Blind Guardian
"Mit Herz und Seele kann ich sagen: Das ist ein Klassiker!"

Interview

Blind Guardian / Nevermore Backstage

BLIND GUARDIAN in den Neunzigern backstage mit NEVERMORE

Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass “Imaginations From The Other Side” ein unumstößlicher Klassiker ist. Ich habe mich gefragt, was eigentlich einen Klassiker ausmacht, und bin auf die folgenden Kriterien gekommen: Zum einen natürlich die Abwesenheit von schwachen oder auch nur unschlüssigen Momenten auf einem Album. Darüber hinaus gilt aber noch eine nicht ganz in Worte zu fassende Formvollendung, die über die reine Musik hinausgeht und das Zusammenspiel von Produktion, Artwork und die Dramaturgie, die durch die Tracklist entsteht, umfasst. Auch das zeichnet “Imaginations…” aus.

Ist euch die Anordnung der Songs damals leicht gefallen oder gab es eine Art “missing link”, bei dem ihr zunächst nicht weiter wusstet?

Ich weiß nicht mehr, ob’s uns schwer gefallen ist. Ich weiß nur noch, dass wir immer nach Geschmack gegangen sind und eben auch eine gewisse Dramatik aufbauen wollten. Das ist uns ganz gut gelungen, vielleicht, weil wir uns bei den Alben davor nicht großartig vertan hatten. Vielleicht auch deshalb, weil die Nummern einfach gut miteinander interagieren und man gar nicht so auf diese konkrete Reihenfolge angewiesen wäre. Vielleicht würden die Songs auch anders funktionieren, wenn man ein paar Ankerpunkte beibehält: Ich glaube schon, dass “Imaginations…” als Opener wichtig war, genau wie “And The Story Ends” als finaler Song.

Bis einschließlich “Somewhere Far Beyond” haben wir Alben für Vinyl produziert und noch nicht für CD. Das beinhaltet natürlich, dass wir immer in A- und B-Seite gedacht haben. So wären auch “The Script For My Requiem” und “Mordred’s Song” gute Nummern, um die Seiten jeweils zu beenden oder zu eröffnen. Vielleicht waren das unsere Fixpunkte bei der Songreihenfolge. Wo ich aber so drüber nachdenke, gefällt mir zum Beispiel “I’m Alive” an zweiter Stelle schon besser als “Born In A Mourning Hall”, obwohl man die beiden etwa hätte tauschen können.

Ein Glücksfall beziehungsweise “missing link” war “Bright Eyes”. Wenn André [Olbrich, Lead-Gitarrist und neben Hansi Kürsch Hauptsongwriter bei BLIND GUARDIAN – d. Verf.] während der Produktion nicht krank geworden wäre [bei dem Gitarristen wurde während der Aufnahmen ein seit der Geburt im linken Arm eingeklemmter Nerv festgestellt, der unverzüglich operiert werden musste – d. Verf.], hätten wir “Bright Eyes” nicht zu Ende bringen können. Das ist eine der ungewöhnlichsten Nummern auf dem Album und auch wegweisend, für das, was dann später passiert ist und entwickelt ein ganz eigenes Universum auf dem Album. Wir hatten jedenfalls diese Nummer noch zum Experimentieren offen und waren eigentlich überhaupt nicht glücklich, als wir diesen Song im Studio aufnehmen “mussten”, weil wir gerne noch ein bisschen Zeit investiert hätten. Ich bezweifle, dass wir’s besser gemacht hätten. Marcus [Siepen, Rhythmus-Gitarrist] und Thomen [Thomas Stauch, ex-Drummer] waren diejenigen, die gesagt haben “Super Nummer, das ist’n Hit!”

Der Zufall wie auch die perfekt zum Album passende Produktion von Flemming Rasmussen spielen also auch eine Rolle. Rückblickend für mich muss ich mit vollster Überzeugung sagen, dass das Album heute veröffentlicht den gleichen Erfolg haben würde. Deswegen kann ich mit Herz und Seele sagen, dass das Album ein Klassiker ist. In den Nummern ist einfach Zeitlosigkeit. Klar, es ist Metal. Wenn du Metal nicht magst, wirst du die Scheibe nicht mögen, egal, ob es 1995 der 2020 ist. Aber wenn du Metal magst, wirst du etwas finden, dass dir wahrscheinlich gefällt und dich auch längere Zeit beschäftigt.

Da du gerade Flemming Rasmussen erwähnst: Wärt ihr denn zu “Somewhere Far Beyond”-Zeiten hinsichtlich Arbeitsweise und Mindset schon bereit für eine Rasmussen-Produktion gewesen?

Von der Arroganz nach “Tales From The Twilight World” her schon (Gelächter). Im Hinblick auf die Erfahrungen, die wir dann im Studio sammeln durften, wäre es definitiv zu früh gewesen. Kalle Trapp war genau der richtige Produzent für “Somewhere Far Beyond” auch, wenn er aus unserer Sicht “Fehler” gemacht hat. Was letztlich aber dazu geführt hat, dass wir uns Gedanken gemacht haben, wer unsere Philosophie versteht, um groß rauszukommen. Da war Flemming Rasmussen genau der Richtige und das haben wir Kalle auch so kommuniziert. Wie gesagt, alle vier Alben, die er mit uns gemacht hat, sind auch genau richtig produziert gewesen, abgesehen von kleinen Details auf dem “Somewhere…”-Album. Für Kalle als Vaterfigur war es vielleicht auch erstmal schwierig zu sehen, dass da auf einmal eine emanzipierte Band steht, die selbst weiß, wo der Hase lang läuft. Dass dem nicht so war, haben wir dann dank Flemming gelernt.

Um zu deiner Frage zurückzukommen: Bei der “Somewhere…” wären wir mit dem, was uns bei Flemming an Präzision abverlangt wurde, gnadenlos auf die Schnauze gefallen. Die Präzision hatten wir noch nicht und hätten sie auch nicht erzeugen können, selbst wenn wir uns total angestrengt hätten. Die “Somewhere…”-Songs brauchten möglicherweise auch noch dieses Rohe, Analoge, was Kalle perfekt produzieren konnte.

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Quelle: Hansi Kürsch
19.12.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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