Van Canto
"Wir haben keine Lust, dasselbe Album zweimal aufzunehmen!"

Interview

„Erfreulicherweise sagen andere Musiker zu Gastauftritten bei VAN CANTO mittlerweile häufig ‚Ja'“

Auch ich finde, dass es auf „Trust in Rust“ einige Nummern gibt, die für Euch neu oder ungewöhnlich klingen, wie z.B. „Desert Snake“. Ist es für eine Band wie VAN CANTO, die sich nun mal von Haus aus in einem relativ engen Stil-Korsett bewegt, eine Herausforderung, neue Möglichkeiten innerhalb des eigenen Sounds zu finden? Hast Du das schon einmal verflucht?

(Lacht) Super Frage. Ich sage mal ganz direkt: Für uns ist das überhaupt kein Problem, höchstens für die Fans (lacht). Wir fühlen uns in dem was wir machen super frei, da wir durch unseren Sound immer erkennbar sein werden. Das ist ja letztlich auch das Geheimnis, warum wir von DEEP PURPLE über NIGHTWISH bis zu METALLICA alles covern können, und man trotzdem erkennt, dass es VAN CANTO ist. Und diese stilistische Bandbreite haben wir dann auch, wenn wir selbst Songs schreiben, weshalb wir dieses Soundkonzept weniger als Korsett, sondern eher als Freiheit empfinden. Wir können viel freier als eine Band, die stilistisch sehr klar festgenagelt ist, komponieren. Trotzdem setzt sich natürlich über sieben Alben ein gewisser kompositorischer Stil durch, worauf wir auch Stolz sind.

Worauf wir aber überhaupt keine Lust haben ist, dasselbe Album zweimal aufzunehmen. Aus meiner Sicht haben wir mit „Dawn of the Brave“ den „klassischen“ VAN CANTO-Stil ein bisschen zu einem Ende geführt, da ich einfach nicht mehr wusste, wie ich genau so weiter machen soll, ohne denselben Song nochmal zu schreiben. Daraus ist dann „Voices of Fire“ entstanden, wo wir das Konzept ein wenig aufgebrochen, viel mit Chören gearbeitet haben und die „Gitarrengesänge“ weniger prominent sind. Da wir für das neue Album jetzt die Chance hatten, mit einer neuen Stimme im Hinterkopf die Songs zu schreiben, klingen diese natürlich auch wieder anders. Ein Song wie „Desert Snake“ oder ein Cover von „Hells Bells“ wäre mit Sly so sicher nicht möglich gewesen, aber ein „Lost Forever“ mit Hagen aufzunehmen würde auch wenig Sinn machen. Man muss die Musik also schon so schreiben, dass man die Möglichkeiten der Gruppe möglichst gut einsetzt, also z.B. wenn man sieben statt sechs Stimmen zur Verfügung hat auch einen Song parat haben, in dem das zur Geltung kommt.

Tatsächlich hat mir persönlich Eure Variante von „Hells Bells“ extrem gut gefallen, obwohl ich anfangs befürchtet habe, dass die Energie des Originals in einer A-Capella-Version deutlich leiden konnte. Da haben Euch Hagens stimmliche Fähigkeiten natürlich extrem in die Karten gespielt.

Tatsächlich haben wir es auch zehn Jahre probiert, AC/DC zu covern. Allerdings hatten wir eher die älteren Nummern mit Bon Scott am Gesang im Auge, da diese näher an der Stimmfarbe von Sly gewesen wären. Die Ergebnisse waren aber immer nur ok, und da wir uns selber dachten, dass die Nummer am Ende keinen vom Hocker haut, haben wir es letztlich doch gelassen. Mit Hagen war aber dann schon nach dem ersten Take klar, dass das in die richtige Richtung geht und einfach genau das Richtige für ihn ist.

Wie habt Ihr die Coverversionen auf „Trust in Rust“ ausgewählt bzw. wie geht Ihr das grundsätzlich an? Geht es da um die persönlichen Lieblingssongs, oder eher darum, welche Songs im A-Capella-Sound gut klingen könnten?

