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Interview mit Arjen Lucassen zum neuen Album "The Theory Of Everything"

Interview

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Arjen Lucassen zählt zweifellos zu den kreativsten Köpfen der internationalen Progressive-Szene. Nachdem das Story-Universum seines Rockoper-Hauptprojekts AYREON im Laufe der Jahre immer komplexer und unübersichtlicher wurde, hat er sich mit seinem neuen Album „The Theory Of Everything“ bewusst für ein schlichteres Textkonzept entschieden, das den vier jeweils mehr als zwanzigminütigen Longtracks zugrundeliegt. Wir sprachen mit dem AYREON-Mastermind über mehr oder weniger gelungene Reboots und ergründeten dabei auch, warum der Holländer seine Ideen diesmal lieber nebeneinander statt übereinander arrangiert hat und wir uns auch zukünftig keine Hoffnungen auf AYREON-Livekonzerte machen sollten.

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Hallo Arjen. Als großer Science-Fiction-Fan hast du bestimmt die neuen „Star Trek“-Filme gesehen. Denkst du, dass es langsam Zeit für einen Neustart des „Star Trek“-Universums wurde? Und findest du, dass das neue Konzept aufgegangen ist?

Ich mag die neuen Filme überhaupt nicht, aber ich kann gar nicht sagen warum. Vielleicht ist das ähnlich wie bei der Serie. So lange ich denken kann, war ich ein großer Fan der alten Serie. Als dann „Star Trek – The Next Generation“ kam, hasste ich es anfangs regelrecht. Ich fand es schrecklich und dachte mir: „Oh mein Gott, dieser doofe Data, da haben sie doch nur versucht, eine Art Spock-Charakter zu kreieren!“ Doch irgendwann fing ich dann an, „The Next Generation“ zu lieben.

 

Möglicherweise könnte dir das mit den neuen Filmen also genauso gehen.

Vielleicht muss ich mich auch hier einfach daran gewöhnen, aber ich glaube nicht, dass das passieren wird. Was ich an „Star Trek“ mag, sind die spaßigen Momente zwischen Spock und McCoy oder später zwischen Picard und Data. Ich mag die Actionszenen und das ganze Geballer überhaupt nicht, das ist überhaupt nicht mein Ding. Und die neuen Filme konzentrieren sich zu stark auf die Action.

 

Natürlich frage ich dich nach dem „Star Trek“-Reboot, weil auch du für das AYREON-Universum mit „The Theory Of Everything“ einen Neustart gewagt hast. Denkst du, dass die Leute die „neuen“ AYREON sofort mögen werden oder befürchtest du, dass es auch Dinge geben wird, die sie vermissen werden?

Ich denke, die Fans werden die Tatsache akzeptieren, dass es sich um eine neue Geschichte handelt. Die alte Storyline wurde immer komplizierter und erstreckte sich über sechs oder sieben Alben hinweg. Die Fans der ersten AYREON-Alben verloren dadurch immer stärker den Bezug zur Handlung. Daher fand ich, dass es an der Zeit war, diese Story zu einem Ende zu bringen und eine neue zu beginnen. Im Grunde machte ich mir überhaupt keine Gedanken darüber, was die Leute denken würden. Für mich selbst war die alte Geschichte abgeschlossen und ich musste diesmal viele Dinge ganz anders angehen.

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Es gab sicherlich auch Dinge, die du in der Vergangenheit getan hattest und nun nicht mehr machen wolltest.

