
End Of Green
"Das sind unsere Lieder, da können wir machen, was wir wollen."
Interview
Auf der Welt und in euren Leben hat sich in den letzten 30 Jahren sicherlich viel geändert. Haben die Songs auf “Infinity“ für dich immer noch dieselbe Bedeutung wie damals oder haben die Neuaufnahmen auch zu einer Art Neubewertung geführt?
Ich glaube, was man nicht machen darf, ist, dass man zum Beispiel die Gedanken, die damals in den Liedern vorherrschend waren, noch mal ändert oder hinterfragt oder den Zeiten anpasst, das hätte ich doof gefunden. Natürlich würde man heute viele Sachen anders oder gewählter ausdrücken, aber das war damals nicht der Punkt. Der Punkt war das sollte so raus und das musste so raus und deswegen bewerte ich das nicht neu.
Es ist nur einigermaßen erschreckend, mir das anzuhören und zu sagen: „Ach, haben wir da ein Lied gehabt, wie scheiße es ist, dass auf der Welt Kinder in Kriegen sterben? Oh, wow, haben wir wieder.“ Oder es hat nie aufgehört. Dass viele von den Problemen nach wie vor da sind, war dann eher ein Grund mehr, da nichts anzupacken oder zu verändern oder nicht schlauer wirken zu wollen, als man das damals war, sondern das einfach gerade noch mal so rauszugeben, weil es immer noch so ist. Man braucht nur die scheiß Tagesschau anmachen und dann könnte ich mich schon wieder hinlegen.
In den letzten 29 Jahren hat sich einiges getan. Ich sitze hier im Kinderzimmer und von daher habe ich natürlich mit einem sechsjährigen Sohn einen komplett anderen Blick auf die Welt oder auf die Zukunft. Besser ist es leider nicht. Wenn ich damals dachte die Welt ist schlecht und wie sie jetzt ist… Das hätten wir damals auch nicht sagen dürfen. Es geht immer schlimmer. Wenn sich etwas tatsächlich geändert hat, dann ist das der persönliche Umgang mit einer Welt, die komisch ist oder die besser sein sollte.
Vor 20, 29 Jahren hatte ich noch eine Scheiß-drauf-fuck-you-Einstellung. Ich schlag mal was kaputt, dann geht’s mir besser. Aber mit einem sechsjährigen Sohn will ich nichts kaputtschlagen, ich will, dass es gut wird. Und dann geht man es tatsächlich von einer anderen Seite an, das flaue Gefühl im Magen mit der Welt. Und dass es von meinem flauen Gefühl allein nicht besser wird, wissen wir, aber man tut was im Bereich des Möglichen ist für jeden, dass die Welt hier für jeden einigermaßen schön erlebbar wird.
Das hat sich glaube ich geändert, wir sind ein bisschen weniger nihilistisch als wir das früher waren, ein bisschen ausgependelter. Man geht auch besser mit Schicksalsschlägen um. Oder was heißt besser, abgeklärter vermutlich. Die Themen sind gleich geblieben, aber wie wir an die Sache herangehen, hat sich dann doch stark verändert. Es wäre ja traurig, wenn wir nach 20 Jahren immer noch so drauf wären. Es ist schon ganz okay, dass wir uns da ein bisschen verändert haben.
Spannend, dass du das sagst, das war nämlich auch genau der Eindruck, den ich von “Twinfinity“ hatte. Für mich persönlich klingt es nach weniger Scheißegal-Attitüde und mehr aufrichtigen Emotionen oder einem größeren Spektrum an Emotionen, das man auf der Platte hört.
Dankeschön! Ich glaube, dass man früher viele Probleme oder viele Sachverhalte einfach damit beendet hat: „So eine Scheiße. Ach, scheiß drauf“, aber man hat ja gesehen, was aus dem „scheiß drauf“ wurde, es ist ja nicht besser geworden. Mittlerweile geht man damit ein bisschen tiefer oder ein bisschen ernsthafter um. Ich kann mich ablenken so viel ich will, wenn ich morgen früh aufstehe, ist scheiß Donald Trump immer noch da, ist die scheiß AfD immer noch da, ist die scheiß CDU immer noch da. Da man ist dann realistisch genug, aber nicht so abgefuckt, dass es einem egal ist.
Früher konnten einem Dinge egal sein, weil man eigentlich auch ein bisschen wusste, dass es nie eintreten würden. In den 90ern gabs die Republikaner oder die NPD, scheißegal irgendwie, natürlich war ich gegen die, aber ich hatte nie ernsthaft in Erwägung gezogen, dass die in eine Regierungsverantwortung kommen könnten und das ist jetzt anders, da komme ich mit „scheiß drauf“ nicht mehr weiter. Da muss man ein bisschen aktiv oder aktiver oder wachsamer oder abgeklärter werden oder auch mal die Nachrichten einfach aus lassen und einfach mal nicht jeden Tag online durchscrollen und ständig die Hände überm Kopf zusammenschlagen und denken „ach du liebe Güte, wie dumm sind wir eigentlich“.
