Gravenhorsts Graveyard
Wer ist hier Incorruptible?

Special

Was für ein hässlicher Start ins neue Jahr: Am 6. Januar stürmten Rechtsextremisten das Kapitol, verblendet von den Verschwörungsmythen, die Trump und seine gut geölte Desinformationsmachine schon seit Jahren streuen. Unter ihnen war auch der ICED-EARTH-Gitarrist Jon Schaffer. Er ist gut erkennbar auf einem Foto zu sehen, wo man ihn brüllend inmitten einer Menschenmenge sieht. Ohne Maske, wie die meisten um ihn herum, dafür aber mit einer Cap der Oath Keepers. Eine rechtsextreme, paramilitärische Organisation, die Polizisten dazu ermutigen möchte, zum Schutz der Verfassung ihren Gehorsam zu verweigern.

Es sollte niemanden überrascht haben. In seinem bislang letzten metal.de-Interview zum 2017er-Album „Incorruptible“ hat er gesagt: „Solange das System nicht kollabiert und wir die Chance bekommen, es im Namen der Freiheit neu zu errichten oder noch mehr Tyrannei zu erschaffen, was eben auch passieren könnte, ist es definitiv schlecht.“ Zudem knüpft er im gleichen Gespräch ideologisch an QAnon an, die Trump auch als Opfer des vermeintlich pädokriminellen Establishments sehen.

Die Grenzen der Toleranz

Seine Beteiligung ist nicht zu entschuldigen. Es gibt seltsamerweise immernoch Leute, die dieses Verhalten im Sinne der Meinungsfreiheit tolerierbar finden. Denen sei kurz das Toleranz-Paradoxon des Philosophen Karl Popper erklärt. Er schrieb 1945 in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Eine tolerante Gesellschaft darf sich zum Erhalt ihrer Toleranz der Recht herausnehmen, intolerante Personen nicht zu tolerieren. Mit der widerrechtlichen Betretung des Kapitols, ein Symbol des respektvollen Diskurs, hat Schaffer die demokratische Ordnung der USA angegriffen.

Die große Frage ist jetzt bloß, wie es weitergeht. Die Behörden fahnden nach dem ICED-EARTH-Gitarristen und in den Sozialen Netzwerken haben viele Fans angekündigt, dass sie dieses Verhalten nicht hinnehmbar finden, weswegen sie der Band ihre finanzielle Unterstützung entziehen. Also alles gut? Eher nicht. Es ist nämlich verdächtig still um die Geschäftspartner von ihm. Um die anderen Mitglieder von ICED EARTH und DEMONS & WIZARDS sowie Century Media, dem Label von letzterem.

Das Schweigen im Wald

BLIND GUARDIAN um Hansi Kürsch haben ein Statement veröffentlicht. Sie verurteilen die Gewalt und sind in ihren Gedanken bei den Angehörigen der Opfer. Welche Konsequenzen zieht die Band daraus? Keine Antwort. Eine ziemlich ähnlich lautende Stellungnahme haben auch ICED EARTH veröffentlicht, die sich weder auf Schaffers Beteiligung bezieht, noch Auskunft über die Auswirkungen auf die Band gibt. Century Media hat sich bislang gar nicht geäußert. Konsequenzen will erstmal niemand ziehen.

Die Frage ist, wie diese aussehen könnten. Eine Auflösung von ICED EARTH ist sehr unwahrscheinlich, insbesondere nach den verklausulierten Sympathiebekundungen Blocks. Welche Konsequenzen Kürsch ziehen wird, ist schlecht einschätzbar. So wird ihm zumindest eine gute Freundschaft mit Schaffer nachgesagt. Century Media könnte den Plattenvertrag mit DEMONS & WIZARDS auflösen. Es ist ihr gutes Recht, die Zusammenarbeit mit einer Band zu beenden, die ein so geschäftschädigendes Verhalten an den Tag gelegt hat. Das Argument, dass dann einfach ein anderes Label die Herren unter Vertrag nimmt, kann man auch nur bedingt gelten lassen. Durch die momentane Situation würde sich die entsprechende Plattenfirma selbst angreifbar machen bei hoffentlich enttäuschenden Verkaufszahlen.

Das Schweigen auf dem Acker?

Gespannt bin ich auch auf die Reaktion des Wacken-Open-Airs. Ein Boykott ist nahezu unausweichlich. Es wäre mehr als almbivalent, wenn das Festival T-Shirts mit dem Aufdruck „Metalheads against racism“ verkauft und dann einen dieser Rassisten auf der Bühne begrüßen würde. Der letzte Wacken-Besuch von ICED EARTH war 2011 mit Matt Barlow. Berührungsängste mit Verschwörungsmythikern scheinen sie angesichts der Auftritte von RUNNING WILD 2018 und DEMONS & WIZARDS 2019 allerdings nicht zu haben.

Bei all diesen Überlegungen darf aber die Frage der Rehabilitation nicht untergehen. Sollte sich Schaffer tatsächlich einem Prozess stellen (Momentan scheint er abgetaucht zu sein.) und die Strafe erfüllen, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen er wieder an der Metal-Szene partizipieren sollte. Nach einem Läuterungsprozess sollte ihm das zugestanden werden, auch wenn dieser unwahrscheinlich ist. Der ICED-EARTH-Gitarrist ist schließlich seit Jahren als ein unverbesserlicher Rechtsradikaler bekannt.

Gar keine andere Wahl

Trotz der Ungeduld sollten wir den Geschäftspartnern die Zeit geben, um die weitere Entwicklung abzuwarten und gründlich zu überlegen, welche angemessenen Konsequenzen zu ziehen sind. Dabei sollten sie im Hinterkopf behalten, dass auch die Metal-Branche nicht drumherum kommt, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Dennoch wird bei fortschreitender Wartezeit die dumpfe Befürchtung, dass die ganze Angelegenheit stumpf ausgessen wird, immer größer. Man sieht vor seinem inneren Auge, wie sich Schaffer bei der Präsentation des nächsten Album von einem seiner Projekte entschuldigt. Er hätte sich nicht dazu hinreißen lassen dürfen, auch wenn die Demokraten offensichtlich die Wahl gestohlen haben.


In einer früheren Version des Artikels wurde fälschlicherweise behauptet, dass ICED EARTH einen Plattenvertrag bei Century Media haben. Dieser Vertrag wurde 2017 mit dem Release von „Incorruptible“ erfüllt.

13.01.2021

Redakteur mit Vorliebe für Hard Rock, Heavy Metal und Thrash Metal

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