In Flames
Interview mit Bassist Peter Iwers zu "Soundtrack To Your Escape"
Interview
Quo vadis, In Flames? Einst war man das Flaggschiff des melodischen Göteborg-Todesbleis, heute segelt man mit einer weitaus moderneren Ausrichtung über die in den letzten Jahren mit Alben wie „Clayman“ und in besonderem Maße „Reroute To Remain“ erschlossenen Weltmeere. Logisch, dass in diesem Falle und bei dieser Größenordnung, die In Flames mittlerweile erreicht haben, Kontroversen nicht ausbleiben. Die einen sehen in dieser Band die Leader der modernen Metalgeneration, die anderen kramen missmutig „The Jester Race“ aus dem Regal und trauern alten Zeiten hinterher. So wird es der Fünfer mit seinem neuen Album „Soundtrack To Your Escape“ auch nicht jedem recht machen können. Über dieses Problem, wie In Flames damit umgehen und andere interessante Dinge gab mir ein sehr entspannter und gut aufgelegter Bassist namens Peter Iwers Auskunft.
Hi Peter! Mit welchen Reaktionen auf das neue Material rechnet ihr?
Ich erwarte, dass die Leute niederknien! (lacht) Nein, Spaß! Das ist eine schwere Frage, die mir so noch nie gestellt worden ist. Eigentlich erwarte ich nie bestimmte Reaktionen. Ich bin einfach immer nur sehr dankbar, wenn ich sehe, dass die Leute Gefallen finden an dem, was wir machen. Aber damit rechnen kann ich nicht. Dafür bin ich ein zu pessimistischer Mensch.
Ich denke die Reaktionen werden zwiegespalten ausfallen. Im Vergleich zum Vorgänger „Reroute To Remain“ sied ihr einerseits wieder etwas härter geworden, andererseits finden sich aber auch mehr poppigere Elemente im Sound.
Ja, das stimmt. Das habe ich mittlerweile auch herausgehört. Wenn du mitten im Schreibeprozess für das Album bist, fällt das gar nicht so auf.
„Reroute To Remain“ war auf der einen Seite euer bisher erfolgreichstes Album, wurde aber auf der anderen Seite von vielen alten Fans verschmäht. Dies wird bei „Soundtrack To Your Escape“ ähnlich verlaufen. Wie stehst du zu dieser Entwicklung?
Jeder Mensch hat nun mal seine Meinung. Wir können niemanden zwingen, unsere Musik zu mögen. Du wirst jetzt von mir aber auch keine Kommentare hören von wegen „es sei genau das Richtige, was wir jetzt getan haben“. So eine Band waren wir noch nie. In erster Linie schreiben wir unsere nämlich Songs für uns selbst, um an ihnen Spaß zu haben. Unsere Ausrichtung ist dabei immer moderner geworden, das stimmt. Aber wenn die Leute jetzt sagen, dass wir das nur gemacht hätten, um mehr hip zu sein oder mehr Platten zu verkaufen, dann liegen sie komplett falsch. Hätten wir diesen Richtungswechsel absichtlich vorgenommen, wäre er nicht ehrlich gewesen und das hätte man gehört.
Im Prinzip habt ihr ja die Erklärung für eure Weiterentwicklung im Albumtitel der letzten Scheibe gegeben: „Reroute To Remain“ – eine Neuordnung, um zu überleben.
Ja, irgendwie schon. Aber wir denken nicht wirklich, dass wir einen neuen Weg beschritten haben. Wir haben uns einfach auf dem alten Weg entwickelt. Wir wollen nicht dasselbe Album zweimal herausbringen.
Was hat es mit dem neuen Titel auf sich. Für welche Flucht liefert ihr den Soundtrack?