Beides. Die Coversongs in der VAN CANTO-Historie sind ein Querschnitt durch meine Lieblingsbands, andere Bandmitglieder würden da vermutlich nicht bei allem unterschreiben. Sachen wie „The Final Countdown“ von EUROPE muss man einfach mögen. Für mich ist es meine absolute Lieblingsband, während Ross wohl dachte: „Um Gottes Willen, was machen wir hier eigentlich?“ (lacht). Jeder in der Band hat aber zumindest einen Bezug zu den Songs und auf dem aktuellen Album wahren wir uns mit HELLOWEEN und AC/DC sogar alle einig. Letztere haben wir dann natürlich dieses Mal, wie schon gesagt, in erster Linie ausgewählt, weil es jetzt möglich war. „Ride the Sky“ lag auf der Hand, da HELLOWEEN auf der Liste der großen deutschen Bands, die wir gecovert haben, noch fehlte und jetzt die Idee im Raum stand, warum wir nicht einfach Inga singen lassen, da man HELLOWEEN ohnehin mit hohen Stimmen assoziiert. Nachdem diese Entscheidung getroffen war, ging es nur noch darum, welchen Song wir nehmen.

Wie habt Ihr es geschafft, Kai Hansen mit ins Boot zu holen? Wieder der Musikerwitz: „Wir müssen unbedingt mal was zusammen machen“?

Nein, wir kannten uns vorher nicht persönlich. Wir haben ihn einfach angefragt, und erfreulicherweise sagen die Leute bei VAN CANTO mittlerweile häufig sogar Ja. Den Kontakt hat Charlie Bauerfeind hergestellt, der ja seit Jahren der Haus- und Hofproduzent von HELLOWEEN ist und mit dem wir auch schon häufig zusammengearbeitet haben. Er fand die Idee sofort cool und hat zugesagt, das war also wirklich sehr einfach und unkompliziert.

Wäre Hagen nicht die logischere Wahl als Leadstimme für „Ride The Sky“ gewesen, oder stand die Entscheidung Inga singen zu lassen komplett fest? War die Notwendigkeit einen Kontrast zur Stimme von Kai Hansen zu haben ein Grund für Eure Entscheidung?

Die Reihenfolge war zunächst die Entscheidung für „Hells Bells“, danach haben wir uns für einen Song von HELLOWEEN mit Inga am Mikrofon entschieden und Kai Hansen angefragt. Er hat dann auch schon direkt das erste Demo mit Ingas Stimme gehört und ist in seinen Parts eine Oktave herunter gegangen. Kai sagte direkt, dass er es cool findet, den Song in einem etwas düstereren und moderneren Gewand zu hören, da „Ride The Sky“ ja auch schon 30 Jahre auf dem Buckel hat. Für mich war das auch das eigentlich faszinierende. Klar, Kai Hansen ist ein cooler Typ, der Song ist eh geil aber, dass er nach 30 Jahren bei einem Song, den er selbst geschrieben hat noch so frisch und motiviert an die Sache ran geht, statt zu sagen „komm, lass mich in Ruhe, ich kann die Nummer nicht mehr hören“, das fand ich sehr inspirierend. Uns gibt es gerade einmal zwölf Jahre und ich bin mir nicht sicher, ob ich in 20 Jahren noch so reagiere, wenn mich jemand fragt, z.B. nochmal „The Mission“ zu singen.

Um noch einmal auf Euren neuen Leadsänger, Hagen, zurückzukommen: Er hat vorher auch in Thrash- bzw. Death-Metal-Bands gesungen und beherrscht sowohl Growling und rauen Thrash-Gesang, als auch klassische Power-Metal-Vocals. Plant Ihr in Zukunft Growls, wie ja aktuell in „Desert Snake“, häufiger einzusetzen? Denkbar wäre ja z.B. auch ein Cover einer Melodic-Death-Band in dem Hagen die harschen Vocals übernimmt und der Rest die Gitarrenleads singt.