Ja, absolut. Jedes neue AYREON-Album ist ja immer auch eine Reaktion auf den Vorgänger, in diesem Fall also auf „01011001“. „01011001“ war eine sehr hartes Album, es war ausgesprochen dicht und hatte viele übereinandergeschichtete Klangebenen, vor allem bei den Gitarrenspuren. Außerdem gab es darauf extrem viele verschiedene Sänger, siebzehn Stück insgesamt. Das wollte ich diesmal nicht haben, weil es schwierig ist, ihre jeweiligen Talente voll auszuschöpfen, wenn man so viele Sänger auf einem Album hat. Ich wollte auch mehr rein instrumentale Parts haben. Auf „01011001“ hatte ich so viele Sänger, dass ich ihren Gesang auch über die Instrumental-Teile legen musste.
Darüber hinaus wollte ich diese mehrschichtigen Gitarrenparts nicht mehr ständig haben, ich wollte ein wenig zu dem transparenten Feeling zurückkehren, das viele Bands in den Siebzigern hatten und das ich meiner Meinung nach auf dem „Into The Electric Castle“-Album auch hatte. Dort kann man jedes Instrument für sich heraushören, da gab es kaum einmal eine gedoppelte Gitarrenspur. Bei einem Stereo-Mix kann man dann jedes einzelne Instrument klar erkennen. Das waren so die wesentlichen Punkte, die ich diesmal anders machen wollte.

 

Gerade der transparente Sound gefällt mir ausgesprochen gut. Im Prog-Bereich ist man ja oftmals versucht, zu viele Dinge übereinander zu schichten, wodurch das Ergebnis oft ein wenig unübersichtlich wird und man von zu vielen Dingen, die gleichzeitig passieren, regelrecht erschlagen wird. Auf „The Theory Of Everything“ lässt du den Kompositionen hingegen stets genug Raum zum Atmen.

Danke, das ist genau das, was ich auf diesem Album erreichen wollte. „The Theory Of Everything“ hat viele verschiedene Klangebenen, die aber nicht gleichzeitig stattfinden. Das ist das ganze Geheimnis. Bei den Aufnahmen habe ich gründlich darüber nachgedacht, was einen bestimmten Part interessant macht und worum es dabei im Kern geht. Wenn es da eine Akustikgitarre gibt, dann nehme ich diese und die anderen Instrumente sind dann nicht so wichtig. Ich kann sie also auch gleich weglassen oder stärker in den Hintergrund treten lassen. Oder wenn eine Geige auftaucht und diese im Mittelpunkt steht, dann nehme ich die anderen Instrumente weg, damit man sich auf die Geige konzentrieren kann. Und das ist nicht immer leicht, denn vielleicht hat man ja einige wirklich coole Sounds daruntergelegt, die man dann wieder löschen muss, um die Geige in Szene zu setzen. Es ging also darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, was ziemlich schwierig war.

 

Du musstest dich also gewissermaßen selbst dazu zwingen, es nicht zu übertreiben.

Ganz genau. Normalerweise habe ich um die vierzig Kanäle gleichzeitig offen und ich mag all diese verschiedenen Sachen, so dass ich mich gar nicht zwischen ihnen entscheiden kann. Dieses Mal habe ich mich für den einen Part auf diesen Sound konzentriert und beim nächsten dann auf jenen. Ich habe gewissermaßen zwischen ihnen hin und her gewechselt, anstatt sie übereinander zu türmen.

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Das erklärt auch die Struktur des Albums. „The Theory Of Everything“ besteht aus vier langen Stücken, die in mehrere kurze Parts aufgeteilt sind, welche sich praktisch nicht wiederholen. Und natürlich muss ich dir an dieser Stelle auch dazu gratulieren, dass es genau 42 Teile geworden sind…

