Nach dem durchaus erfolgreichen ersten Teil der “The Complete Albums Collection 1980-1988” von IRON MAIDEN, kommt nun via Parlophone der zweite Teil der Re-Releases auf Vinyl auf den Markt. Während der erste Teil mit den Heldentaten aus den Achtzigern daher kommt, liegt das Augenmerk dieser Vinylbox (schwarzes 180g Vinyl, teilweise Doppel-Vinyl) auf den Alben nach “Seventh Son Of A Seventh Son”. Das macht eine Lobhudelei etwas schwierig, konnten Maiden doch nicht immer an die glorreiche Zeit vor “No Prayer For The Dying” anknüpfen. Qualitativ gibt es an den Vinyls nichts auszusetzen. Vielmehr müssen wir noch einmal über die einzelnen uns vorliegenden Alben reden.
NO PRAYER FOR THE DYING (1990)
Das 1990er Album hatte gegen gleich zwei beinahe übermächtige Probleme anzukämpfen. Zum einen verließ mit Gitarrist Adrian Smith ein Hauptsongwriter 1989 die Band und zum anderen konnte „No Prayer For The Dying“ qualitativ dann doch nicht gegen seinen Vorgänger (“Seventh Son Of A Seventh Son”) anstinken. Als hätten IRON MAIDEN gewusst, dass es kaum möglich sein würde das 1988er Magnum Opus toppen zu können, tendiert “No Prayer For The Dying” in eine komplett andere Richtung. Wesentlich roher, weniger episch und pompös kommen Songs wie “Holy Smoke” (hierzu gab’s ‘nen coolen Videoclip), “Tailgunner” oder der Titeltrack daher. Genau dieser Richtungswechsel brachte Maiden damals mächtig Kritik ein. So schlecht, wie sie oftmals niedergeschrieben wurde, ist die Scheibe aber sicher nicht. Mit dem Abstand von 27 Jahren kann man feststellen, dass die hier zu hörenden Songs typische Maidennummern sind und durchaus Ohrwurmcharakter haben. Ich bin sogar der Meinung, dass sich auf “No Prayer For The Dying” (übrigens in der Neuauflage endlich wieder mit dem originalen Cover) etliche Perlen versteckt haben (u.a. “Public Enema Number One”), die den Test-Of-Time solide bestanden haben und sich in der zweiten Reihe der IRON MAIDEN-Songs pudelwohl fühlen. Dieses, für Maiden-Verhältnisse sehr spontan entstandene Album darf man gerne für sich wieder entdecken, zumal mit “Bring Your Daughter…To The Slaughter” Maidens einziger Nummer-1-Hit auf dem Album zu finden ist. (7)
FEAR OF THE DARK (1992)
“Fear Of The Dark” kam in der Presse und bei den Fans insgesamt wesentlich besser weg als sein Vorgänger. Das lag daran, dass der Titeltrack schon mit der Tour zum Album zu einem unsterblichen Metal-Klassiker wurde. Gleiches gilt (zumindest im IRON MAIDEN-Kosmos) auch für “Afraid To Shoot Strangers”, sowie “Be Quick Or Br Dead”. Der Rest des Albums pendelt sich qualitativ ungefähr auf dem Niveau des Vorgängers ein. Mit “Childhood’s End” und “Judas Be My Guide” befinden sich immerhin noch weitere erwähnenswerte Nummern auf dem Album. Auf der anderen Seite bietet die Band dem Hörer auch Langweiler wie “The Apparition”, “Fear Is The Key” oder das unsägliche “Wasting Love”. Balladen können IRON MAIDEN zu dem Zeitpunkt des Releases (und auch danach) einfach nicht mehr. Sinnvoller wäre es vermutlich gewesen “Strange World” noch einmal neu aufzunehmen. Wobei…
Egal. Auch “Fear Of The Dark” hat seine Schwächen, kann aber immerhin aufgrund der oben genannten Knaller über die sieben Punkte Hürde hüpfen. (7)
THE X-FACTOR (1995)
