Roadburn Festival
Einmal Tilburg und zurück – Roadburn Festival 2016
Konzertbericht
Samstag, 16. April 2016
Camping im April, Tag drei. Eine weitere angenehm erfrischende Nacht ist verstrichen, welche die Kollegen wahlweise im feinen Hotelzimmer (Lattemann), bei klarem Verstand (Klug) oder kälteimmun im Früh-Kölsch-Koma (Kostudis) hinter sich gebracht haben. Mittlerweile steht auf dem Campingareal sogar ein Pavillon, der von einigen Campern zum Büroraum umfunktioniert wird. Als Kollege Kostudis dann gegen Mittag einmal vom Bildersortieren ablässt, hätte es die Zeltplatztruppe um ein Haar sogar pünktlich zur ersten Band geschafft. „Na, verpasste halt mal ein Riff“, vertröstet der wandelnde Ruhepol seinen Kollegen – und hat damit gar nicht mal so unrecht.
Selten, aber schön: Kollege Kostudis bei der Arbeit.
Schließlich kann es bei SKEPTICISM schon mal einige Umrundungen des Ziffernblatts dauern, bis auf dem Griffbrett mal eine Bewegung zu erahnen ist. Die finnischen Funeral-Doom-Pioniere kredenzen zur sonnigen Mittagsstunde ein mittels Fan-Voting zusammengestelltes Set, das den Fokus (ganz im Gegensatz zum Gig beim Hell Over Hammaburg vor allem aufs Debütalbum „Stromcrowfleet“ legt. Monotonie gehört für die Kultband schließlich seit jeher zum guten Ton, wobei die tonnenschwere Wummerorgel und ein fehlender Bassist für den roten Faden sorgen. Während Organist Eero Pöyry lethargisch gen linke Bühnenwand musiziert, scheinen sich Gitarre und Schlagzeug heute allerdings nicht hundertprozentig im Geschehen zurechtzufinden. Gerade in zarteren Passagen zeigen sich deutliche Tightness-Probleme, die auf Dauer nicht mehr authentisch, sondern einfach nur noch störend daherkommen. Sicherlich kann man nicht immer die Live-Präzision großer Genrevertreter wie SHAPE OF DESPAIR oder AHAB erwarten, aber hiergegen stinken die Herren Wegbereiter dann auf Dauer doch einfach ab.
Nebenan betritt wenig später ein Poor Lonesome Cowboy die Bühnenbretter des Green Rooms. AGALLOCH-Fronter JOHN HAUGHM ist diesmal ganz ohne Anhang aus dem fernen Oregon angereist. Zur Untermalung seiner endlosen Natur-Visuals braucht der Mann mit Sonnenbrille und Hut heute lediglich eine E-Gitarre. Und vier Amps. Und sechs Boxen. Und das eine oder andere Effektpedal. Bis er über diese dann aber seine endlosen Loops geschichtet hat, können auch gerne mal gute zehn Minuten vergehen. Zwar zaubert Haughm ein paar feine Ambient-Sounds aus seiner Verkabelung, bis das Ganze dann aber irgendwie Form annimmt, verstreicht eben einfach zu viel Zeit. Wer hier schon zur Hälfte flüchtet, verpasst einige selige Doom-Rock-Momente, die mit ihren wenigen Black-Anteilen allerdings eher selten an die Hauptband des schweigsamen Gringos erinnern. Kann man schon so machen. Dass sich die Roadburn-Community aber eher über die inzwischen aufgelöste AGALLOCH-Mannschaft gefreut hätte – selbstredend.
Da versprechen HEMELBESTORMER schon deutlich mehr. Auf deren düstere Post-Irgendwas-Suppe hat sich der Kollege Kostudis im Vorfeld ziemlich tierisch gefreut. Die frohe Erwartung, die der Kollege schon den ganzen Tag über an den Tag legt, weicht dann aber recht schnell einer ziemlich derben Ernüchterung: Das Cul de Sac – angesichts der hiesigen Platzverhältnisse ja ohnehin ein Club, dessen Namen der geneigte Musikfreund auf der Running Order nur sehr ungern liest – ist rammelvoll. Und zwar nicht nur drinnen, sondern auch draußen, sprich: Ein Haufen zotteliger Menschen balgt sich schon vor der Venue um die besten Plätze in der Schlange. Ein Anstellen zu diesem Zeitpunkt würde eventuell ermöglichen, die letzten Minuten der Belgier zu hören – von irgendwo hinten.