Das war ganz lustig, ich hatte diese vier Longtracks und entschied mich irgendwann, dass ich sie für die CDs in Einzelstücke aufteilen wollte. Ich glaube, ich bin zunächst auf 38 oder 39 Tracks gekommen und habe mir dann gedacht: „Das ist nun aber verdammt nah an der 42 dran!“ Daher habe ich sie einfach noch etwas weiter aufgeteilt, denn es mussten einfach 42 Tracks werden…
Ansonsten wollte ich keine Wiederholungen auf dem Album haben, weil ich wollte, dass es als eine zusammenhängende Geschichte funktioniert. Wenn der Gesang so stark dialogbasiert ist wie hier, dann passen Refrains einfach nicht dazu. Das Erschreckende daran ist, dass es beim ersten Hördurchgang überhaupt nicht eingängig ist und man nicht sofort mitsingen kann. Es sind diese vielen kurzen Parts und obwohl es Teile gibt, die mehrmals auftauchen, passiert das nicht im selben Song, sondern erst 20 oder sogar 50 Minuten später. Wenn man das Album zum ersten Mal anhört, wird einem gar nicht auffallen, dass es viele Reprisen gibt. Aber ich denke, beim wiederholten Hören, bemerkt man dann, dass eine Melodie anderswo wieder auftaucht oder am Anfang und am Ende derselbe Part Verwendung findet. Ich mag das. Ich mag es, wenn man beim mehrmaligen Hören eines Albums immer wieder neue Dinge entdeckt.

 

Die Geschichte, die sich ja eher auf einer persönlichen, zwischenmenschlichen Ebene entfaltet, hat mich an das „The Human Equation“-Album erinnert. War das für dich ein wichtiger Bezugspunkt, als du begonnen hast, das Konzept für das neue Album auszutüfteln?

Nicht wirklich. (überlegt) Ich denke, der Ausgangspunkt war für mich eine Dokumentation des Physikers Stephen Hawking, in der er die „Theory Of Everything“ (im Deutschen spricht man üblicherweise von der „Einheitlichen Feldtheorie“ oder der „Weltformel“ – Anm. d. Red.) erwähnte. Ich hörte diesen Begriff und fand, dass er so episch klang, dass ich ihn unbedingt als Albumtitel für AYREON verwenden musste. Ich machte mir dann Gedanken, was ich mit diesem Titel tun könnte und kam natürlich auf ein Genie als Hauptfigur, die diese Theorie ausformulieren könnte. Ich habe mir dann viele Filme über Genies angesehen, wie „Good Will Hunting“, „Rain Man“ und „A Beautiful Mind“, um mich davon inspirieren zu lassen. Ich wollte auch nicht das wiederholen, was andere bereits gemacht hatten.

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Hast du dich auch mit Wissenschaftlern und ihrer Forschung auseinandergesetzt? Ich habe nämlich das Gefühl, dass du zu den wenigen Musikern zählst, die ein einigermaßen realistisches Bild von wissenschaftlicher Arbeit vermitteln. Sonst bekommt man doch eigentlich immer das Hollywood-Klischee vom brillianten Obernerd präsentiert, der in seinem unterirdischen Laboratorium nach einer Möglichkeit sucht, die Welt zu zerstören.

(lacht) Ich mag diese simplen Kategorisierungen in „gut“ und „böse“ nicht. Auf keinem meiner Alben gibt es wahrhaft gute oder wirklich böse Charaktere, in meinen Augen hat jede Person ihre guten und schlechten Seiten. Es ist eben nicht wie bei Batman und dem Joker. Deswegen findet man bei mir eben auch nicht diese stereotypen Figuren, es geht um echte Menschen. Es war auch sehr wichtig, dass ich die Geschichte zusammen mit meiner Freundin Lori (Linstruth, ex-STREAM OF PASSION – Anm. d. Red.) geschrieben habe und alle Motivationen gestimmt haben. Warum tut eine Person etwas? Und wenn sie es getan hat, wird sie es bereuen, was sagt ihr Gewissen?
Es war sehr wichtig, dass alles einen Sinn ergibt und dass man der Geschichte leicht folgen kann, ich habe ganz bewusst auf komplizierte Worte verzichtet. Es gibt auch nicht viele Reime, weil man sich selbst limitiert, wenn man ein Wort nur dann verwenden kann, wenn es sich auf das vorangegangene reimt. Die Dialoge sollten möglichst authentisch klingen, was es wirklich schwierig machte, alles interessant und doch möglichst einfach zu gestalten. Das war eine viel größere Herausforderung, als alles ganz kryptisch zu halten.

