Roadburn 2018
Sommer, Sonne, Stoner Doom

Konzertbericht

Billing: Converge, Godspeed You! Black Emperor, Cult Of Luna & Julie Christmas, Motorpsycho, Grave Pleasures, Wiegedood, Godflesh, Crowbar, Igorrr, Bong-Ra, Earthless, Weedeater, Hällas, Khemmis, Panopticon, Furia, The Ruins Of Beverast, Worship, Phantom Winter, Sacri Monti, Wrekmeister Harmonies, Misþyrming, Svartidauði, LLNN und GosT
Konzert vom 19.04.2018 | 013 Poppodium, Tilburg

Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Alle Fotos von Anton Kostudis und Alex Klug. Redaktionelle Mitarbeit: Sven Lattemann.

Donnerstag, 19. April 2018

“Ich glaube, damals hatten die Leute noch Hoffnung.” Ein Satz, den CULT OF LUNA-Mastermind Johannes Persson nahezu beiläufig fallen lässt. Gemeinsam mit Kollaborationskollegin Julie Christmas sitzt der 38-Jährige in einem Sessel im Tilburger V39. Beide Musiker beantworten hier heute Fanfragen, und davon gibt es einige. Wenige Stunden später werden die Schweden und die US-Amerikanerin einen ganz besonderen Auftritt auf der Hauptbühne vor mehreren Tausend Zuschauern spielen.

Roadburn 2018 – Johannes Persson & Julie Christmas

Johannes Persson & Julie Christmas

Fragen und Antworten

Es geht um das jüngste Album “Mariner”, um Inspirationsquellen und frühe Dystopie-Szenarien. “In den ganzen Filmen der 60er-/70er-Jahre war alles noch viel weiter weg, da hatten die Leute gehofft, die ganze Scheiße würde nicht eintreten”, sagt Persson und nippt an seinem Rotwein. Der Traubensaft zeigt seine Wirkung. Draußen scheint die Sonne, die Temperaturen kratzen an der 30-Grad-Marke. Auf dem Grill brutzeln die Burger-Patties, davor die Menschen. Sieht so Dystopie aus?

Die Faust aufs Auge

Eine klangliche Interpretation davon, was Dystopie sein kann, liefern ohne Zweifel CONVERGE. Die US-Amerikaner spielten bereits 2016 in Tilburg auf, damals gab es unter anderem das legendäre “Jane Doe” auf die Ohren – diesmal nun das aktuelle Werk “The Dusk In Us”. Ist das auch gut? Natürlich ist das gut. Das liegt einerseits an der Scheibe an sich, die eben einfach gut ist. Andererseits an der Performance des Bostoner Quartetts, das mit vollem Einsatz zu Werke geht. Und natürlich auch an der willigen Menge, welche die Truppe um Jacob Bannon, der in diesem Jahr als Roadburn-Kurator fungiert und unter anderem Truppen wie CROWBAR ins Line-up holte, gnadenlos abfeiert. Und tatsächlich ist es abermals spannend zu sehen, wie Bannon, der ja scheinbar unkoordiniert und wild ins Mikro geifert, sich mit seinem heiseren Geschrei ins rasende Soundgemisch eingliedert. Passt einfach wie die Faust aufs Auge – befinden zumindest die Kollegen. Und wenn sie sich im großen Rund der 013 so umschauen, stehen sie mit dieser Meinung keinesfalls allein da.

Roadburn 2018 – Converge

Converge

Das gern propagierte Fegefeuer entpuppt sich wider Erwarten dann aber doch als irdischer Ort: Das Patronaat hat sich auf stattliche 66 Grad Innentemperatur hochgearbeitet – für einige Bands eine echte Zerreißprobe. Wie etwa die Fantasy-Rocker HÄLLAS es mit Glitzerschminke und Samtcape auf der Bühne aushalten – wir wissen es nicht. So oder so: Einer der besten Roadburn-Einstände seit Langem. Neben KHEMMIS natürlich, die allmählich sogar den 2017er-Lieblingen PALLBEARER den Rang ablaufen.

Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter

CULT OF LUNA und JULIE CHRISTMAS suchen derweil weiter nach der Hoffnung. Allerdings dort, wo schon Stephen Hawking sie witterte: im All. Und nachdem das unerreichte Physikgenie unlängst dahinschied, tragen auch die hier Beteiligten heute ihr musikalisches Wunderkind zu Grabe. Nach fünf exklusiven Shows im Jahr 2016 und weiteren US-Dates findet “Mariner” nun also sein vorzeitiges Live-Ende. Ein Jammer, bietet die eklektische Vermengung von undurchdringlicher Lightshow, monumentalen Post-Metal-Riffs und schizophreniegetränkten Schreien genau das, was so viele in den Untiefen des Alls suchen: Zuflucht. Dabei bietet die rund 55-minütige Show derart furchteinflößende Dynamik-Umbrüche, dass JULIE CHRISTMAS die Teilnahme an diesem Experiment als purer Mut angerechnet werden muss. Wer sonst könnte es wagen, diese geballte Soundwand zu bündeln und den Musikern einen melodischen Weg durch das große Dunkel zu weisen. Wohl niemand. Und darum wird es auch niemand je wieder tun.