Der Kollege beschließt, beim nächsten Mal den Rat seines jüngeren Kollegen anzunehmen („Ich hab’s ja gesagt!“) und trottet geknickt weiter in Richtung Exstase. Dort trägt das ausladende, aber nicht ganz so packende Psych-Gedröhne der Franzosen CHAOS ECHOES auch nicht unbedingt zur Besserung der Gesamtsituation bei. Weswegen sich der Kollege und sein fernöstlicher Anhang entschließen, sich in der kommenden Stunde abermals scharf angebratenen Shrimps und dicken Nudeln zu widmen.
Den üblichen Roadburn-Standard bekommen die Kollegen dann aber doch noch geboten – und zwar bei TAU CROSS auf der Main Stage. Die angerotzte Metal-Mixtur der Allstar-Truppe hat unzählige Besucher vor die Hauptbühne gelockt. Irgendwie faszinierend, agieren Michel „Away“ Langevin (VOIVOD) und Kollegen doch gefühlt immer ein wenig sperriger und verkopfter als nötig. Frontmann Rob „The Baron“ Miller hüllt sich auf der einzigen Europa-Show in diesem Jahr anfangs in eine lange Kutte und röhrt seine Textzeilen ohne viel Regung ins Mikrofon. Später wird es aber auch dem Baron zu warm und der Mantel lüftet sich. Insgesamt attestiert Kollege Kostudis den Herrschaften eine mehr als solide Show. Es rockt, es haut, es bratzelt – jau, das geht schon. In puncto Tiefe sicherlich nicht das Ende der Fahnenstange, aber manchmal ist weniger ja auch irgendwie mehr.
Also auf zur nächsten Runde MISÞYRMING. Die spielen heute abwechslungshalber einmal im Green Room. Kollege Kostudis und Begleitung kämpfen sich irgendwie auf die Empore – es hat sich offensichtlich herumgesprochen, dass die Isländer was taugen. Heute gibt’s „Söngvar elds og óreiðu“ auf die Ohren. „Was auch immer“, denkt sich Kollege Kostudis. Hinterher wird er herausfinden, dass es sich um das 2015er-Album der Truppe handelt. Ist aber auch egal – denn die Black-Schroter haben heute nicht ihren allerbesten Tag erwischt. Mag am Raum liegen, am Sound, an der Tagesform, wer weiß. Folglich geschieht, was geschehen muss: Die Gedanken schweifen ab. Während unten also die Kapelle den Teufel heraufbeschwört, erlassen sich der Kollege und seine Begleitung in eine von vielen Ausrufezeichen geprägte Unterhaltung über die Körpermaße des Drummers H.R.H.. Darüber, was für einen „Riesenbrogg’n“ (Kostudis) das doch sei, der da hinter „diesem kleenen Schlahchzoisch“ sitzt (Begleitung). Und auch darüber, dass H.R.H.s isländische Eltern ihrem Kind wohl kaum tatsächlich diesen Namen gegeben haben dürften. „Wobei…Hans Rumpelstiev Haudraufsson…na ja“, denkt Kostudis. Irgendwann, begleitet von einer zügig ratternden Doublebass, zieht die Karavane weiter.