Auf der Tour zu “Fear To The Dark” knisterte es schon gehörig hinter den Kulissen, nach der Tour brach die Metalwelt dann in Tränen aus. Bruce Dickinson verließ zum Ende der Tour hin IRON MAIDEN. Das ging doch nicht. Ein No-Go. Zum kotzen. Warum machen unsere Lieblingsmusiker so etwas? Und warum, zur Hölle, schicken sie anstatt des heiß gehandelten Michael Kiske (damals HELLOWEEN) einen ‘Nobody’ wie Blaze Bayley (ex-WOLFSBANE) ins Rennen? Frevel! Jetzt würde nur noch fehlen, dass Rob Halford JUDAS PRIEST verlässt. Ach, nee. Der ist ja schon weg. Dabei ist das Dilemma viel eher, dass der gute Blaze natürlich keinen Stimmumfang wie Bruce Dickinson hat, Steve Harris ihn aber ziemlich alleine auf weiter Flur hat stehen lassen, indem er Bayleys Stimmlage beim Songwriting nicht berücksichtigt hat. So kämpft sich Blaze durch mal starke Songs (“The Sign Of The Cross”, “Man On The Edge”, “Look For The Truth”), mal eher durchschnittliche Songs (der Rest). Ihm ist es sicherlich nicht anzulasten, dass das Songwriting von “The X-Factor” teilweise zu schleppend und uninspiriert ausgefallen ist. Maiden wussten damals einfach nicht, wo sie hin wollten, bzw. was sie mit ihrem neuen Sänger anfangen sollten. Meiner Meinung nach ist “The X-Factor” zusammen mit “The Final Frontier” das schlechteste Album in der Diskografie von IRON MAIDEN. (5)
VIRTUAL XI (1998)
An vielen Stellen wurde der Vorgänger von “Virtual XI” in der Presse gelobt (vermutlich, weil man das Album ‘gut finden’ wollte). Wohingegen die letzte Scheibe mit Blaze Bayley (nimmt man “Best Of The Beast” und den Song “Virus” einmal heraus) durchaus kritischer gesehen wurde. Warum auch immer. Songs wie der flotte Opener “Futureal” (schön in Maiden-Tradition gehalten), “When Two Worlds Collide”, “Lightning Strikes Twice” und natürlich “The Clansman” erlauben dem Hörer einen wesentlich einfacheren Zugang zur Musik von IRON MAIDEN, als es der Vorgänger tat. Sicher sind nicht alle Songs auf “Virtual XI” Volltreffer. Mir persönlich gefällt das zweite Album mit Blaze Bayley aber um ein Vielfaches besser als “The X-Factor”. Das liegt unter anderem daran, dass das Songwriting hier etwas frischer und inspirierter klingt. Ich kann sogar “The Angel And The Gambler” etwas abgewinnen (allerdings hätte man die Nummer auch gut und gerne um sechs Minuten kürzen können). Auch wenn das Album nicht schlecht ist, konnte es doch dem 1997er Geniestreich “Accident Of Birth” (das war Maiden, wie man sie hören wollte) von BRUCE DICKINSON (und Adrian Smith) nicht das Wasser reichen. Die Tour zu “Virtual XI” wurde vorzeitig abgebrochen, man trennte sich einvernehmlich von Bayley und 1999 kamen Adrian Smith und Dickinson zurück in die Band. Der Rest ist Geschichte. (7)
Auch mit “The Complete Albums Collection 1990-2015” kann man also seinen Spaß haben, und allen voran “No Prayer For The Dying” kann echt was. Erhältlich sind die Scheiben in einer stabilen Box, die Platz für die weiteren Alben bis einschließlich “The Book Of Souls” bietet. Qualitativ ist, wie gesagt, an dem Vinyl nichts auszusetzen. Fans von IRON MAIDEN dürften sich eh über die Re-Releases auf Vinyl tierisch freuen. Runde Sache das.
Gelungene Retroperspektive. 🙂
Üppiges Paket und schön geschriebenes Review, wenn man bedenkt wie durchwachsen die Alben seinerzeit teilweise ankamen tut der Abstand sicherlich gut.
Und warum war Metalfreak eigentlich noch nicht da um uns darauf hinzuweisen, das Geld doch nicht immer den Großen in den Rachen zu schmeißen und lieber Grottenband XY zu supporten?
Kommt noch.
Vielleicht zieht selbst der bei Maiden die Grenze, irgendwas muss ihm ja heilig sein 🙂