Heaven Shall Burn
Interview mit Maik Weichert zu "Invictus"

Interview

HEAVEN SHALL BURN gehen mit ihrer Ikonoklast-Geschichte in die dritte Runde und liefern mit „Invictus“ ihr abwechslungsreichstes und auch beeindruckendstes Album ab. Gitarrist Maik Weichert erzählt im Interview über das Burn-Out-Syndrom, Sterbehilfe und von 50 Minuten geballter Aggression.

Wie hast du den 1. Mai überstanden? Hast du gefeiert oder irgendwie Krawall gemacht?

Das war bei mir diesmal völlig unspektakulär. Ich bin mittlerweile auch eher so ein geistiger Brandstifter, würde ich sagen. (lacht) Jedenfalls war ich in Erfurt, bei uns in der Nähe, auf einer Gegendemonstration. Aber da ist alles friedlich gewesen. Das ist ja auch so eine Sache, die wurde einem Ostkind anerzogen, dass man am 1. Mai auf der Straße zu sein hat, nur ist das ganze keine offizielle Demonstration mehr wie früher. Ich halte es aber schon für wichtig, dass man mal seine Meinung sagt, vor allem wenn irgendwo Faschos aufmarschieren. Gerade an einem Tag wie dem 1. Mai, das geht natürlich gar nicht.

Was ist dir denn allgemein wichtiger: Einmal im Jahr so ordentlich auf die Pauke zu hauen und bis zum Umfallen zu feiern, oder der Welt Missstände vor Augen zu halten und dies dann auch lautstark zu vertreten?

Natürlich auf jeden Fall letzteres. Das war ja jetzt auch nur eine rhetorische Frage von dir, oder? (lacht) Sonst würde man ja auch nicht so eine Band wie HEAVEN SHALL BURN betreiben. Uns geht es schon darum, auch auf die Pauke zu hauen und mit den Leuten zusammen Spaß zu haben, bei den Konzerten zum Beispiel, dort erreicht man ja auch eine gewisse Aufnahmefähigkeit der Leute, sonst könnte ich ja auch trockene politische Artikel in irgendeiner Zeitung veröffentlichen, für die sich kein Schwein interessiert. Aber so sehen die Kids, dass man Spaß haben und poltisch denken kann, und dass man das miteinander verbinden kann. Das ist eine positive Art von Aggression, und das ist genau das, was wir generell auch vermitteln wollen.

Aggression ist übrigens ein gutes Stichwort… „Invictus“ nennt sich das neue Album und wird am 21. Mai veröffentlicht. Gleichzeitig ist das Album Teil 3 der Ikonoklast-Geschichte. Was war oder ist euch an dieser Thematik besonders wichtig?

Wir erzählen Heldengeschichten, die sehr bekannt sind, die wir aber aus einem anderen Blickpunkt beleuchten oder wir zweifeln auch einige Helden an. Im Gegenzug erzählen wir aber auch Geschichten und Mythen, von denen man bisher noch gar nichts gehört hat, um den unbekannten Helden auch mal hervorzuheben. Das ist dann auch der rote Faden, der sich durch die beiden Ikonoklast-Alben hindurch zieht.

Die neuen Songs setzen wieder einmal eine gute Allgemeinbildung oder den Willen voraus, sich mit den Themen, die auf „Invictus“ zur Sprache kommen, zu beschäftigen. Ich glaube allerdings, das tun heutzutage nur noch die wenigsten Leute, oder unterschätze ich jetzt speziell eure Fans? Welche Erfahrungen hast du diesbezüglich bisher so gesammelt?

Ganz am Anfang habe ich auch gedacht, dass die Leute davon überfordert oder gelangweilt sein könnten. Aber es ist ganz das Gegenteil eingetreten. Wir bekommen wahnsinnig viel positives Feedback, dass es endlich wieder eine Metal-Band gibt, die auch mal wieder diese Attitüde von NAPALM DEATH zum Beispiel aufgreift, politisch ist und auch wirklich für irgendetwas steht. Ganz viele andere Metal-Bands schummeln sich oft mit irgendwelchen Zweideutigkeiten durch den ganzen Sumpf hindurch und machen alles, hauptsache es verkauft möglichst viel Platten. Wie Politiker im Wahlkampf, die kein Gesicht zeigen und keine Meinung haben, auf die man sie nachher auch festnageln kann. Wir machen genau das Gegenteil, und das wird von den Leuten sehr positiv aufgenommen. Wir bekommen auch viele Mails von Leuten, die sich darüber freuen, das wir bestimmte Themen abhandeln. Wir bekommen auch sehr oft irgendwelche Seminararbeiten aus Schulen von Schülern, die unsere Songs im Geschichtsunterricht verwendet haben, damit die Lehrer auch wissen, dass es eine Metal-Band gibt, die sich sehr engagiert. Aber wie gesagt, am Anfang hätte ich das so auch nicht erwartet. Das funktioniert aber auch auf zwei Ebenen: Es gibt nämlich immer noch genug andere Leute, die sich einfach nur eine aggressiv-melodische, moderne Metalcore-Platte reinpfeiffen wollen, und sich gar nicht mit den Lyrics befassen – so funktionieren HEAVEN SHALL BURN natürlich auch.