Erwiesenermaßen gibt sich beim Roadburn die internationale Genre-Prominenz die Klinke in die Hand. Wem das bis dato nicht so wirklich klar war, der dürfte jetzt beim Betreten 013 Venue zweimal hinschauen. Unter dem Banner Blood Moon bitten die Hardcore-Legenden CONVERGE gegen Abend Düsternis-Diva CHELSEA WOLFE samt Produzent Ben Chisholm, NEUROSIS-Fronter Steve Von Till sowie CAVE IN-Gitarrist Stephen Brodsky auf die Hauptbühne. Was sich auf vergangenen CONVERGE-Alben mit Songs wie „Coral Blue“ andeutete, wird jetzt hier vollends dem Zeitgeist angepasst. Im weltweit lediglich viermal aufgeführten Special-Set kredenzen die sichtlich gut gelaunten Musiker umarrangierte Post/Doom-Versionen vereinzelter Diskografie-Highlights. Logisch, dass der Auftritt insbesondere stimmlich einiges hermacht, wobei auch der selten clean zu hörende Jacob Bannon eine gute Figur neben den beiden tiefgängigen Gastvokalisten macht. Ob sich hier eine Abkehr vom klassischen Hardcore oder gar eine dauerhafte Zweigleisigkeit andeutet, weiß natürlich niemand. Für den Moment kosten CONVERGE ihre ruhigere Seite jedoch voll und ganz aus – und legen als Schmankerl für Zeitzeugen und Retro-Vollbärte noch eine Coverversion von THE CUREs „Disintegration“ obendrauf.
Ganz andere Dinge geschehen derweil im Extase: Kollege Kostudis hat dort nach dem unterhaltsamen Gig der Briten CRUMBLING GHOST ein Shirt gekauft. So weit nichts Außergewöhnliches. Allerdings werden ihn seine Mitstreiter am nächsten Morgen darauf hinweisen, dass das Motiv ein wenig schlüpfrig sei. Dann nämlich wird Kostudis sein neues Kleidungsstück (zum ersten Mal) mit voller Aufmerksamkeit beäugen und kurz zusammenzucken. „Nehm ich fürn Sport“, wird er sagen – wissend, dass das wohl eine verzweifelte Notlüge ist. Warum hatte er sich das Ding überhaupt gekauft?
Nun, Rückblende: Der britische Fünfer legt eine derart sympathische Show auf die Bretter, dass sich der Kollege sogleich in das Quintett verliebt. Mit Aushilfsbassist Simon Kobayashi im Schlepptau brennen die Londoner ein derartiges Folk-Sludge-Feuerwerk ab, das nahezu keiner der Anwesenden seinen Körper daran hindern kann, in Zuckungen verschiedenster Art zu verfallen. Unten eine tanzende, aber friedliche Meute, oben eine bunt zusammengewürfelte Band – Gangster und Hausfrau inklusive. „Wahnsinn“, denkt Kostudis. Und in ihm reift die Erkenntnis: Es muss nicht immer das unbarmherzig Fiese sein, das an der Seele haften bleibt.
Die Klänge plattgetretener Plastikbecher sind ein Segen, rücksichtslose Zuschauer sind es auch. Wenngleich im Vorfeld überdeutlich angekündigt, hat wohl nicht jeder Festivalgast eine derart anmutige Akustikmesse von AMENRA erwartet. Angesichts der anfänglichen Massenflucht wünscht sich Kollege Klug jene Strenge zurück, über die sich gestern bei DIAMANDA GALÁS noch lauthals beklagt wurde: Türen zu, die Künstler mögen bitte nicht gestört werden. Die in erweiterter Ersetzung agierenden Belgier schotten sich vom Geschehen im Saal aber ohnehin weitestgehend ab. Das Grüppchen musiziert im Stuhlkreis, Sänger Colin H van Eeckhout sitzt an der Spitze – wie gewohnt mit dem Rücken zum Publikum.
Dem Release am Vortag entsprechend fußt das heutige Set gänzlich auf dem neuen Akustik-Livealbum „Alive“. Den daheimgebliebenen Kollegen Klaas konnte das gute Stück zwar nicht so recht überzeugen, live hingegen offenbart sich die wahre Gabe der belgischen Institution: Wohin auch immer AMENRA ihre Fühler ausstrecken – sie bringen eine beängstigende Ernsthaftigkeit mit. Und somit ist es auch völlig gleichgültig, ob es sich um beklemmende Akustikballaden der 2012er-Scheibe „Afterlife“, um umarrangierte Sludge-Hits wie „Aorte“ und „Razoreater“ oder das folkige ZJEF VANUYTSEL-Cover „Het Dorp“ in niederländische Sprache handelt. Im amtlich gefüllten Saal herrscht 70 Minuten lang Eiseskälte – hoher Fluktuation und bechertretenden Unwissenden zum Trotz.