Ja, diese Überlegung gab es tatsächlich schon einmal, sogar schon früher, da Jan ebenfalls growlen kann. Ein Cover von AMON AMARTH stand z.B. durchaus schon einmal im Raum. Erst einmal kam jedoch „Desert Snake“ dabei heraus, der Hagen wirklich auf den Leib geschneidert ist und auch einer der letzten Songs war, die für das Album entstanden sind. Wir haben auch ein wenig gebraucht um uns aneinander zu gewöhnen. Anfangs haben wir eher ein paar VAN CANTO-typische Nummern geschrieben, in meinem Fall war das „Javelin“. Das war natürlich einfach, da Inga dort hauptsächlich singt und Hagen lediglich die Zweitstimme übernimmt, also erst einmal die sichere Bank. Später sind wir dann auch experimentierfreudiger geworden.

Reines Growling finde ich allerdings nicht so interessant, vielmehr wird es für mich erst spannend wenn es mit Melodien und Harmonien gekontert wird. Darum finde ich auch „Desert Snake“ sehr gelungen, da dort sogar das Schlagzeug irgendwie Melodien spielt. Es sind viele Toms enthalten, die in einzelnen Teilen des Songs nicht so eingesetzt werden, dass es möglichst stark rumpelt, sondern eher so, dass sie zum jeweiligen Akkord passen, der gerade gespielt wird. Es „singen“ also alle Instrumente miteinander, dazu passt dann ein Growling als Kontrapunkt sehr gut, während der Refrain wieder sehr melodisch ausfällt.

Zum Abschluss noch einmal zum Thema Songwriting: Wie läuft dieser Prozess bei Euch ab? Schickt Ihr Euch Files hin und her, oder entstehen die Nummern klassisch im Proberaum? Werden die Songs erst einmal als „normale“ Power-Metal-Stücke geschrieben, oder hast Du sie bereits von Vornherein im VAN CANTO-Stil im Kopf?

Zunächst einmal vorweg: Bei „Trust in Rust“ waren so viele Bandmitglieder am Songwriting beteiligt, wie bislang auf keinem anderen Album. „Darkest Days“ stammt von Ike, „Desert Snake“, „Back in the Lead“, „Infinity“ und „Heading Home“ hat Bastian geschrieben. Ich bin eher für das klassische Material verantwortlich. Es gibt natürlich Bands, die ihre Produktionen danach ausrichten müssen, möglichst viele Fans zu behalten und am besten noch mindestens zehn Prozent dazuzugewinnen, weil sie davon ihren Lebensunterhalt sichern müssen. Wir können beim Schreiben eher den strategischen Ansatz wählen, einen Song rauszuschmeißen, sobald er zu sehr wie ein anderer klingt. Dies bedeutet als Konsequenz, dass die Alben für den Fan wahrscheinlich immer abgefahrener klingen, da wir jedes Mal komischere Sachen probieren müssen, um uns nicht zu wiederholen. Mal schauen wie lange die Menschen das so mit tragen werden.

Für mich persönlich macht es aber keinen Unterschied, wie ich komponiere, egal ob für HEAVATAR (Power- Metal-Projekt von Stefan, Anmerk. d. Verf.) oder für VAN CANTO. Ich habe entweder eine Gitarre umgeschnallt oder sitze am Klavier und habe eine Melodie bzw. Akkordfolge im Kopf. Die Entscheidung, was später daraus wird, ergibt sich eher im Arrangementprozess. Das Komponieren selber sind meistens nur 15 Minuten mit hohem Puls, in denen einem auf wundersame Weise eine Melodie zufliegt und man hofft, dass man sie nicht gerade von etwas kopiert, was man am Tag zuvor gehört hat. So funktioniert das bei mir, Bastian würde aber vermutlich etwas ganz anderes erzählen, da jeder Musiker seine eigene Herangehensweise dazu hat.

Vielen Dank für das Interview, Stefan!

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Quelle: Interview mit Stefan Schmidt / Van Canto
26.08.2018

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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