Roadburn 2018 – Cult Of Luna & Julie Christmas

Cult Of Luna & Julie Christmas

Dürfen wir trotzdem noch hoffen? Können wir noch hoffen? Das Kollegengespann befindet jedenfalls nach kurzer Bedenkzeit und einem Kaltgetränk: Ja, Hoffnung ist erlaubt. Wie gut, dass das Programm anschließend auch prompt den äquivalenten Act zur plötzlich ausgebrochenen Aufbruchstimmung in petto hat. “Phuture Doom” im Green Room! Ab zu … also … ähm… Die Kollegen sind sich dann doch auch nicht mehr so sicher, wer genau da nun im trotz fortgeschrittener Stunde stattlich gefüllten Green Room eigentlich aufspielt. Fakt ist: Zwei kuttenbehangene Menschen stehen auf der Bühne und schaben auf ihren Gitarren herum, während vom Band teils derbstes Breakcore-Geballer die Wände erzittern lässt. Die Zukunft mag vieles sein: Technoid ist sie auf jeden Fall.

Roadburn 2018 – Bong-Ra

Bong-Ra

Zukunftsmusik

Immer wieder kommt es während der – nennen wir es einmal “Darbietung“ – zu sogenannten Kostudis’schen Aussetzern. Diese stellen sich für gewöhnlich als plötzliches, entsetztes Lachen mit anschließendem Kopfschütteln dar. Spaß macht das Ganze den Kollegen aber dennoch, sogar sehr. Eine anberaumte Kurzrecherche (allerdings erst am Morgen danach) bringt derweil zutage: BONG-RA sowie SERVANTS OF THE APOCALYPTIC GOAT RAVE, beides ziemlich experimentelle Projekte des Niederländers Jason Köhnen, sowie das russische Kollektiv PHURPA, das sich traditioneller Musik buddhistischen Einschlags verschrieben hat, führt hier gerade so etwas wie ein Ritual in mehreren Akten auf. Tja, weißte Bescheid. Allerdings: Als dann ein Trupp lärmender Festivalgäste die Bar in Beschlag nimmt und mit seinem bierseligen und taktlosen Krakeele den okkulten Vortrag auf der Bühne fast schon übertönt, haben die Kollegen genug – und wenden sich zum Gehen. Kurz noch den Kopf bei den in feinster Roadburn-Tradition agierenden Stoner-Doomern WEEDEATER reingesteckt und positiv von der SLEEP-getreuen thematischen Aufarbeitung in Form durchtriebener Bassistenschreie beeindrucken lassen – dann machen sich beide durch die nach wie vor sommerliche Nacht auf zur temporären Bleibe.

Roadburn 2018 – Weedeater

Weedeater

Ebenjene hatten die Kollegen einige Stunden zuvor in neuer Rekordzeit in den niederländischen Acker gebaut. Allerdings: Obwohl Kostudis und Klug am Donnerstag zu geplanter Ankunftszeit in Tilburg eingetroffen waren, schauten sie erst einmal in die Röhre. Oder besser: auf die Weide. Denn da, wo sich der Camping-Ground laut Kartendienst eines großen Internet-Konzerns eigentlich hätte befinden sollen, befand sich: nichts. Nun, ein paar Haufen Kuhscheiße und ein einsames Bauernhaus.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Aber das war es dann eben auch. Nach kurzer Grübelei und dezent verzweifeltem Gewische auf dem Smartphone hielt es Kollege Klug schließlich nicht mehr aus. Er startete den Motor, navigierte mit sturem Blick über eine Handvoll Feldwege – und siehe da: Auf einmal tauchten hinter der nächsten (eher der fünfzigsten) Ecke plötzlich bunte, wehende Fahnen, Bauzäune und behäbig im Wind schunkelnde Zelte im Sichtfeld auf. Der Camping-Ground. Entdeckt, geortet. Was ein Abenteuer. Und in genau diesem Moment schauten sich die Kollegen einige Sekunden tief in die Augen, blickten dann in Richtung des sonnenerleuchteten Horizonts – und wussten: Die Hoffnung stirbt eben immer zuletzt.

Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Alle Fotos von Anton Kostudis und Alex Klug. Redaktionelle Mitarbeit: Sven Lattemann.

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25.04.2018

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