Weltschmerz
Unsere liebsten Doom-Perlen, Teil 2

Special

SAINT VITUS – „Born Too Late“ (SST Records, 1986)

AINT VITUS - "Born Too Late"

SAINT VITUS waren auch schon zuvor zwischen Zombies und hinterher unter Trollen super. Aber mit ihrem dritten Album sind sie die Besten. Mit ihrer Klage „Born Too Late“ platzieren sie sich stoisch außerhalb des Mainstreams, mit den Jeans von gestern zur Frisur von vorgestern. Im Blick, vernebelt und doch messerscharf, haben sie die 60er bzw. die 70er – des 20. und nicht des 13. Jahrhunderts. SAINT VITUS sehnen sich nicht nach dem Mittelalter und seinen Drachen und Dämonen.

Die von Scott Weinrich besungenen sind die eigenen. Der Teufel, der ihn und seinen Doom-Hippie Dave Chandler an der Gitarre umtreibt, hat keine Hörner, sondern Prozent. Ihre Band ist sozusagen die staubtrockene Rocker-Variante des Doom, die lakonisch davon kündet, es eben nicht auf die Reihe zu bekommen, trocken zu werden. Eskapismus ist nicht das Ziel der Stücke des SAINT VITUS, vielmehr verarbeiten seine Protagonisten in ihrer Musik all ihre ganz schmerzhaft realen und qualvoll-selbstzerstörerischen Versuche, dem eigenen Alltag zu entkommen, um ihn zu überstehen.

Every time I’m on the street people laugh and point at me

Konkret geht es immer direkt in der Ich-Perspektive um die eigenen Unzulänglichkeiten und (vor allem inneren) Konflikte. Diese lyrische Bloßstellung des eigenen Selbst gibt den Songs eine Eindringlichkeit, die ihresgleichen sucht. Und wir reden hier nicht von der selbstgerechten Zurschaustellung pubertärer Teenage Angst, wir reden von offenen Karten statt unangenehmem Selbstmitleid. Wie Mr. Weinrich in „Dying Inside“ den desillusionierenden Kampf eines Alkoholikers gegen seine Sucht schildert, gellend den schleichenden Verlust jeglicher Kontakte, jeglicher Werte beschreibt, das zum Beispiel ist geradezu schmerzlich intensiv – zumal eben davon ausgegangen werden kann, dass lyrisches Ich und reale Person des Sängers nicht wirklich zu trennen sind. Seien es Alkohol, andere Drogen, Depressionen, das Außenseitertum als solches – angelesen ist bei SAINT VITUS nichts.

Doch mag Wino auch noch so beeindruckend röhren, klagen, singen, flüstern und damit seinen schon großen Vorgänger Scott Reagers schrumpfen lassen – ein Sänger allein macht noch keinen Klassiker. Zu einem solchen wird „Born Too Late“ selbstverständlich erst durch seine, es muss einfach mal gesagt werden, unfassbaren Songs. Hauptverantwortliche für die musikalische Klasse von „Born Too Late“ sind Dave Chandler, diese – und das ist hochachtungsvoll gemeint – abgefuckte Doom-Version von Hendrix und seine Gitarre. Dass Wino ebenso und gleichsam wuchtig zur Gitarre greift, steht dem nicht entgegen.

Wer „Doom“ sagt, meint „Born Too Late“

Trocken, krachend und doch voluminös und mächtig werden die Stücke auf „Born Too Late“ durch meist natürlich langsames, aber bei Bedarf auch beschleunigtes Riffing vorangetrieben, werden sie zu dunklen, ehrfurchtgebietenden Giganten gemacht. Ohne die Leistung von Schlagzeug und Bass zu schmälern – wer sich einmal vom Eingangsriff der Platte und ihres Titelstücks hat niederstrecken lassen, weiß, dass der Kniefall vor den eigenen Boxen keine Metapher bleiben muss, keine solche bleiben kann. Zumal Chandler und SAINT VITUS (fast) genau so ergreifend weitermachen: „Clear Windowpane“, das genannte „Dying Inside“, „The War Starter“ etc. – auf „Born Too Late“ finden sich keine durchschnittlichen, keine überhörbaren, keine zu ignorierenden Songs.

Kurzum: Wegen all des Gesagten und nicht zuletzt wegen Chandlers quietschend-kreativer Chaos-Soli als dunkle Kirsche auf dem Kuchen geht an SAINT VITUS ganz prinzipiell kein Weg vorbei. Und an „Born Too Late“ speziell schon mal gar nicht. Da kann man sich noch so lange durchs SABBATH-Dickicht schlagen, epische CANDLEMASS-Berge erklimmen, gar ellenlange Umwege durch andere Genres nehmen. Wer „Doom“ sagt, meint und lebt „Born Too Late“. (Ganz nah dran: „V“ von 1989.)

(Marek Protzak)T

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08.11.2018

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