Und so gehen AMENRA mit dem Release-Day einfach in die Verlängerung. Im Merchandise-Raum geht an diesem Wochenende zwar ohnehin tonnenweise Vinyl über den Tisch, AMENRA untermauern hier nun aber endgültig ihren Status als Topseller. Mehr haben in den letzten Tagen wohl lediglich NEUROSIS verkauft – die nach den Akustikauftritten ihrer beiden Fronter nun erstmals vollzählig auf der Bühne stehen.
„“NEUUUUUUUROOOOOOOOSSSIIIIS! Alter!“ Kollege Kostudis ist schon ganz hibbelig. Wie so ziemlich jeder Roadburn-Besucher fiebert auch er dem Gig der Legenden entgegen. Nicht unbedingt, weil NEUROSIS zu seinen absoluten Lieblingen zählen würden. Eher, weil er der Band die gebührende Ehre erweisen will, welche einst sein Lieblingsgenre (und womöglich viele andere) formte. Der Jubliläumsgig ist folglich Pflichtprogramm, ohne Wenn und Aber. Und wer sich das heute hier nicht gibt, muss wohl als hoffnungsloser Fall bezeichnet werden.
30 Jahre vertonte Wut und Frustration auf der Bühne – schon irgendwie beeindruckend. Und als Scott Kelly und Kollegen dann die Bretter betreten und ihre zähen Hassbatzen hinab in die Menge wälzen, wird auch dem Letzten klar, warum diese Formation als so einflussreich gilt: Monumental und vertrackt klingen sie, die US-Amerikaner. Und ruppig. Aber eben immer auf eine gänzlich eigene Art und Weise. Anders gesagt: Was sich da auf der Main Stage abspielt, ist eine einzigartige Interpretation harter Musik mit Tiefgang. NEUROSIS widmen sich im Verlauf ihres heutigen Sets nahezu jeder ihrer Schaffensphasen, auch die Frühwerke kommen nicht zu kurz. So gibt es Songs von unter anderem „The Word As Law“ (1990) und „Souls At Zero“ (1992) oder den in Fankreisen heiligen Titeltrack des 1995er-Albums „Through Silver In Blood“ zu hören. „Schon fett, sehr sogar“, denkt sich Kollege Kostudis, während ihm die Mannen auf der Bühne unbarmherzig den betagten Zwölfminüter reinschieben. Trotz fortgeschrittener Stunde steht der Kollege da, umringt von Tausenden anderen, schlürft gedankenverloren an seinem Bier und ist sich ziemlich sicher: So etwas gibt es nicht so oft im Leben zu sehen.
Den Abschluss bilden dann allerdings die Kanadier BLOOD CEREMONY, die als Teil der von Lee Dorian kurierten „Rituals Of The Blind Dead“ aufspielen. Passend zur sakralen Umgebung des Paatronats bringt die Band um Frontfrau und Flötenfee Alia O’Brien ihren okkulten Seventies-Rock auf die Bühne – und wie! Man muss Lee Dorian für die Einladung dieser Band, die auf seinem eigenen Label Rise Above Records unterwegs ist, wirklich dankbar sein: Neben Titeln von ihrem starken aktuellen Album „Lord Of Misrule“ kommen auch die Klassiker der Band à la „The Eldritch Dark“ und „Witchwood“ zum Einsatz. Besondere Verzückung löst das mystisch-progressive „The Magician“ aus. Nach knapp einer Stunde wird dann zur viel geforderten Zugabe übergeleitet – die Hymne an Pan darf zum Abschluss natürlich nicht fehlen.
Starker Tagesabschluss, nach dem insbesondere die überzeugenden Darbietung der Frontfrau am Keyboard nachhaltig in Erinnerung bleibt. Und obwohl die Location gegen Ende des Auftritts um ein Uhr nachts nur noch zur Hälfte gefüllt ist, harren viele bis zur letzten Note aus – oder um es einmal in der Sprache der jüngeren Kollegen zu formulieren: Läuft bei BLOOD CEREMONY!
Fotos: Anton Kostudis (AKOS Livemomente) und Alex Klug (2 Rights Make 1 Wrong).
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