
Katatonia
Wenn es kalt wird
Konzertbericht
Während München im Eisregen versinkt, macht sich bei vielen Menschen derzeit der innere Herbst bemerkbar. Getrieben von Jahresendzeitstimmung, begeben sich für einen Montagabend erstaunlich viele Melancholiker:innen ins Backstage, wo sich KATATONIA für ein Stelldichein angekündigt haben. In der kleinen Halle nebenan findet parallel ein etwas brachialeres Event um NAILED TO OBSCURITY statt, was durchaus zu einem Interessenskonflikt führt. Dem Extreme Metal waren KATATONIA zumindest in ihren Anfangsjahren ebenfalls zugehörig und so müssen sich heute nicht wenige entscheiden.
KLOGR legen mit angezogener Handbremse los
Den Abend eröffnen die italienischen Alternative-Modern-Metaller von KLOGR, die dafür zwei Flatscreens mitgebracht haben und so einen ganz kleinen Touch von Arenafeeling ins Backstage zaubern. Stimmungsmäßig kommt die Band um Sänger Gabriele „Rusty“ Rustichelli, der mit seinem unverwechselbaren ZZ-TOP-Style punkten kann, jedenfalls gut an. Dabei verlieren sich die Songs mit stimmlichen Reminiszensen an 90er US-Alternative-Rock leider oft in der schwere des draußen herrschenden Wetters. KLOGR lassen kaum einmal einen Ausbruch aus der gedämpften Laune zu. Gerade ein Mal gelingt es ihnen, das Tempo bei „Bleeding“ anzuziehen. Das wundert uns kaum, denn an dem Track hat LAMB-OF-GOD-Drummer Art Cruz mitgewirkt, was zu einer deutlichen Steigerung des Härtegrades führt. Im Anschluss wird es wieder ruhiger auf der Bühne, was dadurch aber nicht unbedingt schlecht ist. Ein bisschen mehr Dynamik würde der Performance insgesamt allerdings guttun.
Galerie mit 23 Bildern: Klogr - UK & Europe Tour 2025 in Berlin

EVERGREY legen mit einer explosiven Mischung nach
Dass Schweden im Bereich Progressive-Metal einen Platz auf dem Siegertreppchen durchaus verdient hat, ist schon lange klar. EVERGREY reihen sich dabei in eine Linie mit Bands wie PAIN OF SALVATION und SOEN ein, die allesamt eine seichtere Variante besagter Stilrichtung bieten. Live kommt das meistens fetter und härter als auf Platte rüber und genauso verhält es sich auch heute. Schon die ersten Akkorde und Schläge auf die Felle sind so fett, dass wir staunen. Der Sound ist auf Anhieb so gut, dass es im Publikum praktisch kein Halten gibt und mitgeklatscht, -gesungen und gewunken wird, was das Zeug hält. Gleichzeitig sind mehrere Raummikros am vorderen Bühnenrad angebracht worden, die ganz offensichtlich die Reaktionen aus dem FOH einfangen sollen und obendrein hat der Drummer eine Actioncam in Brusthöhe umgeschnallt. Vielleicht wird es Live-Footage von dieser Tour geben? Lohnen würde sich ein zweiter Blick auf das heutige Konzert in jedem Fall, denn EVERGREY nehmen die Bühne wie echte Headliner in Beschlag und lassen mit ihrer Spielfreude keinen Zweifel daran, dass sie gekommen sind um zu bleiben. „It´s Not Over“ geht mit dem langgezogenen Refrain besonders unter die Haut, während hunderte Kehlen inbrünstig mitsingen. Aber auch der letzte Song „Oxygen“ endet interaktiv, denn während das Publikum à capella weitersingt, macht die gesamte Band brav einen Theaterknicks oder zwei und verlässt die Bühne in der Gewissheit, die Fans ordentlich angeheizt zu haben.
Galerie mit 30 Bildern: Evergrey - UK & Europe Tour 2025 in Berlin

KATATONIA legen wenig überraschend noch eine Schippe drauf
Der Changeover zieht sich eine Weile, die dafür genutzt wird, die Bühne mit ordentlich Trockeneis zu vernebeln. Als die Schweden mit „Thrice“ ihr Set einläuten, macht es wieder einen gehörigen Wumms. Danach ist alles rot und der Nebel wird sich bis zum Ende des Abends halten. Im Zentrum befindet sich natürlich Jonas Renske, der mit seinen fragilen Bewegungen wie ein leidender Protagonist in einem der großen Dramen wirkt. Dazu flirrt passend eine geschmackvolle und anlassbezogene visuelle Inszenierung über die LED-Leinwände. Der Bühnensound hat die Tendenz zur Perfektion und KATATONIA gelingt es wie immer, einen Hauch von TOOL auf die Bühne zu bringen und damit musikalische Welten miteinander zu verbinden. Wir erinnern uns schmachtend an die beiden Großtaten „Dance Of December Souls“ und „Brave Murder Day“, die natürlich auch heute mit keinem Song vertreten sind, auf dem wir aber räudige, traurige und schwere Töne lieben lernten. Im Vergleich dazu, sind die aktuellen Songstrukturen auf einem progressiven Level, das wiederum alle anspricht, die OPETH zu schätzen wissen. Eine Band, die sich ähnlich entwickelt hat. Renske hat seine großen Momente, wenn er loslässt und sich seine Stimme frei entfalten kann.
Leider gelingt das nicht immer. Die dauerhaft übertriebene Mikrofontechnik (das Verändern des Abstandes vom Mikro zum Mund, je nach Lautstärke) ist gewiss der Alptraum aller Tontechniker:innen. Dadurch ergibt sich ein nicht immer klares Klangbild, während die Instrumentalisten perfekt abgestimmt sind. Gleichzeitig trifft der Sänger nicht alle Töne genau, was zwar selten ist und auch in einem dezenten Rahmen bleibt. Bei einer Band auf diesem Niveau muss diese Kritik aber sein.
„Germans love heavy music. This is one thing, that I know since my childhood“, ist das Kompliment des Abends und natürlich sind KATATONIA reizende und höflich bescheidene Gastgeber. Wir fühlen uns wohl, während die Band mit „For My Demons“ den ältesten Song des heutigen Repertoires spielt. „Wind Of No Change“ berührt uns am meisten und erinnert im brüchigen Finale vielleicht an „Without God“ von 1993. Den Abschluss finden KATATONIA mit „Forsaker“ nach gut eineinhalb Stunden und entlassen uns unaufdringlich in den kalten Novemberabend. Der innere Herbst ist für viele zum Winter geworden. Aber der nächste Frühling kommt bestimmt.
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Oliver Di Iorio
































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