 

Und dann musstest du auch noch darauf achten, dass die Dialoge zur Musik und dem jeweiligen Rhythmus der Stücke passen…

Das ist kein großes Problem. Ich habe inzwischen so viele Liedtexte geschrieben, dass ich in solchen Dingen genügend Erfahrung habe. Viel schwieriger war es, die Parts der einzelnen Sänger auf die 90-minütige Spielzeit des Albums aufzuteilen. Da gab es zum Beispiel Teile, die ich unbedingt Marco (Hietala, NIGHTWISH – Anm. d. Red.) singen lassen wollte, und andere, für die ich unbedingt Tommy (Karevik, KAMELOT – Anm. d. Red.) haben wollte. Und dann muss man die Story daran anpassen, wer an welcher Stelle singen soll. Das war sehr kompliziert und hat mich mehrere Wochen gekostet, bis ich es schließlich ausgetüftelt hatte.

 

Das Endergebnis klingt auf alle Fälle sehr natürlich und lässt den Zuhörer nie den roten Faden verlieren.

Es hat sich alles sehr natürlich entwickelt, das trifft es ganz gut. Dadurch kam es auch zu diesen vier überlangen Songs. Ich bin einfach ins Studio gegangen und habe mit einer einzelnen Idee angefangen, die dann ganz natürlich in die nächste Idee überging und so weiter. So landete ich schließlich bei einer Länge von 23 Minuten für das erste Lied. Ich habe die Stücke diesmal sogar in chronologischer Reihenfolge geschrieben, was ich noch nie zuvor getan hatte. Früher habe ich erst alle meine Ideen gesammelt, bin dann ins Studio gegangen und habe sie in die passende Reihenfolge gebracht. Aber diesmal war das ein völlig natürlicher Prozess.

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Die „Theory Of Everything“ ist ja so etwas wie der „heilige Gral“ der theoretischen Physiker auf der ganzen Welt. Hast du im Laufe der Recherchen für das Album wirklich verstanden, was sie damit überhaupt erreichen wollen?

Es geht ihnen um die Vereinheitlichung der Theorie von den ganz kleinen Dingen – der Quantenmechanik – mit der Theorie der ganz großen Dinge – der Gravitation und der allgemeinen Relativitätstheorie. Diese beiden unterschiedlichen Theorien passen überhaupt nicht zusammen. Die Wissenschaftler versuchen die vier Fundamentalen Wechselwirkungen zu vereinheitlichen, also die Gravitation (die Schwerkraft – Anm. d. Red.), die schwache Kernkraft (verantwortlich für radioaktiven Zerfall und Kernfusion – Anm. d. Red.), die starke Kraft (verantwortlich für den Zusammenhalt der Nukleonen in Atomkernen – Anm. d. Red.) und die elektromagnetische Wechselwirkung (verantwortlich für Licht, Elektrizität und Magnetismus – Anm. d. Red.). Ich verstehe die Mathematik dahinter überhaupt nicht, ich bin total schlecht in Mathe. Ich verstehe also gewissermaßen das Grundprinzip ihrer Arbeit, aber wenn es dann etwas mehr ins Detail geht, bin ich ziemlich schnell völlig verloren.
Ich habe also versucht, mich in den Texten von den konkreten Details fernzuhalten. Nur in einem einzigen Song, ‚The Breakthrough‘, tauchen eine Menge physikalischer Fachbegriffe auf. Ich wollte wissen, wovon ich da überhaupt rede, und wollte nicht Wörter verwenden, die falsch waren oder in einem falschen Kontext auftauchten. Mir war klar, dass es Leute gibt, die sich das anhören und dann auf jeden kleinen Fehler hinweisen würden. Ich weiß also genug, um mir sicher sein zu können, dass ich keinen Unsinn erzähle, aber das war es dann auch schon.

 

Glaubst du, dass wir noch erleben werden, wie die Forscher die „Weltformel“ entschlüsseln? Oder hältst du sie eher für ein Ziel, das letztlich auf ewig unerreichbar bleiben wird?