Für viele Leute ist Musik ein Weg, dem ganzen täglichen Stress und den Problemen zu entfliehen oder einfach nur zu entspannen. Andere machen z.B. Yoga, um das gleiche zu erreichen. Ich gehöre zu erstgenannter Gruppe. Wenn ich fliehen will, ziehe ich mir Kopfhörer über, schließe meine Augen und höre irgendeine Musik, die mich runter bringt. Das hat schon in der Schule angefangen. Wenn wir irgendwelche Essays schreiben mussten, habe ich einfach meine Harre aufgemacht, die Kopfhörer des Walkmans drunter versteckt, alte Metallica gehört und dabei den Aufsatz zu Papier gebracht. Das war mein Weg der Flucht aus der Realität. Jetzt wollen wir dazu beitragen, dass andere das auch können. Musik ist die universelle Sprache, die wir alle benutzen.
Wie steht das Artwork in Verbindung zum Titel? Stehen der Lautsprecher und die Notenblätter für den Soundtrack und das Licht für die Flucht?
Vielleicht. Das ist eine gute Interpretation. Das Artwork behandelt im Prinzip sowohl den Titel, als auch die Lyrics. Aber es war bei uns schon immer so, dass wir zwar unsere eigene Sichtweise des Covers hatten, jedoch niemandem aufzwingen wollten, was er darin zu sehen hat. Über die Texte werde ich an dieser Stelle nicht reden, denn das ist alleine die Baustelle von Anders, da er alle geschrieben hat.
Für die Aufnahmen habt ihr euch in ein dänisches Landhaus zurückgezogen und dort ein Studio hineingebaut. Hat das eure Arbeitsweise verändert?
Ja, auf jeden Fall! Wir hatten keine festen Zeiten, an denen wir aufstehen mussten, um ins Studio zu gehen, oder Feierabend machen mussten. Wir konnten arbeiten, wann immer uns danach war und wir genug Energie dazu hatten. Es hat keinen gestört, wenn wir erst nachmittags um drei aus den Betten gekrochen sind oder bis nachts um drei geschafft haben. Wenn mir der Aufnahmeraum auf den Sack ging, konnte ich einfach in mein eigenes Zimmer gehen, um einen Film zu schauen, zu lesen oder ein Computerspiel zu zocken. So war die Atmosphäre sehr relaxt, da jeder jedem aus dem Weg gehen konnte, wenn es nötig war.
Wie viele Flaschen mit alkoholischen Getränken habt ihr während dieser sogenannten „Tuborg Sessions“ vernichtet?
(lacht) Ich glaube, das hat sogar wirklich jemand nachgezählt. Am Ende waren es mit insgesamt zehn Leuten so um die 3000 Flaschen.
Einzig die Drums sind im Dugout Studio aufgenommen worden. Was mögt ihr an seinem charakteristischen Drumsound?
Daniel Bergstrand bekommt einfach einen einzigartigen Klang hin, den man sofort erkennt, der aber trotzdem bei jeder Band, die er produziert, verschieden ausfällt. Noch dazu ist der Sound sehr klar und komplex. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Du fühlst einfach das gesamte Kit, was eine einzigartige Atmosphäre erzeugt.
Zu der ersten Singleauskopplung „The Quiet Place“ gibt es bereits ein Video. Was hat es für eine Geschichte?
Es wurde in Göteborg von Patric Ullaeus aufgenommen, mit dem wir vorher schon oft zusammen gearbeitet haben. Er ist sehr talentiert und hat schon eine große Bandbreite an Clips und Musikarten abgedeckt. Er weiß also, was er macht. Die Story dreht sich um folgendes: Anders läuft in ein Kino, wo er einschläft und in seinem eigenen Kopf wieder aufwacht.
Wie kam es eigentlich zu den spaßigen Clips von „Trigger“ und Soilworks „Rejection Role“, in denen ihr euch mit Soilwork quasi augenzwinkernd duelliert?
Jeder hat doch gedacht, In Flames und Soilwork könnten sich nicht riechen und würden im Wettkampf gegeneinander stehen. Zufällig fielen dann die Zeiträume, in denen unser zweites Video zu RTR und deren erstes zu „Figure Number Five“ anstand, genau übereinander. Also entschieden wir uns, etwas gemeinsam zu machen, um diese ganze aufgebauschte Hassgeschichte zu ironisieren. Das hat sehr viel Spaß gemacht und die Leute haben hoffentlich endlich verstanden, dass wir Musik just for fun machen und nicht, um irgendetwas zu gewinnen. Noch dazu sind Soilwork eine extrem coole Band.