Obwohl die Stimmung eine andere ist, habt ihr die Songs sehr behutsam angefasst. Wo war eure Grenze, was Änderungen betrifft?
Michelle (Darkness, Sänger, Anm. d. Red.) ist im Prinzip vorausgegangen und hat das grobe Gerüst gemacht. Wir wollten nicht wirklich den Charakter verändern, sondern eher noch eine Melodie mit reinmachen. Es gibt Melodien, die wir live schon in den letzten Jahrzehnten immer gespielt haben und die konnten wir jetzt endlich auch aufnehmen. Es waren eher solche Veränderungen, aber dass man sagt lass uns aus “Left My Way“ eine Punkrocknummer machen oder so, das war nicht der Gedanke.
Wir wollten die Lieder in ihrer Grundform erhalten und einfach gucken, wie wir 29 Jahre später mit diesem Gerüst umgehen oder wie wir das ausfüllen, aber uns war klar, dass man was Eckiges nicht rund machen kann oder umgekehrt. Wir sind behutsam vorgegangen, aber in dem Rahmen haben wir glaube ich einiges ausgereizt mit Melodien – oder auch, dass wir den Takt halten. Wenn du dir “Infinity“ anhörst, haben wir da Temposchwankungen drin, das ist der Hammer.
Eigentlich sagt man ja, dass das Musik heutzutage fehlt, also dass Musik heutzutage viel zu klinisch, viel zu sehr auf den Punkt gespielt ist und die Dynamik verlorengegangen ist, aber wir hatten damals echt ganz schön viel Dynamik drin. Da ist ein Lied am Schluss 13 Beats schneller oder langsamer als wir es angefangen haben und sowas haben wir dann in ein einigermaßen vernünftiges Maß gegossen.
Fast alle Re-Recordings sind länger als die 1996-Aufnahmen, “Infinity“ sticht mit fast drei Minuten besonders heraus. Wie ist es dazu gekommen?
Wenn wir “Infinity“ live gespielt haben, war das Lied immer automatisch länger als auf Platte. Wir haben ein Faible für diese ausufernden Lieder. Die fangen langsam an, dann steigern sie sich langsam und dann hören wir nicht mehr auf. Auf Platte denkt man sich irgendwann jetzt hören wir mal lieber auf, aber live haben wir festgestellt, dass man eine Spannung noch weiter aufbauen kann. Und dann haben wir es einfach da gemacht, wo wir uns danach gefühlt haben und gedacht haben, das können wir bringen.
Eine Stoppuhr hatten wir nicht dabei, aber dann denkt man das fühlt sich gut an, spielt‘s noch mal, noch mal und noch mal und das macht auch echt Spaß. So würden wir es live spielen. Es kann live zum Beispiel bei uns durchaus vorkommen, dass wir uns allein durch Blickkontakt gegenseitig versichern: „Das Ding hört jetzt noch nicht auf! Wir machen das noch mal eine Runde“, obwohl es auf Platte schon längst fertig wäre.
Bei der Neuaufnahme konnten wir dann sagen drauf geschissen, dann ist es jetzt eben 8 Minuten lang und das machen wir jetzt einfach. Es ist ja unser Lied. (lacht) Das ist dann der Gedanke. Manchmal denkt man sich ja hoffentlich werden die knallharten Fans nicht böse, aber andererseits denk ich mir nö, das sind unsere Lieder, da können wir machen, was wir wollen. Wir gehen schon mit einer Sorgfalt ran, dass auch der Die-Hard-End-of-Green-Fan das nicht scheiße finden wird und sonst – einfach die andere Seite rausholen und sagen ach, Mensch, da ist die gute Version.
Was ist denn dein Lieblings Live-Song von dem Album?
Ich glaube “Left My Way“, aber den Song haben wir seit Jahren nicht mehr live gespielt und “Away“, das haben wir relativ oft gespielt und das macht immer Spaß. Der Song ist so direkt ins Gesicht, der ist echt toll, der brüllt einen an, aber “Left My Way“ ist cooler zum Spielen. Dieses Gefühl, dieser Groove gefällt mir sehr, sehr gut.
Galerie mit 30 Bildern: End Of Green - Summer Breeze Open Air 2023

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| Band | |
|---|---|
| Stile | Doom Metal, Gothic Metal / Mittelalter |
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Louisa Esch




















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