Grave Digger
"Es ist ein Gefühl, dass du einfach hast, wenn du Metal lebst"

Interview

Chris Boltendahl, der Fronter von GRAVE DIGGER, lässt den Worten Taten folgen. „Bone Collector“ klingt nach True Metal, die Zeiten von Keyboard und Power Metal scheinen vorbei und es geht Back To The Roots. Wir sprachen mit dem sympathischen GRAVE-DIGGER-Sänger über das neue Album, der Veränderung an der Gitarre und die anstehende Tour. Ein Blick auf die 45-jährige Geschichte der Band folgt zu einem späteren Zeitpunkt.

GRAVE DIGGER – Bone Collector – Cover Artwork

Hallo Chris, danke für Deine Zeit. GRAVE DIGGER haben 2024 auf dem Keep It True Festival ein Old-School-Set gespielt. Wie habt ihr das Konzert selbst empfunden? Musstest Du die alten Songs wie „We Wanna Rock You“ oder „Witch Hunter“ neu einüben?

Wir mussten schon die alten Sachen neu einüben, auch ich selbst. Wir haben auf der Show aber Blut geleckt bezüglich der alten Nummern. Auf der jetzt anstehenden Tour haben wir mit „Under My Flag“, „The Grave Dancer“ und „Shadow Of A Moonless Night“ Dinger dabei, die wir schon lange nicht mehr gespielt haben. Der Tobi (Tobias Kersting, neuer Gitarrist von GRAVE DIGGER, Anmerkung der Redaktion) kannte die alten Lieder alle. Der lebt Heavy Metal und ist unter anderem großer RUNNING WILD-Fan. Er hat sich an den damaligen Originalen orientiert, sodass der ganze Sound deutlich metallischer knattert als mit Axel (Axel Ritt, ehemaliger Gitarrist von GRAVE DIGGER, Anmerkung der Redaktion) an den Saiten.

Der Gig auf dem Keep It True Festival war einer der ersten Auftritte von Tobias Kersting an der Gitarre. Wie ist Tobias mit dem alten Material klargekommen?

Tobi ist einfach ein Metal-Fan. Egal ob RUNNING WILD, RAGE oder X-WILD, er kennt diese ganzen Sachen aus den 80ern. Wir waren 2024 auf der 70000 Tons Of Metal und da läuft an jeder Ecke Musik. Tobi ist ein wandelndes Metal-Lexikon bezüglich der 80er Jahre. Gefühlt kennt er alles, alle Songs, alle Bands. Wenn für uns unbekannte Klänge aus den Boxen tönten, mussten wir nur Tobi fragen. Der sagte uns Titel, Interpret und wann der Track rausgekommen ist. Er passt somit perfekt für den geplanten Lebensabend von GRAVE DIGGER, der insgesamt sich wieder mehr an den Anfängen orientieren soll.  Wir haben auf der 70000 Tons Of Metal „Excalibur“ gespielt. Tobi klingt nah am Original, dagegen hatte Axel eher einen Hard-Rock-Einschlag. Tobi verkörpert irgendwo genau den old school Staff, den wir für GRAVE DIGGER gesucht haben.

Der „Bone Collector“ setzt vom Sound stark auf die metallische Basis. Inwieweit hat das Ausgraben der alten Stücke euch beim Songwriting beeinflusst.

Wir haben versucht den Spirit der 80er wieder zu bekommen, das Essenzielle von Grave Digger soll in Vordergrund stehen. Roher Sound, unpoliert, direkt von den Instrumenten auf die Platte. Das ganze bunte Drumherum von zum Beispiel „Fields Of Blood“ mit Konzepten und Gästen wollten wir nicht mehr. Wir wollten so agieren, wie wir in den 80ern agiert haben. Wir haben uns einfach gemeinsam in den Proberaum gesetzt und angefangen Stücke zu schreiben. Früher war da noch Bier und Shit dabei, heute eher PC und diverse Technik. Aber den Geist, wie wir in den 80ern Songs erschaffen haben, den wollten wir auf „Bone Collector“ zurückholen.

„Yesterday“ auf „Heavy Metal Breakdown“ nutzt ein Keyboard bereits am Anfang der GRAVE-DIGGER-Geschichte. „Bone Collector“ verzichtet komplett auf Keyboardklänge oder Samples. Wer von euch ist auf diese Idee gekommen und warum?