Ich denke, wir werden der Lösung immer näher kommen, aber ich glaube nicht, dass wir das Ziel je erreichen werden. Ich habe vor kurzem gehört, dass es einen weiteren Durchbruch gab, sie haben wieder etwas neues – nicht das Higgs-Boson – entdeckt, das sie der Antwort ein wenig näher brachte. Aber das sind alles nur winzige Schritte und ich denke, je näher wir der Antwort kommen, desto deutlicher werden wir merken, wie komplex das Problem wirklich ist. Zumindest glaube ich nicht, dass die Weltformel während meiner Lebenszeit noch gefunden werden wird.

 

Schade eigentlich. Aber lass uns nun wieder etwas über die Musik sprechen. Du hast wieder einmal viele hochkarätige Sänger um dich geschart, von denen keiner bereits auf einem deiner früheren Alben zu hören war. Du wolltest also auch in dieser Beziehung gewissermaßen von vorne anfangen?

Ja, das war eines der Dinge, die ich nach dem letzten AYREON-Album sofort als Veränderungsmöglichkeit ins Auge gefasst habe. Neben der neuen Storyline und einer neuen Arbeitsweise wollte ich auch mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen ich noch nie zuvor gearbeitet habe. Den AYREON-Sound werde ich nicht grundlegend verändern. Ich denke, AYREON hat einen ganz typischen Sound, den wollen die Leute hören und deswegen kaufen sie die Alben – und es ist auch genau das, worauf ich Lust habe, das wird auch immer so bleiben. Wenn ich einmal etwas ganz anderes machen möchte, verwende ich dafür einfach einen anderen Namen, so wie ich es mit STAR ONE, GUILT MACHINE oder meinem Solo-Album gemacht habe.

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Nach welchen Gesichtspunkten hast du die Sänger diesmal ausgewählt? Und wer war der erste, den du für „The Theory Of Everything“ gewinnen konntest?

Ich versuche gerne mehrere Aspekte abzudecken. Ich arbeite gerne mit klassischen Sängern, mit deren Musik ich aufgewachsen bin, aber auch mit neuen Sängern und ein paar völlig unbekannten Sängern. Ich denke, das ist eine gute Kombination. Der erste, der bei diesem Album mit an Bord war, war Marco Hietala. Im Grunde bin ich schon seit fünf Jahren mit ihm in Kontakt. Er hat mich kontaktiert und mir erzählt, dass er ein große Fan von „The Dream Sequencer“ (Universal Migrator Part 1 – Anm. d. Red.) ist. Das hat mich überrascht, weil es das softeste AYREON-Album ist, aber das war seine Lieblingsscheibe. Schon damals wussten wir, dass wir einmal zusammenarbeiten würden. Bei diesem Album war er perfekt geeignet für die Rolle des Rivalen. Er war wohl der erste, den ich gefragt habe.
Dann war da noch Michael Mills, der Sänger der eher unbekannten australischen Band TOEHIDER. Ich habe ihn auf YouTube entdeckt und war total weggeblasen von dem, was dieser Typ alles drauf hat, er ist absolut genial. Ich glaube, ich habe ihn schon gefragt, bevor ich mit der Arbeit an diesem Album begonnen habe. Ich habe ihn angeschrieben und gefragt, ob er Teil meines nächsten Albums sein will, was auch immer das für eines werden würde. Er meinte: „Ja, natürlich, ich bin ein Fan von dir. Ich komme vorbei, gar kein Problem.“ Der nächste war dann Tommy (Karevik – Anm. d. Red.) und bei ihm war das supereinfach. Ich habe einfach eine Nachricht über seine Facebook-Seite geschrieben und ihm erklärt, wer ich bin. Aber er wasste natürlich sofort bescheid und meinte: „Na klar, ich kenne dich und natürlich bin ich dabei!“ Das dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, was sehr cool war.

