konzeptstory, bei der es im weitesten Sinne um Zeit geht. Kannst du das noch etwas näher erläutern?

Es handelt von einem jungen, agnostischen Wissenschaftler, der registriert, dass um ihn herum die Leute immer weniger Zeit haben und dass das Zeitempfinden der Leute sich immer weiter dahingehend verändert, dass ihnen Stunde um Stunde immer kürzer vorkommt und den Leuten quasi die Zeit genommen wird, sich auf wesentliche Dinge im Leben, auf wesentliche Fragen und auf das Beschäftigen mit sich selbst und ihrem Ursprung zu… (überlegt) Welches Verb könnte ich jetzt nehmen? Ich weiß nicht mehr, wie ich den Satz angefangen habe, das ist immer bei diesen langen Sätzen das Problem, da weiß man nicht, mit welchem Verb man eigentlich aufhören muss…
Jedenfalls hat er das Gefühl, dass die Leute einfach keine Zeit mehr haben, sich mit essenziellen Dingen im Leben auseinanderzusetzen, und dass irgendetwas scheinbar mit System die Leute in ein Hamsterrad reinjagt, wo sie Nichtigkeiten hinterrennen, um sich mit wesentlichen Dingen nicht mehr auseinanderzusetzen. Und dieser Sache möchte er auf den Grund gehen und auf diesem Weg, den er dadurch beschreitet, begegnet er ganz interessanten Schlüsselfiguren und eigenen Gedankengängen, denkt eigene, neue Gedankengänge und kommt dann im Laufe dieser Geschichte, in der er sich dann immer mehr mit den Zusammenhängen von Wissenschaft und Spiritualität auseinandersetzt – und der Rolle, die Zeit bei der ganzen Geschichte spielt – immer mehr in die Denke rein, dass er eine Nichtexistenz eines göttlichen Wesens oder Wirkens ausschließen muss, was ihn ja nicht mehr zum Agnostiker im eigentlichen Sinne macht.
Die Geschichte spielt im viktorianischen England, ist so ein bisschen ein Märchen, vielleicht auch ein bisschen eine Kriminalstory und begleitet dann eben einen Wissenschaftler auf seinem Weg, wie er spirituell etwas wächst und vielleicht auch ein Stückweit geläutert wird von seiner reinen Wissenschaftsgläubigkeit, die per se nichts Schlechtes ist, aber die man meines Erachtens nicht einfach so von der Spiritualität loseisen kann. Wie auch immer, im Endeffekt habe ich diese Geschichte gesponnen, weil ich da wunderbar meine eigenen Gedankengänge reinbauen konnte und auch Fragen stellen und auch Dinge, die mich beschäftigen, erörtern konnte.
Im Idealfall nehmen die Leute das nicht als „Unterhalte mich eine Stunde und gib mir jetzt eine Stunde irgendwie ‚Herr der Ringe‘!“ hin, sondern eher als etwas, mit dem sich der Hörer auseinandersetzt und dabei vielleicht auf eigene Fragen kommt. Und im Nicht-Idealfall – oder in einem anderen Idealfall – in einem anderen Fall soll er einfach schöne Stimmungen und schöne lyrische und musikalische Bilder vorfinden, mit denen er einfach in so eine andere Welt abtauchen kann. Im Prinzip ist es alles offen zur eigenen Interpretation, man kann die Lyrics für sich nehmen und kann sich dazu auch einfach Fragmente rauspicken und da einfach eine gute Zeit damit haben.

Bei einem Songtitel wie „The Watchmakers‘ Dream“ musste ich unweigerlich an den bekennenden Atheisten Richard Dawkins und das Bild des „blinden Uhrmachers“ denken, mit dem dieser auf Basis der Evolutionstheorie gegen das Weltbild der Kreationisten argumentiert. Sind dir diese Theorien auch geläufig und haben sie dich vielleicht beim Schreiben der Geschichte beeinflusst?

Nee, aber es klingt auf jeden Fall interessant, als ob es was damit zu tun haben könnte.

Ok, dann lass uns lieber noch auf die Sänger eingehen, die du dieses Mal um dich geschart hast. Du hast ja bereits erwähnt, dass du einige neue Stimmen in deinen Reihen hast. Der ein oder andere dürfte besonders überrascht gewesen sein, dass Jorn Lande diesmal nicht dabei ist.

Ja, ich habe relativ am Anfang, als ich die Platte dann aktiv angegangen bin, mit ihm gesprochen. Er hat aber gleich von Anfang an gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er für eine Tour nicht zur Verfügung stehen wird, relativ groß ist. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, das diesmal ohne ihn zu machen. Wir haben immernoch einen guten Draht zueinander, das ist gar kein Ding, aber es hat diesmal einfach nicht gepasst, er hatte halt andere Pläne. Da habe ich gedacht, wir gehen dann einmal über Los und etablieren auch eine komplett neue Truppe auf dem Album.
Irgendwie tut es der Sache auch gut, denn AVANTASIA lebt ein bisschen von der Vielseitigkeit. Ich meine, Jorn ist ein tierischer Sänger, der ist über jeden Zweifel erhaben, aber wir haben jetzt mit Eric Martin, mit Biff, Ronnie und Joe Lynn Turner auch wieder Granaten dabei, da mache ich mir gar keine Gedanken, das ist alles wunderbar geworden. Eine Tür fällt zu und die nächste geht irgendwie auf. Es klingt total blöd, weil ich will jetzt nicht despektierlich klingen und das hat nichts mit mangelndem Respekt für Jorn zu tun, aber ich sage wirklich, es ist jetzt auch sehr viel positives Neues auf der Platte zu hören.