Wir haben live seit diversen Jahren kein Keyboarder mehr. Es kam alles vom Band. Wir lassen jetzt live nur noch die Dudelsäcke bei „Rebellion“ vom Band kommen, da die sich live nicht reproduzieren lassen. Alles andere spielen wir live, ohne Samples und ohne Keyboard. Für uns fühlt sich das verdammt gut an. Wir haben „The House“ und „The Curse Of Jaques“ mit dabei, aber ohne Keyboard. Uns macht es verdammt viel Spaß die Nummern Old School, nur mit den Instrumenten auf der Bühne, zu spielen. Jemand meinte, das klingt bestimmt leer oder ausgehöhlt. Nein, das klingt es nicht. Im Gegenteil. Selbst “The Keeper Of The Holy Grail“ funktioniert ohne Keyboard und Samples. Wir haben das Ding geprobt und der Sound kommt fett aus den Boxen.

Du hast vorab die Brücke von „Bone Collector“ zu „Heavy Metal Breakdown“ und die 80er Jahre gespannt? Wo siehst Du die größten Ähnlichkeiten bei den beiden Alben?

Das Songwriting war zu „Bone Collector“ völlig unbedarft und damit ähnlich wie früher. Wir haben einfach aus einem Riff etwas gemacht, ohne Druck aus einem Konzept oder ähnliche Ansätze. Einfach freie Fahrt, Ideen gesammelt wie in den 80ern, nur ohne Dosenbier oder Kiffen. Das gesamte Songwriting war ähnlich. Wir können den alten Sound nicht reproduzieren. Markus (Markus Kniep, Drummer von GRAVE DIGGER) hat zum Beispiel ein altes Steel Drumkit gespielt, Tobi nutze ebenfalls ein 80er Setup, um so den Spirit der 80er mit einzufangen. Natürlich klingt „Bone Collector“ anders als die Scheiben aus den 80ern. Die Technik ist viel weiter und wir wollten auch keine Scheibe in der Retrospektive liefern. State Of The Art Sound mit den technischen Möglichkeiten, die es gibt, aber orientiert an dem Spirit und dem Ansatz von „Heavy Metal Breakdown“.

Der „Bone Collector“ ist von der Saitenarbeit härter als zum Beispiel „Fields Of Blood“ oder „Symbol Of Eternity“. Wie wichtig war für GRAVE DIGGER der Wechsel an der Gitarre und der damit verbundene frische Wind für das aktuelle Album?

Axel kommt aus dem Hard Rock und Bands wie zum Beispiel DOMAIN. Er hat mir ausgeholfen aus Freundschaft vor vielen Jahren. So sind wir auf die Idee gekommen, GRAVE DIGGER gemeinsam voranzutreiben. Aus der kurzfristigen Unterstützung sind dann 14 Jahre geworden. Bei der „Symbol Of Eternity“ habe ich für mich festgestellt, dass mich der Ansatz auf dem Album nicht mehr erfüllt. Wieder ein Konzept, egal ob schottisch oder griechisch. Ich wollte mehr zurück zum metallischen Ursprung der Band. Wir haben keinen Schritt mehr nach vorne gemacht, sondern uns nur noch um uns selbst gedreht und wiederholt. Die musikalische Chemie zwischen Axel und meiner Person war nicht mehr so da. Daher haben wir beschlossen, dass wir nach der Tour zu dem Album getrennte Wege gehen. Sowas ist nie einfach, aber wir wollten nicht mehr in die gleiche musikalische Richtung gehen.

Die Geschichte mit Tobi ist wie so oft Zufall. Wir haben „Symbol Of Eternity“ über ROAR veröffentlicht, die gerade die alten X-WILD Scheiben neu auflegten. Da hatte ich die Idee, dass wir mit Jens (Jens Becker, Bassist von GRAVE DIGGER, Anmerkung der Redaktion) eine X-WILD-Show auf die Bühne bringen könnten. Tobi ist RUNNING-WILD-Fan und hätte die Saiten übernehmen können. Einen passenden Drummer hätten wir auch noch gefunden und ich hätte den Gesang übernommen. Jens fand die Idee aber nicht so gut, sodass wir den X-WILD-Ansatz verworfen haben. Ich wollte aber mit Tobi gerne etwas machen. So ist die STEAMHAMMER-Scheibe entstanden. Als klar war, dass Axel und GRAVE DIGGER getrennte Wege gehen, war Tobi als mögliche Nachfolger die erste Adresse. Er ist langjähriger GRAVE-DIGGER-Fan und sagte umgehend zu. Es passt perfekt für den Ansatz auf „Bone Collector“ und für die Idee, dass GRAVE DIGGER sich an dem Sound der 80er orientiert.

„Bone Collector” hat einen lupenreinen Speed-Metaller mit “The Rich, The Poor, The Dying” an Bord. Lyrisch behandelt das Ding die Rebellion gegen die Obrigkeit, Gier und Korruption. Inwieweit hat das aktuelle Tagesgeschehen euch hier beeinflusst?