Ihr von In Flames habt aber sowieso ein offenes Herz für unerwartete und überraschende Extravaganzen. Man denke nur an „World Of Promises“, den happy-happy-joy-joy Bonus Track von „Clayman“, das Genesis-Cover „Land Of Confusion“ oder die C64-Karaoke-Version von „Moonshield“. Was kommt als nächstes?
Das darf ich natürlich nicht verraten. Aber wir haben schon etwas geplant, keine Angst. Nur soviel: Es wird wieder etwas sein, bei dem man unsere Ironie, die den Großteil unseres Humors einnimmt, einmal mehr spüren kann. Der Genesis-Song war natürlich nicht ironisch gemeint. Bei Coverversionen versuchen wir immer, etwas von einer völlig anders klingenden Band zu nehmen, um dort den In Flames-Stempel drauf zu drücken. Wenn wir Dark Tranquillity covern würden, könnte man wahrscheinlich keinen großen Unterschied hören.
Meine drei Lieblingssongs des neuen Albums sind „The Quiet Place“ wegen seiner Ohrwurmigkeit, „Like You Better Dead“ wegen seines Monsterriffings und „In Search For I“ wegen seines Old-School-Touchs. Wie sieht es bei dir aus?
„F(r)iend steht an erster Stelle, weil er so verdammt aggressiv ist und ich diese Art von Musik sehr gerne mag. Es poliert dir richtig die Fresse, wenn du es zum ersten Mal hörst. „The Quiet Place“ muss ich auch nennen, weil dieser Song wohl am besten repräsentiert, für was In Flames momentan stehen. Als letztes würde ich noch „Evil In A Closet“ in die engere Auswahl nehmen, weil dies das überraschendste Lied ist, was wir je geschrieben haben.
Du bist seit „Colony“ bei In Flames an Bord. Vor diesem Album wechselte die Bandbesetzung ständig, seitdem ist sie stabil. Dein Verdienst?
Ja, irgendwie schon! Daniel (Svensson, Drums – Anm. d . Verf.) und ich wurden von den anderen sorgfältig ausgewählt. Sie kannten uns schon länger, da wir schon vor dem Einstieg befreundet waren. Also haben sie uns gefragt, weil sie wussten, wie sehr wir uns der Musik hingeben. Ich hoffe, unser Talent hat auch eine Rolle gespielt. (lacht herzhaft) Seitdem ist ein familiärer Vibe in der Band zu spüren. Man arbeitet nicht nur zusammen, man ist eine große Tourfamilie.
Wie würdest du alle In Flames-Scheiben, an denen du mitgewirkt hast, in deinen eigenen Worten beschreiben?
„Bei „Whoracle“ ist das ein wenig verrückt, weil ich während der Aufnahmen eingestiegen bin. Johan (Larsson, ehem. Bassist – Anm. d. Verf.) hatte seine Parts schon eingespielt. Ich bin also auf dem Album nicht zu hören, fühle mich aber als Teil von ihm. Mit „Whoracle“ ging eigentlich erst der Weg nach oben los. Die Leute fanden Gefallen an uns. Unsere Musik wirkte stabiler, weil erstmals eine Art Bandgefüge da war und man fast mit demselben Line-up wie beim Vorgänger („The Jester Race“ – Anm. d. Verf.) arbeiten konnte. Das Debüt „Lunar Strain“ und die MCD „Subterranean“ entstanden fast nur mit Gastmusikern. So konnten wir auch erstmals richtig auf Tour gehen und die Leute wurden noch mehr auf uns aufmerksam.