 

Heutzutage arbeiten viele Künstler zusammen, indem sie MP3-Dateien um den halben Globus schicken. Für dich kommt eine solche Arbeitsweise aber nach wie vor nicht in Frage, oder?

Nein, ich würde so niemals dieselben Ergebnisse erzielen. Ich sehe mich selbst als ein Regisseur, der seine Schauspieler anweist. Sie müssen dafür neben mir stehen, damit ich ihnen erklären kann, was an dieser Stelle der Geschichte gerade passiert, zum Beispiel: „Das ist eine sehr emotionale Szene, deswegen solltest du ruhig ein wenig übertreiben.“ Und wenn etwas nicht richtig funktioniert, findet man andere Möglichkeiten oder die Sänger haben bessere Ideen als ich. Das ist eine echte Zusammenarbeit. „Lass es uns auf diese Weise probieren!“ Und dann schnappt man eine Gitarre und denkt sich: „Nein, machen wir es lieber so!“ – „Oh ja, das ist cool!“ Man erschafft gemeinsam wirklich coole Sachen, die man nie hinkriegen würde, wenn man nur über das Internet Dateien austauschen würde.
Die meisten Sänger sind etwa drei Tage lang mit mir im Studio und über Nacht in einem kleinen Hotel in der Nähe untergebracht gewesen. Wir gehen dann auch nicht aus und betrinken uns, sondern arbeiten ziemlich konzentriert, zumal drei Tage auch nicht unbedingt viel Zeit sind. Ich bin auch nicht der Typ für gesellige Kneipenabende, ich arbeite lieber. Aber die Arbeit macht Spaß, ich kann es immer kaum erwarten, ins Studio zu gehen und an dem Material zu arbeiten. Das ist ein wahnsinnige spontaner Prozess, weil ich mit diesen Leuten nie zuvor zusammengearbeitet habe und ich sie überhaupt nicht kenne. Das macht mir wirklich großen Spaß.

 

Auf diese Weise hast du schon mit einigen der bekanntesten Künstler der Metal-Szene zusammengearbeitet. Gab es jemals die Situation, dass das Ergebnis hinter deinen Erwartungen zurückgeblieben ist?

Nicht, wenn sie zu mir gekommen sind oder ich zu ihnen, also niemals, wenn wir gemeinsam im Studio waren. Denn wenn etwas nicht funktioniert, findet man einen anderen Weg, wie es doch klappt. Dann ändert man die komplette Gesangsmelodie oder den Text oder man verwendet ungewöhnliche Harmonien. Es hat immer funktioniert, selbst wenn man zu Beginn noch gedacht hat: „Oh mein Gott, das klappt ja gar nicht!“ Wenn man zusammen ist, findet man immer eine Möglichkeit. Anders sah es aus, wenn ich Dateien geschickt bekam. Da kam es schon vor, dass ich etwas überhaupt nicht mochte, was eine schreckliche Situation ist, wenn man den Sänger dann anrufen und ihm sagen muss: „Sorry, ich mag es nicht. Das ist leider so.“ Das ist mir drei- oder viermal passiert.
Ich arbeite deswegen auch nur sehr selten auf diese Weise, ein paar Mal hat das aber super funktioniert. Das eine Mal war mit Devin Townsend (auf „The Human Equation“ – Anm. d. Red.), der etwas dermaßen verrücktes abgeliefert hat, dass ich glücklicherweise nicht dabei gewesen bin, weil ich ihn gestoppt hätte. (lacht) Aber das Endergebnis war absolut brillant. Das andere Mal, dass es super funktioniert hat, war als Russell Allen (SYMPHONY X – Anm. d. Red.) „Dawn Of A Million Souls“ sang(nachzuhören auf „Universal Migrator Part 2: Flight Of The Migrator“ – Anm. d. Red.). Er spielte es mir am Telefon vor und ich hatte Tränen in den Augen. Das war wirklich großartig!