Das Tagesgeschehen kannst Du nicht ausblenden und beeinflusst dich immer extrem. “The Rich, The Poor, The Dying” ist eigentlich ein Jugendkulturstatement. Es ist ein Gefühl, dass du einfach hast, wenn du Metal lebst. Ich musste in eine Kirche, da mein Sohn dort Konfirmation hatte. Da hatte ich trotzdem ein AC/DC-Pulli an. Das Statement bleibt, egal was du machst. So sehe ich unsere ganze neue Platte als Anknüpfungspunkt an die Jugendkultur der 80er Jahre und als Statement gegen die Obrigkeit.

Als Single wurde „The Devil’s Serenade“ veröffentlicht, der mit NWoBHM-Vibes daherkommt. Im Video ist eine Puppe zu sehen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem nicht ganz unbekannten US-Präsidenten hat. Hat euch der US-Wahlkampf zu dem Song inspiriert?

Wir haben mit dem Video einen Shitstorm losgetreten. Wenn KREATOR ein ähnliches Video veröffentlicht hätten, wäre vermutlich nicht viel passiert, aber uns trifft es. Die Puppe war Zufall, dass kann auch Boris Johnson sein. Am Ende fliegt das Geld umher, das ist viel entscheidender als die Puppe. Es geht mir primär um Kritik am Kapitalismus. Die monetäre Orientierung scheint sich in Richtung Unendlichkeit zu bewegen und dagegen hat Metal immer rebelliert.

 „Whispers Of The Damned“ zum Plattenende ragt heraus und ist ein perfekter Schlusspunkt. In Zeiten von Streaming und Playlists: wie wichtig ist für euch der Albumfluss und die Reihenfolge der Titel mit einem starken Abschluss?

Total, ich acht drauf das ein Album in sich einen guten Lauf hat und die Tracks an der richtigen Stelle sind. Wir produzieren Alben und keine Playlists. Am Ende muss ein komplettes Album in sich Sinn ergeben und die Nummern gut zusammenpassen.

„Whispers Of The Damned“ schneidet ein wichtiges Thema an. Es geht um den Kommandanten von Auschwitz, der als Tagesjob Menschen in den Tod geschickt hat. Sonst hat der Kerl ein normales bürgerliches Leben geführt. Ich finde das ein wichtiges Thema in der heutigen Zeit. Wer die Weidel und die AFD sieht und was die so von sich geben, da kann ich nur sagen: Republik schau in deine Vergangenheit. Ich will keine politischen Statements setzen mit GRAVE DIGGER, aber die Thematik von Verfolgung und Missachtung von menschlichen Leben ist brandaktuell.

Lass uns zur aktuellen Tour springen und 45 Jahre Grave Digger. Was dürfen die Fans erwarten jetzt im Winter 2025?

Wie liefern ein Set mit einem Old School Setup. Keine Samples, kein Keyboard, live und aus einem Guss. Wir arbeiten noch an einigen finalen Dingen, dann freuen wir uns, wenn es los geht und wir auf die Bühne dürfen. Mit VICTORY haben wir einen starken Opener, die ebenfalls die Sachen aus den 80ern zelebrieren werden. Einige Shows sind bereits fast ausverkauft, zum Beispiel Siegburg und München. Auch Hamburg in der altehrwürdigen Markthalle läuft gut und ist auf einem Freitagabend.

Im Sommer gibt es noch einen besonderen Auftritt? Für Wacken ist eine 45-Jahre Show angekündigt? Kannst Du uns evtl. dazu schon etwas verraten?

Wir werden mit Uwe Lulis gemeinsam für einige Tracks auf der Bühne stehen. Sonst fahren wir genauso unseren Ansatz von der jetzigen Tour im Sommer weiter. Es gibt kein Orchester, keine 40 Dudelsäcke und auch die üblichen Gastbeiträge werden nicht stattfinden. Wir haben vor, einige alte Bilder ausbuddeln und die dann über den Screen laufenzulassen. Wir sind auf einer der beiden Hauptbühnen und werden dort ein Teil zu 45 Jahre GRAVE DIGGER zelebrieren, genauso wie jetzt auf der anstehenden Tour.

Danke Chris für Deine Zeit, die berühmten letzten Worten sind bei Dir.

Wir hoffen, dass Euch unser neues Album „Bone Collector“ gefällt. Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr zu unserer Tour im Januar und Februar kommt. Es gibt 45 Jahre GRAVE DIGGER natural on stage.

Galerie mit 19 Bildern: Grave Digger - Keep It True XXIV 2024
Quelle: Interview mit Chris Boltendahl, 13.01.2025
16.01.2025

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