Dann kam „Colony“. Das war auch interessant, da Daniel erstmals an den Drums saß, Björn erstmals an der Gitarre zugange war und ich am Bass. Dieses Album macht auf mich im Nachhinein einen sehr relaxten und natürlichen Eindruck. Wir hatten keine großen Erwartungen an uns selbst, sondern machten einfach das Beste, was uns möglich war. Das Resultat war großartig. Wir gingen erstmals in den USA auf Tour und machten Erfahrungen, die uns bei „Clayman“ viel halfen.
Diesmal schrieben wir erstmals als Band ein Album. Davor war es immer so, dass Jesper und Björn alle Songs erdacht haben und wir nur unsere Ideen hinzufügten. Diesmal warfen wir alle unsere Arrangement-Einfälle in einen Topf, weswegen „Clayman“ eigentlich noch relaxter ist als „Colony“. Wir waren noch zufriedener mit uns.
Diese Arbeitsweise haben wir für „Reroute To Remain“ beibehalten. Björn, Anders und Jesper sind die Komponisten, aber wir arrangieren die Songs als Band. So fühlte sich auch jeder besser, da jeder 100% hinter dem stehen konnte, was wir gemacht haben. Den Produzenten haben wir gewechselt, weil wir etwas Neues machen wollten. Wir wollten jemand, der sich frisch und vollends der Band und dem Album hingeben konnte. Fredrik Nordström (der alte Produzent, Anm. d. Verf.) war ja eigentlich nie da gewesen. Wir haben unseren Kram alleine aufgenommen und er hat es am Ende abgemischt.
Das klingt alles in allem nach einer großen und gut funktionierenden Familie, die sich in den letzten Jahren gefunden hat.
Ja, genauso ist es. Wir sind alle Brüder und lachen, weinen und kämpfen zusammen.
Ihr habt letztes Jahr in Spanien einen Gig für Metallica eröffnen dürfen. Was war das für ein Gefühl?
Wow, das war ein großartiges Feeling. Vielleicht das Größte, was wir je mit In Flames erlebt haben. Als ich die Nachricht über diesen Support Slot per Telefon bekam, war ich richtiggehend geschockt. Im Endeffekt haben wir diesen einen Tag in der Sonne genossen und unser Set gespielt. Die Jungs von Metallica haben am Rand zugeschaut, was sehr cool war. Es war schon eine riesige Show, aber wenn du auf der Bühne stehst, musst du an etwas anderes denken, sonst verlierst du das Wesentliche aus den Augen. Und scheiße, war es an diesem Tag heiß. Die Sonne knallte uns direkt ins Gesicht und es schien, als würde unser Blut kochen.
Ihr seid schon Ewigkeiten bei Nuclear Blast und habt quasi die Erfolgsgeschichte dieses Labels hautnah miterlebt. Wo liegen die Gründe dafür, dass diese Plattenfirma so abräumt und viele ihren Bands fälschlicherweise Ausverkauf vorwerfen?
Ganz einfach: Sie glauben an die Bands, die sie pushen. Sie nehmen keine Acts unter Vertrag, weil sie gerade groß sind, um sie zu melken. Sie signen die Bands, weil sie deren Musik mögen. Das bewundere ich wirklich. Deswegen verstehe ich die ständigen Vorwürfe des Ausverkaufs nicht. Heutzutage ist es doch so, dass der Ausdruck „kommerzieller Erfolg“ nur noch negativ bewertet wird. Anstatt sich zu freuen, wenn die eigene Lieblingsband Erfolg hat, wird sie verflucht und ihr Ausverkauf vorgeworfen. Ich hasse das. Nuclear Blast glauben an das, was sie machen, und davor habe ich Respekt.
Letzte Frage: Warum ist es meist der Bassist, der in einer Band den vertrauenserweckendsten Eindruck macht?
(lacht) Danke, Mann! Ich weiß es nicht. Diese These höre ich gerade zum ersten Mal und sie macht mich ein wenig sprachlos. Vielleicht liegt es daran, dass der Bassist meist im Hintergrund steht und deswegen, wenn er denn mal zu Wort kommt, auch wirklich etwas zu sagen hat.
Hugh, Peter hat gesprochen!
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