Gleich zwei, eigentlich drei Songs, haben es mir ganz besonders angetan. Da ist zum Einen „The Omen“, dessen Aussage ich unkommentiert für sich stehen lassen möchte, und „The Lie You Bleed For“, eurem Statement gegen die Ausbeutung in Arbeit und Beruf. Leider ist Geld heute offensichtlich ein notwendiges Übel geworden, um überhaupt noch würdevoll behandelt zu werden. Was würdest du persönlich jemandem raten, der in seinem Job wirklich alles gibt oder geben muss, um seine Arbeit nicht zu verlieren? Denn letztendlich wird es immer jemanden geben, der sich für weniger Geld prostituiert…

Bei diesem Song geht’s mir gar nicht so sehr um die Leute, die wirklich sehr hart arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen, also zum Beispiel um eine Frau, die mit zwei Kindern allein lebt und putzen gehen muss, um alle über die Runden bringen zu können. Es geht also nicht um Leute, die keine Wahl haben, sondern um Leute, die eine Wahl haben. Die ein super Studium hingelegt haben, die ein tolles Elternhaus haben, viel Geld auf dem Konto und sich trotzdem für irgendwen kaputt arbeiten und mit 35 anfangen depressiv zu werden, Tabletten schlucken müssen, und sich freiwillig – trotz aller Möglichkeiten – zu einem Sklaven machen. Das ist dieses Phänomen, das es heute gibt. Die Leute, die keine Wahl haben, sind natürlich noch viel bedauernswerter und hilfsbedürftiger, das ist klar – dazu haben wir auch viele andere Songs -, aber in „The Lie You Bleed For“ geht es mir darum, dass sich die Leute nur abrackern, um sich Dinge kaufen zu können, um andere damit beeindrucken zu können. Ich habe ja Jura studiert und ich habe soviele Kumpels, die ein super Studium hingelegt haben und jetzt in irgendwelchen Großkanzleien arbeiten und 10.000 Euro im Monat verdienen, aber die sehen ihre Kinder nur ein oder zweimal im Monat am Wochenende und haben mit knapp über 30 Jahren bereits das Burn-Out-Syndrom. Das kann’s doch nicht sein!

Der dritte Song im Bunde, der mich emotional tief bewegt, weil ich bereits selbst einmal vor dieser Frage stand, ist „Given In Death“. Es geht um Sterbehilfe und den kirchlichen Standpunkt dazu. Wie stehst du zu diesem Thema persönlich?

Ich denke einfach, dass das ein faktisches Menschenrecht oder ein natürliches Recht des Menschen ist, zu entscheiden, wann für ihn Schluss ist. Wenn ich nicht mehr will, gehe ich auf eine Brücke und springe da runter oder mache sonst irgendwas. Nur weil ich rein physikalisch nicht mehr in der Lage bin, diesen Prozess selber anzustoßen, kann mir dieses Recht doch eigentlich nicht genommen sein. Das ist mein Standpunkt dazu. Dass man natürlich in bestimmten Situationen auch Leute vor sich selber in Schutz nehmen muss, wenn sie nicht mehr alleine fähig sind, darüber zu entscheiden, weil sie zum Beispiel von Depressionen gequält werden, dann ist das noch eine andere Sache, das blende ich in diesem Fall aber aus und betrachte lediglich die grundsätzlich philosophische Frage dahinter. Es greift hier aber auch noch ein weiteres Problem der kirchlichen Dogmatik: Die Kirchen wenden stets ganz streng ihre Dogmatik auf Lebenssachverhalte an, die dabei zu völlig menschenunwürdigen Ergebnissen führt. Ein anderes Beispiel dafür ist die Verhütungspolitik der katholischen Kirche – das ist einfach ein Dogma, das verfolgt wird, und das völlig an der Realität vorbeizielt, nur weil der Glaube eine „unangreifbare und unfehlbare Lehre“ sein soll. Das ist aber unmenschlich und genau das Gegenteil von dem, wie ein Christ eigentlich sein sollte.

Den weibliche Gastgesang in diesem Song übernimmt Sabine Weniger von DEADLOCK. Traumhaft! Wird es in Zukunft ähnliche Gastauftritte geben, so als Weiterentwicklung bzw. Neuerung, oder stellt dieser Song eine zufällige bzw. einmalige Sache dar?

Ich hab‘ dich jetzt nicht richtig verstanden… Hast du grauenhaft oder traumhaft gesagt? (lacht)

(lacht) Ich finde das schon ziemlich geil!