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Mit Russell Allen hast du natürlich auch bei STAR ONE zusammengearbeitet. Ich erinnere mich daran, dass wir zum letzten STAR-ONE-Album ein Interview gemacht haben, in dem du mir noch Hoffnung auf mögliche Live-Konzerte gemacht hast. Leider ist daraus ja dann nichts geworden…

Sorry, dass ich dir Hoffnung gemacht habe. Es gab damals eine vage Chance, dass etwas zustandekommen würde, aber letztlich hat das leider nicht geklappt.

 

Ich würde mich trotzdem freuen, wenn ich euch einmal live erleben könnte, egal ob als STAR ONE, AYREON oder unter einem anderen Namen.

Nun, diesmal werde ich dir keine Hoffnungen machen: Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Ich sehe mich selbst mehr als Produzent und Komponist, das kann ich gut und das macht mir Spaß. Ich sehe mich nicht mehr als Performer, das macht mir nicht soviel Spaß und darin bin ich auch nicht sonderlich gut. Man soll ja niemals nie sagen, aber ich habe diesbezüglich definitiv nichts geplant. Live zu spielen ist einfach nicht mehr mein Ding. Ich habe das in den Achtzigern und Neunzigern 15 Jahre lang mit BODINE und VENGEANCE gemacht. Wir sind um die ganze Welt getourt, das war cool, als ich noch jung war und es ist gut, diese Erfahrungen gemacht zu haben. Schon nach zehn Jahren auf Tour habe ich gemerkt, dass das nicht mein Leben ist, das ganze Herumgereise, all die Warterei, die Proben und das gesellige Beisammensein. Ich wollte die ganze Zeit lieber kreativ sein, ich wollte in meinem Studio an neuem Material arbeiten. Das ist im Wesentlichen der Grund, warum ich mit AYREON angefangen habe: Damit ich nicht mehr in einer Band sein musste.

 

Neben AYREON hast du ja eine ganze Reihe an weiteren Projekten am Laufen. Weißt du schon, welches davon du als nächstes in Angriff nehmen wirst?

Nein, keine Ahnung. Manchmal mache ich Pläne, was ich als nächstes machen möchte, aber dann ändert sich das immer wieder. Das hängt von der Musik, die ich höre ab, oder von einem bestimmten Sänger, auf den ich aufmerksam werde. Ich ändere da also ständig meine Meinung, so dass es überhaupt keinen Sinn machen würde, dir von meinen Plänen zu erzählen, selbst wenn ich momentan welche hätte. Daraus wird sowieso nichts werden. Ich denke, ich werde also einfach abwarten, bis mir die Ideen kommen, die ich dann im Studio ausarbeiten kann, und dann wird sich zeigen, was es für ein Projekt werden wird. Alles, was ich jetzt schon sagen kann, ist, dass es nicht ein weiteres AYREON-Album werden wird.

 

Alles klar, dann war es das von meiner Seite aus. Gibt es noch etwas, was du deinen Fans hier in Deutschland mit auf den Weg geben möchtest?

Bei einem Album wie diesem mache ich immer große Sorgen, weil eine Menge an Informationen drinnensteckt. Während des Aufnahmeprozesses denke ich immer: „Oh, das ist so gut, das ist fantastisch!“ An irgendeinem Punkt werde ich dann total verunsichert, was auch der Phase entspricht, in der ich mich jetzt gerade befinde. Ich bekomme ständig Reaktionen von Leuten mit, die sagen: „Ja, ich habe es gehört, aber es ist sehr komplex und man muss sich erst hineinfinden.“ Und dann denke ich mir: „Oh mein Gott, in der heutigen YouTube-Ära, wird es eine Chance bekommen?“ Ich bin mir sicher, wenn es eine Chance bekommt, wenn die Leute sich hinsetzen und es unter dem Kopfhörer hören und die Texte mitlesen, dann werden sie es auch mögen. Es ist anspruchsvolle Musik – darum nennt man es wohl „Prog“, schätze ich. Ich hoffe einfach, dass die Leute dem Album diese Chance geben werden.

Ayreon

18.11.2013

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