Wo du nun am Rande bereits die Live-Umsetzung angeschnitten hast: Ein echtes Orchester werdet ihr wohl nicht mit an Bord haben?

Nee, das wird der Miro als Keyboarder machen. Aber ein echtes Orchester bringt auf der Bühne einfach nichts. Du hast bei einer Heavy-Metal-Band, die so einen Radau macht, einfach so viel Dreck, der dann da mit rüberkommt, wenn da 65 Leute mit Tonabnehmern sitzen, macht das meines Erachtens keinen Sinn. Und das ist auch nicht wirtschaftlich, dann kannst du nicht mehr touren.

Wen werdet ihr dann als Sänger mit an Bord haben?

Ja, also Michi Kiske, Bob Catley, Oli Hartmann, Amanda Summerville, Eric Martin – und einen kann ich so noch nicht ankündigen.

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Zum Abschluss wollte ich dich dann noch auf die ziemlich geile Show ansprechen, die du mit EDGUY kurz vor dem Jahreswechsel 2011/2012 in der Rockfabrik in Ludwigsburg gespielt hast.

Das war geil! Diese Show war tierisch!

Ich hatte so den Eindruck, ihr seid von den größeren Bühnen, die ihr sonst bespielt, endlich mal wieder in einen kleinen, stickigen Schuppen gekommen und hattet da einen tierischen Spaß dran.

Ja, aber die Leute waren auch super! Wenn du so eine Show spielst, dann merkst du schon nach zwei Liedern: Heute Abend macht’s einfach nur Spaß, heute Abend kannst du einfach gar nicht verlieren! Das merkst du, da passt es einfach, ich kann das gar nicht in Worte fassen, es hat einfach gestimmt. Wir standen auf der Bühne, wir hatten das Tourjahr irgendwie schon abgeschlossen, das war so eine Show außer Konkurrenz, da waren irgendwie 700 Leute drin, der Laden war rappelvoll und die Stimmung war gigantisch. Und dann macht das aber auch Spaß, dann springt das auf die Band über, man befeuert sich dann so gegenseitig.
Ich kann mich an die Show erinnern, das war super! Irgendwann stand der Hasche (örtlicher Veranstalter – Anm. d. Red.) mit so einem Kraut auf der Bühne, mit so einem komischen Schnaps und mit einem roten Piratenhut – denn eine Nikolausmütze hatte er nicht gefunden. Er stand da dann mit so einem Piratenhut und hat so ein Tablett gehabt mit irgendwelchen Schnäpsen. Und ich so: „Boah, Hasche, du bist doch pervers!“ Aber die Show hat echt Spaß gemacht!

In solch kleinen Clubs spielt ihr hier in Deutschland mit EDGUY ja sonst eigentlich nicht mehr, hat das vielleicht auch eine Rolle gespielt?

In Deutschland nicht, aber wir spielen ja auch im Ausland öfter mal solche Clubs, grade in den USA passiert das schon. Aber dass dann so die Luft brennt, das hast du nur ganz selten. Ich sag mal, normalerweise sind die Schwaben da eigentlich tatsächlich schon gut. In Süddeutschland ist das einfach heißblütiger, es ist tatsächlich so. Und Schwaben war immer gut, wir hatten auch mal eine Show gespielt in der Filharmonie in Filderstadt, das war nicht die letzte, sondern auf der „Rocket Ride“-Tour oder so… (überlegt) „Rocket Ride“- oder „Tinnitus Sanctus“-Tour…

Ihr habt auf jeden Fall auf beiden Touren da gespielt. Und die letzte Tour…?

Die auch. Da war aber die Stimmung so okaaaayyyy….

Stimmt, da war ich enttäuscht.

Von der Stimmung oder von uns?

Nee, von der Stimmung, von euch nicht.

Ja, weil ich war auch von uns nicht enttäuscht, aber von der Stimmung so ein bisschen. (grinst) Aber davor ging’s da ab, das war unglaublich!

Ich denke, ich habe seit 2006 jede Show von euch im Großraum Stuttgart mitgenommen und war da nie enttäuscht von euch. Ich glaube, selbst wenn ihr mal einen schlechten Tag habt, könnt ihr keine richtig schlechte Show spielen.

Ach, ich glaube, wenn wir uns richtig viel Mühe geben, kriegen wir das hin, da mache ich mir keine Gedanken. (lacht) Aber nee, das ist halt das schöne an einer Band wie EDGUY, wir machen seit so vielen Jahren zusammen Musik und sind so ein eingespieltes Team, so richtig scheiße geht das eigentlich wirklich nicht.

Bei AVANTASIA seid ihr ja nicht ganz so eingespielt.

Nee, da müssen wir uns schon Mühe geben, dass es nicht richtig scheiße wird, da könnten wir potentiell richtig scheiße sein. Aber das werden wir nicht, wir werden gut proben für die Tour und das passt dann alles.

Ok, da sehen wir uns dann hoffentlich bei der Show in Ludwigsburg!

Ja, ich bin da. Ich hab an dem Tag ja eh nichts anderes vor. (lacht)

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08.03.2013

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