OK, also, es haben mir jetzt nämlich auch schon ein paar Leute ganz offen gesagt, dass sie das grauenhaft finden. Deshalb habe ich jetzt nochmal nachgefragt. Gut, ich glaube, das wird eine einmalige Sache bleiben. Wir wollten ja jetzt auch nicht bewusst eine kommerzielle Nummer machen und wir machen auch kein NIGHTWISH-mäßiges Video dazu und lassen das alles groß heraus hängen, zumindest ist das nicht so geplant, sondern wir wollten einfach am Ende der Platte, nachdem du nach fast 50 Minuten ordentlich etwas um die Ohren geballert bekommen hast, einen schönen Abschluss haben. Und eine Frauenstimme hat zu diesem unheimlich sensiblen und emotionalen Thema auch sehr gut gepasst. DEADLOCK ist übrigens eine Band, die in den letzten Jahren eine wahnsinnige Entwicklung durchgemacht hat. Das ist eine richtig geile und ernstzunehmende Band geworden, und die kommen auch aus unserer Gegend. Wir sind mit denen befreundet, und da lag’s einfach auf der Hand, dass wenn wir mal eine Frauenstimme benötigen, wir auf DEADLOCK bzw. Sabine zurückgreifen würden. Der Sebastian von DEADLOCK ist ja auch ein fantastischer Produzent. Der hat den Gesang von Sabine hervorragend aufgenommen und hat gleich noch ein paar Gitarreneinsätze eingespielt. Das war eine super Zusammenarbeit, eben auch, weil man sich schon kennt und gut befreundet ist.

Kommen wir zur Produktion. Die ist einfach nur fett und gefällt mir ausgesprochen gut. In der Redaktion gab es allerdings auch so Kommentare wie „Muss das so wuchtig sein?“. Warum habt ihr euch gegen einen bodenständigeren, natürlicheren Sound wie zum Beispiel von Bands wie NEAREA oder MAROON entschieden, und diese extrem wuchtige Produktion bevorzugt?

Wir sitzen natürlich in einer Spirale, das heißt wenn wir jetzt auf einmal eine Platte bringen, die nicht mehr so fett ist, wie die letzte, dann gucken einige Leute auch blöd und denken: „Oh, jetzt ist die Luft wohl langsam raus und die Aggression ist auch nicht mehr vorhanden…“ Aber die Platte ist insgesamt dann doch noch ein bischen aggressiver als das letzte Album, also wollten wir den Sound auch noch mehr in die Fresse haben. Ich verstehe jeden, der es nicht schafft, die 50 Minuten am Stück zu hören – das geht schon ganz schön auf die Ohren und man muss schon ein geübter Hörer sein -, aber trotzdem gibt’s da immer noch Bands, die das alles noch mehr bis zum Exzess treiben als wir. Aber auch darum geht’s bei uns: Ein Song von HEAVEN SHALL BURN muss dich von der ersten Sekunde an an die Kehle packen, und das geht natürlich nur mit so einem Sound.

Was kommt denn als nächstes? Geht’s denn noch wuchtiger?

Das weiß ich gar nicht. Das kommt ganz auf das Songmaterial der nächsten Platte an. Es geht natürlich NOCH wuchtiger, dann aber vielleicht nicht mehr mit dieser Geschwindigkeit gepaart. Es gibt viele Doom-Songs zum Beispiel, die noch wuchtiger sind, als das was wir hier fahren, aber das ist dann auch ein anderer Level von Aggression. Das kommt dann auch sehr auf die Songs drauf an. Ich glaube in Sachen schnelle Songs haben wir die Grenzen des Machbaren schon fast erreicht, zumindest was unsere spielerischen Fähigkeiten angeht. Man kann vielleicht noch etwas mehr an der Melodik und der Dynamik machen…und ich denke das gilt es dann auch bei der nächsten Platte auszureizen. Es soll ja auch immer noch einen Fortschritt geben. He He.

Maik, ich bedanke mich ganz herzlich für das Interview und wünsche euch viel Erfolg mit „Invictus“. Möchtest du unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben? Die letzten Worte gehören dir:

Mir würde es sehr viel bedeuten, wenn sich die Leute weiterhin mit unseren Texten befassen und sich einfach auch mal auf MySpace die ersten neuen Songs reinziehen und uns Feedback geben. Ich weiß, dass es auch noch viele Leute gibt, die Berührungsängste mit HEAVEN SHALL BURN haben, weil’s halt eine vermeintlich blöde Metalcore-Band ist, aber bis jetzt haben wir ganz viele skeptische Metaller auf unsere Seite gezogen, die dann auch Fans von uns geworden sind.

…als Metalcore kann man euren Stil aber auch nicht mehr bezeichnen…

Das Core bei uns ist halt die politische Einstellung. Ansonsten sind wir mit bloßem Auge von einer heftigen Metal-Band tatsächlich nicht mehr zu unterscheiden.

Galerie mit 25 Bildern: Heaven Shall Burn - Wacken Open Air 2023
10.05.2010

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